“Was denn, du?!”, schimpfte der Graf nach einem Moment irritiert, sowie auch überaus verärgert. Sein Blick zeigte dabei deutlich, wie wenig mein Leben in seinen Augen wert war. Ich hasste es – hasste es schon immer, so angesehen zu werden! Als wäre ich nur Schmutz unter seinen Fingernägeln ... “Wo ist dein Herr?! Ich will sofort mit Reznick sprechen!”, brüllte er weiter, was mir sofort eine massive Gänsehaut verpasste. Seine drohende Stimme ging mir direkt durch und durch – versetzte mich an jenen Tag, als ich mit meinem Meister hier eintraf. Umerziehung und Eingewöhnung nannten sie es ... Folterspiele waren es letztlich nur gewesen. Ich hasste ihn, wie ich auch meinen Meister hasste.
“Du hast die Erlaubnis zu sprechen und jetzt antworte gefälligst! Wo ist Reznick?!” “Er-er schläft”, sprach ich unterwürfig, aber meine Worte schienen ihm nicht zu gefallen. “Wie war das? Er SCHLÄFT?!” Ich zuckte von diesem Wutausbruch erschrocken zusammen. “Dann weck ihn sofort! Du nutzloses Ding! Er kann hier doch nicht einfach in meinem Anwesen ein Blutbad anrichten und sich dann gemütlich hinlegen! Das gesamte Haus schlug Alarm und hatte eine Evakuierung eingeleitet! Ich will zudem wissen, wen es da erwischt hat. Niemand von meinem Personal fehlt. Hm? Was starrst du mich noch so untätig an? Beweg DICH!” Ich nickte hastig, legte das Tablet auf die Decke und huschte aus dem Bett. Verunsichert schritt ich zum Sofa, wo Reznick noch immer seelenruhig schlief. Langsam und gleichmäßig ging sein Atem. Sein Gesicht sah so friedlich aus ... Wenn ich ihn jetzt weckte, würde er sicherlich nicht sehr erfreut darüber sein.
Ich stand eine Weile unschlüssig vor ihm und nestelte nervös am Saum meines blau-weißen Nachthemds herum. Ich musste ihn jetzt wecken, aber ... es ging nicht. Ich konnte es nicht. Er sollte schließlich ruhen, dies war für seine Gesundheit wichtig ... Viel wichtiger als der Zorn des Grafen! Ich ging also zurück, setzte mich wieder an meinen Platz und hob zitternd das Tablet auf meinen Schoß. “E-es tut mir leid, werter Graf, aber er lässt sich nicht wecken”, sprach ich bemüht entschlossen, sah aber sofort, dass es ihm überhaupt nicht in den Kram passte. Sein Blick schien mich regelrecht erdolchen zu wollen. Dann aber veränderte sich plötzlich sein Gesichtsausdruck. Seine Lippen verzogen sich zu einem berechnenden Lächeln, was mich unweigerlich erschaudern ließ. Mein Meister hatte so auch immer ausgesehen, kurz bevor es für mich unangenehm wurde ...
“Gut, warum auch nicht. Du bist die bekundete Verlobte und damit nun ebenso befugt”, sprach er amüsiert sowie eklig geschwollen klingend, was mich aber nur verwirrte. Worauf wollte er bloß hinaus? Aber das war eigentlich auch egal, solange Reznick nur weiterschlafen konnte.
“Der Gebrauch von Schusswaffen ist auf meinem Gelände – auf der gesamten Parzelle wohlgemerkt – nur mit meiner ausdrücklichen Erlaubnis gestattet. Wer dagegen verstößt, bekommt eine schwerwiegende Strafe ...”, sprach er süffisant und betonte dabei das letzte Wort, welches mir erneut einen Schauer verpasste. Sein Lächeln verstärkte sich prompt aufgrund meiner unwillkürlichen Reaktion. Es bereitete ihm offensichtlich viel Freude, mich einzuschüchtern und zu verängstigen. So ein widerlicher Fettsack! “Von euch lag mir kein Bewilligungsantrag vor. Ich habe extra noch einmal nachgesehen. Euer Schiff nutzte demnach widerrechtlich die Bordgeschütze und das auch noch in meinem eigenen Hangar! Dies ist unerhört und respektlos gegenüber meiner Wenigkeit! Aber ... kommen wir zum Punkt. Gemäß den Gesetzen der Rea entstand ein Schuldverhältnis, welches beglichen werden muss. Wähle also nun innerhalb der nächsten drei Minuten den Bereich der Strafe, andernfalls werde ich dies entscheiden. Zeit läuft.” “Bereich der Strafe?”, echote ich verwirrt, aber dies schien ihn nur weiter zu erheitern, ja, sogar richtig zum Lachen zu bringen. Toll! Ich ... ich wusste doch gar nicht, was ich jetzt sagen oder machen soll! Hilfe ... Schweiß trat mir auf die Stirn und Panik quoll unaufhaltsam in meinem Inneren, während ich das Gesicht des Grafen anstarrte. Er wusste doch ganz genau, dass ich von all den Dingen hier keine Ahnung hatte ... Er machte das mit Absicht, um Reznick irgendwas anzuhängen? Mist ... was sollte ich denn jetzt bloß machen? Ihn vielleicht doch noch wecken?
Während ich so mit mir selbst haderte, tauchte plötzlich ein eckiges weißes Feld am Rande des Bildschirms auf:
>>Sagt ihm ganz gelassen, dass Ihr Vermögen wählt.
Ich blinzelte mehrmals verwirrt auf den kleinen Text, ehe ich wieder verunsichert den Grafen ansah. “I-ich wähle Vermögen.” Oje, jedwede Freude wich sofort aus seinem Gesicht. Dies bereitete mir mehr Sorge als zuvor sein dämliches Grinsen. Hätte ich also lieber nichts sagen sollen? Schnell huschten meine Augen wieder zu den schwarzen Buchstaben zurück.
>>Gut gemacht ;) Gruß Heka
Welch Glück! Heka war das! Ich spürte sogleich, wie eine unglaublich erdrückende Last von meinen Schultern wich. Ich lächelte sogar erleichtert, was das Ekel wohl endgültig aus seiner Haut fahren ließ. “VERMÖGENSWERTE?!”, brüllte er, wodurch eine Vielzahl kleiner Spucketröpfchen auf seiner Abbildung erschienen. “Kosten- und Materialersatz?! Willst du mich VERARSCHEN?! Hast du naives Ding denn überhaupt eine Ahnung, wie teuer so etwas ist? Die Standardsumme bei solch Verstößen ist siebenstellig! Von meinen beschädigten Bodenplatten und dessen Legierung nochmal ganz zu schweigen. Wie wollt ihr das aufbringen? Du hast keinerlei Geldmittel, da du eine kümmerliche Verstoßene der Aschengards bist. Und Reznick? Der wird dies ebenso wenig bezahlen können! Nachher will er mir noch sein seltsames Schiff als Tribut andrehen. Dafür habe ich keinerlei Verwendung! Ich bin zudem nicht gewillt, Jahrhunderte auf die Begleichung zu warten! Ich annulliere daher deine lächerliche Wahl und entscheide mich für Leibeigen über den Zeitraum von neun Monaten.”
Ich schluckte schwer, denn das würde ohne Zweifel eine Höllentortur werden ... Mein Meister hatte mich unter diesem Aspekt nur zu gerne an andere Adelige ausgeliehen. Alles war dabei erlaubt, nur eben getötet werden durfte nicht. Ich ... ich wollte unter keinen Umständen wieder sein Spielzeug werden! Oder schlimmer noch ... meinem Meister auf diesem Anwesen begegnen! Heka ... wieso hattest du mir das nur angetan? Was hatte ich denn hier bloß falsch gemacht? Diese Strafe traf sicherlich mich allein, oder? Wolltest du mich also auf diese Weise loswerden?
>>Meine Güte! xD Solch ein Spinner, nicht wahr? Das erträgt man ja keine weitere Sekunde! Wenn der glaubt, sich hier so aufspielen zu können, hat er definitiv zu viel von den falschen Drogen inhaliert. Ich werde dir jetzt etwas hier in das Chatfenster schreiben, was du diesem Schwachkopf einfach vorliest. Nur keine Angst :)
Ich war erleichtert, diese Worte zu sehen. Heka hatte mich also doch nicht ans Messer geliefert. Uff, mir fiel wahrlich ein Stein vom Herzen. Ich ignorierte das dümmliche Lachen des Grafen im Hintergrund und starrte gespannt auf die Sätze, welche Heka mir aufschrieb. Wort für Wort und Zeile für Zeile fesselte meine Aufmerksamkeit. Dann legte sich kurz ein zweites Feld über den Text mit dem Satz: ‘Hey, nicht nur lesen, sondern vorlesen :P’. Ich nickte schnell und begann auch sofort Hekas Schriftstück vorzutragen:
“Van Rotterval, in aller Höflichkeit, es steht Ihnen nicht frei die Wahl zu ändern. Ich habe Vermögen gewählt und genauso wird es auch bleiben. Reznick ist Eigentum der Königsfamilie und als eben solches steht es Ihnen erst recht nicht frei, Leibeigen bei einem Schuldverhältnis zu fordern. Schicken Sie die Rechnung einfach an den Herzog von Weckmelan. Gerne können Sie die Summe auch noch verdoppelt oder verdreifachen. Es trifft keinen Armen, also nur keine falsche Scheu”, las ich langsam und ruhig, um nicht zu stottern oder etwas falsch auszusprechen. Ob es mir gelungen war, wusste ich nicht. Der Graf war jedenfalls verdächtig still geworden und sein Gesicht zeigte erneut, dass ihm meine Worte überhaupt nicht schmeckten. Ich verstand nicht, warum Heka wollte, dass ich ausgerechnet so etwas sagte. Ob es eine Lüge war? Musste es doch, oder? Reznick konnte doch kein Eigentum ... kein Sklave sein! Er war doch der Sohn des größten Herrschers – ein Re’Nya’Ca – oder hatte ich da etwas falsch mitbekommen?
“Weckmelan? Das kann doch unmöglich wahr sein, du lügst!”, schimpfte der Graf lautstark, was mich natürlich mehr zweifeln ließ. Hilfe ... ich wusste es doch selber nicht! “Sie verarscht dich! Niemals gehört der Bengel zum Königshaus!“ Ich zuckte bei diesen Worten geschockt zusammen. Das ... das war doch plötzlich die Stimme meines Meisters! Wie konnte das sein? Panisch rasten meine Augen über das Tablet, aber dort war nach wie vor nur der dickliche Graf zu sehen. Wutschnauben raufte er sich seine schulterlangen Haare, bevor er mich wieder verachtend in Augenschein nahm. “Schluss mit diesem Unsinn, du unnützes Weibsbild! Ich will auf der Stelle mit ihm sprechen! Los, beweg dich! Hol Reznick her und zwar ein bisschen plötzlich!” Zutiefst verunsichert, blickte ich erneut nach rechts auf das weiße Fenster und tatsächlich schrieb Heka etwas:
>>Lass dich nicht verunsichern, Johanna. Du hast alles richtig gemacht ;) Es bedarf jetzt eigentlich keine weiteren Worte mehr. Wenn du möchtest, trenne ich die Verbindung, aber würdest du nicht viel lieber diesem aufgeblasenen Wicht noch deine Meinung um die Ohren hauen? Mal wild drauflos schimpfen? Bedenke: Er kann dir hier absolut nichts. Du bist hier vollkommen sicher. Also komm, trau dich! :)
Ich stutzte über diese Sätze und war ehrlich überfordert. Was hatte Heka vor? Jemandem zu widersprechen, der einmal über mich bestimmt hatte ... nein. Sowas konnte ich doch nicht, oder? Falsch ... konnte ich doch! Bei der alten Hexe Dagmara war es mir gelungen, wenn auch nur kurz und selbst bei meinem Meister hatte ich unerlaubt gesprochen. Aber ... wie hatte ich das geschafft? Ich hatte noch nie zuvor derart aufbegehrt. Es mir stets erdacht und oft genug bildlich vorgestellt, ja, aber sonst? Ich hatte irgendwie nie etwas tun können. Weder war ich fähig, einen meiner Peiniger zu verletzen, noch mich selbst aus diesem Alptraum zu erlösen. Nie ... hatte ich Kontrolle über mein Leben. Nur in diesen zwei flüchtigen Momenten, wenn auch nur ein ganz kleines Stückchen, aber es war da gewesen!
Ich nahm nachdenklich meinen Blick vom Tablet und sah langsam zu Reznick rüber. Ob es seinetwegen war? Seine Anwesenheit dies ausgelöst hatte? Ich ... ich musste es wissen! Entschlossen ignorierte ich das Geschimpfe des Grafen, drückte das Tablet fest gegen meine Brust und huschte erneut zum Sofa. Ich setzte mich vorsichtig ans Fußende. Gerade soweit entfernt, dass ich Reznick nicht berührte, aber immer noch so nahe, dass ich nach seinem Bein hätte greifen können. Das war so verrückt! Er minderte doch tatsächlich die Angst, welche mein Herz schon die ganze Zeit wie wild zum Rasen brachte. Ob ich nun auch den Mut fand, frei zu sprechen? Ich nahm einen kräftigen Atemzug, bevor ich die Adelstechnik vor mir platzierte und bemüht ruhig in das Gesicht des Grafen blickte. Seine Wangen waren mittlerweile vor Wut stark gerötet.
“Immer noch du?! Bist du taub?! Wenn du Reznick nicht sofort das Tablet überreichst, wird die Konsequenz für dich gar fürchterlich! Dagegen wird deine vorherige Behandlung der reinste Luxus gewesen sein! Die Haut werde ich dir abziehen lassen! HÖRST DU?!”, schrie er herum, was seinen übergroßen Leberfleck regelrecht zum Tanzen brachte. “Ich verstehe jedes Eurer verabscheuungswürdigen Worte”, gab ich nur zurück, auch wenn mir unzählige Beschimpfungen auf der Zunge lagen oder ich ihn anbrüllen wollte, aber ... nein. So lächerlich es auch war in Reznicks Nähe Gelassenheit zu empfinden, so fühlte ich es doch unbestreitbar. Ein wirklich schönes Gefühl. Mein Innerstes mochte vor Hass auf den Grafen glühen, aber sich weiter aufzuregen würde letztlich nur mir selbst schaden ...
“Wie bitte?!” “Ihr habt mich schon verstanden, werter Graf, aber genug der Etikette, welche mir ein Leben lang eingeprügelt wurde. Du nervst Fettsack! Also verschwinde jetzt endlich von meinem Bildschirm!”, sprach ich mit fester Stimme, aber nicht zu laut, da ich Reznick ja nicht wecken wollte. Ein flüchtiger Blick zur Seite verriet mir, dass er immer noch seelenruhig vor sich hin schlummerte. Gut so. Als ich wieder nach vorne sah, war das unansehnliche Gesicht des Grafen verschwunden und mein gekritzeltes Flammenbild war an dessen Stelle. Uff. Endlich war das vorbei!