Der Odontoryrannus (griechisch: όδοντοτύραννος) ist ein mythisches dreihörniges Tierwesen, das gemäß dem apokryphen Brief Alexanders an Aristoteles und anderen mittelalterlichen romantischen Nacherzählungen der alexandrinischen Legende Alexander den Großen und seine Männer in ihrem Lager in Indien angegriffen haben soll. Er wird auch als Arine Hayant Le Tirant, Arine Qui Het Le Tirant, Armez Hayant Le Tirant, Dentem Tyrannum, Dentirant, Dentityrannus, Odentetiranno, Odontatyrannum, Odontatyrannus, Odontetiranno, Mashḳělath oder Mashklet (Syrisch: ܡܫܩܠܬ ) bezeichnet. Übersetzt bedeuten seine Namen so viel wie "Zahn-Tyrann".
Etymologie
Christian Lassen rekonstruierte im 19. Jahrhundert den ursprünglichen Sanskrit-Namen des Odontoryrannus als dantešvara "Herr der Zähne", von danta "Zahn" und īšvara "der Herr". Diese unbestätigte Form wurde von Roger Goossens abgelehnt, der stattdessen dvijarāja vorschlug, was die doppelte Bedeutung von "König der Reptilien" oder "König der Zähne" hat.
Merkmale
Der Odontoryrannus ist ein massives Wesen mit einem schwarzen, pferdeähnlichen Kopf und einem ähnlich dunklen Körper. Besonders markant sind die drei Hörner, welche aus seiner Stirn ragen. Das Wesen ist größer als ein Elefant und es bedurfte 300 mazedonischer Soldaten, um den Körper aus dem Wasser zu ziehen, es ist also sehr wahrscheinlich mehrere Tonnen schwer.
Odontoryrannus hat keine Angst vor Feuer. Die Haut ist nicht sonderlich dick und kann durch Jagdspeere durchbohrt werden.
Verbreitung
Odontoryrannus sind für Indien belegt und dort in Flussnähe zu finden.
Lebensweise
Ernährung
Der Mageninhalt des Odontoryrannus wurde von Alexanders Soldaten untersucht und sie fanden dort Skorpione und Fische, so groß wie Ochsen. Damit ist Odontoryrannus eine karnivore Lebensform. In den griechischen Schriften von Palladius aus dem 5. Jahrhundert und den Schriften von Georgios Hamartolos aus dem 9. Jahrhundert ist der Odontotyrannus ein amphibisches Fleischfresser, der einen Elefanten verschlingen kann.
Kulturelle Bedeutung
Überlieferung
Als Alexander der Große und seine Männer an einem Fluss ihr Lager aufschlugen, wurden sie von einem Odontotyrannus entdeckt, der zum Wasser kam, um zu trinken. Das Wesen war riesig, groß genug, um einen ganzen Elefanten zu verschlucken, und hatte einen pechschwarzen Kopf und nicht weniger dunklen Körper. Auf dem Kopf trug es drei Hörner. Als das Wesen die Mazedonier sah, randalierte es, tötete 26 Soldaten und verletzte 52, bevor er von Emendus, Herzog von Arkadien, zur Strecke gebracht wurde.
Wissenschaftliche Erklärungsversuche
Es scheint sehr wahrscheinlich, dass Odontotyrannus eine bestialischere Variante eines Nashorns darstellt. Andere Theorien vermuten bei Odontotyrannus ein Krokodil. Der syrische Name des Odontotyrannus könnte eine Verballhornung von "Makara" sein, welche ebenfalls als krokodilartig beschrieben werden.
Weiter scheint die Möglichkeit gegeben, dass es sich bei Odontotyrannus um einen Skōlex (Induswurm oder der schreckliche indische Wurm) handelte, ein in antiken griechischen Schriften erwähnter riesiger, weißer, fleischfressender Wurm mit einem großen Paar Zähne, der im Fluss Indus lebte.
Taxonomische Stellung
Die taxonomische Stellung des Odontotyrannus ist schwierig. Die meisten Quellen scheinen sich einig zu sein, dass das Wesen sowohl Säugetier-Merkmale (Nashornartig bzw. Pferdekopf) und Reptilien-Merkmale (Krokodil, König der Reptilien) besitzt, unterlassen aber genauer diese Reptilien-Merkmale stichhaltig zu belegen.
Auch wenn eben ein stichhaltiges Argument für die Einordnung innerhalb der Drachen nicht zwingend gefunden werden kann, gibt es genug Indizen, die einen Mischwesen-Charakter als wahrscheinlich gelten machen. Demnach wird der Odontoryrannus als Drache betrachtet. Innerhalb der Drachen gehört er mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den Archosauromorphadrachen und ist damit in einer Verwandtschaft mit Krokodildrachen und Dinosaurierdrachen.
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