Der Tatsu (jap. Kana たつ) ist ein Drache der japanischen Mythologie. Er wird auch als Ryū, Ryō oder Wani (irreführend) bezeichnet.
Etymologie
Tatsu ist der alte Name für japanische Drachen. Der heutzutage häufiger genutzte Begriff Ryū leitet sich vom chinesischen Wort Lóng ab und entwickelte sich als durch chinesische Einflüsse der Lóng in das Verständnis der japanischen Kultur eindrang und letztlich das alte Wort "Tatsu" weitsgehend durch "Ryū" ersetzte. Sodass auch chinesische Drachen, welche eine Relevanz in der japanischen Mythologie besitzen, japanisiert werden, wie der Qinglong 青龍, welcher in Japan Seiryū heißt, und damit keine andere Art beschreibt, sondern das gleiche Tierwesen.
Das ursprüngliche japanische Wort für einen Drachen lautet "Tatsu" (jap. Kana たつ), wird aber mit dem gleichen Kanji, wie Ryū geschrieben.
Da die japanische Sprache auch Einflüsse aus dem Buddhismus erhielt, wird gelegentlich für die Ryū und Drachen im Allgemeinen auch nāga (jap. ナーガ, von sanskrit nāga) angewandt. Die japanische Bezeichnung doragon (jap. ドラゴン, von englisch dragon), wird vorrangig für "Westliche Drachen" angewandt, und dient meist nicht der Bezeichnung der Ryū, wie sie dieses Werk versteht.
Merkmale
Anatomisch ist der Tatsu vergleichbar mit dem chinesischen Lóng. Er besitzt also einen schlangenähnlichen Körper, vogelähnliche Beine, und fischähnliche Schuppen hat. Die Schnauze trägt Barteln. In der Regel trägt der Kopf ein Geweih bzw. Hörner. Von den Drachen der Gattungen Lóng und auch den koreanischen Yong unterscheidet sich die Tatsu in der Anzahl der Zehen, da die Tatsu nur drei Zehen pro Fuß aufweisen. In der Regel liegt das Hinterbeinpaar, sofern überhaupt vorhanden, beim Tatsu sehr weit hinten am Körper und deutlich weiter entfernt von den Vorderbeinen, als es bei den nah verwandten Gattungen der Fall ist.
Tatsu sind in der Lage sich in ihrer Gestalt zu wandeln und ziehen dabei überwiegend eine menschliche Form vor. Die eigentliche Gestalt des Tatsu wird nur sehr selten beobachtet. Neben dem Gestaltwandel können sich Tatsu auch unsichtbar machen.
Wie westliche Drachen horten sie riesige Mengen an Schätzen und bewahren mächtige magische Artefakte in ihren Behausungen auf.
Tatsu sind stark mit dem Wasser verbunden und erreichen den Status von Wassergöttern (jap. 神 Kami). Als solche ist es ihnen möglich, Regen und Stürme zu bringen.
Sie sind trotz Flügellosigkeit in der Lage zu fliegen. Hierfür wird häufig der Rückenkamm verantwortlich gemacht.
Vorkommen
Das Verbreitungsgebiet der Tatsu beschränkt sich auf die japanischen Inseln und deren umliegende Meere. Dabei werden dort Flüsse, Wasserfälle, Berge, Seen und Meere bewohnt. Dort errichtet der Tatsu meist Paläste, welche sich am Gewässergrund finden und wahrhaft gigantische Ausmaße annehmen können.
Für gewöhnlich sind Tatsu Kulturflüchtlinge, lassen sich aber gelegentlich in der Nähe buddhistischer Tempel nieder.
Lebensweise
Ernährung
Tatsu sind Allesfresser.
Fortpflanzung
Wie die meisten Drachen der Gruppe "Ostasiatischen Drachen" zeichnen sich auch die Tatsu durch eine Metamorphose aus. Die Metamorphose scheint in weiten Teilen der chinesischen Drachen ähnlich, so schlüpfen Ryū als Schlangen, wandeln sich später zu Koikarpfen und passieren gelegentlich auch ein Drachentor, um in den Himmel aufzusteigen. Ab diesem Verwandlungspunkt spricht man von einem Tatsu.
Ökologie
Sie gelten als Feind der Fuchsyōkai, den Kitsune.
Kulturelle Bedeutung
Im menschlichen Zusammenleben
Tatsu kümmern sich selten um menschliche Angelegenheiten, es sei denn, sie betreffen sie direkt. Viele Tempel pflegen die heiligen Stätten der einheimischen Drachen und unzählige Japaner pilgern zu den heiligen Bergen, die von Tatsu bewohnt werden. Tatsu erhalten Gebete für Regen oder Schutz vor Überschwemmungen sowie andere Anliegen im Zusammenhang mit Wasser. Feuerwerksfeste, rituelle Drachentänze und andere lokale Feste ehren diese Drachengötter überall auf den japanischen Inseln.
Mythologie
Benzaiten
Die japanisch, buddhistische Göttin Benzaiten (jap. 弁才天 oder 弁財天), auch Benten (弁天) oder Benzai-tennyo (弁財天女, wörtlich: "Himmelsgöttin der Beredsamkeit") reitet einen namenlosen Drachen. Sie steigt mit diesem häufig auf die Erde hinab, um die bösen Taten anderer Drachen zu stoppen.
Kiyo
Einst war Kiyo Kellnerin. Ein Priester verliebte sich in sie und verstieß gegen die Tempelregeln, indem er, um sie zu sehen, ein Teehaus betrat. Durch die Liebe verlor er seine religiösen Verpflichtungen fast vollständig aus den Augen. Doch mit der Zeit langweilte den Priester das Zusammenleben mit Kiyo und begann sie immer weniger zu sehen. Bis sie sich vollständig aus den Augen verloren.
Kiyo zerbrach an dem Trennungsschmerz und ging in die Ferne, um in einem Tempel magische Kräfte zu erlernen. Nach langer Zeit erlernte sie die Fähigkeit, sich in einen Drachen zu verwandeln. Noch immer geplagt vom Trennungsschmerz und die Wut über das Verlassen werden, flog sie in ihrer neuen Gestalt zum Kloster des Priesters. Dort attackierte sie, mit Mühe entkam er und suchte Schutz unter der Glocke des Tempels. Doch diese sollte sich als tödliche Falle herausstellen, Kiyo war aufgrund ihres Zorns in der Lage Feuer zu speien und brachte die Glocke zum Schmelzen, was den Priester tötete.
Taxonomische Stellung
Der Tatsu stellt die finale Entwicklungsform für die meisten Ryū dar. Damit handelt es sich um eine Adultform verschiedener Arten. Damit verkörpert der Tatsu Lebensabschnitte von Ryū-Arten und stellt im taxonomischen Stammbaum der Drachen keine eigenständige Art dar, auch wenn es sich klar um einen Drachen handelt.
Jedoch kann der Tatsu als "Eigentlicher Ryū" betrachtet werden, eine Sammelklade für alle singulären Ryūdrachen, welche nicht zu den anderen spezifischen Ryūspezies gezählt werden können.
Nachweise
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