“Deinem Freund ging es vorhin noch den Umständen entsprechend gut, aber. Wer weiß. Vielleicht wird mit ihm jetzt schon intensiv gespielt ...”, sprach Richard amüsiert und legte das Tablet auf den Tisch. Schwenkte mehrmals leicht seine Tasse und nahm anschließend einen großen Schluck von dem Getränk. Er genoss es sichtlich, mich mit dieser vagen Aussage zu verunsichern. So ein Arsch!
Ich ballte die Hände. Dass ich nicht wusste, was mit Zerian war, machte mich fertig. Ich hatte ihn doch gerade erst aus einer qualvollen Gefangenschaft befreit. Allein der Gedanke, dass man ihn erneut aus Spaß folterte – nein. Ich atmete tief durch. Versuchte, irgendetwas von Zerian zu spüren. Aber leider war diese seltsame Verbindung zwischen uns noch immer wie ausgeschaltet. Ich fühlte nichts als meine eigene Unruhe. Ob er noch bewusstlos war? Hoffentlich. Andernfalls bedeutete es – nein. Er lebte noch, dessen war ich mir sicher. Er musste einfach leben!
“Dein Gesichtsausdruck spricht Bände. Bedeutet er dir wirklich so viel? Wie amüsant.” Richard lachte spöttisch auf – jedenfalls so gut es ihm durch die gebrochene Nase möglich war. “Sich um jemanden zu sorgen ist nicht lustig!”, erwiderte ich wütend und verfluchte mich zugleich selbst dafür. Ja. Er spielte nur mit meinen Gefühlen und ihn dahingehend noch zu unterstützen, brachte mich nicht weiter. Würde mich nur tiefer in diesen Strudel aus Angst und Verzweiflung ziehen. Aber. Ich musste stark sein! Für mich und für Zerian.
“Zu süß ...” Er stellte seine Tasse ab und griff stattdessen wieder nach dem Tablet. “Möchtest du vielleicht, dass ich ihm die Haut abziehen lasse?” Ich versteifte. Schlagartig hatte ich Bilder von schreienden Sklaven vor Augen. Wie oft hatte er mich bei diesem abscheulichen Werk zusehen lassen? Wie oft selbst mit dem Messer in meine Haut gestochen?
“Bitte tu ihm nichts ...”, flüsterte ich und schluckte an den Tränen, die unweigerlich in mir aufsteigen wollten. Ich ertrug diesen Gedanken nicht, dass er ihn foltern – nur wegen mir quälen wollte. “Dann komm her!” Mit einer flüchtigen Handgeste deutete er vor sich auf den Boden. Ich gehorchte. Schritt auf ihn zu, während in meinem Kopf eine grausame Vorstellung die nächste jagte.
Ich hielt das nicht aus. Egal, was Reznick geplant hatte – ich war dafür nicht stark genug. Hilflosigkeit schnürte mir auf brutale Art und Weise die Kehle zu. Angst zermürbte Stück für Stück meinen Verstand. Ich hatte noch nie etwas geliebt. Nie etwas in mein Herz gelassen, damit man es mir nicht wegnehmen konnte. Und jetzt? Allein diese Androhung, Zerian etwas anzutun, reichte aus, um mich innerlich tausend Tode sterben zu lassen. Ich fühlte mich verloren. Vollkommen machtlos. Und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. Außer – gehorchen.
Ich stellte mich zittrig vor den Sessel, in welchem Richard selbstsicher thronte. Fühlte mich wieder, wie sein unbedeutender Sklave. Als hätte sich nie etwas geändert.
“So ist es brav. Und jetzt, wirst du das hier unterschreiben.” Er hielt mir das Tablet hin sowie einen passenden Stift dazu. Verunsichert nahm ich beides entgegen. Blickte auf ein seitenlanges Dokument, welches auf dem Bildschirm angezeigt wurde.
“Eine Annullierung?”, fragte ich verwundert und überflog eilig die ersten Zeilen. Es war in einem schweren Paragraphen-Wirrwarr geschrieben, aber inhaltlich verstand ich es einwandfrei. Ich sollte die Verlobung von Reznick aufheben. Nur warum?
“Ja. Ganz recht. Du wirst dieser mündlichen Verlobung entsagen. Beim Hohen Rat wurde sowieso noch kein Antrag eingereicht und auch nichts in der Datenbank hinterlegt, was deine Heirat betrifft. Dieser Reznick ... Er hatte nie vor, dich wirklich zu ehelichen. Das muss dir doch klar gewesen sein. Und damit wieder Ordnung zum Wohle aller herrscht, unterschreibst du jetzt dieses Schriftstück. Sobald das erledigt ist, bleibt natürlich noch dieses Problemchen mit deinem Namen. Wir müssen deswegen zurück zur Familie ... zur Augiron der Aschengards. Ich erhielt eine dringende Vorladung, was bedeutet, dass wir noch heute abreisen.”
Ich schluckte. Zur Augiron der Aschengards? Das war die Person mit dem höchsten Rang in dieser Familie. Von der Wichtigkeit her stand sie gleich unter dem König. Ich bezweifelte, dass es gut wäre, dort hinzugehen. Und vor allem. “Was wird dann aus Zerian?” “Zerian? Heißt er so? Hm ... Der Glaube Zerian, der Mondgott oder nein. Er ist der Elementar aus Wasser und Eis. Es ist viel zu gefährlich, ihn frei rumlaufen zu lassen.” Er schmunzelte. “Unterzeichne erst einmal und ich werde sehen, was ich für deinen sehr speziellen Freund tun kann.”
Ich scrollte schnell bei dem Dokument bis nach unten und – zögerte. Hier gab es noch einige Zusatzvermerke, die nichts mit meiner Verlobung zu tun hatten. Das zu unterschreiben bedeutete, meine Rechte abzulegen. Mich ihm ganz und gar zu unterwerfen.
Besorgt ging mein Blick zur Seite. Auf dem Sofa neben ihm lag ein Stapel Kleidung. Schlicht. Glanzlos. Stoffe in einem dunklen Grau, wie sie Sklaven auf einem Markt tragen würden. Dazu passend ein ledernes Halsband. Er wollte mich ganz offensichtlich erneut zu einer willenlosen Puppe machen.
“Kannst du dir das leisten, so lange zu überlegen? Je länger du wartest, desto schlechter geht es deinem Zerian.” Meine Augen ruckten zu ihm. Er grinste breit und saß da wie ein König. Musterte mich triumphierend, als wäre ich nur ein Ding aus einer edlen Sammlung, das er bald wieder besitzen würde. Besitz. Sein Besitz. Sein Spielzeug. Nur darum ging es hier.
Aber. Etwas passte nicht. Wenn er Zerian doch hatte, warum drohte er dann nur? Warum erpresste er mich nicht direkt mit einer Echtzeitübertragung von seinem Leid? Mit Bildern von der Folter? Weil er es nicht kann. Ich stutzte. Unmengen an Besitzregeln rauschten durch meinen Verstand. Verunsichert darüber blickte ich aufs Tablet und klickte mich durch das Hauptmenü. Überprüfte, was zu den einzelnen Personen in der Datenbank vermerkt war. Leider wurde nur Reznick als derzeitiger Gefangener aufgelistet. Mein Herz raste. Was hatten sie bloß mit Zerian gemacht?
Nervös überflog ich jeden weiteren Eintrag. Und. Fand ihn schließlich unter den Wertgegenständen. Ein Gegenstand – mehr war er nicht mehr. Sicher eingelagert in einer Stasekapsel und aktueller Höhepunkt einer virtuellen Versteigerung. Ich konnte es nicht fassen.
“Du kannst den Text noch so oft lesen, wie du willst, aber beschwere dich nachher nicht bei mir, wenn von ihm nichts mehr übrig sein sollte.” Es folgte ein Lachen, das diabolischer nicht hätte sein können. Aber ich verspürte keine Furcht deswegen. Nein. Unverdünnter Zorn brodelte durch meine Adern – zerfraß sämtliche Ängste und Zweifel.
“Ihr wisst doch gar nicht, was mit ihm passieren wird! Ihr wurdet bei der Auktion längst überboten!”, sprach ich wütend und hielt ihm das Tablet vor die Nase. Seine Augen wurden groß und sämtliche Freude verschwand schlagartig aus seinem Gesicht.
“Was erlaubst du dir?! Du sollst endlich dieses dämliche Schriftstück unterschreiben!” “Einen Teufel werde ich tun!” Ich warf ihm das Gerät samt Stift vor die Füße. “Zerian ist kein lebloses Ding! Und außerdem hat der Graf kein Recht, ihn einfach so zu verkaufen! Er gehört ihm nicht!” Ja. Wenn ich eins wusste, dann diese abartigen Regeln.
“Wie redest du denn mit MIR!?”, brüllte er nun ebenso zornig, musste sich aber sofort danach wimmernd an die Nase fassen. Fluchte vor Schmerz, aber das kümmerte mich nicht weiter. Ich drehte herum und sammelte meine Kleidungsstücke wieder auf.
“Hey! Was wird das? Wo willst du hin?!” Er hastete mir nach, als ich anschließend das Bad ansteuerte. Packte mich grob am Arm. “Ich rede mit dir!” “Aber ich nicht mit Euch. Lasst mich los”, erwiderte ich ruhig und gefestigt. Er durfte mir schließlich hier nichts antun. Seine Anwesenheit zu erdulden war das eine, aber etwas ganz anderes, sollte er handgreiflich werden. Das Anwesen oder gar die ganze Parzelle stand unter Beobachtung, sobald sich ein Rea darin aufhielt. Der Hohe Rat würde bei einem Verhaltensverstoß umgehend eine Strafe in die Wege leiten. Dessen würde er sich nicht entziehen können.
“Vorsicht ...”, sprach er nun bedrohlich leise und trat dichter an mich heran. “Ich würde mir an deiner Stelle sehr gut überlegen, was–” “Gar nichts muss ich mir überlegen”, unterbrach ich ihn und entzog mich seinem Griff. “Reznick mag durch seine Verfehlungen aktuell als Sklave gelten. Ich aber nicht. Ich weiß–” “Halt deinen vorlauten Mund! Du wirst jetzt unterschreiben, ich befehle es!”, zischte er wutschnaubend, was mir aber nur einen unangenehmen Schauer durch den Körper jagte. Sonst passierte nichts. Zum ersten Mal in meinem Leben reagierte ich nicht auf diese Worte – auf ein Befehl von ihm.
Das schien ihn dann auch richtig zu treffen. Ungläubig weiteten sich seine Augen. Geradezu schockiert wurde sein Gesichtsausdruck. “Geh auf die Knie und zeige allen, wem du wirklich gehörst! Los GEHORCHE! Du bist mein Sklave!” Ich zuckte unbekümmert mit den Schultern. “Nicht mehr.” Mit dieser Aussage ließ ich ihn stehen und ging ins Bad – direkt zu Charlotte, die etwas verloren in der Ecke stand. Verunsichert blickte sie mich an.
“Teile bitte dem Grafen unverzüglich mit, dass er die Folter meines Verlobten Reznick sofort zu unterbinden hat. Ich allein entscheide über seine Bestrafung. Außerdem muss er die Auktion mit dem Mondgott beenden. Der Mann in der Stasekapsel gehört ihm nicht. Er ist nämlich mein Sklave.” Das zu sagen tat weh und auch Charlotte sah mehr als nur überrascht aus. Ausgerechnet ich hatte einen Sklaven. Ja. Zerian als mein Eigentum zu bezeichnen, war falsch, aber es musste sein. Nur so konnte ich ihn retten. Niemand würde diese Behauptung wegen dem Absturz überprüfen oder widerlegen können. Es war perfekt.
“Sag dem Grafen, dass die Daten meiner Besitzrechte auf dem Schiff sind. Er soll ruhig in den Trümmern danach suchen.” Mit etwas Glück würde ihn das sogar lange genug beschäftigen. “Ich werde auch gleich selbst zu ihm gehen ...” Ich hielt inne. Überlegte. Hatte ich etwas vergessen? Nein. In meinem Kopf fand sich keine Regel oder Äußerung, die ich nicht berücksichtigt hatte.
“Kündige mich bitte schon mal an, ja? Beeile dich!” Sie nickte und lief hurtig aus dem Bad. Richards zornige Stimme hallte keine Sekunde später aus dem Wohnzimmer. Ich stöhnte genervt. Sicherlich bekam Charlotte jetzt seine Wut ab. Dieser blöde Arsch. Wieso konnte er nicht einsehen, hier nicht gewinnen zu können?
Mit zusammengebissenen Zähnen warf ich den Kleiderhaufen auf einen nahestehenden Stuhl und ging ebenfalls zurück. Wie zu erwarten hielt er Charlotte am Oberarm, sah mich wütend an und zwang sie anschließend auf die Knie.
“Leck meine Stiefel, du wertloses Ding!”, brüllte er, ohne dabei den Blick von mir zu lassen. Das sollte wohl auch etwas in mir auslösen. Tat es aber nicht. Natürlich wusste ich noch ganz genau, dass ich auf diesen Wortlaut immer reagiert hatte. Jedoch außer diesen schlimmen Erinnerungen war da nichts mehr in mir. Kein Verlangen ihm zu gehorchen. Vielmehr fühlte ich mich befreit. Dafür schuldete ich Heka, Reznick und Zerian unendlichen Dank. Sie alle hatten mich verändert. Andernfalls würde ich da jetzt vor Richards Füßen knien und nichts weiter als ein Sklave sein.
“Was soll das? Charlotte ist als mein Bote unterwegs und muss daher keine anderen Befehle befolgen. Sie untersteht mir. Mir, Zar’Rea Johanna Aschengard! Ihr solltet sie sofort loslassen, andernfalls reiche ich diese Verfehlung an den Rat weiter.” Seine Augen schienen mich erdolchen zu wollen, trotzdem gehorchte er. Ließ sie widerwillig los.
“Verschwinde!”, zischte er, wodurch Charlotte hektisch nickte und anschließend aus dem Zimmer rannte. “Ihr solltet jetzt auch verschwinden. Ich bin eine Adlige – eine Rea und damit habe ich unumstößliche Rechte, die Ihr mir nicht nehmen könnt. Egal, wie sehr Ihr tobt.” Von meinen Worten wurde seine Miene nur noch finsterer, aber sollte er sich ruhig darüber ärgern. Es verschaffte mir sogar eine gewisse Freude.
Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, drehte ich herum und verschwand im Bad. Feuerte meinen Mantel in die Ecke und probierte nacheinander die verschiedenen Kleidungsstücke an. Leider passte nichts wirklich gut. Alles war mir viel zu groß. Oder aber für Frauen gemacht, die deutlich größere Brüste besaßen.
Letztlich entschied ich mich für eine weiße perlenbesetzte Bluse, die mir bis zu den Knien reichte. Dazu ein langer schwarzer Rock, welchen ich notgedrungen selbst schneiderte. Mit einer Nagelschere und dem dehnbaren schuppigen Stoff einer Hose klappte das auch ganz gut. Ich schlüpfte in das abgeschnittene Hosenbein – und fertig war mein Adelskostüm.
Im Spiegel sah alles zusammen schon recht seltsam aus, aber wenigstens konnte ich so die Etikette erfüllen. Schwarz und weiß umhüllte meinen Leib – die passenden Hausfarben der Aschengards. Das Material war zudem im Großen und Ganzen unverfänglich. Nur Schuhe hatte ich keine im Schrank gefunden, aber die brauchte man auch nicht zwingend.
Tief durchatmend verließ ich schlussendlich das Badezimmer. Ignorierte Richard, der wieder in seinem Sessel saß, und schritt zur Tür. Keine Sekunde später starrte ich allerdings auf die Klinke, welche sich zwar herunterdrücken ließ, sonst aber nichts passierte. Hatte er etwa abgeschlossen?
Wütend drehte ich mich zu ihm. “Was soll das? Lasst mich sofort raus!” “Und was, wenn nicht?” Ich runzelte die Stirn. Jetzt wurde er wirklich kindisch. “Ihr dürft mich nicht einsperren. Das verbieten ...” Meine Augen wurden groß. Vor ihm auf dem Tisch konnte ich einen kleinen silbernen Würfel erkennen, der rhythmisch in einem grellen Blau erstrahlte. Ich hatte diese Technik zwar noch nie gesehen, wusste aber sofort, dass es sich dabei um einen Störsender handelte.
Mein Herzschlag beschleunigte. Er hatte die Überwachung deaktiviert. Aber. Das war verboten! Wollte er mich jetzt etwa gewaltsam zwingen, dieses Dokument zu unterzeichnen? Das verstieß gegen alles, was ich bezüglich der Regeln wusste. Und schlimmer noch – ich hatte keine Idee, was man dagegen unternehmen konnte.