Ich starrte ihn ungläubig mit offenem Mund an. Blickte auf diesen Mann, der extrem freundlich lächelte und das, obwohl er gleich vorhatte mich auszupeitschen. Also waren doch alle Menschen hier Monster? Wenn es sein Ziel war mir noch mehr Angst zu machen, als ohnehin schon, dann hatte er es definitiv geschafft. Das schien er dann auch zu kapieren ... jedenfalls zog Reznick seine Hand zurück und nahm eine gerade Haltung an.
“Verstehe, aber das ist auch nicht weiter tragisch. Eure Reaktion auf eine bevorstehende Strafe ist zudem höchst erfreulich. Furcht ist gut – daraus werdet Ihr schnell lernen und natürlich versuchen, weitere Disziplinarmaßnahmen zu vermeiden. Auch wenn es heute nicht allzu sehr schmerzen wird, darauf habt Ihr mein Wort, Eleonore. Es ist immerhin Eure erste Strafe und auch dieses Umfeld ist Euch gänzlich unbekannt. Ihr werdet Fehler machen, vollkommen automatisch. Wo ich dies gerade anspreche ... wenn Ihr Fragen zu Regeln oder auch zu den täglichen Aufgaben habt, könnt Ihr jederzeit zu mir kommen und–” “Warum ich?”, unterbrach ich ihn mit brüchiger Stimme und versuchte die sich anbahnenden Tränen zu unterdrücken. “Warum haltet ihr mich hier fest? Warum mussten meine Eltern ...”, sprach ich aufgelöst weiter und stoppte dann, als er seine Hand hob. “Ich erzähl Euch gern alles, aber nicht hier. Wir müssen los, kommt”, sprach er ruhig und streckte erneut die Hand vor.
Ich war verunsichert ... wollte definitiv nicht seine Hand nehmen und dann nackt durch die Flure oder sonst wo hinlaufen. Andererseits war hier im Bett zu bleiben auch keine wirkliche Alternative. Mein Blick ging flüchtig zur vermutlichen Badezimmertüre, hinter welcher Ludwig verschwand. Der tat mir sicherlich nicht den Gefallen, im Badezimmer tödlich zu verunglücken und würde somit zweifellos irgendwann auch wieder raus kommen. Ich schluckte bei diesem Gedanken und erstickte fast an dem immensen Kloß in meinem Halse.
“Wenn Ihr nicht von selbst aufstehen könnt, lasse ich Euch auch von einem der Angestellten tragen”, sprach Reznick schließlich auf mein Zögern hin und drehte sich herum. Er ging zu der noch halb geöffneten Türe, durch die er zuvor hereingekommen war. Im Türrahmen hielt er jedoch inne und blickte zu mir zurück. “Und? Wie entscheidet Ihr? Lieber getragen werden oder selbst gehen? Beeilt Euch bitte mit der Wahl oder ich werde diese treffen.” “Ich werde ... gehen”, brachte ich zögerlich hervor, denn ich hatte mich entschieden. Lieber ging ich mit ihm alleine, als dass er noch weitere Männer herbei rief. Vielleicht könnte ich ihn ja auch irgendwie überwältigen ... entkommen. Ich wusste es selbst nicht, wie ich das bewerkstelligen sollte, aber bei nur einem war die Chance immer noch höher zu entkommen, als alles andere. Allerdings hatte ich dabei nicht bedacht, dass meine Beine immer noch aus Pudding bestanden. Kaum dass ich versuchte, aus dem Bett zu steigen, knickten meine Füße einfach weg und ich musste mich wackelig auf der Matratze ab stützen.
Während ich mich so um einen festen Stand bemühte, eilte auch Reznick an meine Seite. Er griff unerwartet sanft nach meinem Unterarm und half mir auf. “Sicher dass Ihr selbst gehen wollt?” “Ja”, sagte ich schnell und presste das Bettzeug stärker an meine Brust, als er noch näher kam. Sein freundliches Lächeln verschwand, als er den Stoff um meinen Körper betrachtete und kurz erwartete ich, dass er deswegen schimpfen würde ... aber ich irrte. Als er mir wieder ins Gesicht sah, kam sofort das sanfte Lächeln zurück. “Wenn Ihr das Laken unbedingt mitnehmen wollt, werde ich Euch nicht daran hindern. Ihr werdet es allerdings nachher wirklich nicht brauchen, glaubt mir”, sprach er amüsiert, aber ohne dabei arrogant zu wirken, und verunsicherte mich damit umso mehr.
Wieso verhielt sich dieser Typ so gegensätzlich? Wieso war er so verdammt nett? Er wollte mich doch gleich noch auspeitschen ... Wie passte das zusammen? Ohne eine Antwort von mir abzuwarten schnappte er sich nun meine Hand und führte mich zügig zur Türe. “Verzeiht, dass ich Euch so dränge, aber die Stunden des Tages vergehen unaufhaltsam”, sprach er noch und zog mich eilig in den Flur hinaus. Zu meiner Überraschung war der Gang tatsächlich leer. Er hatte also nicht noch einige Männer vor dem Zimmer positioniert, um mich im Notfall fortzuschleppen.
Wir gingen durch weitere Korridore ... still. Nicht unbedingt weil ich keine Fragen an ihn hatte, sondern weil mein Kopf auf Hochtouren lief. Meine Augen suchten einen Ausweg – etwas, womit ich ihn überrumpeln konnte. Aber keine der dekorativen Skulpturen, an denen wir vorbei kamen, wäre handlich genug gewesen ... um ihm damit eine überzubraten.
Als wir schließlich eine prunkvolle in Stein gehauene Treppe erreichten und die ersten Stufen hinab gingen ... war ich kurz am überlegen, ihn zu schubsen. Sein Händedruck wurde allerdings im selben Zuge stärker, als ob er meine Gedanken gelesen hätte ... ich würde so definitiv mit ihm stürzen. Toll ... wobei, sollte ich es dennoch riskieren? Eventuell könnte ich mich von ihm losreißen. Ich biss die Zähne zusammen und ... verwarf es dann doch. Mit dem langen Laken, welches ich mir provisorisch um den Körper geschlungen hatte, war ich schon auf gerader Strecke des Öfteren fast gestolpert. Mit dem Ding rennen oder hier mit einem Mann kämpfen? Das würde ich sicherlich nie schaffen. Aber ... es war sonst niemand da. Kein anderer Mensch ... es wäre möglich ... es wäre ...
Dann auf einmal stutzte ich, denn wieso war sonst niemand hier? Ja, es war ein riesiges Haus, aber ... wir hatten sicherlich schon unzählige Flure durchquert und nicht mal jemanden gesehen der etwas putzte oder so ... Eigentlich war es genauso, wie bei meiner letzten Flucht. Oder bilde ich mir das nur ein? Ich sah mich weiter um – vor allem nun auch zurück, verrenkte regelrecht meinen Hals. Als wir das Ende der Treppe erreichten und kurz darauf um eine Ecke bogen, wäre ich fast gegen eine silberne Rüstung gelaufen. Nur gerade so konnte ich diesem riesigen Staubfänger noch ausweichen, oder besser ... weil Reznick meinen Weg mit einem Ruck korrigiert hatte.
“Uff!”, entwich es keuchend meinem Mund, als er mich noch weiter zog und plötzlich gegen die nächstbeste freie Wand drückte. “Du solltest nicht zurückblicken”, sprach er dann und kam mir unglaublich nahe. “Würdest du etwas hier beschädigen, führt dies unweigerlich zu weiteren Bestrafungen. Willst du das?” Ich schüttelte schnell den Kopf und hielt krampfhaft den Stoff vor meiner Brust zusammen. Ich glaube fast schon, dass er mich küssen wollte ... Gott! Er war zwar bedeutend attraktiver als Ludwig, aber dies bedeutete nicht, dass ich mich deswegen zu ihm hingezogen fühlte.
Außerdem war ich mir mittlerweile sicher, dass er mir etwas vorspielte! Ich hatte oberhalb der Treppenstufen mindestens eine Person gesehen, kurz bevor wir in diesen Gang einschwenkten ... dennoch hörte ich nun keine Schritte mehr. Nur meinen eigenen Atem und das Herz, welches mir bis zum Hals schlug. Jemand folgte uns also und blieb auf Abstand, ja! So musste es sein. Reznick wollte also nur sehen, ob ich es wagen würde zu fliehen und–
“Ja, du hast recht”, unterbrach er dann meine Gedanken und trat etwas zurück. “Hinter jeder Ecke, die wir passieren, stehen Wachen. Sie warten auf ein Zeichen von mir oder aber, dass du ihnen bei einer überstürzten Flucht in die Arme läufst.” Ich schluckte, nicht weil mich das schockierte, sonder vielmehr ... konnte er etwa meine Gedanken lesen? “Keine Angst. Ich sehe es in deinen Augen.” Hilfe ... jetzt wurde es wirklich unheimlich.
“Komm jetzt, da vorne ist es schon”, sprach er und griff diesmal nicht nach meiner Hand, sondern ging einfach alleine weiter. Irritiert sah ich ihm hinterher. Sah, wie er weiter vorne vor einer Türe stehen blieb und diese öffnete. Er blickte nicht einmal zu mir zurück, sondern tritt einfach in den Raum hinein. Völlig verwirrt blieb ich alleine im Flur stehen. Nervös knetete ich meine Hände, als auch nach weiteren Minuten nichts passierte. Sollte ich ihm folgen? Würden Männer kommen, wenn ich zu lange zögerte?
Mit rasendem Herzen blicke ich rechts und links den Flur entlang ... nichts. Vorsichtig lugte ich auch um die Ecke und sah in die Halle mit der Treppe ... ebenso nichts. Niemand war da. Ob er mich nur belogen hatte? Getäuscht, damit ich nicht floh?
Ich schluckte, denn irgendwie wirkte es. Mein Körper zitterte und ich war nicht fähig, jetzt loszurennen. Ich wusste ja noch nicht einmal, wo es zum Ausgang ging. Ein Blick aus den imposanten Rundbogenfenstern zeigte, dass ich mich im ersten Stock befand. Die Höhe würde mich nicht abschrecken, im Notfall hinaus zu klettern. Allerdings gab es keinen Riegel oder einen ähnlichen Mechanismus, um diese zu öffnen. Und ... wenn ich ehrlich darüber nachdachte, dann war es ohnehin sinnlos. Besorgt berührte ich den Ring um meinen Hals. Ludwig sprach von einem Blitz, der mich vielleicht überall treffen könnte? Lähmte ... und dann würden sie mich ja doch nur wieder einsammeln und zurückbringen.
Den Tränen nahe atmete ich einmal tief durch und ... ging dann doch zu jenem Raum, in dem Reznick wartete. Wobei nicht so, wie ich vermutete. Er saß lediglich auf einem breiten Sofa, direkt mir gegenüber und blickte konzentriert auf die kleine Tafel in seinen Händen. Erst als ich weiter in den Raum schritt, blickte er mit einem freundlichen Lächeln auf.
“Schön, das du mir freiwillig gefolgt bist”, sprach er und erhob sich. Ich bereute allerdings unweigerlich meine Entscheidung, als ich die vier langen silbernen Ketten sah, die hinter der Türe von der Decke hingen. Wie von selbst bewegte ich mich rückwärts. Noch bevor ich jedoch umdrehen und davon rennen konnte, packte Reznick meinen Arm. “Shhh keine Panik. Es ist alles gut”, versuchte er mich mit einer weichen Stimme zu beruhigen, aber er hatte gut reden! Die feinen Ketten dort waren sicherlich nicht für ihn bestimmt!
“Ich weiß. Der natürliche Fluchtinstinkt ist in jedem stark verankert ...”, begann er, als ich in seinem Griff zu zappeln begann und mich losreißen wollte, “aber es besteht gerade kein echter Grund dafür, oder? Habe ich dich etwa verletzt? Dir Schmerzen bereitet?” Nun ließ er mich los und blieb lediglich vor mir stehen, was mich nur noch mehr verwirrte. Wieso verhielt er sich so? Ich mein ... ja, er hatte mir bis jetzt nichts getan, aber ... als meine Augen erneut die Ketten bannten ... sah ich mich unweigerlich darin hängen! “Du kannst gehen. Ich werde dich nicht aufhalten, sei aber versichert, dass–” Ich hörte seine Worte zwar noch, als ich rückwärts zurück in den Türrahmen stolperte, aber danach war es um mich geschehen. Ich rannte! Lief so schnell ich nur konnte einfach den Gang entlang, ohne großartig darüber nachzudenken. Das Bettlaken musste ich dabei bis zu den Hüften hochschieben, um mich einigermaßen schnell bewegen zu können. Gott! Bitte! Wo ging es denn nur hier raus?
Da! Als ich um die nächste Ecke hetzte, fand ich endlich die Treppe ins Erdgeschoss ... Scheiße! Ich stoppte augenblicklich, denn diesen Richard kam gerade die Stufen hoch ... und er war nicht allein! “Ergreift das Weib!”, rief er und deutete mit einer gelangweilten Handbewegung in meine Richtung. Ich glaubte, mein Herz setzte aus, als nun vier massige Typen zu mir liefen. Sofort drehte ich mich um ... als ich jedoch zurück um die Kurve rannte, landete ich gleich in den starken Armen von noch so einem Typen.
“NEIN! Lass mich los!”, schrie ich schrill und trat auch mit den Füßen ... was überhaupt nichts brachte. Schlimmer noch, er fegte mir selbst die Beine weg, sodass ich unsanft auf dem Boden stürzte. “Au!”, stöhnte ich und versuchte gleich darauf aufzustehen, was dieser Mann aber mit einer Hand in meinem Nacken sowie auf dem Rücken zu verhindern wusste. “Loslassen!”, schimpfte ich weiter und keuchte vor lauter Anstrengung. Als dann die Anderen noch dazu kamen, konnte ich nicht mehr einschätzen, wie viele Hände mich schließlich auf den Boden drückten, aber es wurde schmerzlicher, je mehr ich mich zu bewegen versuchte. Mein Gestrampel und jedwedes Gefuchtel erlahmte allerdings erst, als diese Schweine auch noch das Tuch von meinem Körper rissen.
Gott! Mein Hintern wurde begrapscht! Ich kreischte schrill, was aber nicht verhinderte, dass nun auch noch raue Finger zwischen meine Beine glitten. “Lasst den Quatsch!”, hörte ich Richard nur am Rande und sah ihn auch so halb tränenverschwommen an mir vorbeischreiten. “Spart euch das. Nehmt dafür Johanna und jetzt ab!”, fuhr er fort und augenblicklich klatschte jemand derbe auf meinen Po, ehe ich emporgerissen wurde.
Wenige Handgriffe später trugen mich die Männer wie einen erlegten Hirsch an Armen und Beinen haltend ... das war so erniedrigend. Mehr noch, als jemand mir auch noch lüstern gaffend an die Brüste fasste. Ich konnte vor lauter Hilflosigkeit nur noch heulen. Völlig fertig ließ ich meinen Kopf hängen und kniff die Augen zu ... betete ... flehte endlos die Monde Cor und Del an. Versprach ihnen alles ... ganz egal was, nur damit sie mich endlich befreiten.
“Macht sie fest!”, hörte ich irgendwann Richard sowie leises Ketten klirren. Verstört blickte ich auf und fand mich natürlich in jenem fensterlosen Raum wieder, von dem aus ich gestartet war. Reznick sah ich ebenso, der erneut auf dem roten Ledersofa Platz genommen hatte. Er schwenkte gelassen ein Weinglas in seiner Hand, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
“War's das nun mit Euren langatmigen Spielchen?”, fragte Richard knurrig, während man mir Manschetten um die Handgelenke zurrte. Erst dachte ich, er meinte mich, aber er wandte sich ganz offensichtlich an Reznick. “Man wird es doch noch höflich versuchen dürfen”, erwiderte dieser und trank einen Schluck. “Dann kann ich sie also jetzt auspeitschen? Sie ist Euch schließlich, wie zu erwarten, weggelaufen.” “Keine Einwände”, folgte prompt die Antwort und nun fanden seine braunen Augen die meinen.
[Auch hier wieder ein großes Dankeschön an Darklover für die Rechtschreibhilfe :>]