Die Dipsas (Dipsades (pl.)), auch Dipsa, Ammobates ("Sandkriecher"), Arida ("arid"), Kausone ("Brenner"), Melanurus ("Schwarzschwanz"), Prester ("Aufblaser", fälschlicherweise), Situla ("Eimer"), Torrida ("heiß") ist ein tödliches Schlangenwesen, die in den Wüsten Libyens vorkommt und große Ähnlichkeit zur Aspis aufzeigt.
Merkmale
Claudius Aelianus (* um 170 in Praeneste, dem heutigen Palestrina in Latium; † nicht vor 222), ein römischer Sophist und Lehrer der Rhetorik, weist darauf hin, dass die Dipsas weiß ist und zwei schwarze Streifen am Schwanz hat. Diese Beschreibung entnahm Aelian von Sostratos (lehrte von 50 v. Chr bis 30 v. Chr. in Alexandria), ein naturwissenschaftlich orientierter Arzt der griechischen Antike, welcher noch heute Bedeutung für die medizinische Geschichte besitzt und einer der bekanntesten Chirurgen im ersten Jahrhundert v. Chr. war.
Edward Topsell (ca. 1572 – 1625), ein englischer Geistlicher und Autor, hingegen beschreibt den Schwanz des Schlangenwesens als komplett schwarz und, dass sich auf der Vorderseite schwarz-gelbe Flecken befinden. Ulisse Aldrovandi (* 11. September 1522 in Bologna; † 4. Mai 1605 ebenda), ein italienischer Arzt und Biologe, berichtet von schwarzen und weißen Streifen, welche längs des Körpers verlaufen. Weiter habe das Wesen markante Schuppen auf dem Kopf.
Einigkeit scheint zumindest über die geringe Größe der Dipsas zu herschen, so klein, dass sie nur allzu leicht übersehen werden kann. Die unterschiedlichen Beschreibungen könnten auf verschiedene Individualfärbungen zurückzuführen sein, was die Dipsas zu einer variablen gefärbten Lybischen Schlange macht. Ein Merkmal, das sie in die Nähe der farbwechselnden, ebenso kleinen Seps stellen könnte. Es ist daher möglich, dass auch die Dipsas in der Lage war ihre Farbe zu wechseln und so ihre "Unauffälligkeit" erhielt bzw. weiter ausbaute.
Der Name Dipsas bedeutet so viel wie "durstig" oder "Durstverursacher", was in einem Wort den auffälligsten Effekt des Gifts dieses Schlangenwesens beschreibt. Den der giftige Biss dieses Wesens verursacht beim Opfer einen unstillbaren, verzweifelten Durst. Die Opfer sind sich der Ursache ihres unnatürlichen Durstes oft nicht bewusst, da die unauffällige Spezies einen Biss besitzt, den man nicht verspürt. Das Gift dringt nach der Injektion in die Knochen ein, entzündet die Organe, absorbiert lebenswichtige Flüssigkeiten und trocknet Zunge und Rachen aus. Die aufkeimende Verzweiflung über den immensen Durst kann dazu führen, dass Opfer so viel Wasser und andere Flüssigkeiten zu sich nehmen, bis sie sprichwörtlich platzen. Meidet man die Aufnahme von Flüssigkeit, wird einen das Gift mit inneren Verbrennungen schließlich niederstrecken.
Marcus Annaeus Lucanus (* 3. November 39 n. Chr. in Corduba; † 30. April 65 in Rom), ein römischer Dichter, beschreibt die Wirkung eines Dipsas-Bisses auf den römischen Fahnenträger Aulus, der gebissen wurde, nachdem er versehentlich auf einen Dipsas getreten war. Egal wie viel Wasser er trank, sein Durst konnte nicht gelöscht werden. In der verzweifelten Suche nach Flüssigkeit, soll sich Aulus in die Handgelenke geschnitten haben und versucht haben sein Blut zu trinken. Sein folgender Tod wird von Lucan als Gnade beschrieben, was den schirren Wahnsinn eines Dipsasbisses untermauert.
Das Gift der Schlange ist in Wasser gelöst, vollkommen harmlos und verliert jede Gefährlichkeit.
Vorkommen
Die Dipsas besiedelt die Wüsten "Libyens" (altgr.: Λιβύη, bezeichnet in antiken Quellen die ganze Maghreb-Region: Tunesien, Algerien, Marokko, Westsahara, sowie Libyen und Mauretanien).
Lucan gibt ein weiteres Vorkommen der Dipsas in der Nähe der Stadt Pharsalos im nordgriechischen Thessalien an, wo sie eine Quelle bewachen sollen. Dies würde das Verbreitungsgebiet der Art möglicherweise großflächig erweitern.
Dipsades können in der Nähe von Wasserquellen, einschließlich Quellen und Sümpfen, gefunden werden und lauern auch in Straußennestern.
Lebensweise
Über die eigentliche Lebensweise der Dipsas ist nichts bekannt.
Kulturelle Bedeutung
Mythologie
Aelian erwähnt eine Geschichte, in der ein Esel, von Zeus beauftragt wurde, der Menschheit Unsterblichkeit zu verleihen, auf seinem Weg aber an einer Quelle anhielt, um zu trinken. Diese Quelle wurde von einer Dipsas bewacht, welche dem Esel das Trinken verweigerte, bis dieser ihr das Geheimnis der Unsterblichkeit verraten hatte. Durch diese Methode erlernte die Dipsas den Abwurf ihrer Haut und verjüngt sich so immer wieder. Eine ähnliche Geschichte wird über Gilgamesch erzählt, der ebenfalls auf der Suche nach Unsterblichkeit war und hierfür nach einer Pflanze suchte, die ihn unsterblich machen könnte. Doch als er sie gefunden hatte, verlor er sie an ein Schlangenwesen. Auch hier war der Menschheit die Unsterblichkeit versagt, doch mit der Lehre, dass nur Geschichten einem Menschen Ewigkeit verleihen konnten. Im Fall von Gilgamesch ist diese Lehre wohl als bestätigt zu betrachten.
Die Geschichte der Dipsas und des Essels wurde auch von Sophokles und einer Reihe anderer Autoren erzählt.
Weiter sollen laut dem De Bello Civili, besser bekannt als Pharsalia,
mehrere Dipsades eine Quelle im Jahr 48 v. Chr. in der Nähe der Stadt Pharsalos im nordgriechischen Thessalien bewacht haben.
In beiden Fällen verursachen die Dipsades Durst nicht durch ihren Biss, sondern dadurch, dass sie den Zugang zu Wasser verweigern.
Der griechischen Mythologie zufolge wurde die Lybischen Schlangen aus dem Blut hervorgebracht, das vom Kopf der Gorgo Medusa tropfte, als Perseus mit ihrem Kopf in seiner Hand über die libysche Wüste flog, wo dort aus dem Blut Schlangenwesen entstanden. Was erstmal von Apollonios von Rhodos' Argonautika im 3. Jahrhundert v. Chr. erwähnt wurde.
Der griechische Autor Nikandros aus Kolophon schrieb den Ursprung der Schlangen im 2. Jahrhundert v. Chr. stattdessen dem Blut der Titanen zu.
Erst durch Lukan im 1. Jahrhundert n. Chr. wurde dem Medusa-Mythos ein genauer Katalog der entstandenen Schlangenwesen beigefügt. Die Schlangenarten wechseln je nach Überlieferung, sodass zu den "Libiychen Schlangen" folgende 14 Wesen gezählt werden: Dipsas, Seps, Prester, Haemorrhous bzw. Haemorrhois, Jaculus, Niliaca serpens, Basilisk, Scytale, Creastes, Chersydros, Amphisbaena, Pareias, Cerastes und Drakon.
Von diesen werden mehrere als Gegner/Hindernisse von Catos Armee beschrieben, allerdings nie alle 14 in einer Überlieferung. Allerdings war die Dipsas bereits vorher bekannt und in einigen Mythen beschrieben.
Laut Lukan soll sie die erste Schlange gewesen sein, auf welche Marcus Porcius Cato der Jüngere mit seinen Männern traf, als sie die Wüste Libyens durchquerten. Sie biss der Überlieferung nach einen römischen Fahnenträger namens Aulus, der sich in seinem Wahnsinn und verzweifelten Durst am Ende selbst umbrachte und so Erlösung von der Qual des Bisses fand.
Wissenschaftliche Erkärungsversuche
Die Beschreibungen des Dipsas-Gifts ähneln möglicherweise den tatsächlichen Auswirkungen einiger Schlangengifte, insbesondere dem brennenden Gefühl und dem ausgetrockneten Hals.
Trivia
Die Gattung Dipsas beschreibt eine Gattung ungiftiger Schlangen der Neuen Welt.
Taxonomische Stellung
Da man Verbrennungen erleidet, wenn man keine Flüssigkeit zu sich führt, erscheint das Gift der Dipsas und der Prester sich zu ähneln, weshalb Claudius Aelianus und Ulisse Aldrovandi die Annahme teilten, die Prester und Dipsas ein und dieselbe Art seien müssten. Eine Schlussfolgerung, welche Edward Topsell widersprach. Neben den Unterschieden in ihrer Giftwirkung, zeichnet sich die Prester durch ein schäumendes Maul und eine enorme Hitzeentwicklung aus, welche ihr es sogar unmöglich macht, ihr Maul zu schließen, während die Dipsas absolut unauffällig agieren kann. Auch wenn die Unterschiede ausreichen, um beide Schlangenwesen voneinander zu trennen, so sind ihre Gemeinsamkeiten so stark, dass sie sehr wahrscheinlich nahe verwandte Arten seien müssen, möglicherweise sogar Schwesterarten, die eine nähere Verwandtschaft mit der Aspis besitzen, welche ebenfalls für ihre Hitzeentwicklungen bekannt ist. Eine Annahme, die auch Isidor von Sevilla (lateinisch Isidorus Hispalensis; * um 560 in Carthago Nova (Cartagena), Spanien; † 4. April 636 in Sevilla), der Bischof von Sevilla, in den Raum stellte.
Da es sich nicht um ein Mischwesen handelt, handelt es sich bei der Dipsas vermutlich nicht um einen Drachen, sondern eine mythologische Schlange.
Nachweise
- Aldrovandi, U. (1640) Serpentum, et Draconum Historiae. Antonij Bernie, Bologna.
- Batinski, E. (1992) Cato and the Battle with the Serpents. Syllecta Classica, Vol. 3, pp. 71-80.
- Claudius Aelianus (2. oder 3. Jahrhundert), Περὶ ζῴων ἰδιότητος (De natura animalium), Buch 6 http://www.attalus.org/translate/animals6.html Abgerufen am 14.06.2023
- Dipsas, the Thirst-Snake in H. W. Fowler, F. G. Fowler (1905), The Works of Lucian of Samosata, Clarendon Press https://www.sacred-texts.com/cla/luc/wl4/wl405.htm Abgerufen am 14.06.2023
- Eldred, K. O. (2000) Poetry in Motion: the Snakes of Lucan. Helios 27.1, p. 63.
- Isidore of Seville, trans. Barney, S. A.; Lewis, W. J.; Beach, J. A.; and Berghof, O. (2006) The Etymologies of Isidore of Seville. Cambridge University Press, Cambridge.
- Gilgamesch-Epos: die berühmteste Erzählung des alten Orients https://www.kinderzeitmaschine.de/fruehe-kulturen/mesopotamien/lucys-wissensbox/kunst-und-kultur/gilgamesch-und-die-unsterblichkeit/ Abgerufen am 14.06.2023
- Lucan, trans. Rowe, N. (1720) Pharsalia. T. Johnson, London.
- Topsell, E. (1658) The History of Serpents. E. Cotes, London.