Gut. Ich gab auf ... Was brachte es mir schon wegzulaufen? Zwei der fünf Männer hatten mich ohnehin gleich erreicht und würden mich wieder hereinbringen ... zum Auspeitschen. Was hatte das noch alles für einen Sinn? Ich sank auf die Knie, völlig am Ende meiner Kräfte. “Ergreift sie!”, hörte ich es noch, aber ich blickte nicht einmal mehr auf. Ich starrte nur auf das feuchte Gras und versuchte immer noch, dass mit dem gottgleichen Typen irgendwie auf die Reihe zu kriegen ...
Ein Geräusch, wie zerspringendes Glas, ließ mich dann allerdings erschrocken den Kopf heben. Huh? Alles um mich herum war zu Eis erstarrt. Die Männer des Grafen waren allesamt mit einer feinen weißen Kristallschicht überzogen, die aber gleich Risse bekam und ihre Körper zum Teil wieder frei gab ... Gott, was lief hier nur?!
“Ahhh!”, schrie ich keinen Augenblick später, da Zerian direkt neben mir auftauchte. Ja, wirklich aus dem Boden auftauchte! “Scheiße! Willst du mich noch zu Tode erschrecken?!”, schimpfte ich rein aus Reflex und hielt mein rasendes Herz. Gott hin oder her, sowas war überhaupt nicht witzig!
“Zu deinem Dorf, geht es da lang”, erwiderte er emotionslos und deutete auf eine mannshohe Hecke aus Dornensträuchern. “Ähm ...”, stammelte ich und hob verwirrt eine Augenbraue. Wollte er jetzt etwa, dass ich da drüber klettere? Nackt? Ich würde mir gewiss jedes bisschen Haut aufreißen ... mal ganz davon abgesehen, dass dahinter gleich die Mauer lag! “Ich kann nicht ...”, begann ich meinen Satz, verlor mich allerdings in diesen blauen Augen, in denen ein weißer Nebel zu tanzen schien. Es lähmte all meine Muskeln ... Gott, wieso blickte er mich nur so eindringlich an?
“Gut, ich versuche es anders”, sprach er mit einem Mal und umfasste meinen Arm. Seine Berührung fühlte sich kalt an und wurde dann schmerzhaft. Mit einem Ruck erhob sich mein Körper ... Ähm ... ja, Wasser drückte mich förmlich vom Boden auf. “W-warte du tust mir wee-AAAHHHHHH!”
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Ich schrie! Und schrie! Bis ich nicht mehr schreien konnte – bis meine Stimme drohte zu versagen und doch, kreischte ich einfach weiter. Hatte ich doch gerade noch seinen festen Griff beklagen wollen oder das Wasser um mein Körper, welches mich ebenso ruppig vom Gras stieß ... aber das jetzt ... schrecklich! Einfach nur schrecklich! Mister Eis und Wasser hatte sich erneut verflüssigt ... gleich nachdem er auf die Hecke mit strammen Schritt zuhielt. OHNE mich allerdings loszulassen! Ja ... er riss mich, gleich einer Welle über die Sträucher und die Mauer. GOTT! Ich flog! Ich fiel! Das Wasser hielt meinen Körper, wie ein Seil umschlungen und warf mich über das Hindernis!
“AAAHHHHH!”, schrie ich weiter. Wir hatten das Anwesen bereits hinter uns gelassen, was aber nichts an dieser Höllenfahrt änderte! Nach meinem unfreiwilligen, bestimmt mehrere Meter hohem Wurf ... landete ich auf einer Rutsche ganz aus Eis. Erst befürchtete ich, der Aufprall würde schmerzen ... zumal ich ja auch mit dem Oberkörper voran flog, aber das passierte nicht. Nein ... vielmehr rutschte ich auf diesem Pfad in einem irren Tempo weiter! GOTT! Vor mir schlängelte sich ein Weg aus Eis, direkt durch den Wald ... und durch jedes Gestrüpp! Der hauchdünne Wasserfilm ließ mich dabei sogar noch immer schneller werden! “AHHH!”
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Nachdem ich bereits ohne Erfolg versucht hatte, mich vor den unzählige kleinen Zweigen, welche meinen Körper zerkratzten und kurz wie Feuer auf meiner Haut brannten, zu schützten – knallte mir nun ein massiverer Zweig mitten ins Gesicht. Es raubte mir die Besinnung ...
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“... nicht richtig”, hörte ich es dumpf, als mein Bewusstsein wieder zueinanderfand. Der Graf ... der Eistyp ... ich erinnerte mich, leider. Auch fühlte ich mich gut, aber ich hatte Angst davor, meine Augen zu öffnen. Ich wollte nicht wissen, in was für einer Hölle ich nun gelandet war. Wieso konnte ich nicht träumen? Alles nur ein Traum ...
“Du bist wach, ich weiß es.” Mist! Ich seufzte und öffnete resigniert meine Lider. Sofort zuckte ich erschrocken zusammen. Das Gesicht von Zerian schwebte genau vor meiner Nasenspitze! Der Mann ... Gott oder was auch immer, hatte vielleicht Nerven! Warte ... lag der etwa auf mir drauf?! Ich zuckte noch mal zusammen, als ich realisierte, dass es wirklich so war! Ich fühlte sein Gewicht ja gar nicht?! “Runter von mir!”, schimpfte ich also und wollte ihn wegdrücken ... meine Hände gingen aber direkt durch seinen Brustkorb durch ... öm hö? Verwirrt sah ich in sein Gesicht, welches mir immer noch viel zu nahe war ...
“Es ist nicht mehr weit”, sprach er dann ohne Mimik und zerfloss auf meinem Körper. Gott! Hastig richtete ich mich auf und versuchte, die Flüssigkeit von mir zu wischen. Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt die Mühe gemacht hatte oder es mir peinlich gewesen war, denn sofort riss mich das Wasser wieder mit sich. Fürchterlicher noch als zuvor! Der Pfad aus Eis machte nun um jeden Baum und noch so kleinen Strauch einen weiten Bogen. Es war schlimmer als ein unkontrollierter Ritt auf einem wildgewordenen Pferd! Ja, in richtigen Spiralen flog, rutschte, raste ich durch den Wald – alles drehte sich und bald schon wusste ich nicht mehr wo oben oder unten war. Zum Glück hatte ich nichts im Magen, andernfalls hätte es nun gewiss wieder ans Tageslicht gefunden ...
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Hilfe ... ich schrie mir die Kehle aus dem Leibe! Wobei das hatte ich längst, oder? Ich hörte meine Stimme nicht mehr, sondern nur dieses ohrenbetäubende Knirschen von Eis oder das gleichmäßige Rauschen von Wasser. Irgendwann stoppte es dann mit einem lauten Klatschen und einem Gefühl, als würde mir die Luft brutal aus den Lungen gepresst werden. Blau und Grün mischten sich, dann kam die Dunkelheit – alles war so verschwommen ... ah! Ich ertrank! Gerade als ich diesen Gedanken hatte, riss es mich schmerzlich zurück an die Oberfläche. Gott! Ich keuchte und hustete. Minuten lang wankte ich auf allen vieren und mit tränenden Augen auf dem Gras. Hin und wieder würgte ich auch, weil mir noch immer so schlecht war. Hilfe ... ich fühlte mich so schrecklich elendig ... Meine Lungen brannten, mein Hals ebenso und alles um mich herum drehte sich ununterbrochen.
“Dein Körper ist umständlich”, hörte ich es hallend und dann fühlte ich lindernde Kälte. “Uhh ...”, stöhnte ich, denn es tat so gut! Eis überzog meine Haut, ja, ich konnte es an meinen Armen sehen. Verunsichert blickte ich zur Seite und sah Zerian, wie er wohl über meinen Rücken strich. Verrück, das fühlte ich nicht ... allein diese Kälte, die all meine Schmerzen zu nehmen schien.
“Danke ...”, flüsterte ich schniefend. Eigentlich hatte ich mir ja fest vorgenommen, ihn anzubrüllen, aber es ging nicht. Ich war einfach nur froh, dass es nun vorbei war. Ich schloss langsam meine Augen und legte mich auf das weiche Gras. Gott ... war das schön. So friedlich ...
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Ein Plätschern holte mich schließlich zurück aus meinem Halbschlaf. Verunsichert drehte ich meinen Kopf und, wie sollte es anders sein, Zerian war weg. Nichts als nasser Boden und kleine Eiskristalle blieben von ihm. Toller Gott, wieso haute er denn immer ab? Wobei ... es sollte mich wohl mehr erschrecken, dass es ihn wirklich gab, oder? Aber irgendwie tat es das nicht ... es erleichterte mich sogar. Vielleicht war ich auch einfach nur verrückt geworden.
Plötzlich hörte ich ein Pferd wiehern und das Rattern einer Kutsche. Ich stemmte mich augenblicklich hoch und sah mich um. “Nein ...”, stammelte ich ungläubig und riss meinen Kopf herum. “NEIN!”, schimpfte ich sogleich lauter, da ich hier doch tatsächlich in Rotterval war. Er hatte mich ernsthaft zurück ins Dorf gebracht? Zu den Fischerhütten?! Gott, warum? Wenn mich jemand fand, so werden sie mich doch garantiert wieder zum Grafen bringen! Außerdem, wie sollte ich mich denn, ganz ohne Kleidung, unauffällig durch die Menschenmassen bewegen?
“Hey! Du kannst mich doch nicht einfach hier lassen!”, schimpfte ich also wütend, während ich mich wieder ins hohe Gras hockte und auf die Pfütze am Boden klatsche. “Hörst du? Und schon gar nicht soo!”, meckerte ich weiter und deutete auf meine bloße Haut. Es war allerdings vergebens. Nichts passierte. “Toll! Danke auch!” Verärgert fasste ich mir an den Kopf und versuchte nachzudenken. Ich kannte ja die Gegend und es war Tag ... viele arbeiteten jetzt in der Miene oder auf den Feldern ... vielleicht ...
Ich atmete tief, tief durch und spähte, ob die Luft rein war. Es glich ja schon fast einem Wunder, dass mich niemand bisher gehört oder auch das mit dem Wasser gesehen hatte. Ich rannte also an den Hütten vorbei – weit draußen auf dem See konnte ich die Fischer grob erkennen, aber auf die Distanz würden sie mich nicht bemerken. Mein Weg führte an dem alten Fachwerkhaus vorbei und an der kleinen Werft, wo zu dieser Zeit fleißig Holz geschliffen wurde. Ich schlich leise an der Fassade vorbei, ohne dass mich jemand erblickte. Puh! Fast schon dachte ich, mein aufgeregt schlagendes Herz würde mich verraten.
Ich war heilfroh, als auch die nächste Seitengasse leer war und dann erreichte ich auch endlich die Straße, wo sich das Haus von meinem Freund Hannes befand. Wie immer hatte er das Küchenfenster nicht verschlossen. Mit etwas Druck konnte ich den Holzrahmen nach oben schieben – das Reinklettern dagegen war bedeutend schwieriger. Ich besaß nie sonderlich viel Kraft. Beim Versuch, mein Körpergewicht mit den Armen hochzuziehen, trieb es mir den Schweiß auf die Stirn. Ohne Schuhe fand ich auch mit den Füßen keinen Halt an der moosbedeckten Steinwand und rutschte immer wieder ab. Verdammt! Hoffentlich sah das keiner ...
Ich brauchte echt lange, aber dann schaffte ich es! Ungeschickt wie ich aber leider war, riss ich eine Topfpflanze vom Fensterbrett und flog danach in den Scherbenhaufen. “Verdammt!”, fluchte ich und zog mich schmerzlich am Tresen hoch. “AAHHH!”, kreischte ich direkt danach, weil Zerian plötzlich da stand. “Gott! Spinnst du!?”, schimpfte ich und stieß ihn weg ... na ja, wenn meine Hände nicht durch ihn durch gegangen wären, hätte ich dies wohl. “Wieso erschreckst du mich immer?”, sprach ich zornig weiter, aber er stand nur unbeteiligt da ohne einen Ausdruck im Gesicht. Toll. Wie bestellt und nicht abgeholt.
“Wieso hast du hier Schmerzen?”, fragte er nach einem Moment des Schweigens und griff nach meinem Arm. “Ich bin nur gestürzt, es ist nicht schlimm. Nur ein Kratzer”, erwiderte ich verwirrt, da mir nicht so ganz klar war, warum es für ihn Bedeutsamkeit hatte. Er musterte die Schramme an meinem Unterarm und auch die anderen Blessuren, welche ich mir durch das Reinkämpfen geholt hatte. “Hör auf damit”, sprach er mit einem Hall in der Stimme, die mir die Knie weich werden ließ. Bei den Monden! Es klang immer so atemberaubend, wenn er etwas sagte. Bevor ich allerdings fähig war, darauf zu antworten ... blieb von ihm nur eine Pfütze. Ganz toll. Jetzt hatte er aus den Scherben und dem bisschen verstreuter Blumenerde eine breite Schlammmasse gemacht. Ich nahm mir ein Tuch und wischte alles notdürftig auf ... Hannes sollte nicht noch wütender werden als ohnehin schon.
Gott! Ich raufte mir frustriert die Haare. Ich wollte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen, aber er war nun mal der Einzige, zu dem ich noch gehen konnte. Er musste mir helfen ... musste es einfach! Der Gott des Wassers, war ja nicht sonderlich redselig ... für den Fall, dass ich mir dies alles nicht einbildete. Ja. Ich brauchte jetzt Normalität. Ich brauchte Hannes’ Hilfe, um endgültig aus dieser verrückten Stadt zu fliehen!
[Dankeschön an Darklover :> für die Hilfe]