Adele atmete einmal tief durch und führte zitternd die Finger zu den Knöpfen ihrer Bluse. Grinsend überwand ich den Abstand zwischen uns und stellte mich dicht hinter sie. Grob packte ich ihre Hüfte und stieß mein Becken einmal kräftig gegen ihren Hintern. Eine eindeutige Geste, die ihr sofort eine Gänsehaut bescherte. Es war jedoch keine Lust, die ihren Körper erschaudern ließ. Nein. Ich selbst spürte immer stärker werdende Abscheu – richtigen Ekel, was aber kein Vergleich zu dem sein dürfte, was sie fühlte.
“Ich warte ...”, raunte ich in ihr Ohr, beschloss dann aber, dieses Spiel zu beenden. Ich hatte meinen Spaß und mehr Zeit wollte ich damit nicht verschwenden. Ruckartig drehte ich sie herum, fegte das Buch beiseite und knallte ihren Rücken auf die Tischplatte – hielt sie unter mir gefangen.
“Na? Was ist es, was du fühlst? Etwa ein entsetzliches Stechen in der Brust? Unerklärliche Übelkeit? Einen seltsamen innerlichen Zwiespalt, der deinen Körper sowie deinen Verstand zu zerreißen droht? Was auch immer es ist, du bist nicht fähig, dich jemals wieder einem anderen hinzugeben. Aber. Darauf wirst du vermutlich schon selbst gekommen sein. Zwar kenne ich die genauen Gepflogenheiten bei der Regeere nicht, aber auch dort wird es regelmäßige Feierlichkeiten mit den typischen ausschweifenden sexuellen Interaktionen geben, nicht wahr? Das ist es schließlich, was die Rea brauchen. Was uns ausmacht. Sex und Gewalt, um der Abgestumpftheit zu entgehen.” Ihre großen blaugrauen Augen starrten mich an. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen. Ihre Finger umfassten noch immer krampfhaft den Stoff ihres Oberteils. Amüsant.
“Du bist bei der letzten Veranstaltung nur der Etikette wegen da gewesen und hast dich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit davongestohlen, stimmt’s?” Sie schluckte. Volltreffer. Es war aber auch leicht, sie zu lesen. Ihr Herz raste mittlerweile und nur flach ging die Atmung.
“Woher ... wisst Ihr davon?” Ich rollte mit den Augen und erhob mich seufzend von ihr. Woher ich das wusste, war doch vollkommen unwichtig. Allein der Name ihres Kerls hatte jetzt noch eine Bedeutung.
“Meine Zeit ist begrenzt”, gab ich ihr gelangweilt zu verstehen und steckte den Hex-Würfel in den kleinen Spalt zweier Knöpfe der Bluse – direkt in ihr Dekolleté. Das verwirrte sie enorm. Sicherlich hatte sie mit weiteren brutalen Übergriffen und einem darauffolgenden rücksichtslosen Fick gerechnet. Normalerweise hätte ich sie auch länger in diesem Glauben gelassen und mich an ihrem Unwohlsein erfreut, aber es ging nicht. Dezeria wurde jeden Moment wach und da brauchte ich so viel nervliche Kapazität wie möglich.
“Ich sag dir jetzt, wie das hier laufen wird, Adele. Du wirst bei dir einen Gesundheitscheck durchführen. Selbstverständlich keine Tec, die mit irgendeinem System verbunden ist. Du wirst gesondert nach dem hCG-Wert suchen. Nachdem du dich von dem erhöhten Schwangerschaftshormon selbst überzeugt hast, wirst du umgehend mit deinem Stecher Kontakt aufnehmen. Er soll sich bei mir melden. Ich muss hoffentlich nicht erwähnen, dass du bei all diesen Dingen den Hex-Würfel konstant eingeschaltet lässt. Sollte irgendjemand mitbekommen, dass du ein Kind in dir trägst, landest du beim Verschlingen. Das kann ich dir garantieren.”
Sie erhob sich langsam und dachte stirnrunzelnd über meine Worte nach. Ungläubig berührte sie dabei ihren Bauch. Der Gedanke eines echten Kindes schien ihr noch immer zu absurd. Verständlich. Hielt sich doch dieses Lügengebilde der Machtsysteme bereits über unzählige Jahrtausende. Selbst ich hatte zu Beginn die Geschichten der Rea geglaubt, bis meine Liebste mir die Augen öffnete.
“Das ist verrückt ...” Adele holte den Hex-Würfel aus ihren Möpsen und starrte ihn an. “Kinder werden von den Augonen erschaffen, alles andere ist unmöglich. Allein die Nonres oder Dusitt können gebären.” Ich seufzte innerlich. Gegen dieses festgesessene Gedankengut zu argumentieren, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dennoch. Ich hasste es, wenn jemand an diesem Irrglauben festhielt.
“Unsinn! Dies wurde lediglich durch die Überperfektionierung abgeschafft. Wir gaben die Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen, für das Auwolast auf. Mag sein, dass dieses kollektive Bewusstsein viele Dinge vereinfacht, aber es ist für die höheren Rea lediglich ein Kontrollmittel und unser Volk ist zu dumm, um dies zu begreifen. Das es zudem niemand hinterfragt, warum ausgerechnet niedere Sklaven schwanger werden können, ist mir ein Rätsel.”
“Dem Auwolast zu entsagen ist verrückt ...”, flüsterte sie und sah mich an. Unentschlossen. “Ihr denkt, es ist eine ausgeklügelte Manipulation?” Äußerlich ließ ich mir nichts anmerken, war jedoch überrascht über diese Frage. War sie am Ende doch nicht so dumm, wie ich vermutete? “Selbst wenn das wahr wäre, so wird die Bewegung der Oht’esch dennoch nie bei der Mehrheit Anklang finden. Niemand will sich von seinem Blut trennen und als Puppe weiterleben. Modifikationswahn hin oder her. Eure Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt.”
Gelangweilt winkte ich mit einer abwertenden Geste ab. “Spar dir deinen Atem. Es steht dir frei, den Hex-Würfel zu nutzen oder es eben zu lassen. Mach doch was du willst.” Ich warf einen letzten Blick auf ihr Buch, bevor ich mich herumdrehte und den Weg Richtung Hangar einschlug. Es wurde Zeit.
“Auf dann. Genieße dein Leben, solange du noch kannst.” Ich ließ sie allein. Es kümmerte mich nicht, was aus ihr wurde. Sollte sie doch den Augonen zum Opfer fallen. Sie wäre nicht die erste, die ich auf diese Weise verlor. Ihr Tod würde mir keine Gewissensbisse bereiten. Ich hatte ihr die Möglichkeit gegeben, zu leben. Es war allein ihre Entscheidung, diese auch anzunehmen. Dem Wunsch meiner Liebsten sollte damit genüge getan sein.
Es war lediglich schade um den fremden Elementar. Er musste sich den Körper eines hochrangigen Reas angeeignet haben und das wiederum konnte nur bedeuten, dass er nicht nur Grütze in seinem Kopf hatte. Sicherlich besaß er ein dementsprechendes hohes Alter und Macht. Das weckte meine Neugier.
Vermutlich einer aus dem Bereich der Lataff. Vielleicht brauchte ich Adele gar nicht, um seine Identität herauszufinden. Es war ein leichtes, die militärischen Datenbanken zu durchforsten und eine Liste mit den aktuellsten Kriegsschauplätzen zusammenzustellen. Es konnte nicht allzu weit zurückliegen und musste ein Ereignis gewesen sein, wo der Tod einzelner nicht sofort aufgefallen wäre.
Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir. “W-wartet!” Zweifellos Adele, aber mich kümmerte nicht, was sie noch zu sagen hatte. Ich war hier fertig und dachte nicht im Traum daran, jetzt anzuhalten. Die Kopie musste nur noch in meinen Gleiter. Die integrierte KI würde die Maschine vollautomatisch nach Hause steuern, während ich den Bot unauffällig lösen konnte.
“B-bitte so wartet doch!” Sie eilte schließlich keuchend an mir vorbei und blockierte den Weg. “Ich ... Ich weiß von Verfahren, w-wo die Augonen nicht genehmigte Todesurteile verhängt hatten. Die Regeere kam gar nicht dazu, eine normale Rechtsprechung bei den betreffenden Reas durchzuführen. Es sind zwar nur Einzelfälle, aber ... Dies würde auch mir passieren, nicht wahr?” Emotionslos blickte ich auf sie herab. Die Frage war dumm. Natürlich würde auch sie heimlich assimiliert werden. Jeder der von ihrer Schwangerschaft wusste, ereilte dieses Schicksal.
“Warum antwortet Ihr nicht?” Sie runzelte die Stirn, dann schien ihr aber ein Licht aufzugehen. “Ah! Natürlich!” Sie kramte hektisch den Hex-Würfel aus ihrer Tasche hervor. Er war noch immer eingeschaltet. Na wenigstens so viel Verstand besaß sie.
“Ich habe bereits alles gesagt.” Pech nur, dass ich mich nicht länger mit ihr befassen wollte. Unterbrochene Kommunikation hin oder her. Dezerias Herzschlag normalisierte sich. Wenn sie erwachte, brauchte ich die Kapazitäten dieser Kopie. Dringend.
“Verstehe ...” Sie atmete einmal tief durch, bevor sie ihr Buch aufschlug und es mir überraschenderweise hinhielt.
Die leicht schimmernde Schrift war im ersten Moment nicht zu entziffern. Erst als sie mit ihrer Fingerspitze an der oberen Ecke eine kreisende Bewegung vollführte, wurde aus dem Buchstabensalat verständliche Worte. Sätze. Richtige Illustrationen, die bis ins kleinste Detail den Prototypen einer Waffe aufzeigten. Äußerst faszinierend.
“Das haben die Augonen bei der letzten geschlossenen Zusammenkunft in Auftrag gegeben. Es war eine Genehmigung der Regeere nötig, da diese Waffe Essenz als Antrieb verwendet. Ich denke, sie ist dafür bestimmt, um gegen Euch eingesetzt zu werden.” Ich sah es selbst. Das Ding war so konzipiert worden, dass es lähmen und – was? Gefrieren konnte? Daher also das verstärkte Interesse an Dezeria. Sie glaubten, ihre Essenz wäre perfekt. Zum Glück ahnten sie nicht, wie perfekt.
Ich seufzte innerlich. Man mochte mich weder töten, noch betäuben können, aber Eis könnte definitiv lästig werden. Es war nicht verwunderlich, dass sich Verena etwas einfallen ließ, um mich irgendwie loszuwerden. Und sei es nur als gefrorener Eisblock in ihrer Sammlung. Die Frau besaß ebenso viel Wahnsinn, wie ich und hatte meine Abweisung zu einer Partnerschaft nie ganz verkraftet.
“Warum gibst du mir diese Informationen?” Selbstverständlich kannte ich die Antwort. Angst. Adeles Gesichtsausdruck hatte einen Hauch von Sorge angenommen. Zweifel. Sie wusste, wenn ich Recht behielt, würde niemand ihr helfen, außer mir. Es war clever, sich wenigstens ein Stückchen meines Wohlwollens zu sichern. Natürlich hätte es auch ein Trick oder eine Manipulation ihrerseits sein können, aber das fühlte ich nicht. Eigentlich war es auch egal. Die Zeit würde es zeigen. Wie so oft.
“Weitsicht. Wenn Ihr tatsächlich nicht nur aus Langeweile handelt ... Ich würde Euch gern glauben.” Sie schloss das Buch und strich ehrfürchtig über ihren flachen Bauch. “Wenn Ihr mich belügt, verliere ich nur mein Amt. Wenn nicht, werde ich sterben.”
“Wohl wahr. Also ... wie lautet der Name von deinem Kerl?” Sie biss sich nervös auf die Unterlippe. Ich verstand sofort. Er hatte ihr sicherlich angedroht, sie nie wieder zu besuchen, wenn sie ihn verraten würde. Wie amüsant. Wenn sie nur wüsste, dass es ihm gar nicht möglich war, sich lange von ihr fernzuhalten.
“Gleich nachdem ich meine Vitalwerte überprüft habe und ... das mit mir stimmt, werde ich ihm Bescheid geben, in Ordnung?” Ich lachte auf. Der Elementar hatte sie echt gut in der Hand. Ob meine Liebste mir auch so hörig sein würde, wenn wir vollständig verbunden waren?
“Mach doch was du willst. Es ist mir gleich.” Desinteressiert ging ich an ihr vorbei. “Ich habe keine Zeit, um mich weiter mit dir zu befassen.”
“U-und was ist mit den Augonen? Was werdet ihr tun, jetzt wo ich Euch das mit der Waffe gezeigt habe?” Ich hielt inne und drehte leicht den Kopf.
“Was ich tun werde?” Ich lächelte spöttisch. “Vorerst gar nichts. Wenn dir so viel daran liegt, kümmere dich doch selbst darum.” Was dachte sie, mit wem sie hier sprach? Als würde ich irgendwen in meine Karten blicken lassen.
“Wie gar nichts? Aber wieso? Ihr wisst ganz genau, dass ich nichts unternehmen kann. Die Regeere ist neutral. Uns steht es nicht zu, eine Seite zu wählen. Wir sind das Gleichgewicht!” Mein Lächeln blieb. Was wusste sie schon. Naives Ding.
“Es gibt kein Gleichgewicht. Keine Neutralität. Für niemanden. Die Regeere ist Gesetz und das Gesetz richtet sich nach denen, die Herrschen. Nicht mehr und nicht weniger.” Damit ließ ich sie stehen. Überwand die letzten Meter zu meinem Gleiter und stieg ein. Adeles Informationen waren sehenswert gewesen, mehr aber auch nicht. Es änderte vorerst nichts an meinen Plänen.
Erschöpft aktivierte ich die KI und sah dabei zu, wie die Maschine startete. Keine Sekunde später schloss ich die Augen und löste die Kopie. Endlich. Es tat gut, wieder einen Teil meiner Selbst zurückzuerhalten. Mit den übrigen fünf Splitterungen konnte ich leben.
“Wünscht Ihr noch einen Trunk, werter Re’Nya’Ca Fyl. Leopold Weckmelan?” Träge wanderte mein Blick zu der Bediensteten. Anschließend betrachtete ich mein leeres Glas und dann Dezeria, die noch in meinem Bett ruhte, aber sich bereits rührte. Erwachte.
“Ja.” Ich erhob mein Trinkgefäß, welches sie sofort befüllte. “Stell die Karaffe am besten auf den Tisch und dann verschwinde.” Dezeria sollte keine Ablenkung durch diese Puppen erfahren. Sie sollte sich ganz auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Ich war schon gespannt, wie sie auf meine kleine Inszenierung reagieren würde.