“Was willst du, Eisold?”, fragte ich nach einer Weile bemüht ausdruckslos, aber ich hörte gleich, dass es mir nicht gelang. Meine Stimme klang beschlagen. Gehetzt. Als fehlte mir der Atem.
“Was könntest du mir denn bieten, was dein Vater nicht vermag?”, entgegnete er, während ein amüsiertes Lächeln in sein Gesicht zog. Ja. Diesmal war er eindeutig meinetwegen belustigt. Spott. Scheiße! Das konnte nur eines bedeuten.
“Mein Vater hat sich bei dir gemeldet, stimmts? Hast du sie ihm bereits verkauft?” “In der Tat. Er rief vor einigen Stunden an und wollte dieses Mädchen für ein neues Oswelat. Das nächste Spiel soll hier in meinem Land stattfinden.” Ich schluckte. Dann hatte er sie also bereits? Verunsichert klickte ich auf das Chatprogramm von meinem Vater. Nichts. Keine neue Nachricht. Seltsam. Ich war mir sicher, dass es das Erste wäre, was er mir unter die Nase reiben würde. Oder wollte er mich mit diesem Informationsmangel zusätzlich quälen? Sollte ich mir über das, was er ihr gerade antat, den Kopf zerbrechen? Daran zugrunde gehen? Wenn ja – dann klappte es hervorragend. Das Gefühlschaos in meinem Innern zerriss mich Stück für Stück.
“Reznick? Du bist mit deinen Gedanken erneut woanders. Äußerst faszinierend”, sprach Eisold, wodurch ich wieder zu ihm aufblickte. Er musterte mich genüsslich, was mich sowas von ankotzte. Ich hasste es, Schwäche zu zeigen und mehr noch, wenn ich das einfach nicht abstellen konnte.
“Ja. Ha, ha. Spar’s dir, alter Mann!”, knurrte ich und beendete mit einer obszönen Geste den ViDl. Eisold hatte keine brauchbaren Informationen mehr für mich und ihm weiterhin eine Show zu liefern – dafür fehlte mir echt die Lust.
<<Das lief ja nicht gerade berauschend. Soll ich Euch das nächste Mal diktieren, was Ihr sagen sollt?>> Frustriert massierte ich meine Schläfen. “Nicht jetzt Heka. Ich bin nicht in Stimmung.” <<Darf ich denn wenigstens Fragen, was Ihr nun zu tun gedenkt?>> Hm, das war eine gute Frage. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Knappe 30 Minuten verblieben noch, dann war das Schiff startklar. Aber, was brachte mir das? Dezeria war jetzt bei meinem Vater und ich hatte keine Ahnung, wo dieser steckte. Vielleicht befand er sich noch in der Nähe – vielleicht aber auch schon in einem anderen Sonnensystem. Ich – hatte ehrlich keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte.
Ich seufzte frustriert und überlegte fieberhaft, was mein Vater nun als Nächstes tun würde. Ja, was nur, Vater? Was bringt dir ein neues Druckmittel gegen mich? Du hattest schon so viele und dennoch verhielt ich mich nie richtig. Egal, was ich tat. Ich war noch nie so, wie du mich haben wolltest. Um ehrlich zu sein, hatte ich auch keine Ahnung, wie ein perfekter Sohn für dich aussah. Gibt es das überhaupt? Selbst als ich dich damals anflehte, Anna zu verschonen, war es auch nicht richtig gewesen. Ist dir nicht bewusst, dass es mit Dezeria genauso verlaufen wird? Ich kann einfach nicht verstehen, was dir ihr Leben bringt, Vater. Du willst spielen. Ja. Wir spielen ständig. Immer. Immer und immer wieder. Hast du davon nicht irgendwann einmal genug? Mir kam davon jedenfalls schon die Galle hoch. Dezeria bedeutet mir etwas und nur deswegen willst du sie haben und verletzen. Du wirst sie abartig zurichten und mir anschließend präsentieren, nicht wahr?
Frustriert schlug ich mit geballter Faust auf den Tisch. “So eine verfluchte Scheiße!”, knurrte ich verzweifelt und zwang mich, nicht gleich wieder meine ganze Arbeitsfläche zu zertrümmern. Es brachte mich nicht weiter, das wusste ich ganz genau. Aber, es war so verdammt schwer. Ich war dermaßen wütend, dass ich glaubte, gleich an dem ganzen Zorn in meinen Adern zu sterben. Ich brauchte ein Ventil. Dringend!
<<Reznick? Beruhigt Euch. Ich weiß ... Hm. Da kommt gerade eine ViDl-Anfrage von Mewasinas rein. Der Graf wünsch offensichtlich noch eine Unterredung mit Euch. Wollt Ihr annehmen?>> “Der is mir Wurst. Blockiere ihn. Ich ... ich muss nachdenken”, sprach ich resigniert und sah noch kurz auf den Live-Stream dieser Sonnenkirche. Nackte dunkelhäutige Frauen tanzten auf einer Art Bühne zu inbrünstigen Trommelschlägen. Wollte ich weiter dabei zusehen? Nein. Wäre es nur ein Erotikprogramm dann ja, aber hier gab es nur eine Opferung als Höhepunkt. Wenig reizvoll.
Ich bezweifelte zudem stark, dass mich der Tod von Dezerias Freund aufheitern würde. Wenn, dann wollte ich ihn schon selbst bestrafen. Bestrafen dafür, dass er ihr so nahe gewesen war, während ich mich von ihr fernhalten musste. Er hatte sich vor ihr entblößt und wer weiß, was noch alles. Meine geballten Fäuste knackten bedrohlich bei diesem Gedanken. Ja, Ausbluten, während der Kerl Sex hatte, war definitiv viel zu harmlos für ihn! Mir schwebte da was ganz anderes vor. Etwas viel Schmerzhafteres!
Als ich fünf war, nahm mich mein Vater mal zu einer öffentlichen Veranstaltung bei Hofe mit. Einer Vierteilung, wie sich später herausstellte. Ganz klassisch wurden dabei die Glieder des Opfers an dicken Tauen befestigt. Mehrere bunte Gruppen aus lachenden und jubelnden Leuten versuchten, den schreienden schmächtigen Kerl gleich einem Wettbewerb in Stücke zu reißen. Er starb daran nicht sofort. Sehr lange konnte man den Todeskampf mitverfolgen. Ich sah aus vorderster Reihe, wie seine Gelenke nach und nach auskugelten. Die fein gekleideten Adligen zerrten immer weiter, bis schließlich Sehnen und Muskeln dem nicht mehr standhielten. Sie ihn buchstäblich zerteilten.
Er starb letztlich qualvoll an diesen schweren Verletzungen. Weinend. Wimmernd. Ich hatte mir wirklich lange Gedanken darüber gemacht, wie mein Vater wohl am besten sterben könnte und dieses Schauspiel von damals als überaus passend empfunden. Mit den Jahren verwarf ich dies allerdings, da ich ihn einfach nur noch schnell tot sehen wollte. Als Strafe für andere jedoch? Ja, das hatte etwas. An Zerian kam ich jetzt nicht mehr heran, aber bei Richard und Ludwig, sah das doch gleich ganz anders aus. Genau! An denen konnte ich meine Wut ungezügelt auslassen. Durch diese beiden Schwachköpfe hatte meine Dezeria überhaupt erst Leid erfahren müssen. Unverzeihlich.
Ich stutzte. Mein Verstand badete gerade in den schönsten Vorstellungen, wie ich Ludwig abartig quälte, als plötzlich ein Visual-Direktlink vor meiner Nase aufploppte. Eisold.
“HEKA?!”, brüllte ich ungehalten, denn sie musste seine Anfrage eigenmächtig bestätigt haben. Von außen konnte man keine Freigabe erzwingen.
“Ihr braucht Eure KI nicht maßregeln, Reznick. Sie denkt bedeutend logischer, als Ihr es im Moment tut.” “Labert mich nicht voll! Ich will nicht weiter mit Euch reden!”, schimpfte ich und suchte sofort nach dem Auflege-Button. Nur. Es gab keinen. “Verdammt! Heka! Lass den Quatsch! Beende umgehend die Übertragung!”
Nichts. Sie reagierte nicht und ich durfte weiterhin in das Gesicht des alten Mannes blicken, der sich wohl sehr bemühte, nicht laut loszulachen. Das wird Heka mir definitiv büßen! Meine Wut brannte wie Feuer in sämtlichen Adern.
“Verpiss dich!”, brüllte ich letztlich und schlug mitten auf den Bildschirm. Das Glas zersprang und verdunkelte sich augenblicklich. Wenn Heka nicht wollte, nutzte ich eben meine Art des Ausschaltens.
“Viel besser”, säuselte ich zufrieden, aber da schwang bereits ein neuer Monitor von der Decke in mein Sichtfeld. “Was zum Teufel?” Ich starrte ein weiteres Mal irritiert in Eisolds dämliche Visage. Hatte er sich etwa in mein Schiff gehackt? Nein. Unmöglich.
“Verdammt HEKA! Was soll der Scheiß?!” <<Jetzt beruhigt Euch bitte. Der Graf hat Euch noch etwas zu sagen.>> “Ich hab aber kein Interesse!” Wutschnaubend stand ich auf und packte meinen Stuhl an der Lehne – fest entschlossen, auch diesen Bildschirm zu zertrümmern. Ich hatte definitiv den längeren Atem bei solchen Zerstörungsspielchen. Sowas sollte sie eigentlich besser wissen.
“RAWRRR!”, schrie ich, holte aus und schlug zu. Wollte ich zumindest. Aber. Es ging nicht. Der Stuhl bewegte sich mitten in der Luft kein Stück weiter. Verwirrt wanderte mein Blick zurück – über meine angespannten Arme hinweg. Hm. Aus dem Boden ragte ein Greifarm und hielt eins der Glasbeine umklammert. Heka.
“Lass sofort los, du elender Schrotthaufen!”, zerrte ich schimpfend an meinem provisorischen Knüppel, um ihn doch noch in sein vorbestimmtes Ziel dreschen zu können. Vergeblich. Heka ließ einfach nicht locker. Ich schnaufte von der körperlichen Anstrengung, war aber auch zu uneinsichtig, den Stuhl loszulassen.
<<Reznick. Bitte. Es geht um Dezeria. So hör doch erst einmal zu, bevor Ihr weiter sinnlos wütet.>> “Sinnlos?”, echote ich verärgert. Mein Zorn ist doch vollkommen verständlich! Immerhin sorgte sie dafür, dass ich Eisold eine durch und durch armselige Darbietung bot. Ich rang hier mit meiner eigenen Schiffs-KI um einen Stuhl. Unglaublich. Erniedrigender ging es ja wohl kaum.
“Ich weiß nicht, was Eure KI mit Euch intern beredet, aber ich muss noch etwas bezüglich der Frau loswerden, die Ihr sucht”, sprach der Graf erhaben und schenkte mir ein Lächeln. Ein amüsiertes, keine Frage, aber ich fand kein Spott darinnen. Seltsam.
“Na schön.” Widerwillig ließ ich die Lehne los und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hatte ja sowieso keine Wahl. “Dann sprich”, sagte ich bemüht ruhig und bereute es doch im selben Moment. Sicherlich hatte mein Vater nur eine hämische Botschaft für mich hinterlassen. Eine Aufzählung, was er jetzt alles mit Dezeria vorhatte. Der bloße Gedanke daran verpasste mir einen ungewollten Schauer.
“Entschuldigt”, begann Eisold und suchte wohl eine bequemere Position auf seinem Thron, “ich drückte mich vorhin vermutlich etwas ungeschickt aus.” “Kommt endlich zur Sache!” Er lachte leise. “Gewiss. Euer Vater rief an, das ja, aber ich habe ihm nicht gesagt, wo sich diese Frau befindet, welche Ihr Dezeria nennt.” Ich runzelte ungläubig die Stirn. “Wie bitte?” “Es ist so, wie ich sagte. Ich weiß schließlich nicht einmal, wo die Dame sein soll. Woher auch? Ich herrsche über eine halbe Million Einwohner, da ist es doch verständlich, dass ich nicht über jeden einzelnen Menschen Bescheid weiß.”
“Willst du mich verarschen? Jede Parzelle dieser Ausmaße besitzt mindestens eine Gesichtserkennungssoftware, um schnell und gezielt jemanden ausfindig zu machen. Vermutlich tragen all Eure Spielzeuge sogar Identifikationschips, nicht wahr? Was soll also diese unsinnige Aussage, Eisold – oder sollte ich besser sagen Zar’Rea Friedrich Hor Mewasinas? Haltet mich nicht für so selten dämlich!”, knurrte ich ihm entgegen und hätte nun am Liebsten die Verbindung unterbrochen. Aber, na ja. Heka hielt es offensichtlich weiterhin für unnötig. Es ist mir unbegreiflich, warum sie ihn für solche Information überhaupt erst durchstellte.
“Du machst mir Spaß, Junge. Aber du hast natürlich recht. Ich weiß, wo sie ist. Und nein. Dein Vater hat sie nicht. Ich bot ihm lediglich an, sich in meiner Stadt nach ihr umzusehen, was er aber verneinte.” Ich hob eine Augenbraue. Suchte fieberhaft nach einer Täuschung in seinem Gesicht. Fand aber keine. Warum? Wieso? Das ergibt doch gar keinen Sinn!
Er lachte erneut. “Dein Gesichtsausdruck ist wirklich höchst amüsant. Kein Wunder, dass dein alter Herr dich gerne in jedem Spiel sehen will.” Angesäuert knirschte ich mit den Zähnen. “Ist es das? Ein Spiel? Was hast du mit meinem verabscheuungswürdigen Vater ausgemacht? Wo ist sie?!”, knurrte ich und wollte so viel Mord und Totschlag wie möglich darin stecken, aber selbst in meinen Ohren klang ich mehr als nur verzweifelt.
“Alles zu seiner Zeit”, sprach er gelassen und widmete sich erneut dem Digitalarmband zu. “Ich möchte, dass Ihr diesen Vertrag unterschreibt, bevor ich Euch meine Informationen gebe.”
“Vertrag?”, echote ich verwirrt, aber da reichte mir Heka schon mein Tablet mit besagtem Dokument. Ich überflog den Wisch – wurde aber nicht wirklich schlau daraus. Es war eine allgemeine Verzichtserklärung. Hm. Im Großen und Ganzen sollte ich dem gängigen Recht auf Vergeltung entsagen, sollte meinem Eigentum Schaden zugeführt werden. Auch würde mir kein gleichwertiger Ersatz oder Ausgleich zustehen.
“Heißt, Dezeria ist verletzt?”, fragte ich besorgt, auch wenn das nicht wirklich der Grund für einen derartigen Vertrag sein konnte. Immerhin gehörte sie mir nach keinem gültigen Rea-Gesetz her. Solange Ludwig die Vermählung nicht aufhob, war sie sein. Dagegen konnte ich absolut nichts machen.
“Soweit ich das beurteilen kann, nein.” Ich blickte auf und erstarrte. Eisolds Visage verschwand und machte einer Übertragung Platz. Ein Raum wurde eingeblendet, in welchem sich eine Person befand. Ich sog das Bild förmlich in mich auf. Erfasste jedes noch so kleine Detail. Eine Frau mit hellen langen Haaren. Leuchtend weiße Augen. Dezeria! Sie ist es! Kein Zweifel! Und offensichtlich schien es ihr gut zu gehen. Anhand der kleinen Zeitanzeige unten rechts, handelte es sich hierbei um eine Life-Übertragung. Erleichtert atmete ich aus, eine tonnenschwere Last wich von meinem Körper. Aber. Etwas stieß mir auch sauer auf.
Sie trug einen rot schimmernden Mantel. Definitiv nichts, was ich ihr angefertigt hatte. Außerdem – ich blickte genauer hin. Barfuß. Bei jedem Schritt konnte ich ihre nackten Beine unter dem Stoff hervorblitzen sehen. Trägt sie überhaupt etwas darunter? Vermutlich nicht. Andernfalls würden ihre Hände nicht so verkrampft die Enden des Kleidungsstücks umklammern. Unwillkürlich entwich meiner Kehle ein tiefes Knurren. Was hatte man ihr angetan?
Leider gab die Aufnahme keine Möglichkeit, ihre Augen deuten zu können. Sie lief verunsichert im Zimmer auf und ab. Sah sich vorsichtig – geradezu ängstlich in allen Ecken um. Suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Ihre Körperhaltung zeigte mir die typischen Symptome eines Sklaven, dem man gerade seine nicht vorhandenen Optionen aufgezählt hatte. Sie war nicht freiwillig dort. Eingesperrt. Gefangen!
Mein Verstand arbeitete augenblicklich auf Hochtouren. Wo ist sie? Die Einrichtung des Raumes deutete auf ein hohes Tier hin. Nicht Eisold selbst. Ein anderer Rea – sein Sohn. Natürlich. Daher auch der Vertrag! Jetzt hieß es Ruhe bewahren. Ich redete schlagartig nicht mehr mit einem alten Sack, dem meine Unzulänglichkeiten Freude bereitete, sondern mit einer Schlüsselfigur. Einer Bedeutenden! Er hatte es buchstäblich in der Hand, ob ich sie wieder bei mir haben konnte, oder nicht. Meine Dezeria.