Nachdem ich gänzlich mit wohlig duftenden Ölen verwöhnt wurde, wickelte Charlotte meine nassen Haare in ein weißes Handtuch, während Emeli ein größeres mir ausgebreitet hinhielt. Unsicher folgte ich ihrer stummen Aufforderung und kletterte aus dem Wasser. Sie schlang den flauschigen Stoff sofort um meinen Leib und zog mich danach gleich komplett aus dem Badezimmer.
“Hier entlang. Eilt euch!”, sprach sie nachdrücklich und führte mich direkt zu dieser unsympathischen Hausherrin. Unter ihrem verärgerten Blick presste ich das Handtuch enger an meinen Körper. “Ich hoffe, ihr wart gründlich”, meckerte Dagmara und deutete zu einem unglaublich großen Schminktisch hin. “Eleonore, nehmt platz”, befahl sie weiter und noch ehe ich mich versah, erwiderte ich patzig: “Ich heiße Dezeria!” Ja. Da kann sie mich jetzt noch so finster niederblicken, aber daran wird hier keiner je etwas ändern!
Nach einem Moment des Schweigens lächelte sie dann plötzlich diabolisch. “Aber natürlich. Sei versichert, dass der Graf bereits über deine Flucht informiert wurde. Deine Strafe erfolgt also noch, keine Sorge. Genauso wie jedes weitere Fehlverhalten von dir eine Konsequenz nach sich ziehen wird.” Ich schluckte schwer bei dieser Drohung und erschauderte bei der Vorstellung, was man mir noch alles antun würde. Auspeitschen? Nackt im Hof anbinden? Oder gar – mir die Finger abschneiden? O Gott!
Als ich daran dachte verkrampfte sich mein Magen schmerzlich und mir wurde augenblicklich schlecht. “Hier, trinkt dies. Es wird Euch helfen”, sprach Emeli von der Seite und reichte mir einen goldenen Kelch. Noch völlig entsetzt vor Angst umfasste ich unwillkürlich das Gefäß, als sie es zu meinen Lippen hob. Ich trank. Ein süßlicher Geschmack von überreifen Trauben floss in meinen Mund und mit einem mal fühlte ich mich, wie eine verdammte Verdurstende. Gott! Als hätte ich Ewigkeiten nichts getrunken. Wieso ist mir das vorher nicht aufgefallen? Gierig schluckte ich die Flüssigkeit. Trank alles bis zum letzten Tropfen und dennoch fühlte sich meine Kehle immer noch so schrecklich trocken an.
“Gutes Kind”, sprach Dagmara und lächelte dabei zufrieden. Was mich irritierte. Wieso hatte sie jetzt solche gute Laune? “Also dann”, winkte sie weitere Bedienstete heran und zeigte mit ihrem Fächer auf mich, “fangt an.” Emeli nahm mir eilig den Becher aus den Händen und schob mich zu einem hohen Lehnstuhl, der vor dem prunkvollen Schminktisch stand. Hände drückten mich hinunter, damit mir gar nichts anderes übrig blieb, als mich darauf zu setzen. Ich starrte in gleich drei übergroße mit Holz verzierte Spiegel und betrachtete meine Erscheinung. Die gut sichtbaren Augenringe versetzten mich schlagartig an jenen Tag vor zwei Wochen zurück. Ja, da hatte ich genau so ausgesehen.
Ich war zu spät dran, wie immer eigentlich. Mutter hatte bereits den Stand vor unserem Haus, direkt am Marktplatz, geöffnet. Ich weiß es noch genau, als wäre es erst gestern gewesen. Ich stand vor meinem Spiegel und rückte die Schürze über meinem schönen grünen Kleid zurecht. Ich hörte irgendwann laute aufgebrachte Stimmen und eilte hinaus. Mutter verneigte sich gerade vor einem Mann und entschuldigte sich. Ich verstand nicht wieso, aber als er sich anschließend abfällig über unsere Backwaren äußerte und alles hinunterwarf, ging ich dazwischen.
Der Mann mochte zwar vermögend aussehen, hatte aber gewiss kein Recht unser Brot so zu verunglimpfen oder in den Dreck zu treten – wusste ich doch, wie viel Liebe Vater in jedes einzelne steckte. Mutter bat mich, sofort wieder zurück ins Haus zu gehen – was ich ebenso nicht verstand. Sonst gab sie den Kunden auch Kontra, wenn diese sich unverschämt verhielten, und dieser Kerl war es zweifelsohne.
Ein zweiter, weitaus beleibter Mann trat dann plötzlich heran und griff nach meinem Arm. Er wollte den Preis für mich wissen und sprach von einem Tribut. Ich war angeekelt und entsetzt. Ohne, dass ich großartig darüber nachdachte, landete meine Hand in seinem Gesicht. Die Ohrfeige, die ich ihm gab, brachte alle umliegenden Leute augenblicklich zum Schnappatmen. Eine bedrückende Stille legte sich über den gesamten Platz und dann fiel mir auch erst seine Kleidung sowie das Wappen auf. Eine rot-gelbe Sonne auf einem weißen Stern – das Zeichen des Grafen.
Ja, ich war damals so dumm gewesen. Allein die goldverzierte Kutsche oder die edlen Rösser, die davor gespannt waren, hätte mir auffallen müssen. Ich hatte den Grafen geschlagen. Sowas war unverzeihlich. Und obwohl es ihm in diesem Moment belustigte, so weiß ich noch ganz genau, wie mich die Angst durchflutete. Er blieb bei seiner Forderung, mich haben zu wollen, was meine Mutter schnell abwiegelte. Höflich redete sie und zerrte mich nebenbei ins Haus. Was noch besprochen wurde, hatte ich nicht mehr mitbekommen. Mein Herz schlug vor lauter Panik viel zu laut.
Eine Woche später brannte dann die Mühle mitsamt unserem Haus. Gott, wieso bin ich so dumm? Wieso sah ich den Zusammenhang damals nicht und glaubte dem Sektorand, dass dies ein tragischer Unfall war? Wie wäre unser aller Leben verlaufen, wenn ich an diesem Tag nicht die Hand gegen den Grafen erhoben hätte?
Tränen liefen aufgrund dieser Erinnerung, die mir sofort Charlotte mit einem Tuch ab tupfte. Als sie wieder beiseitetrat, starrte ich erneut in den Spiegel. Ich sah eine nackte Frau, der man das dunkelblonde Haar kämmte. Bin ich das etwa? Wann hatte ich denn mein Handtuch verloren? Seltsam. Ja, ich fühlte mich eigenartig. So fern von allen Dingen.
Ich musterte lange diesen Körper dort im Spiegel. Schließlich kam ich zu dem Entschluss, dass ich es nicht sein konnte. Das Spiegelbild blickte mich teilnahmslos mit blassbraunen, ja fast schon grauen Augen an – meine waren aber immer schon dunkelbraun gewesen. Ist das wieder einer dieser unglaublich echt wirkenden Träume? Muss es wohl. Der Kamm, welcher durch die nassen Haare gezogen wurde leuchtete sogar und machte diese umgehend trocken. Wow!
Weitere Frauen traten heran und nahmen mir leider die Sicht. “Schließt die Augen”, sprach eine weiche hallende Stimme. Es hatte schon fast etwas Geisterhaftes. Dann strichen Finger meine Lider zu. “Haltet sie geschlossen”, sprach erneut jemand und ich tat es. Wieso wusste ich nicht. Ich wollte doch eigentlich sehen, was weiter passierte.
Oh. Keine Sekunde später fühlte ich etwas. Ein Schwamm? Weich und nass strich es über mein Gesicht. Hier und da folgten andere feinere Berührungen, wie von Pinselspitzen. Was passiert hier nur mit mir?
“Ich bin fertig”, hörte ich es irgendwann, wo ich doch gerade diese Streicheleinheiten genossen hatte. Langsam öffnete ich meine Augen und sah abermals auf das Spiegelbild. Die Frau hatte nun ein weißes Gesicht bekommen, mit goldfarbenen Lippen.
Ich erblickte Hände, die mit kleinen Schwämmen ebenso den Hals und auch den Oberkörper einfärbten. Ich spürte die Berührungen. Bin ich das also doch? Bin ich diese weiße Gestalt im Spiegel?
Nun wurde eine Art Goldstaub über die Schlüsselbeine gestreut, was wirklich unglaublich schön funkelte. Mehr gelbliche Farbe folgte, um den abrupten Übergang vom Weiß zu meiner eigentlichen leicht bräunlichen Hautfarbe abzumindern. Als Nächstes rieb jemand anderes ein weißes Puder, welches mich stark an Mehl erinnerte, nun auch noch in meine Haare.
Kurz darauf widmeten sich zwei weitere Dienstmädchen meinen Händen. Sie knieten jeweils rechts und links neben mir und begannen mit einem kleinen rot-schwarzen Stab, der die Größe einer Hühnerfeder hatte, der Reihe nach auf meine Fingernägel zu tippen. Fasziniert verfolgte ich, wie diese sich binnen Sekunden richtig leuchtend Gelb einfärbten. Was ist das? Zauberei? “Technik des Adels, Fräulein Eleonore”, sprach vermutlich der Stimme nach Emeli, aber ich verstand die Bedeutung von diesen Worten nicht. Es verlor sich, wie alles gerade – rauschte nur so an mir vorbei.
“Nun müsst Ihr aufstehen”, hörte ich und unter unzähligen Händen wurde mein Körper aufgerichtet. Meine Füße gingen ein paar Schritte, ehe ich mich vor einem hohen Wandspiegel wiederfand. Er reichte vom Boden bis zur Decke und sah mit den ganzen funkelnden Edelsteinen einfach nur unsagbar teuer aus. Ich erblickte erneut eine Frau, welche mich durch die glatte Oberfläche des Spiegels anstarrte. Diese geisterhafte Gestalt – war ich nicht. Konnte ich nicht sein. Ich hätte mich nie so freizügig präsentiert. Wäre nie so vollkommen nackt jemandem gegenüber getreten. Diese Frau dort, besaß keinerlei Anstand – versuchte nicht einmal, ihre Blöße zu bedecken.
Von hinten reichte jemand ein grellweißes Mieder und zog es um ihren Bauch. Um meinen Bauch? Ich fühlte es. Das ist wirklich sehr seltsam. “Schnürt es schön straff! Und beeilt euch, es ist bald Mittag!”, schimpfte eine Frau streng von irgendwo her. Uff! Mein Körper wurde sofort unangenehm gequetscht.
“Enger, sie sieht noch nicht dünn genug aus!”, hörte ich und dann nahm mir das Korsett wahrlich die Luft zum Atmen. Mein üppiger Bauchspeck wurde so unerbittlich zusammengepresst, dass ich glaubte, gleich zu ersticken. Meine Brüste hoben sich zeitgleich unnatürlich. Wirkten so geschnürt, fast doppelt so groß. Ich konnte gar nicht mehr an mir herabsehen. Nur im Spiegel konnte ich erkennen, wie drei Mädchen vor mir knieten und meine Beine in gelbe Kniestrümpfe kleideten. Huch? Meine Arme wurden von weiteren Bediensteten nach oben gestreckt und dann kam kurz Dunkelheit über mich. Ein ärmelloses pompöses weißes Kleid stülpte man mir über. Sofort folgten weitere Schleier und Schleifen in purem Gold.
Eine Ewigkeit bestehend aus Ziehen, Zerren und Drücken ließ mich taumeln. Mittlerweile fühlte ich mich stocksteif. Ich konnte mich auch gar nicht mehr richtig bewegen oder atmen. Damit ich nicht umfiel, stützten mich beidseitig zwei junge Frauen in hübschen rot-gelblichen Kleidern. Dagegen mochte ich mein Gewand überhaupt nicht – davon abgesehen, dass ich mich nicht einmal selbst im Spiegel erkannte. Weiß und Gelb stand mir nicht. Ich besaß früher eine weitmaschige helle Strickjacke und darin sah ich immer fürchterlich dick aus. Seither hatte ich es vermieden, solche Farben zu tragen. Auch jetzt sah alles irgendwie befremdlich pompös aus. Das Kleid – die Frau im Spiegel bestand nur aus Brüsten und einem Haufen Weiß und Gelb.
Plötzlich zog etwas an meinem Kopf. Meine hüftlangen blassen Haare wurden erneut gekämmt und danach geflochten. Ich war nun keine Bauerstochter mehr. Nur noch ein Püppchen, wie man sie Kindern zum Spielen schenkte. Eine Hochzeit. Meine Hochzeit? Meine Gedanken waberten nur so in meinem Kopf. Haltlos. Ich fühlte mich, nein, alles fühlte sich so seltsam fremd an.
Das hier, war einfach nicht echt. Konnte es gar nicht sein. Nicht in Weiß. Irgendwann im Licht des blauen Cors. Ja, ich hatte es nicht vergessen. Es war sogar etwas, dass ich immer mit Freude herbeigesehnt hatte. Ich würde irgendwann dem Richtigen begegnen und mit ihm den Rest meines Lebens verbringen. Ewig geliebt und verliebt – so wie es auch meine Eltern waren.
Blau. Mein Kleid würde blau sein. Nicht weiß. Nicht gelb oder rot oder golden oder was auch immer. Ich würde im Schein des Mondes zum See schreiten. Meine Füße dabei bedacht anmutig auf den Weg aus violetten und blauen Blüten der Sofaneta setzen. Meine Zehenspitzen würden – gleich der Sichel Cors – die Oberfläche des Wassers berühren. Im Einklang. Mutter hatte mir so oft von ihrer Nacht erzählt. Es klang immer so unglaublich zauberhaft.
“Wir sind fertig, werte Herrin”, sprach es dann und holte mich zurück aus meinen Gedanken. Oh. Einige Ketten aus edlem Rosengold zierten meinen Hals und auch meine Haare wurden mit diversen roten und gelben Bändern zu einer anmutigen aufragenden Frisur geformt. Ich sah aus, wie wohl alle Adlige bei Hofe aussehen mussten. Edel. Reich. Eben nicht nach mir selbst.
“Mehr kann man aus ihr wohl nicht machen. Gut. Sarach Reznick, die Braut gehört wieder Euch.” “Exzellent. Dann mal auf-auf! Die Sonne steht gleich im Zenit”, hörte ich das erste Mal einen Mann sprechen. Die in Rot und Gelb gehaltenen Frauen drehten mich herum und führten mich geschwind zur Türe, wo auch einer zu warten schien. Es war irgendwie seltsam. Ich hatte ihn schon einmal gesehen, aber mein Kopf konnte einfach keinen Zusammenhang bilden. Er schritt eilig mit einem wackelnden Zopf mittig auf dem Scheitel voran. Ich folgte, wenn auch nicht bewusst. Meine Beine bewegten sich einfach und nur am Rande bemerkte ich, die gesichtslose Masse aus Menschen, welche uns begleitete. Es kümmerte mich nicht. Ebenso wenig, dass ich keine Schuhe trug oder irgendwelche Unterwäsche.
Oft musste ich während des Weges gestützt werden. Sehr oft. Mir schwindelte. Es war immer noch alles so seltsam wirr in meinem Kopf – so unwirklich – aber niemanden schien das zu stören. Sie brachten mich in eine Halle, die schöner nicht hätte aussehen können. Ein lichtdurchfluteter Raum, gleich einer geschmückten Kapelle. Ich mochte keine hellen Töne, aber dies hier gefiel mir schon irgendwie. Unzählige Blumen und Blüten säumten den Pfad – endeten vor einem altarähnlichen Aufbau. Ein beleibter Mann, ganz in strahlendem Gelb und Rot gekleidet, wartete dort. Sein Rücken zierte ein langer Umhang, auf dessen Mitte unübersehbar eine rot-gelbe Sonne auf einem weißen Stern abgebildet war.
“Werter Graf Van Rotterval, Eure Braut ist hier”, verkündete der Mann vor mir, machte einen Ausfallschritt zur Seite und verneigte sich. Meine Begleitdamen führten mich derweil an ihm vorbei und stellten mich direkt hinter den Grafen. Er drehte sich sogleich geschmeidig herum und musterte mich mit einem breiten Lächeln. Ja, Ludwig, kein Zweifel.
“Perfekt! Sie sieht fabelhaft aus”, sprach er euphorisch und schritt die zwei Stufen, die uns voneinander trennten, hinab. Seine eine Hand umfasste mein Kinn und zog mein Gesicht näher zu sich, um meine volle Aufmerksamkeit zu erhalten. Aber die hatte er schon längst. Ich starrte ihn an, ich hatte Angst – ich hasste ihn und doch blieb mein Körper bei seiner Berührung ruhig. Ja, ich war nicht einmal angewidert, als sein Blick deutlich zu lange auf meinen Brüsten hängen blieb. Was ist nur mit mir los?