Hoyau oder hoyau kamui (alternativ: oyau kamui) ist in der Ainu-Mythologie eine Art übelriechender und giftiger Drache bzw. Drachengott. Sein Name bedeutet so viel wie "Schlange". Man nimmt an, dass er im Sommer oder in der Nähe von Feuer gedeiht, in der Kälte jedoch an Kraft verliert, weshalb er alternativ auch Sak-somo-ayep ("das, was im Sommer nicht erwähnt werden darf") genannt wird.
Etymologie
Hoyau bedeutet im Sachalin-Dialekt "Schlange", alternativ wird das Wesen auch Chatai oder Catay (vom japanischen 蛇体 Jatai entlehnt) genannt, was wörtlich "Schlangenkörper" bedeutet. Sak-somo-ayep ("das, was im Sommer nicht erwähnt werden darf") genannt wird.
Einer Überlieferung zufolge werden die Hoyau (auch Oyau genannt), die Flügel gewonnen haben, Rap-us-Oyau (ラプウシオヤウ) genannt.
Aber laut dem einheimischen Ainu-Folkloristen Mashiho Chiri (* 24.02.1909 bis † 9.06.1961) war Hoyau der gebräuchliche vulgäre Name, während Rap-us-Nupur-kur (ラプシヌプルクル, wörtlich "Geflügelte Gottheit mit übernatürlichen Kräften", der angebetete, ehrfürchtige Göttername war. Dementsprechend sind laut Mashiho Chiri alle Hoyau geflügelt.
Einer anderen Überlieferung zufolge sollen die geflügelten Wesen Lapuushioyau genannt werden, nach einer Erklärung von Mashiho Chiri ist Hoyau der gebräuchliche Name und Lapusinupurukuru (geflügelter magischer Gott) der göttliche Name.
Merkmale
Hoyau besitzen den Körper einer Schlange mit Flügeln. Der kräftige und zylindrische Körper besitzt eine blass schwarze Farbe, im Bereich der Augen und um den Mund sind Hoyau zinnoberrot gefärbt. Der Kopf und der Schwanz sind spitz zulaufend und an ihren Enden nur noch so dick wie ein Meißel. Mit diesen Spitzen gelingt es dem Hoyau große Bäume auszureißen bzw. zu fällen. Diese Drachen sind geflügelt. Der Drache verströmt einen übelriechenden Geruch. Der Hoyau verströmt nicht nur einen üblen Geruch, der Kontakt mit diesem Körpergeruch oder Moschus führt auch dazu, dass Pflanzen schrumpfen und absterben können. Menschen, die sich windabwärts des Drachen befinden, können ihre Körperbehaarung vollständig verlieren oder Schwellungen auf ihrer Haut entwickeln, und wenn sie zu nahe kommen, können sie (tödliche) Verbrennungen erleiden, welche die Haut verwüsten.
Der Drache ist in der Lage, Menschen spirituell zu beseelen.
Vorkommen
Die Art ist endemisch für die Insel Hokkaido, genauer für die Unterpräfektur Hidaka, im Süden Hokkaidos, sowie dem Tōya-See (jap. 洞爺湖, Tōya-ko), ein vulkanischer Caldera-See im Shikotsu-Tōya-Nationalpark in der Unterpräfektur Iburi. Dort bewohnen Hoyau Seen und Sümpfe. Darunter auch die Sümpfe auf dem Berg Poroshiri, dem höchsten Gipfel des Hidaka-Gebirges, sowie Berge in der Region des Saru-Distrikts (Unterpräfektur Hidaka). Meist sieht man die Drachen aber nicht und kann nur ihren Geruch wahrnehmen, der zu verschiedenen körperlichen Abwehrreaktionen führt.
Lebensweise
Verhalten
Die Hauptaktivität dieser Drachen liegt im Sommer, während sie im Winter vor der Kälte flüchten müssen, da diese ihre Körper unkontrollierbar und steif macht. Hierbei haben sich mehrere Strategien entwickelt, um der Winterkälte zu entgehen, einige Hoyau betreiben Winterschlaf. Andere beseelen Schreinjungfern, um diese zum Feuer schüren zu zwingen. Wieder andere verlassen sich auf ihr Glück und wandern von einer Feuerstelle zur nächsten.
Kulturelle Bedeutung
Gefährlichkeit
Ist man dem Geruch des Hoyau ausgeliefert, kann je nach Konzentration dies Haarverlust, Geschwüre oder sogar (tödliche) Verbrennungen bedeuten.
In einem Dorf namens Chin an der Mündung des Mu-Flusses auf der Seite in Richtung Hidaka soll ein als Kamui-tō ("Gottessumpf") bezeichneter Sumpf von den Hoyau Kamui bewohnt worden sein. Wollte man den Sumpf in Richtung des Dorfes passieren, sollte man zuvor auf einen nahen Hügel steigen und den Zustand des Sumpfes überprüfen (unter anderem in welche Richtung der Wind steht, um sicher zugehen, dass der giftige Geruch nicht zu einem weht), bevor man sich dem Dorf näherte.
Mythologie
Tōya-See
Der Tōya-See ist einer der Orte, mit denen Legenden über Hoya verbunden sind. Dem Mythos zufolge ist der Herr (nushi (主)), der den Tōya-See bewohnt, ein Wesen mit Schlangenkörper. Die Hoyau des Tōya-Sees galten im Allgemeinen als bedrohliche dämonische Gottheit, konnten aber manchmal Segen spenden und eine Art Schutzgottheit sein. Als insbesondere der Hōsōshin (Pockengottheit) über Abuta (heute Tōyako- Stadt) herabkam und die Ausbreitung der Pocken verursachte, flohen die Menschen an die Ufer des Tōya-Sees, und der Hoyau mit seinem schrecklichen Gestank vertrieb den Hōsōshin und rettete die Stadtbewohner. Einige sagen, dass der Hoyau des Sees einer geflügelten Schildkröte näher kommt als einem Drachen, und wenn eine Epidemie ausbricht, spenden die Einheimischen dem Hoyau und dem Yke-usekur (es ist unklar worum es sich dabei handelt, es ist nur noch der Name überliefert, transkribiert ins Japanische wird der Name als Ikeeuseguru (イケエウセグル) gedeutet, der Berggeist des Berges Usu (有珠山)) Sake. So hoffen die Menschen, dass die Pandemie schnell enden wird.
Priesterbeseelung in Abuta (Aputa)
In einer Legende übernahm einer der Drachengötter Kontrolle über einer Miko-Priesterin und befahl ihr das Schüren von Feuer zur Linderung der Kälte. Zuvor war die Wirtspriesterin von einer Spinnengottheit bewohnt worden, die ihren Platz dem überlegenen Drachengott überließ.
Der ursprüngliche Zweck, zu dem die Priesterin in das Dorf konsultiert wurde, bestand darin, die Krankheitsursache der Frau des Dorfältesten herauszufinden.
Wie Okikurmi den Drachengott Sak-somo-ayep tötete
Einem epischen Lied (Yukar) zufolge verströmte der Drachengott Sak-somo-ayep einen Gestank, der sowohl für Menschen als auch für Götter schädlich und tödlich war, sodass die Gottheit Okikurmi* die Aufgabe übernahm, den Drachen zu töten. Der Gott gab vor, ein Mensch zu sein, und überredete den Drachen, ein Dorf flussaufwärts zu besuchen. Die Dorfbewohner waren damit beschäftigt, eine Zeremonie zu arrangieren, offenbar eine Hochzeit, und der Älteste bereitete sich darauf vor, seine (betagte) Tochter dem Drachen zur Frau zu geben. Als der Drache jedoch den angebotenen köstlichen Fisch aß, verursachte der Verzehr ihm große Bauchschmerzen, die schließlich seinen Tod bedeuteten. Bei den Dorfbewohnern handelte es sich in Wirklichkeit um einen Hornissen- oder Shi-Soya-Stamm (und der Älteste war der Herr dieser Hornissen), dem von der Gottheit die Aufgabe übertragen worden war, den Drachen zu ermorden.
*Ae-oyna-kamuy (アエオイナカムイ) oder kurz Oyna-kamuy (オイナカムイ; Ainu-Gott der den Menschen häusliche Fähigkeiten beigebracht hat, und aus diesem Grund auch als Ainurakkur (アイヌラックㇽ, Vater der Ainu oder Vater der Menschheit) angesehen wird (auch als Okikurmi bekannt).
In einem anderen Yukar ließ Okikurmi mit seinen Beschwörungen Hagel fallen, und nachdem die Kälte schwer auf den Flügeln des Drachen gelastet hatte, hieb der Gott ihn mit seinem Schwert nieder.
Weitere Legenden
Laut Ainu-Überlieferungen, welche der Missionar John Batchelor (japanisch バチェラージョン; * 20. März 1855 in Uckfield, Sussex, England; † 2. April 1944 in Hertford, England) im 19. Jahrhundert sammelte, wurde eine (mythische) große Schlange als unmittelbare Ursache für Wespen und stechende Ameisen verantwortlich gemacht.
Eine dieser Schlangen, ein großes Weibchen, versuchte, einen Helden anzulocken. Doch dieser dachte nicht daran, in die Nähe des Wesens zu gehen, sodass sie ihn aus der Ferne mit einer 1000-jährigen Langlebigkeit verfluchte.
Taxonomische Stellung
Hoyau sind als geflügelte Schlangenwesen reptiloide Mischwesen und damit Drachen. Durch ihren schlangenartigen Körper sind sie außerdem den Schlangendrachen zuzurechnen. Innerhalb der Schlangendrachen dürften sie in die nähere Verwandtschaft der Amphithere und andere geflügelten Schlangen gestellt werden.
Nachweise
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