Ein gewaltiger Knall hallte durch den Raum, was meine Ohren fürchterlich klingeln ließ. Eine weitere brutale Erschütterung folgte und schleuderte mich gegen die nächstbeste Wand. Mir schwindelte. Alles drehte sich. Gegenstände flogen wie gefährliche Wurfgeschosse wild durch die Gegend. Johanna schrie vor Panik. Was lief hier bitte für ein Scheiß?
Ich blickte verwirrt umher, hielt mir den pochenden Kopf. Ich bin doch auf meinem Schiff, wieso wackelte es überhaupt – oh. Ich begriff es endlich. Mein Schiff! MEIN ZUHAUSE! Mühselig zwang ich mich, aufzustehen. Mein Körper wurde zwar gerade von Adrenalin nur so vollgepumpt, aber die Nachwirkung der Droge machte sich trotzdem noch deutlich bemerkbar. Verdammt, ich brauchte dringend eine Pause von dem ganzen Mist! Aber. Erstmal gab es Wichtigeres. Zielstrebig rannte-stolperte ich zu einer verdeckten Steuerkonsole.
“Heka, Bericht! Werden wir beschossen? Wie stets um die Verteidigungs- und Waffensysteme? Wieso leitest du keine Gegenmaßnahmen ein?!”, rief ich wütend, denn eigentlich sollte ein direkter Treffer überhaupt nicht möglich sein. Jedenfalls nicht so! Eine erneute Erschütterung riss mich fast wieder zu Boden. Das Licht erlosch – nur noch die Notbeleuchtung sprang an. Fuck! So wie das rumste, flog hier gleich alles auseinander!
<Bericht: Angriff durch H3 Raketen. Zar’Rea Friedrich Hor Mewasinas und Zar’Rea Rene Mewasinas fordern umgehende Kapitulation. Systemzustand: kritisch. Außenbordhülle stark beschädigt. Interne Verteidigungs- und Waffensysteme offline. Gegenmaßnahmen: ... Fehlschlag. Erneuter Versuch. Gegenmaßnahmen: ... Fehlschlag. Erneuter Versuch ...> Ah, stimmt. Da war ja was. Heka sagte doch, sie hat keine Kontrolle mehr über das Schiff und steckte nun in dem Ryron? Toll. Wirklich super. Muss sie ausgerechnet jetzt so einen Quatsch machen?
< ...Fehlschlag. Erneuter Versuch. Gegenmaßnahmen: ... Fehlschlag. Erneu–> “JA! STOPP! Ich hab’s kapiert! Gott, wie ich Standard-KIs wie dich hasse”, schimpfte ich frustriert, während ich den Zahlencode zur Entriegelung der Abdeckung eintippte. Ein weiterer Ruck ging durchs Schiff. Der unverkennbare Klang von zersplittertem Glas drang an meine Ohren, dicht gefolgt von Johannas schmerzhaftem Aufstöhnen. Ebenso stieg mir deutlich der beißende Geruch von verschmorter Elektronik in die Nase. Nicht gut. Gar nicht gut!
“Komm schon!”, murrte ich und stemmte mit Gewalt die letzte Platte beiseite. Ein breiter Monitor mit dazugehörigem altmodischen Tastaturfeld kam zum Vorschein. Jeweils rechts und links befanden sich zwei handgroße schwarze Kugeln, wodurch das Schiff manuell gesteuert werden konnte. Der Anblick schockierte mich zutiefst. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Das Modul – es war nicht funktionstüchtig. Hatte keinen Strom? Verflucht!
Schon wieder knallte es. Das Schiff geriet bereits in eine bedrohliche Schräglage. Wie lange wir uns noch in der Luft halten konnten, blieb fraglich. Wie hoch und wo wir überhaupt waren ebenso. Meine Gedanken rasten. Was soll ich nur tun? Ich – benötigte Zeit! Zeit, um das Chaos in meinem Kopf zu sortieren. Verdammt! Nur die Ruhe. Denk nach. Tief, tief atmete ich durch. Gut. Was sind meine Optionen?
Ich habe keinen Zugriff auf das Schiff oder irgendeins seiner Systeme. Kann weder angreifen, noch einen Beschuss abwehren. Ich bin nackt und hinsichtlich eines Fernkampfes unbewaffnet – beides ließe sich aber auf der Stelle ändern. Und dann? Hm. Die Familie Mewasinas will mich sicherlich lebend. Sie könnten mich gleich hier vom Himmel holen und danach meine halbtoten Überreste bergen oder das Schiff soweit zerschießen, dass es sich leicht in einen Hangar ziehen lässt. Letzteres ist am wahrscheinlichsten. Dort könnte ich kämpfen. Ja, kämpfen gegen einen Haufen Killerdrohnen und schlussendlich doch verlieren. Hm. In meinem Besitz befinden sich ein halbtoter was-auch-immer Gott und Johanna. Als eine der Aschengards könnte ich sie vielleicht – nein. Der Angriff erfolgt aufgrund meines Vertragsbruchs. Wenn sie für mich Partei ergreift, würde über sie ebenso eine Strafe in Form von Folter oder Demütigung verhängt werden. Der verrückte Sonnenspinner besaß vermutlich eine blühende Fantasie in diesem Bereich. Ja, es steht ausgesprochen schlecht.
Erschöpft schloss ich die Augen. Mein Schädel qualmte. Eigentlich gibt es nur eine richtige Wahl und die bedeutete, alles aufzugeben. Auch dich, Dezeria. Strafen von hochrangigen Rea waren nämlich langwierig. Immer schon. Mein Vater hätte somit schon längst deinen Willen gebrochen, bevor ich auch nur versuchen könnte, vorzeitig aus dieser Gefangenschaft zu fliehen. Es ist – aussichtslos.
<Kapitulation, nicht wahr?> Ich riss die Lider auf und blickte nach unten. “Heka?”, fragte ich überrascht, als ich den Ryron neben mir sah. <Du ziehst in Betracht, ein Signal zu geben, oder? Du willst dich freiwillig ergeben, um den Schaden für alle so gering wie möglich zu halten.> Ich lächelte freudlos. “So ist es wohl.” <Ich will das nicht.>
“Hm? Wäre das nicht in deinem Sinne? Ich bekomm eine Strafe und die anderen werden verschont. Johanna kann mit deiner Hilfe ja nach Dezeria suchen ... Irgendwie so.” Ja, wirklich einen Plan hatte ich nicht, aber das war auch nicht nötig. Sollte Eisold mich ruhig von seinem Sohn foltern lassen. Mich konnte noch nie einer lange festhalten. Ich werde es schaffen, Dezeria. Für dich erst recht. Und. Sollte dir etwas passieren, dann werde ich eben die Welt – nein – alle Welten dafür strafen. In Feuer und Blut ertränken! Ja, das klang akzeptabel.
<Nein. Ich ... möchte das aber nicht. Ich will nicht, dass du gequält wirst. Ich will nicht ... dass du danach den Verstand verlierst.> Ich schnaubte abfällig. “Wem habe ich denn das gerade zu verdanken? Wer hat sich vom Schiff getrennt und hier alles verfallen lassen? Richtig, es ist deine Schuld, Heka! Zudem habe ich immer noch nicht kapiert, wieso du das überhaupt getan hast. Hm? Was tust du da?”, fragte ich verwirrt, als sie nun mit einem kleinen Laser ein Loch unten in das Terminal brannte.
<Du hast recht. Es ist meine Schuld. Das Schiff ist wehrlos und stark beschädigt ... es tut mir leid. Ich wollte doch nur helfen und habe alles falsch gemacht. Aber. Vielleicht kann ich die zerstörte Stromversorgung überbrücken. Der Ryron besitzt genügend Energie.> Erneut durchzog ein starkes Beben den Raum, gefolgt von einem höchst alarmierenden Knacken. Scheiße, wollten die uns echt abknallen? <Kapitulation ist nicht gut. Für keinen von euch. Ich ... will das wirklich nicht miterleben. Wir täuschen einfach das Aufgeben vor, ja? Vielleicht kriege ich das Waffensystem zum Laufen. Ein Versuch ist es allemal wert! Schnell, funkt Eisold an und haltet ihn hin!> Ich schmunzelte ehrlich darüber. “Ich liebe es, wenn du so verdorben bist, Heka. Da sieht man’s mal wieder, ich bin definitiv kein Umgang für eine KI”, witzelte ich trotz der angespannten Situation und widmete mich sofort meinem Armband. Ich scrollte in den Kontakten und initialisierte schließlich den Anruf über meinen implantierten Kommunikator:
“Schönen guten Abend. Sie sprechen mit der Assistentin Karina-Sina des großen Eisold Van Mewasinas. Was kann –” “Ja, spar dir den weiteren Atem. Gib mir deinen Herrn. Er erwartet meinen Anruf bereits!” “O natürlich, wen darf ich anmelden?” “Wen wohl, Reznick! Und jetzt mach gefälligst, du dumme Puppe”, murrte ich und spürte gleich darauf einen scharfen Schmerz am Bein. Verwirrt blickte ich auf Heka. Sie hat mich doch tatsächlich in die Wade gezwickt!
“Wie Sie wünschen. Bitte gedulden Sie sich ei–” Ich drückte das Gespräch auf lautlos und murrte anschließend: “Ey, lass das!” <Bitte zügle deine Wut. Weitere Eskalation ... wäre wenig hilfreich.> Genervt rollte ich mit den Augen. “Ich weiß! Ich habe auch nicht vorgehabt, so mit Eisold zu sprechen. Wenn’s drauf ankommt, kann ich mich schon zusammenreißen.” <Kannst du? Letztes mal ging es direkt um Dezeria und das endete ... nun, in dem hier.> Ich runzelte die Stirn. Sie hatte recht. Unter normalen Umständen wäre es nie soweit gekommen. Eigentlich hätte das alles nie in solch einer Eskalation enden sollen. Ich ging doch in der Regel wesentlich raffinierter vor. Warum schaffte ich es denn einfach nicht so zu sein wie sonst? Seit Dezeria bin ich zu nichts mehr zu gebrauchen. Das muss aufhören. Jetzt sofort!
“Oh ...”, sprach ich und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Armband. Es vibrierte, was bedeutete, dass der Anruf durchgestellt wurde. Gut. Nur die Ruhe. Jetzt bloß nichts Falsches sagen. Ein normales Gespräch werde ich gewiss hinbekommen. Es stand viel auf dem Spiel. Sehr viel.
“Hier spricht Reznick, ich rufe bezüglich des Angriffs gegen mein Eigentum an.” “Ja, lustig. Bettel ruhig, ich knall dich so oder so vom Himmel.” Scheiße. Das ist eindeutig nicht Eisold. “Ich will mit Zar’Rea Friedrich Hor Mewasinas sprechen und mit niemand anderem.” “Natürlich willst du das, aber DAS hier ist eine Sache zwischen mir und dir! Ich sagte doch, dass es noch ein Nachspiel haben wird. Und HIER hast du es! Gott, hast du mal meine Kirche GESEHEN!? Nicht nur, dass du MEIN HEILIGES RITUAL gestört hast, NEIN! Was fällt dir ein, dort auch noch alles zu ZERSTÖREN, geschweige überhaupt meine ALLIE zu killen! Hast du ne Ahnung, wie TEUER sie war?!”, brüllte der Sonnenfreak wütend in die Leitung, was mir prompt Kopfschmerzen bereitete. O Mann. Es lag mir förmlich auf der Zunge, ihm zu sagen, wie sehr mir sein Geheule am Arsch vorbeiging. Aber. Ich schwieg. Auch ohne einen bissigen Kommentar meinerseits war die Situation alles andere als rosig. Schlagartig sogar noch um einiges schlechter. Der Verrückte wird mich definitiv abschießen. Aufgrund meiner Modifikationen würde ich es mit großer Wahrscheinlichkeit überleben – und dann? Folterspiele. Entzückende Aussicht.
“Du unwürdiger WURM! Dafür wirst du definitiv BLUTEN, hörst du?! Mir egal, wer du bist! Mir SCHEIßEGAL, wem du gehörst oder zu welcher Familie! Ich werde deinen halbtoten Körper aus den Trümmern bergen lassen und anschließend dabei zusehen, wie du langsam und qualvoll in einem Hochofen zu Tode kommst!” Hm, ja genauso etwas in der Richtung hatte ich mir schon gedacht. Ich atmete einmal tief durch. Mein Blick schweifte dabei zu Johanna. Sie hatte in der Zwischenzeit diesen Zerian in eine Decke gewickelt und suchte Schutz in einer Ecke der Krankenstation. Einen Absturz würden die beiden definitiv nicht überleben. Hm. Besser also, ich kriege sie noch irgendwie aus der Schusslinie.
“Meine zukünftige Frau ist hier. Sie gehört zum Hause der Aschengards und verlangt sofortigen Waffenstillstand, damit sie mit ihrem Sklaven abreisen kann”, sagte ich und sofort schnellte Johannas Kopf in meine Richtung. Ihr Blick – ein einziges Fragezeichen.
“Was? Eine Frau von den Aschengards? Du lügst!” “Sie ist noch nicht mit mir vermählt und fällt daher unter den Schutz der Rea-Gesetzmäßigkeit. Dein Recht auf Vergeltung zählt nur für mich. Du darfst sie also nicht töten oder anderweitig verletzen und musst für ihre Sicherheit garantieren. Wobei ... sie sieht jetzt schon ordentlich mitgenommen aus. Das wird dem Hause Aschengards gewiss nicht gefallen.” “Tz, sie soll mich selbst anrufen! Ich will mit ihr sprechen!” “Sie hat gewiss kein Interesse daran, mit dir Freak zu reden. Gib ihr 30 Minuten, um ihre Sachen zu packen.” “Sie hat 15! Ein neutrales Transportschiff wird dann bereitstehen. Für sie und ihren Sklaven. Jede weitere Lebensform wird von meinen Drohnen durchsiebt!”, knurrte er noch in die Leitung, bevor die Verbindung kappte. Gut. Das wäre also geschafft. Immerhin etwas.
“Du ... du schickst mich weg?”, fragte Johanna schockiert und lief etwas unbeholfen über die ganzen Trümmer zu mir. “Du hast mit dem Grafen von Mewasinas gesprochen, bei dem sind wir doch gerade unerlaubt eingedrungen, oder nicht? Wie kannst du mich–” Ich legte eine Hand auf ihren Mund. “Ich hab jetzt keine Zeit für eine Diskussion mit dir”, sprach ich grob und beugte mich zu dem Loch, worin Heka verschwunden war.
“Heka? Er gibt uns weniger als 15 Minuten. Wie siehts aus?” Kaum ausgesprochen, flackerte der Monitor der Steuerkonsole weiß auf. <Sieh mal, geht es? Habe die Reparatur so gut es geht vollendet>, ertönte sogleich ihre elektronische Stimme aus der Wand. “Ja, aber ...” Was ich da sah, schmeckte mir gar nicht. Es war ein Rundumblick von der aktuellen Umgebung des Schiffes. Wir befanden uns noch unmittelbar in der Stadt. Scheiße, sogar nur ein paar Meter oberhalb eines großen Kraters, der so aussah, als wäre er mit einem Laser hineingebrannt worden. Mitten durch einige Häuserreihen. Sicherlich Hekas Werk. So hat sie uns also da unten rausgeholt. Kein Wunder, dass dieser Bengel meinen Tod wollte. Sicherlich hatte es die halbe Kirche bei dieser Aktion weggeschmolzen. Bei dem Gedanken schlich sich unweigerlich ein Lächeln auf meine Lippen.
<Das ist nicht gut.> Heka schälte sich aus dem Loch und – verdammt sah der Ryron mittlerweile schlecht aus. Ich mein, vorher war er schon deutlich beschädigt und stellenweise demontiert, aber jetzt? Es fehlte sogar eine der Hauptplatinen im Körper.
“Wieso bist du auch nicht fortgeflogen, als du uns da rausgeholt hast? So kann ich selbst mit funktionierender Steuerung nichts machen. Die Geschütztürme der Stadt könnten uns einfach so”, ich schnippte mit den Fingern, “aus dem Leben nehmen.” <Es tut mir leid. Ich hatte ... keine Kontrolle. Ich habe gedacht, die anderen bringen uns schon in Sicherheit. Ich irrte ...> “Nja, ganz toll.” Mein Kopf ruckte zu Johanna. “Und nun zu dir. Mach deinen Freund da drüben transportfähig. Ihr werdet in ...”, ich warf einen flüchtigen Blick auf meine Uhr, “knapp elf Minuten von einem Shuttle abgeholt.” “Wa-was?”, japste sie sofort ungläubig, aber das war mir egal. Ich ließ sie einfach stehen und schritt zu einem auf dem Boden liegenden Kissen des Sofas.
Etwas ungelenk setzte ich mich und stützte anschließend mein Kinn auf die Hände. Die restliche Zeit werde ich nutzen, um meinen Geist so tief wie möglich zu verschließen. Sicherlich wird Adamek mich lange quälen, aber nie richtig töten. Er will mich brechen sehen und diesen Triumph werde ich ihm gewiss nicht gönnen.
“Heka? Was kann ich tun? Er darf mich nicht so einfach wegschicken, sag doch was dazu!” Ich blickte auf und schmunzelte. Johanna hatte den Ernst der Lage wohl noch nicht begriffen. Na, Heka? Was sagst du ihr nun?
<Wenn du hierbleibst, ist dein Tod höchst wahrscheinlich. Du solltest gehen, es gibt nur diese eine Möglichkeit. Du ... wirst leben.> “Leben? Und was wird aus euch beiden? Und überhaupt, was passiert danach? Zerian haben wir doch auch gerade erst von dort gerettet u-und ich? Sie werden mich zurück zu Richard bringen, stimmt's? Da bleibe ich lieber hier und versuche zu kämpfen!”
Ich lachte. “Du willst kämpfen? Falls du es nicht mitbekommen hast, wir sind am Arsch. Sieh dir die Umgebung auf dem Bildschirm doch selbst an. Siehst du das violette Licht? Uns hält ein Leitstrahl an Ort und Stelle. Wenn wir uns davon mit vollem Schub befreien wollten, zersieben uns sofort die Stadtkanonen. Es gibt hier kein Entkommen.” “Heißt, du gibst einfach so auf? Gibt es denn nichts, was wir tun können?” Hach, irgendwie ist ihre Naivität doch recht süß.
“Man bräuchte die Kontrolle der Waffensysteme, einen gut platzierten EMP und einen mordsmäßigen Schub, um halbwegs heil aus der Sache –” <Ich hab eine Idee!> “Hm?” Ich runzelte die Stirn, als sich Heka hurtig in Bewegung setzte und die Säule ansteuerte, wo sich ihr zentraler Kern befand.
<Die fehlerhaften KIs blockieren höchstwahrscheinlich alle Systeme. Wenn ich sie ausschalte und den Strom umleite, können wir vielleicht die Waffensysteme benutzen.> Ich schnaubte abfällig. “Und dann? Damit können wir im umliegenden Bereich zwar noch etwas Schaden anrichten, aber mehr auch nicht.” “Es ist ein Versuch!”, schimpfte Johanna plötzlich und baute sich kämpferisch vor mir auf. “Sie versucht wenigstens etwas, im Gegensatz zu dir!” Ich lächelte. “Ob mit oder ohne Waffensysteme, es wird gaaar nichts ändern. Pack deinen neuen Freund, oder Sklaven, oder was auch immer zusammen und geh. Es kann ja nicht wirklich dein Ernst sein, hier sterben zu wollen.” “Ich sterbe lieber bei dem Versuch zu entkommen, als wieder zurückzugehen!” “Störrisches Weib ... Hier gibt’s für dich nichts außer den sicheren Tod. Du kannst doch nicht so dumm sein.” “Ich bin schon viele Tode gestorben.” “Mag sein, aber du wirst nicht für mich sterben. Du wirst gehen und aus. Damit ist das letzte Wort gesprochen.” Ja, ich dulde nicht, dass sie für mich oder meinetwegen stirbt. Jedenfalls nicht so – so sinnlos.
“Du kannst mir nicht den Mund verbieten oder meine Entscheidung!”, schimpfte sie auf einmal und deutete mahnend mit dem Zeigefinger auf meine Nase. Ich hob eine Augenbraue und staunte ernsthaft über das Feuer in ihr. Der Wille zu kämpfen glomm deutlich in ihren Augen. Das gefiel mir außerordentlich gut. Dennoch.
“Du kannst Funken sprühen, so viel du willst. Es. Ändert. Nichts. Heka müsste die Waffensysteme zum Laufen bekommen und dann bräuchten wir noch einen Haufen Energie für einen EMP und ... einen funktionierenden Warpport ...” Hm. Was redete ich da? Das könnte sogar funktionieren. So lächerlich das auch klang. “Du kannst nicht zufällig ein Schiff mit einer manuellen Steuerung fliegen?”, fragte ich mit einem diabolischen Grinsen und stand ruckartig auf.
“Ein Schiff fliegen? I-ich? Ich weiß nicht”, stotterte hingegen Johanna und war nun wieder vollkommen verunsichert. Lustig. <Sie kann es. Ich habe ihr das Grundwissen eingespeichert. Das ist auch meine Idee gewesen. Uns bleibt wenig Zeit und nur ein Versuch.> Mein Grinsen wurde breiter. “Da hörst du’s. Komm, du wolltest doch helfen.” Ich zog sie geschwind zur Steuerkonsole und legte ihre Hände auf die Kugeln.
“Kannst du es fühlen? Du hast zwar keinen Direktlink, aber das ist nicht wichtig. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, bewegst du deine Finger ... so.” Ich führte ihre Fingerspitzen sachte ein paar Zentimeter auf der gläsernen Oberfläche entlang. “Es ... ist ganz kalt und es zwickt leicht”, keuchte sie atemlos und bemühte sich, nicht zu verkrampfen. Ja, die Kugeln leiteten Strom in den Körper. Wer so etwas nicht kannte, brach schnell daran zusammen. Aber. Sie machte sich gut.
“Wichtig, du darfst nicht zu stark von diesem Kurs abweichen, nur diese wenigen Bewegungen reichen ... Andernfalls landen wir nach dem Sprung im Weltraum oder gar ... in der Erde. Wortwörtlich. Du darfst es auch nur für eine Sekunde nutzen, mehr hält die Außenhülle sicherlich nicht aus, aber es sollte uns dennoch weit genug von hier fortbringen.” “Gut, ich ... ich werde es hinkriegen.” Ich lächelte. “Wird schon schiefgehen.” <Reznick? Ich bin soweit. Ich brauch deine Hilfe>, rief Heka von weiter hinten, worauf ich Johanna noch aufmunternd auf die Schulter klopfte und dann zu ihr eilte.
“Du hast es tatsächlich gemacht?”, fragte ich mit einer Mischung aus Skepsis und Sorge. Ich hatte zwar schon einmal selbst ihren Kern zerlegt, aber da wusste ich auch, dass es Backups davon gab. Ihr Herz jetzt so zu sehen – durchbohrt von zwei Beinen des ramponierten Ryrons – jagte mir einen kräftigen Schauer durch den Körper.
<Es musste sein. Die anderen waren nicht mehr zu retten. Aber ich kann nun die Waffensysteme aktivieren, ihr müsst allerdings selbst schießen. Keine Zielerfassung möglich, wie bereits vermutet.> “Gut. Dann wollen wir mal.” Ich schnappte mir ein Kabel von Heka und führte es in meinen Anschluss am Handgelenk ein. Das war wie immer ein unbeschreiblich ekliges Gefühl, aber ich konnte mich problemlos mit dem System verlinken. Jetzt musste es schnell gehen. Das neutrale Shuttle, welches Johanna und Zerian abholen sollte, befand sich schon im Anflug. Deutlich sah ich die Bilder der Kameras vor meinen geschlossenen Augen. Unsere Frist war also bereits verstrichen. Jetzt oder nie!
“Johanna?! Wenn ich los sage, dann machst du es genauso, wie ich’s dir gezeigt habe, verstanden?” “Ja!” “Gut, dann ... LOS!” Kaum hatte ich dieses Wort ausgesprochen, schoss ich mit einem elektromagnetischen Impuls auf die Maschine, die den Leitstrahl kontrollierte. Die Stadtwaffen reagierten sofort darauf, aber noch bevor uns das erste Projektil pulverisieren konnte, startete Johanna den Warp. Es lief perfekt. Die darauffolgende massive Erschütterung war jedoch nicht planmäßig. Scheiße, das Schiff hielt die Belastung nicht aus!
“AHH!”, stöhnte ich, als eine gewaltige Ladung Strom durch meinen Körper schoss. Schnell griff ich nach der Verkabelung, um mich vom Bordcomputer zu trennen. Doch. Noch bevor ich es schaffte, das Kabel aus meinem Arm zu ziehen, raubte mir die immense Belastung die Besinnung.