╬Reznicks Sicht╬
Ich starrte auf den nackten Kerl, von dem ich mir sicher war, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben. Aber. Warum lag er dann hier auf meiner Krankenstation? Seine Haut schien zudem massiv durch Feuer beschädigt. Immerhin erhielt er eine Behandlung mit Fygelin, einer grünen Wundcreme für extreme Brandwunden. Vermutlich würden ihm dennoch Narben bleiben. Hatte ich mir vielleicht einen Sklaven geholt und ihn gefoltert – es dann einfach vergessen? Bin ich etwa schon so gleichgültig wie mein Vater geworden? Ich wusste es nicht. Ehrlich nicht.
“War ich das? Habe ich ihn so zugerichtet?”, fragte ich und blickte anschließend wieder zu Johanna. Wenn ich das gewesen war, würde sie nun Angst zeigen. Möglich, dass ich die Kontrolle verloren hatte und Heka mich deswegen betäubte. Trug Johanna deswegen eine Kampfausrüstung? Fuck, was ist nur passiert?!
“Ähm, nein. Also das ist Zerian. Wir haben ihn aus der Halle von diesen Sonnengläubigern geholt. Du ... Mist! Ich habe gar nicht darauf geachtet, du wolltest doch Dezeria holen! Hast du sie nicht gefunden? Heka hatte dich bewusstlos zurückgebracht und ... dann ging auch alles so drunter und drüber, ich hab es wirklich vergessen! Wir müssen noch mal zurück, oder?”
Irgendwas an dem Namen Zerian brachte mein Herz zum Schnellerschlagen. Definitiv zu rasen begann es, als sie den Namen Dezeria erwähnte. Daran erinnerte ich mich – irgendwie. Wer war das? Verdammt, diese Kopfschmerzen werden immer schlimmer und schlimmer!
“Ich erinnere mich nicht. Ich war also bewusstlos? Und deswegen bin ich auch nackt, ja? Wieso hab ich dich überhaupt mitgenommen? Das passt alles kein Stück zusammen. Heka, gibt mir sofort einen Bericht. Was ist alles passiert?” Ich schritt wankend zum Sofa. Musste mich erstmal setzen. Mein Körper fühlte sich so eklig benommen an – zum Kotzen.
<Fehler. Eingabe nicht umsetzbar. Bitte Anfrage präzisieren.> Ich hob eine Augenbraue und fuhr mir stöhnen durch die Haare. “Komm schon, Heka. Ich bin wirklich fertig. Gibt mir bitte einfach eine Antwort, okay? Ich habe keine Ahnung, was vorgefallen ist und das nervt. Ich bin auch nicht sauer, falls du mich betäubt haben solltest.” Seltsamerweise war ich es tatsächlich nicht. Ich fühlte mich – mal abgesehen von den beschissenen Kopfschmerzen – innerlich ruhig. Wie in Watte gepackt. Eigenartig.
<Fehler. Eingabe nicht umsetzbar. Bitte Anfrage präzisieren.> “Ernsthaft?”, fragte ich frustriert und lehnte mich kraftlos zurück – starrte an die Decke. Heka wollte mich offensichtlich ärgern, das machte sie aber nie ohne Grund. Hatte ich mich wirklich so schlimm benommen? Ein flüchtiger Blick durchs Schiff zeigte mir, dass ich jedenfalls nichts beschädigt – oh. Doch. Ich hatte was zerstört. Der Monitor an meinem Arbeitsplatz war schon wieder hin. Auch in der Nähe der Schiffstür klaffte ein kreisförmiges schwarzes Loch im Boden – wie von einer Explosion. Hm, selbst an den Schränken im Schlafzimmer hatte ich gewütet? Was ist nur passiert und wieso war nichts davon bislang repariert?
<Es tut mir leid, Reznick. Ich ... ich will ... ich bin das nicht. Da sprach gerade die KI des Schiffes, aber nicht ich. Also, nicht die Heka, die du kennst.> Mein Blick schweifte zu Johanna, die neben dem Ryron stand – wieso war das Ding noch gleich in einer Barriere? Hekas Stimme kam zweifelsfrei aus ihrer Richtung und nicht wie zuvor aus den Lautsprechern. Seltsam.
“Das ergibt keinen Sinn”, murmelte ich und blickte wieder zur Decke. Normalerweise würde mich sowas aufregen. Alles, was ich nicht verstand und nicht logisch erschien, reizte mich. Aber. Nicht jetzt. Es war komischerweise in Ordnung. Mein Herz hatte sich beruhigt. Warum hatte es überhaupt so beschleunigt? Was wollte ich noch gleich? Wollte ich überhaupt etwas machen? Selbst diese lächerliche Kleinigkeit, sich etwas anzuziehen, erschien mir unbedeutend. Der Kopfschmerz wurde zwar intensiver, aber auch das störte mich nicht. Ich starre an die Decke. In diesen unechten Himmel, ähnlich eines Sonnenuntergangs oder doch eher Aufgang? Ich weiß es nicht. Ist das überhaupt wichtig?
<Johanna? Frag bitte die andere KI, welches Drogengemisch er im Blut hat. Sicherlich ist er deswegen nicht klar. Wenn er das richtige Gegenmittel bekommt, könnte das seiner Erinnerung vielleicht auf die Sprünge helfen.> Ich überlegte. Drogengemisch? Andere KI? Das sollte ein gewisses Maß an Besorgnis oder Unruhe in mir auslösen, aber nichts dergleichen verspürte ich. Ruhe. Fiese Kopfschmerzen, aber doch hauptsächlich Ruhe.
“Oh ... gut. Hm, Schiff? Welches Drogengemisch hat Reznick im Körper? Gibt es dafür ein Gegenmittel?”, fragte Johanna, was mich dazu veranlasste erneut zu ihr zu sehen. Die Rüstung stand ihr. Ein hautenger dunkelblauer Anzug. Sie wirkte dadurch nicht so – klein und schwach. Nicht unterwürfig. Nein. Vielmehr, als gehörte ihr hier alles. Alles.
<Bericht: Individuum Reznick von Chaneusis beeinträchtigt. Kein Gegenmittel erforderlich. Keine Gefahr für Organismus.> Da war es wieder. Heka. Die Stimme aus den Lautsprechern, die meinen Namen sagte. Die sagte, ich stand unter dem Einfluss einer Sklavendroge. Der Sklavendroge schlechthin. Das sollte mich definitiv beunruhigen. Sollte es. Ich kannte dieses Mittel. Ich kannte die Wirkung, oder? Etwas in meinem Inneren wollte glühen – wollte etwas zerstören, aber es kam nicht dazu. Es blieb unter einem dichten, dumpfen Nebel begraben. Zu schwach, um hervorzukommen. Zu schwach, um auch nur einen Muskel zu bewegen.
“Er hat Chaneusis im Blut? Ist das sicher? Er ... braucht wirklich kein Gegenmittel? Ich hab schon etliche Sklaven gesehen, die sich davon nicht mehr erholt haben!” Johannas aufgebrachte Stimme hallte in meinem Kopf. Wenn der doch nur nicht so schmerzen würde. Hm? Kurz darauf hockte sie sich an meine Seite – berührte mein Gesicht. “Reznick? Wie fühlst du dich?” “Gut”, antworte ich und lächelte zufrieden. Es war in Ordnung. Alles war bestens.
“Nein, das ist alles andere als gut!”, sprach sie besorgt und drehte ihren Kopf zum Ryron. “Heka? Seine Pupillen sind winzig. Ich glaube, er hat eine sehr hohe Dosis bekommen. Wenn die andere KI nicht helfen will, musst du mir sagen, wo das Gegenmittel hier ist. Du hast doch eins, oder?” <Fehler. Abbau wird bereits vom Organismus selbst vorgenommen. Keine Behandlung notwendig. Bitte Anfrage wiederholen.> “Ach nicht du! Du bist nicht Heka! Ich meine die echte Heka. Also? Wo ist das Gegenmittel?” <Fehler. Eingabe nicht umsetzbar. Bitte Anfrage wiederholen.> “Ja, ich hab’s verstanden!” Sie seufzte und blickte wieder mich an. “Reznick?” Ich nickte. Lächelte. “Bitte versuche, dagegen anzukämpfen. Ich weiß, es fühlt sich an, als würde man selbst in einem Sumpf ... in einem Loch versinken oder fallen. Man verschwindet und macht etwas leerem Platz, aber ... das ist falsch. Du bist das nicht und tief in dir, weißt du es auch. Halt dich daran fest, ja? Bitte, bleib du selbst.” Ich sah in ihre braunen Augen, die regelrecht zu funkeln schien. Wunderschön.
Dann stand sie auf und ging fort, direkt zur weißen Barriere. “Heka! Jetzt antworte mir endlich! Wieso sagst du jetzt nichts mehr? Geht ... es dir auch nicht gut?” <Fehler. Eingabe unbekannt. Bitte Anfrage wiederholen.> Sie unterhielt sich mit einer KI, oder? Wer war Heka? Mein Kopf schien sich zu verflüssigen. Das fühlte sich seltsam an.
“Ich versteh nicht, was das soll. Wieso antwortest du nicht?” <Es ... tut mir leid.> Meine Augen schweiften zu den Stimmen. Wer war das überhaupt? Hm, spielt das eine Rolle? Nein. Nicht wirklich.
“Uff, du bist doch noch da! Was ein Glück. Also, wo ist das Gegenmittel?” <Ich weiß ... es nicht.> “Wie kannst du es nicht wissen? <Gibt mir einen Moment, ich bin mir nicht sicher.> “Mit was denn? Mit dem Mittel oder wo es ist?” <Das ist nicht so einfach.> “Wieso druckst du schon wieder so herum? Wenn wir noch länger warten, wird das nicht nur seinen Willen grillen, sondern schwerwiegende Schäden an seinem Verstand haben!” <Ich weiß.> “Dann sag mir doch, wo es ist.” <Aber ... vielleicht ist es so besser.> “Besser? Du willst ihn so lassen?” <Nun, nicht für immer, aber ... für den Moment. Ich kann so vielleicht meine Fehler beheben.> “Deine Fehler? Dass die Schiffstechnik nicht auf dich hört? Oder wovon redest du? Du kannst ihn deswegen doch nicht so lassen! Er kann dir doch helfen. Ich verstehe dich nicht. Wieso–”
Stille. Mir wurde schwarz vor Augen.
“Verdammt, Reznick!”, hörte ich es dumpf, aber ich wusste nicht, was das bedeutete. Reznick – wer oder was war das? “Bitte, wach auf!” Da klang jemand verzweifelt. Irgendwas in mir fühlte sich angesprochen. Kurz darauf verschwand dieses Gefühl allerdings wieder. “Komm schon! Mach die Augen auf. Heka, jetzt sag mir doch, was ich machen soll! Verflucht! Reznick, sieh mich an, ja?” Ich spürte Berührungen. Schwach, aber deutlich. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein.
“Das will ich eigentlich nicht, aber es muss sein. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Ich befehle dir: Steh auf!” Ein Ruck ging durch meinen Körper und unwillkürlich riss ich die Augen auf. Ein Befehl?! Darauf musste ich hören. Ein Befehl war alles, was noch Relevanz besaß.
Es dauerte einen Moment, bis ich verstand, wo ich mich befand. Ich lag auf dem Boden. An meiner Seite hockte eine Frau in einer dunklen Rüstung, die mich umarmte. Wieso interessierte nicht. Sie hatte gesprochen. Sie ist meine Meisterin. Nur für ihre Worte lebe ich. Nur – für ihre Worte.
“Reznick? Sieh mich an!” Ich tat, was sie verlangte. “Komm, ich helf dir auf.” Ich lächelte. Es war lustig, dass sie so viel kleiner war als ich und mich dennoch zu stützen versuchte. “Das hier ist dein Schiff, erinnerst du dich? Du weißt doch sicherlich, wo alles ist. Ich brauch das Gegenmittel für Chaneusis. Wo ist es?” Ich blickte sie an, danach schweifte mein Blick umher. Ich erkannte nichts. Gar nichts. Wo bin ich hier?
“Ich befehle dir: Antworte mir!” Ein Kribbeln jagte durch meinen Körper. Es erinnerte mich an einen schwachen Stromstoß. Etwas daran war falsch. Ich mochte es nicht. Irgendwie. Ich bin verwirrt. Warum fühle ich so? Irgendwas stimmte nicht. Aber. Ich verstehe nicht was. “Ich weiß nicht ...”, würgte ich schließlich hervor, da dieses Kribbeln immer unangenehmer wurde.
“Reznick, bitte! Sieh mich an, kannst du mich verstehen?” Der verzweifelten Stimme folgten erneut Berührungen. Das war besser. Angenehmer. Das gefiel mir. “Schaffst du es ins Bett? Oder, nein. Leg dich hier auf Sofa, ja? Ich bin gleich wieder da.” Ich gehorchte. Auf dem weichen Stoff Platz zu nehmen, fühlte sich gut an. Dass sie fortging, dagegen weniger.
“Heka! Sieh ihn dir an! Ihm geht es definitiv nicht gut! Du kannst ihn doch nicht so lassen, ich dachte, er ist dir wichtig! So ist er nichts weiter als ein Sklave!” Meine Meisterin schien aufgebracht, aber den Grund dafür konnte ich nicht erfassen. Ob es wegen mir ist? Habe ich sie enttäuscht?
<Fehler. Eingabe unbekannt. Bitte Anfrage wiederholen.> “Ja, ich weiß das, du bist nicht gemeint!” Ein frustriertes Stöhnen erklang, gefolgt von einem dumpfen Schlagen. Ich blickte auf. Sah, dass sie mit den Fäusten gegen ein weißes Licht schlug. Warum, verstand ich nicht.
“Ich mein dich, du da drinnen! Antworte .... bitte. O bitte... so antworte doch. Was bei allen Göttern ist so schlimm, dass du ihn lieber so lässt, als zu helfen?” <Die Wahrheit.> “Welche Wahrheit? Ich dachte, ich kann dir vertrauen, wie kann ich das jetzt noch? Du verhältst dich absolut widersprüchlich. Erst willst du alles tun, um ihm zu helfen. Mir zu helfen. Zerian und Dezeria ... Und jetzt? Was soll das alles, was bezweckst du damit?” Da war es wieder. Mein Herz raste vollkommen ohne Grund.
<Ich ... brauche Zeit. Ich ... will nicht, dass er die Wahrheit kennt. Die würde er nicht verstehen und auch nicht verkraften.> “Aber so wird er das, ja? Wenn du nie darüber sprichst, wie soll sich das denn je ändern? Ich ... mag dich, Heka, aber das geht so nicht. Egal, was ist, du musst damit aufhören. Kannst du nicht wieder die sein, die ihre Späße macht? Die hilft und alles gut werden lässt? Bitte ... ich wünsche mir ... dein altes Ich zurück ...”
Stille kehrte ein. Nein. Ich hörte ein leises Schniefen. Als wenig später ein bitterliches Schluchzen folgte, richtete ich mich auf. Die Meisterin war traurig und das sollte sie nicht – durfte sie nicht. Etwas unbeholfen erhob ich mich und ging zu ihr. “Wie kann ich behilflich sein?”, fragte ich, auch wenn alles in mir diesen Wortlaut als äußerst sonderlich empfand. Etwas stimmte nicht. Aber, was? Lag es daran, dass sie am Boden hockte? Sollte ich nicht eher derjenige sein, der das tat? In meinem Kopf machte nichts mehr Sinn. Ich fühlte mich gut, ja, aber irgendwas zog in mir. Tief in mir. Dumpf. Schwach. Beständig. Plötzlich versagten mir die Beine. Umgehend stürzte ich. Nur mit etwas Glück konnte ich dabei verhindern, direkt auf meine Meisterin zu fallen. Stattdessen streifte ich sie nur.
“Bitte entschuldigt”, sagte ich vollkommen automatisch und nahm sofort mehr Abstand zu ihr ein. Kniete mich neben sie – senkte den Blick. “O Reznick, bitte hör auf damit. Ha-hast du dich verletzt? Oder Schmerzen? Ich sagte doch, du sollst auf dem Sofa bleiben.” Ihre Stimme klang traurig. Besorgt. Warum erschloss sich mir nicht. Habe ich sie enttäuscht? Ja. Ich habe nicht gehorcht. Mein Fehler. Mein Körper reagierte sofort auf diese Erkenntnis – mir schwindelte. Ein Stechen durchfuhr mein Innerstes.
“Gott, wie geht das nur auf?”, sprach meine Meisterin zwischen zwei Schnieflauten, was mich irritierte. Was meinte sie? Ich blickte unsicher auf. Sie bemühte sich offensichtlich, den Helm abzustreifen, aber so würde es gewiss nie funktionieren. Auch wenn ich nichts wirklich in meinem Kopf zusammenbekam, das wusste ich seltsamerweise. Sofort griff ich mit beiden Händen an ihren Hals, was sie umgehend zusammenzucken ließ. Hinter dem farblosen Glas starrten mich ihre großen Augen unsicher an. Ich stoppte.
“Ich möchte es für Euch öffnen”, sagte ich schließlich, um meine eigenmächtige Handlung zu erklären. “Darf ich?” Ein Schniefen ihrerseits folgte. Dann ein kurzes Nicken. Vorsichtig betätigte ich daraufhin die beiden Sensoren jeweils rechts und links an der Unterseite des Kiefers. Umgehend löste sich die Technik und der Helm verschwand in der restlichen Legierung der Rüstung. Es war mir so unglaublich vertraut. Ich bildete mir ein, auch mal sowas besessen zu haben. Aber. Das war absurd. Warum sollte ein Sklave derart Wertvolles besitzen?
“Danke dir”, sprach meine Meisterin und wischte sich mehrfach übers Gesicht. Ihre schulterlangen Haare tanzten dabei auf ihren Schultern. Ich sah sie lange an, bevor ich meinen Blick wieder senkte. Irgendwas störte mich immer stärker, aber ich kam nicht drauf. Was ist es nur?
<Johanna? Ich ... bitte dich um Verzeihung.> Ich sah zur Seite, als die kleine Maschine sich zu Wort meldete. Ich hatte einen Namen auf der Zunge, dennoch verschwamm dieser sofort wieder in meinem Kopf. <Und ... auch dich, Reznick. Wirklich und ehrlich. Du ... du hast recht. Ich, möchte helfen. Das wollte ich immer. Aber, ich habe so viele Fehler gemacht ... So viele. Zu viele. Ich habe Angst. Er wird mir sicherlich nicht verzeihen. Er wird mich töten und ich kann es ... verstehen.> “Was ... redest du da?”, fragte meine Meisterin verwirrt und drückte behutsam eine Hand gegen das weiße Licht.
Sie schniefte leise. Ihre Wangen waren gerötet und in ihren Augen schwammen Tränen. Ich verstand indes nicht, warum ihr dieses Konstrukt so viel bedeutete. Es waren nur unbedeutende Bauteile. Wenn Technik versagte – beschädigt oder zerstört wurde, ließ sich immer alles einfach austauschen. Das wusste ich seltsamerweise, aber gleichzeitig doch wieder nicht, warum sie dieses Verhalten zeigte.
<Das ist nicht länger wichtig. Meine Worte ... unbedeutend. Ich will helfen. Sieh bitte drüben bei den Schränken im Arbeitsbereich nach. Wo der kaputte Bildschirm ist. Die eine Schrankwand da. Die ganzen Fächer sind zwar nicht beschriftet, aber es ist das vierte von rechts gesehen und dann fünf runter.> “Danke ...”, hauchte meine Meisterin und stand ruckartig auf. Da ich nichts Anderes zu tun hatte, folgte ich ihr.
Mein Blick fand unterwegs wieder diesen bewusstlosen Mann, dessen Name mir nicht einfallen wollte. Hm. Etwas in mir schrie verzweifelt auf. Laut. Jedoch verschwand es keinen Atemzug später wieder in dichtem schwarzen Nebel. Seltsam. Vielleicht ist es Angst. Angst, dass ich genauso enden werde. Ja. Vermutlich war der andere ungehorsam gewesen. Ja. Ein Sklave. Nackt und von Narben gezeichnet, wie auch ich es bin. Das schien mir logisch und doch folgte ich der Meisterin weiter. Ich konnte gar nicht anders.
“Das vierte ... rechts ... fünf runter”, murmelte sie und holte anschließend aus einem der Fächer ein weißes Fläschchen mit blauer Aufschrift hervor. “JA! Ich hab’s!”, jubelte sie und reichte es mir anschließend. “Trink das! Danach geht’s dir sofort besser. Die Dosis schein schon extra für dich portioniert zu sein. Es steht dein Name samt Größe und Gewicht drauf.” Sie strahlte über beide Ohren, was auch mich erfreute. Ist die Meisterin glücklich, ist auch die Welt in Ordnung. Ja. Alles ist in bester Ordnung. Ohne großartig darüber nachzudenken, um was für eine Flüssigkeit es sich handelte, trank ich alles aus. Erwartungsvoll starrte sie mich daraufhin an.
“Habe ich einen Befehl verpasst?”, fragte ich einen Moment später, denn warum sollte sie mir sonst so viel Aufmerksamkeit schenken? “O nein, nein. Ich warte darauf, dass es wirkt. Fühlst du dich denn nicht schon besser? Wenigstens etwas?” Ich überlegte. Mein Kopf schmerzte. Aber. Auch nicht schlimmer als zuvor und der Rest? Ein einziges Gewühl aus schwarz und grau, das ich nicht näher beschreiben konnte. Oder? Doch! In mir tobte ein Sturm. Ein gewaltiger Sturm, deren Blitze in alle Richtungen feuerten. Das fühlte sich seltsam intensiv an. Als bohrten sich glühende Nägel überall unbarmherzig in mein Fleisch. Fürchterlich – und dennoch erschien mir das nicht erwähnenswert.
“Wie soll ich mich denn fühlen?”, fragte ich und blickte an mir herab. Vielleicht testete sie mich oder das war meine Form der Strafe – für was auch immer. Narben hatte ich schließlich viele und sicherlich nicht ohne Grund. Es ist eigentlich auch nicht wichtig. Wichtig ist allein, was sie will. Ihr Befehl.
“Na besser eben ... nach dir selbst.” Geradezu vorsichtig berührte sie mein Gesicht und lächelte. “Es wirkt normalerweise recht schnell. Du solltest also gleich wieder du sein. Berechnend, unheimlich, wütend ... Reznick halt. Nur bitte, mach dann nichts kaputt, ja?” Ich nickte. Lächelte. Wollte ihr unbedingt gefallen.
Plötzlich haute mich etwas im wahrsten Sinne des Wortes um. Meine Beine versagten, als hätte mein Körper einen entsetzlichen Schock erlitten. Unsanft fiel ich rückwärts und riss dabei Johanna mit mir, die mich noch hatte auffangen wollen. Alles drehte sich. Der Sturm hatte sich mit derart Gewalt an die Oberfläche gekämpft, dass es nun meinen Verstand zerriss. Nicht auf die schlechte Art und Weise. Nein. Vielmehr befreiend. So unglaublich befreiend, dass ich nichts mehr anderes konnte, als einfach nur dazuliegen. Meine Seele fühlte sich um Tonnen erleichtert. Von massiven dunklen Ketten befreit. Ich starrte richtig glücklich an die Decke – jedenfalls solange, bis sich Johannas Kopf in mein Sichtfeld schob.
“Bist du zurück?”, fragte sie vorsichtig und wandelte damit augenblicklich meine Euphorie. Bittere Ernüchterung schlug mir entgegen, gleich eines brachialen Hiebs in den Magen. Mit der Erkenntnis kam die Scham und Wut. Reine unverfälschte Wut. Scheiße! Sofort richtete ich mich auf und stieß sie von mir. Ich brauchte Abstand. Dringend!
“Ich war nicht ich selbst!”, zischte ich, da es mir unglaublich peinlich war. Ich habe sie als meine Meisterin angesehen. Scheiße! Ich wäre für sie gestorben – hätte ihr die Füße geküsst oder mich mit Freuden von ihr Quälen lassen! Einfach ALLES getan!
“I-ich weiß, es ist alles gut, es ist nichts passiert”, versuchte sie mich zu beruhigen, aber das war überflüssig. Ich weiß selbst, dass nichts passiert ist. Das wäre ja noch schöner! Reicht ja schon, dass Heka mich so lassen wollte! Das bekam die Hexe definitiv wieder!
“Bleib ja fern von mir!”, knurrte ich, als sie mich wieder an der Wange berühren wollte. Das ging definitiv zu weit! Ich will nicht berührt werden. Nicht wenn ich gerade derart verletzlich gewesen bin. “Ich erinnere mich außerdem an alles!” Ja, das hatte diese Droge nun mal so an sich. Chaneusis war DAS Spielmittel der gelangweilten Adligen. Damit konnte selbst der stärkste Wille gefügig gemacht – gedemütigt werden. Man machte einfach ALLES, was einem befohlen wurde.
“Sowas Ätzendes! Diese beschissene Droge!”, fluchte ich, da ich es so satt hatte. Mein Vater benutzte es bei mir nur zu gerne. Und dieser Wichser in den Gängen hatte es natürlich in seinem Auftrag bei sich – Scheiße! Das war ein verdammter Klon! Vater hat doch tatsächlich einen Klon von mir! Wie zur Hölle? Und – nein! Er hatte jetzt DEZERIA!
“Bitte beruhige dich, es ist alles–” “Nein! Wage es nicht, zu behaupten, es ist alles in Ordnung! Nein, verdammt! Das ist es NICHT!”, brüllte ich, während mir abwechselnd heiß und kalt wurde. Mein Herz raste. ER. HAT. SIE. Meine Dezeria! “Ich muss zurück!”, rief ich panisch und hechtete zu meinem Kleiderschrank. Wo ist meine verdammte Rüstung?!
“Wo sind meine scheiß Sachen?! Was habt ihr damit gemacht?!”, brüllte ich weiter und noch bevor, ich irgendwem vor lauter Wut und Frust wehtun konnte – knallte es. Ein gewaltiger Ruck ging durchs Schiff, der mich sofort zu Boden riss. Das Licht flackerte. Was zur Hölle?!