Ich atmete schwer, während ich die beiden den Flur entlang zum Hangar führte. Natürlich hatte ich Dezeria nicht länger widersprechen können. Ich war offensichtlich kein guter Redner. Alle meine Argumente, vor allem die das Wörtchen Leo beinhalteten, hatten sie in ihrem Vorhaben nur noch bestärkt. Dezeria wollte unbedingt hier weg und nichts hatte sie davon abbringen können.
“Bist du sicher, dass du nicht doch ... mitkommen willst? Für Suciu würden wir sicher auch eine Lösung finden”, fragte Dezeria neben mir leise und liebevoll, was nichts daran änderte, dass ich stumm den Kopf schüttelte. Irgendwie belastete mich das alles nur noch. Jedes Mal ein kleines Bisschen mehr. So schlecht hatte ich mich schon ewig nicht mehr gefühlt.
“Immer wenn du ihn fragst, beschleunigt sich sein Herzschlag. Ich kann es deutlich hören”, sprach Hendrick dicht hinter mir, was noch ein Grund war, warum mein Unbehagen stieg. “Er führt uns zwar, aber er ist absolut nicht damit einverstanden. Mit keinem deiner Worte.” Ich bekam regelrecht Gänsehaut. Der Tonfall seiner Stimme hatte sich verändert sowie auch seine Ausstrahlung. Die Belustigung fehlte und ich vernahm die ersten negativen Schwingungen. Ein Anzeichen seines inneren Zwiespalts. Gerne hätte ich Dezeria gewarnt, aber wenn er mir so nah war, konnte ich das nicht ansprechen. Und selbst wenn sich eine Möglichkeit ergab, würde sie auf mich hören? Vermutlich nicht. Sie waren schließlich beide instabil. Ich hätte viel früher auf Leo hören sollen.
“Es ist alles gut, Elian.” Dezeria nahm meine Hand und drückte sie leicht. “Selbst wenn du jetzt nicht mitkommst, bin ich nicht wütend auf dich. Ich kann zwar nicht verstehen, wieso du bei diesem Monster bleiben willst, aber ich zwinge dich nicht. Ich mache mir nur Sorgen. Er wird dir bestimmt wehtun, wenn wir weg sind.” Sie blieb weiterhin nett zu mir, auch wenn ich ihre Ansicht nicht teilte. Das mochte ich an ihr.
“Nein. Wird er nicht. Aber er wird sauer sein ...” Sehr sauer. Und er wird alles dafür tun, sie beide zurückzuholen. Ganz gewiss. Allein schon, um seines Sohnes willen.
“Hm?” Bei der nächsten Abbiegung nach rechts befand sich plötzlich, statt eines weiteren langen Flurs, nur ein kleiner Korridor mit jeweils einer Tür auf jeder Seite. Verwirrt deswegen eilte ich die paar Meter vor und berührte die Wand. Sie war massiv. Da ging es nicht weiter, aber wieso? Das war der richtige Weg in den Hangar. Kein Zweifel.
“Elian? Was ist? Welche Tür müssen wir nehmen?” Dezeria stellte sich zu mir und sah mich erwartungsvoll an.
“Es ... Also, es geht eigentlich hier entlang.” Ich tippte erneut gegen die kahle weiße Fläche.
“Elian ... da ist eine Wand.”
“Ja, ich weiß, aber normalerweise ist hier keine.” Ich war ehrlich ratlos.
“Weißt du, was ich glaube?”, fragte Wind bedrohlich und keinen Moment später spürte ich seine Hand im Nacken. “Er lügt.” Mit einem Ruck prallte mein Gesicht gegen das kühle Metall, was mich schmerzhaft aufstöhnen ließ.
“Hey, was soll denn das? Lass ihn sofort los!” Dezeria versuchte, ihn von mir zu ziehen, aber das klappte nicht. Er war kräftiger als wir beide zusammen und verstärkte sogar noch den Druck. Hielt mich spielend gefangen.
“Warum? Er hatte doch nie vor, uns irgendwohin zu bringen, und ich kann ihn nicht ausstehen. Er hat etwas an sich, das macht mich wütend.” Ich wimmerte, der Schmerz wurde unerträglich. Es fühlte sich so an, als wollte er mir das Genick brechen.
“B-bitte ...” Ich erstickte fast an meinem Flehen. Das Herz donnerte wild in meiner Brust. Das war unleugbar eine Notsituation, aber ich traute mich nicht, etwas dagegen zu unternehmen. Ich konnte nicht. Durfte nicht. Dieser Teil meiner Fähigkeit war schwer zu steuern. Ungenau. Ich würde nicht nur Wind verletzen, sondern auch Dezeria. Zudem liebte Leo seinen Sohn. Er würde mir nie verzeihen, sollte ihm etwas durch meine Schatten passieren.
“Hör auf!” Es knackte bedrohlich hinter mir und dann spürte ich eisige Kälte. Hendricks Hand verschwand und ich sackte keuchend zu Boden. “O Gott, Elian, alles in Ordnung?” Dezeria zog mich in ihre Arme. Ich brauchte einige Atemzüge, um zu begreifen, was passiert war. Wind stand ein Stück neben uns und sein Arm befand sich in einer Eissäule. Sie hatte mich vor ihm gerettet. Was ein Glück.
“Er wird es überleben. Kein Grund, mich einzufrieren.” Ich zuckte zusammen, als er sich bewegte und rechnete mit einem weiteren Angriff, aber der kam nicht. Zu meinem Erstaunen riss er sich lediglich vom Eis los und sah sich um. “Falls es dir nicht aufgefallen ist, er hat uns eingesperrt.”
“Eingesperrt?”
“Ja, wie ich sagte. Man sieht es zwar nicht, aber da vorne ist auch eine Wand. Also da, wo wir hergekommen sind.” Wind ging die paar Schritte den Flur zurück, hob seine Hand und machte eine klopfende Handbewegung mitten in der Luft. “Es ist massiv. Kein durchkommen. Wir sitzen in einer Falle. Seinetwegen.” Dezeria hörte auf, meinen Hals abzutasten, und blickte erst mich zweifelnd an, bevor sie zu ihm sah. Sie verengte die Augen, um vermutlich besser sehen zu können – ich wusste es nicht genau. Dann folgte Eis. Von ihrem Körper beginnend schnellte eine Welle aus purem Eis in Richtung Hendrick. Zu meiner Verwunderung prallte ihre Fähigkeit tatsächlich gegen etwas Unsichtbares. Die weißen Kristalle wuchsen schnurgerade neben Wind in die Höhe.
“Er hat recht ...” Ihre Augen landeten wieder auf mir. Wirkten verletzt. Traurig. “Hast du uns eingesperrt?”
“Nein.” Ich schüttelte den Kopf, zuckte durch die Schmerzen allerdings sofort zusammen. “Ich habe nichts gemacht!” Hatte ich wirklich nicht. Könnte ich gar nicht. Mir war es doch selbst ein Rätsel, warum es hier nicht weiterging. “Der Weg ist richtig.”
“Pfff, richtig.” Hendricks kalter Blick, den er unbestreitbar von Leo hatte, durchbohrte mich. “Hier geht es nicht weiter!” Ich fürchtete mich vor ihm. Mehr noch, als Dezeria von meiner Seite wich, um sich die durchsichtige Wand näher anzusehen.
“I-ich weiß, aber ...” Hilfe. Was konnte ich sagen, damit er nicht die Beherrschung verlor? Mir fiel nichts ein. Gab es da überhaupt etwas?
“Du hast uns hierher geführt!” Er baute sich bedrohlich vor mir auf, was mich schwer schlucken ließ. Unwillkürlich machte ich mich klein. Noch kleiner als ich ohnehin schon war.
“B-bitte ...” Ich erstickte fast an diesem Wort. Diesmal würde mich Dezeria nicht retten. Nein. Diesmal würde ich seinen ganzen Zorn abbekommen. Unangenehme Dunkelheit strahlte bereits in massiven Wellen von seinem Körper. Ich konnte es deutlich spüren. Meine Finger zuckten. Ein Teil von mir wollte diese negativen Schatten beseitigen, aber nein. Das ging nicht. Ich durfte nicht. Zu gefährlich.
“Mehr hast du nicht zu sagen?” Er lächelte boshaft und erfreute sich an meiner Angst. Warum verstand ich nicht. Wieso konnten wir nicht alle Freunde sein?
“I-ich ... ich ...” Nein. Mehr hatte ich nicht zu sagen. Konnte ich nicht. Der Anblick, wie Luftströme immer sichtbarer um seinen Körper kreisten, lähmte mein Denken. Schürte jedes Fluchtverhalten in mir. Hätte es eine Möglichkeit gegeben, wäre ich in die Wand hinter mir hineingekrochen.
Als er sich schließlich bewegte, kniff ich vor Schreck die Augen zu und riss die Hände vor mein Gesicht, um mich zu schützen. Stille. Ich erwartete Schmerzen, aber die kamen nicht. Unsicher lugte ich zwischen den Fingern hindurch. Hendrick stand immer noch vor mir, ganz ohne Eis. Dezeria hatte ihn nicht aufgehalten, dennoch verflüchtigte sich die Bedrohung. Ich fühlte keine bösen Schwingungen mehr von ihm ausgehend. Langsam nahm ich meine Hände ganz runter und betrachtete ihn genauer. Seiner Aufmerksamkeit lag nicht mehr bei mir, sondern auf etwas zwischen uns. Eine zweite unsichtbare Wand?
“Wie machst du das?”, fragte Wind und tastete in der Luft herum. Vorsichtig streckte ich einen Arm aus, um es ihm gleich zu tun. Meine Vermutung bestätigte sich. Ich spürte eine harte glatte Mauer.
“Ich ... mache nichts.” Wie auch? Ich war Licht. Ich hatte noch nie etwas Festes erschaffen können.
“Es ist eine unglaubliche Magie ...”, flüsterte Dezeria ehrfürchtig und kam zu uns. Berührte ebenso das Hindernis. “Es gibt kein durchkommen.” Sie sah mir in die Augen. “Wie geht es jetzt weiter, Elian? Wir sitzen hier fest und du hast dich sogar von uns abgeschottet. Wird das Monster jetzt kommen und uns bestrafen?” Ich senkte den Blick. Ihr Ausdruck und auch der Klang ihrer Stimme waren eindeutig. Sie glaubte mir nicht und hielt zu Hendrick.
“Bitte ...” Ich holte tief Luft. “Dezeria, ich –” Erschrocken zuckte ich zusammen. Neben mir hatte sich plötzlich etwas gebildet oder besser gesagt jemand. Ich blinzelte und rieb mir anschließend über die Augen, während Dezeria etwas von ‘O Gott!’ keuchte. Aber es war keine Einbildung. Da stand tatsächlich eine Puppe, gut erkennbar an den vielen Gelenkanschlüssen, jedoch keine von den üblichen Bediensteten. Weder vom Bautyp Maugeri, noch der einer CeKyde. Sie hatte keine Haare und der Körper wurde von einigen leuchtenden roten Stichen verziert. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen und vor allem, wo war sie hergekommen?
Dezeria erholte sich schnell von dem ersten Schreck und dann folgte Eis. Diesmal jedoch schaffte es ihre Fähigkeit nicht, die Maschine zu erreichen, sondern prallte lediglich mit viel Krach gegen die unsichtbare Wand. Irgendwie war ich erleichtert deswegen. Es hätte mich sonst mit Sicherheit auch erwischt. Allein der Gedanke an die Kälte ließ mich erschaudern.
⫷Unterlasst diese Aktionen⫸, sprach die Puppe mit emotionslosem Ausdruck, was mir ein wenig die Anspannung nahm. Ich kannte die mechanische Stimme.
“Tyschka?”, fragte ich und stand wackelig auf. Betrachtete sie genauer. “Ich habe gar nicht gewusst, dass du überhaupt eine Hülle besitzt.” Brauchte sie ja auch nicht. Sie war schließlich das Schiff. Leider reagierte sie nicht auf mich, sondern schritt einfach an mir vorbei, mitten durch das mit Eis beschlagene Hindernis.
“W-was ist das?!” Dezeria wich vor ihr zurück. Angst war deutlich in ihrer Stimme zu hören. Erneut setzte sie ihre eisige Fähigkeit ein, aber auch diesmal traf es Tyschka nicht. Die spitzen Kristalle sausten durch ihren Körper, ohne einen Schaden anzurichten. Wie sie das machte, war mir ein Rätsel. Auch wie sie hier durchgehen konnte. Die Sperre war immer noch da. Ließ mich nicht passieren.
“Ein Hologramm ...”, flüsterte Hendrick und fasste sich stöhnend an die Stirn. Es schien, als hätte er Kopfschmerzen. Vermutlich ein Erinnerungsschub.
⫷Richtig.⫸ Tyschka sah kurz zu ihm und dann wieder auf Dezeria. ⫷Angriffe sind zwecklos. Ich bin lediglich ein dreidimensionales Bild, um körperliche Präsenz zu zeigen. Eine Vereinfachung für euch, damit ihr nicht nur mit einer Stimme aus dem Nichts sprechen müsst. Ich war es zudem auch, die euch durch Barrieren getrennt hat.⫸ Rechts und links von uns gingen die beiden Türen auf. ⫷Werter Re’Nya’Ca Hendrickson Weckmelan und Fräulein Henriette, ich bin mit der Einrichtung eurer Zimmer fertig. Solange nichts anderes verfügt wird, werdet ihr dort drinnen bleiben.⫸
Dezeria spähte misstrauisch in den Raum hinein, der sich neben ihr befand. “O nein! Das kommt gar nicht in Frage! Ich will kein Zimmer, ich will hier weg!”
⫷Das war keine Bitte oder eine Fragestellung, die eine Befürwortung eurerseits bedarf. Das laufende Sicherheitsprotokoll verbietet mir eine Betäubung oder andere Formen der Maßregelung. Jedoch habe ich den Korridor und die Räume so umfunktioniert, dass es irrelevant ist, ob ihr euch fügt oder nicht.⫸
“Warum fragst du denn, wenn es egal ist, was wir tun?” Wind hatte sich offensichtlich von seiner Schmerzattacke erholt und verschränkte die Arme vor der Brust.
⫷Der Höflichkeit halber.⫸
“Der Erziehung wegen”, korrigierte er und sah alles andere als glücklich aus. Ich spürte deutlich, wie die Dunkelheit wieder in ihm anstieg.
⫷Alles, was ich tue, dient zu eurem Wohl. Verspürt denn keiner von euch Hunger oder Durst?⫸
“Ich will nichts! Weder von dir noch von dem Monster!” Dezeria hielt an ihrer ablehnenden Haltung fest, was jedoch nicht für Hendrick galt. Er warf einen flüchtigen Blick in sein Zimmer und war alles andere als abgeneigt. Ich konnte zwar von meinem Punkt aus nichts erkennen, aber das, was er sah, schien ihm zu gefallen. Die schlechten Schwingungen verschwanden und er lächelte sogar.
“He-hey, Hendrick! Wo willst du hin?” Sie wollte ihn aufhalten, nach ihm greifen, aber sie erreichte ihn nicht. Ihr Weg endete abrupt. “Hm? Was? Nein!” Mit einer Mischung aus Angst und Panik schlug sie gegen die Luft. Tyschka hatte wohl nun auch zwischen ihr und Wind eine dieser Barrieren gemacht. “Lass mich hier raus! Hendrick, warte!”
“Ich habe Hunger und wenn sie mir etwas zu essen gibt, finde ich das nicht schlimm.” Er sagte dies, ohne sich umzudrehen, und verschwand in den für ihn bestimmten Raum. Die Tür schloss sich sofort, als er drin war.
“Nein ...”, hauchte Dezeria traurig und sank auf die Knie, starrte ins Leere. Sie tat mir unglaublich leid. Ich wollte ihr so gerne helfen, aber da gab es nichts, was ich tun konnte.
⫷Junger Herr Elian, die Barrieren für Euch sind jetzt aufgehoben. Begebt Euch auf die Krankenstation.⫸ Tyschka löste sich nach diesen Worten auf und ließ uns allein. Die kahle weiße Fläche, die den Weg zum Hangar versperrt hatte, verschwand ebenso.
“Da! Siehst du? Ich habe mich nicht geirrt.” Ein Grinsen zog in mein Gesicht. “Das war der richtige ... Weg.” Mein Frohsinn wich augenblicklich, als Dezeria ihren Kopf drehte und mich mit tränenverhangenem Blick ansah. Pure Verzweiflung las ich darinnen, was mein Unwohlsein mit unglaublicher Intensität zurückbrachte. Ich wollte sie trösten. Niemand sollte derart traurig sein.
Ich ging vorsichtig und mit kleinen Schritten zu ihr. Die unsichtbare Wand war tatsächlich nicht mehr da, jedoch schaffte ich es nicht ganz. Uns trennte immer noch eine. Dezeria schien in einem Würfel zu stecken, der nur einen Ausweg zeigte und dieser führte in das Zimmer. Soweit ich das erkennen konnte, war es ganz normal eingerichtet. Kein karges Gefängnis, was ich bei ihrer ersten Reaktion schon befürchtet hatte. Ich sah einen reichlich gedeckten Tisch, ein gemütliches Sofa und ein Himmelbett. Alles war in einem schönen Blauweiß gehalten, was perfekt zu ihr passte.
“Warum gehst du nicht rein? Es sieht doch ganz schön aus. Du kannst essen und dir auch sicherlich dort etwas anderes anziehen, als dieses Laken.”
“Hör auf damit!” Sie ballte die Fäuste und es bildete sich Eis am Boden. Raureif überzog blitzschnell alle Seiten des Würfels. “Ich wollte hier weg und kein neues Zimmer, in dem er mir später wer-weiß-was antun kann!”
“Es tut mir ...” Ich schloss den Mund und vergrub meine nutzlosen Hände in den Saum meines Pullovers. Zu sagen, dass es mir leidtäte, sie nicht zum Schiff gebracht zu haben, wäre gelogen. Ich war von Anfang an dagegen gewesen. Allein schon wegen Wind, aber dies zu erwähnen würde nichts bringen. Die Situation nicht verbessern.
Hilflos stand ich da und wusste nicht, was ich noch sagen oder machen sollte. Unangenehme Stille legte sich wie ein dicker Schleier über uns. Eine Weile hielt ich es aus, nur dazustehen und sie anzusehen. Ihr auf diese Weise vielleicht etwas Trost zu spenden, aber dann wurde es unerträglich. Vollkommenes Schweigen war für mich unnatürlich.
Langsam setzte ich mich in Bewegung und schlug den Weg Richtung Krankenstation ein. Ich verwarf den Gedanken, mich von ihr zu verabschieden, denn ich konnte nicht mit Sicherheit sagen, wann ich sie wieder besuchen durfte. Und ob sie das überhaupt wollte, stand auf einem anderen Blatt. Ich hätte sie natürlich auch fragen können, aber das traute ich mich nicht.
“Elian ...” Ich hielt inne und drehte herum. Ich hatte ganz leise ihre Stimme gehört, aber zu meiner Verwunderung, war da jetzt nichts mehr. Nur eine weiße Wand. Ich schluckte. Was sollte das?
“Tyschka? Tust du ihr jetzt weh?” Ich wusste nicht, wie ich darauf kam, aber irgendwie rumorte es plötzlich in meinem Magen. Hatte Dezeria recht und man tat ihr etwas an? Nein, oder?
⫷Negativ. Mein aktuelles Protokoll verbietet großartige Einmischung in eurem Tun. Jedoch habe ich beschlossen, den Herrn Re’Nya’Ca Hendrickson Weckmelan und Fräulein Henriette zu isolieren. Eure Gruppe hatte Gefahrenpotenzial. Die Barrieren waren notwendig und sind auch weiterhin im Einsatz, um erneute Schiffsschäden zu vermeiden.⫸
“Kann ich mit Leo sprechen?” Ich musste es von ihm hören. Leo sollte mir sagen, dass alles in Ordnung war und es keinen Grund zur Sorge gab. Außerdem hatte ich einen tollen Einfall bezüglich Dezeria, den ich ihm unbedingt erzählen wollte. Er besaß doch ein Anwesen auf ihrem Heimatplaneten, vielleicht fühlte sie sich da wohler. Ich war mir sicher, dass es ihr mehr gefallen würde, als hier auf einem Schiff der Rea zu sein.
⫷Dies ist nicht möglich.⫸ Ich runzelte die Stirn.
“Warum? Geht es Leo nicht gut?” Stimmt, er war ja verletzt gewesen. Man hatte ihn angegriffen, das hatte ich schon wieder völlig verdrängt.
⫷Mein Herr ist nicht hier. Sämtliche Kontrolle obliegt allein meiner Entscheidungsgewalt.⫸ Ich versteifte. Mein Herz setzte einen Schlag aus.
“E-er ist ... n-nicht hier?” Das konnte nicht sein. Leo würde uns nicht allein lassen. Er hatte es versprochen! Was wenn jetzt Fremde herkamen? Erschrocken schnappte ich nach Luft. Was wenn sie schon hier waren?
⫷Korrekt.⫸
“O nein!” Schnell rannte ich den Gang entlang. Ich musste zu Suciu und sie beschützen! Ihr durfte nichts passieren. Wieso war Leo nicht hier? Warum hatte er sein Versprechen gebrochen? Wieso nur? Lag es an mir? Hatte ich ihn mit meinem Verhalten derart verärgert? War dies ein Teil meiner Strafe?
Meine Sicht verschwamm und als ich einige Meter weiter um eine Ecke flitzte, verlor ich den Halt. Rutschte zur Seite weg. Schmerzhaft stürzte ich und blieb keuchend auf dem Boden liegen. Mir fehlte auf einmal jedwede Kraft. Das Gefühl, gleich zu ersticken, breitete sich in meinem Brustkorb aus. Ich konnte nicht mehr klar denken. Panik war im Moment alles, was mich ausmachte. Ich hatte Angst. Angst um Suciu!
⫷Junger Herr Elian, Eure Herzfrequenz ist unregelmäßig. Zustand kritisch. Zur Stabilisierung bekommt Ihr ein starkes Beruhigungsmittel. Ich werde ...⫸ Tyschkas Stimme klang schrecklich weit entfernt und verstummte schließlich ganz. Ich hörte nicht einmal mehr mein hektisches Atmen. Alles um mich herum verschmolz zu einem verzerrten Gebilde, bis nur noch eine dunkle Masse übrig blieb. Schatten. Um mich herum existierte nur noch Dunkelheit, die meinen Körper schmerzhaft lähmte. Schwach. So unendlich schwach. Aber das durfte ich nicht sein! Ich musste doch Suciu beschützen. Ich musste! Ich –