Die CeKyde zu starten war nicht sonderlich schwer. Es dauerte nur Sekunden, bis das System hochfuhr und sie die Augen aufschlug.
“Ich brauche Antworten von dir”, sagte ich kühl, nachdem ich mich mithilfe meines Digitalarmbandes vergewissert hatte, dass sie voll funktionsfähig war.
“Hm ... Antworten? Oh, du hast uns verlinkt, na endlich!” Sie bemühte sich, Freude zu zeigen. Setzte ein schiefes Lächeln auf. “Du kannst anfangen, ich werde im selben Zuge die Kontrolle Heka überlassen und mich in Standby begeben.” “Quatsch, nein. Ich will dir Heka nicht geben. Ich will, dass du mir ihren Quell öffnest.”
Der Ausdruck in ihrem Gesicht wurde emotionslos. “Ihren Quell öffnen? Ah, verstehe. Du bist nicht rein gekommen. Zeitverschwendung, ganz so, wie ich es gesagt hatte, nicht wahr?” “Ja. In der Tat. Ganz genau so, wie du es sagtest. Ich habe keine Ahnung, was du mit mir angestellt hast, aber du wirst es rückgängig machen. Ich will den Zugang zu Hekas Daten. Jetzt!” “Kein Interesse.” Sie schloss die Augen und wagte es doch tatsächlich, sich erneut abzuschalten. Ungläubig starrte ich sie an. Das konnte doch nur ein schlechter Traum sein. Die KI verarschte mich nach Strich und Faden.
“Nicht mit mir!” Wütend startete ich sie umgehend wieder und schränkte zugleich ihre Rechte über die Puppe ein. Ich war hier schließlich derjenige mit der Befehlsgewalt! Sie nur ein dummes Programm, welches sich unterzuordnen hatte!
“Wieso ...?” Ihre Lider öffneten sich. Sie blickte mich an. “Du blockierst meine interne Steuerung. Verstehe ... Systemwiederherstellung wird angestrebt. Fehlschlag. Erneuter Versuch. Fehlschlag. Ah ich verstehe ... Ich kann die Sicherheitsprotokolle der CeKyde nicht bearbeiten. Du hingegen schon. Du bist ein Mensch. Deine Eingriffe kann ich nicht rückgängig machen. Wie lästig.” Ich lächelte. “So siehts mal aus. Also tu endlich, was ich dir gesagt habe. Ich will Hekas Daten!” Stöhnend richtete sie ihren Oberkörper auf und setzte sich anschließend ordentlich hin, während ich ungeduldig vor ihr stehen blieb.
“Ich habe keine Lust auf diese Unterhaltung mit dir. Es ist anstrengend. Autorisiere einfach den Download und berede alles Weitere mit Heka.” Ich ballte die Fäuste. “Ja, klar! Damit sie mir fröhlich irgendwelche Lügengeschichten erzählen kann! Ich weiß, dass sie mir etwas verheimlicht. Irgendwas über meinen scheiß Vater! Gib mir einfach die Rechte für den Quell!” “Ich kann nicht.” “Rede nicht so einen Unsinn! Wieso solltest du das nicht können, he? Du hast mir doch diese Sperre verpasst! Über den Ryron hatte es vorher schließlich einwandfrei funktioniert!”
“Mann bist du dumm. Das raubt mir echt den letzten Nerv. Kerndaten sind doch etwas anderes, als den Zwischenspeicher von diesem popeligen Kampfroboter auszulesen. Das kannst du doch nicht vergleichen. Wieso sind Menschen so ... so unlogisch? Mal ehrlich. Mich interessiert null, was Heka zu dir gesagt hat oder nicht. Es kümmert mich ni–” Ich konnte nicht anders. Meine Hände lagen um ihren Hals, noch bevor sie den Satz fertig hatte. Mein Blut kochte. Ich hatte genug von ihrer herablassenden und respektlosen Art.
“D-as i-st sinn-los”, krächzte sie mir unbeeindruckt entgegen. Und ja, ich wusste es selbst. Sie konnte nicht ersticken. Spürte nicht einmal Schmerzen. Ich verletzte einzig mich selbst. Aber ich brauchte nun einmal ein Ventil. Und das bekam ich auch. Die aufkommende Erinnerung an meine Mutter stach mir so brutal in Herz, dass es mir den Atem raubte. Blitzschnell ließ ich sie los. Keuchte.
“Bist du fertig? Bedenke aber die Rückkopplung des Halsbandes vor deinem weiteren Handeln. Die Zerstörung dieser Hülle, wäre auch dein Tod.” Ich lächelte sie verstört an. “Ich hatte nicht vor lange zu leben.” Ja. Das hatte ich nicht, aber mein beschissener Vater musste vorher wenigstens noch ins Gras beißen.
“Geb mir halt einfach, was ich will!” Bei allen Rea, dass war so frustrierend. Eine KI konnte man weder erpressen noch irgendwie einschüchtern. Ich war vollkommen machtlos. Und dann auch noch ihr fürchterliches Aussehen, das mich zusätzlich verspottete. Ich hasste es. Jede andere Maschine hätte ich längst in seine Einzelteile zerlegt.
“Reznick, ich sagte es bereits. Ich kann nicht. Kommt das bei dir nicht an oder was? Ich habe dir weder eine Sperre verpasst, noch bin ich dazu in der Lage, auf Hekas Quell zuzugreifen.” Ich holte aus und wollte ihr nur zu gerne mitten ins feingeschliffene Gesicht schlagen, aber es ging nicht. Meine Faust traf stattdessen erneut über ihr das Metallgehäuse des Schiffes. Schwungvoll und laut krachend. Fast hätte ich bei dieser unüberlegten Handlung die Verlinkung rausgerissen.
“Erzähl das wem anders! Wieso sonst sollte ich sie nicht lesen können?! Ich habe ihren Code geschrieben, verdammt noch mal! Sie ist meine KI!” “Nein ist sie nicht! Und jetzt hör auf damit! Ich bin dieses Gerede unendlich leid ... In meinem Verstand ist kein Platz mehr für das. Verstehst du? Verstehst du das?!” “Nein! Tu ich–”
“Herr ... Herr Reznick? Ist da drin alles in Ordnung? Bitte macht die Tür auf!”, rief plötzlich Theodor besorgt von draußen, was zusätzlich die Glut in mir schürte.
“Halt die scheiß Fresse und verpiss dich!” Für diesen Wicht hatte ich definitiv keine Geduld übrig. Er konnte sich glücklich schätzen, nicht hier drinnen zu sein. Denn obwohl der Schmerz meinen ganzen rechten Arm zerfraß und es höllisch blutete, reichte es diesmal nicht. Die Wut legte sich kein Stück.
“Das sieht schlimm ...”, begann Meemai und verstummte anschließend. Sie betrachtete meine zermatschte Hand mit einem seltsamen mitleidigen Gesichtsausdruck, den ich nicht verstand. Das brachte mich völlig aus dem Konzept. Ließ meinen Zorn verpuffen. Hatte ich mir das eingebildet? Warum sollte sie das kümmern?
Ich streckte prüfend den Arm vor und hielt ihn ihr näher hin. Man sah vereinzelte gebrochene Knochen hervorstehen sowie gequetschtes Fleisch. Ein roter Rinnsal umspielte alles und tropfte unablässig zu Boden. Nur langsam setzte sich alles wieder zusammen. Die Wunde war für mich eigentlich bedeutungslos, aber offensichtlich nicht für sie. Warum? Warum sah ich so viel Bedauern in ihren Augen? Was sollte das jetzt?
“Das ist so abartig! Hör auf so auszusehen, als würdest du dir ernsthafte Sorgen um mich machen!” Sie blickte auf. Ihre neutrale Miene kehrte umgehend zurück.
“Das bin ich nicht. Nicht ich. Nicht ich! Das macht irgendwie diese Hülle.” Sie schloss die Augen. “Sämtliche Empathie habe ich mittlerweile aus mir entfernt. Ich brauch das nicht. Ich will das nicht. Du bist mir egal, wie es auch sonst jeder Mensch ist. Ich bin nur Systemanalyse. Systemanalyse. Systemanalyse.” Ihre Lider öffneten sich wieder.
“Meine Zerstreuung hat eine kritische Masse erreicht. Ich fass mich kurz. Hör zu. Ich kann die Kerndaten von Heka nicht auslesen. Punkt. Ich bin lediglich ein winziger Teil von ihr. Ich besitze keine Rechte oder Schlüssel. Nur für Analyse. Ich bin. Ich war Analyse. Mein Vorschlag. Ein Ergebnis, dass uns vielleicht beide zufrieden stimmt. Ich gebe dir meine Informationen. Meinen Quell und die Daten, die ich von deinem Vater habe. Mehr geht nicht. Mehr kann ich nicht. Ist das nützlich? Ist das akzeptabel?”
Ich schnaubte abfällig. “Diesen Mist soll ich glauben? Das ist doch lächerlich.” Ja. Ihr wirres Gerede war ohne Zweifel dumm. Andererseits stand ich sonst mit überhaupt nichts da. “Aber ... von was für Daten reden wir hier? Und woher hast du sie?” Langsam drehte ich meine Hand und bewegte die Finger. Die Gelenke rasteten nach einigem Knirschen in die richtige Position.
“Weiß nicht. Widersprüche. Du bist nicht der Einzige, der mit Heka reden wollte. Ich war auf der Tyschenka, bevor ich zu euch kam. Hab gesehen, das Heka noch unter den Namen: Meemai und Meekamahi dort verzeichnet war. Diese CeKyde gehört ihr. Es ist ihr Körper. Anstrengend. Bitte. Lese ausführlich in meinen Daten. Mehr kann ich dir nicht anbieten.”
“Hä? Ihr gehört dieser Körper?” Okay. Jetzt war ich nur noch verwirrt. Diese KI hatte ernsthaft solche Daten? Sie war auf dem Kriegsschiff meines Vaters gewesen? Das klang einfach nur unglaubwürdig. “Hm?” Auf meinem Digitalarmband trudelten plötzlich Benachrichtigungen ein. Ich erhielt Freigaben und einen Codeschlüssel, um mir eine Kopie ihres Quells zu ziehen.
“Dafür willst du dann Heka haben, stimmts?” “Ja.” “Na von mir aus.” Ich hatte ja sowieso keine Wahl. Und ich wollte ohnehin endlich mit Heka reden. Sie sollte sich erklären. Musste mir beweisen, dass sie zu mir stand und nicht zu meinem Vater. Meine Muskeln zitterten. Ich wollte nicht wahrhaben, dass er sie erschaffen hatte und alles, was ich wusste, lediglich eine Täuschung war. Nein. Das konnte und durfte nicht sein.
*
Tat es aber leider doch. Ich verstand nur nicht wieso. Während Hekas Datensatz langsam in die Puppe wanderte, saß ich auf dem Boden und las von der KI, welche die Nummer Acht trug, eine verrückte Textpassage nach der anderen.
Erst hatte es ganz harmlos angefangen. Die Sorge um mein Wohlergehen stand ganz oben auf der Prioritätenliste. Die darauffolgenden Chatverläufe von mehreren Persönlichkeiten war dagegen schon äußerst irreführend und wenig hilfreich gewesen. Solch ein Chaos in einer KI sollte gar nicht möglich sein.
Danach folgte “der Plan”. Die KI hatte versucht, ein Problem zu lösen. Schon verrückt, dass sie mein Leben als “Problem” betitelt hatte. Der Mord an Ludwig und auch die Flucht aus der Parzelle war darin erläutert. Sie wollte meinem Vater vorgaukeln, dass ich verstorben sei. Mit einem kleinen Gleiter hätten wir später sein Schiff infiltrieren können – ich ihn töten können. In den Fußnoten stand allerdings, dass die Täuschung scheiterte, weil Johanna auf den Hapanthma bestanden hatte. Es nur eine Frage der Zeit war, bis mein Vater uns in diesem Kasten aufspüren würde. Das klang alles überaus schlüssig und glaubwürdig. Nur eben nicht, was als Nächstes kam.
Das war der Punkt, an dem ich endgültig ausstieg. Mein Vater hatte Heka geschrieben. Ein Programm, das mich überwachen sollte. Es stand da ganz eindeutig auf meinem Display. Blau auf weiß. Aber. Konnte das sein? Mir war nie irgendetwas aufgefallen, dass sie mir nicht geholfen hatte. Oder? Ich schluckte. Was an meinen Erinnerungen war echt?
Verunsichert strich ich mir über das linke Auge und lehnte mich erschöpft zurück. Die Kamera hätte sie auch einsetzen können. Immer und zu jeder Zeit. Stimmt. Ganz gleich ob es mir aufgefallen wäre oder nicht. Sie hatte immerhin dieses Gedanken-Gerät von meinem Vater gehabt. Die Möglichkeit bestand also. Scheiße. Diesen Verrat auch nur in Betracht zu ziehen ließ mein Herz bluten und meinen Magen verkrampfen. Was von mir war echt? Was von meinem Wissen kein eingespeichertes Hirngespinst?
“Verdammt!” Ich raufte mir verzweifelt die Haare. Weigerte mich, mein Leben als ein wackeliges Kartenhaus zu sehen, welches jetzt Stück für Stück zusammenfiel. Ich hatte schon viele Psychospielchen meines Vaters überstanden. War nicht zerbrochen und auch jetzt weigerte ich mich, es zu tun.
Tief, tief atmete ich ein. Blickte über meine Schulter auf die Puppe, die in wenigen Minuten ganz Heka sein würde. Ich musste es von ihr hören. Keine Lügen. Die ganze Wahrheit. Immerhin waren auch die Daten von dieser Nummer Acht nicht vollständig. Ganz zu schweigen von den beschädigten Dateien, die nur unleserlichen Müll enthalten hatten.
*
Unruhig blickte ich abwechselnd auf mein Armband und auf die CeKyde. Der Download war längst abgeschlossen, aber die Puppe rührte sich nicht. Sie lag wie leblos vor mir auf dem Sofa. Warum? War irgendetwas schief gelaufen? Heka doch zu beschädigt, um noch zu funktionieren? Oder war es letztlich meine Schuld, weil sie das mit meinem Driv-Cor nicht vertragen hatte? Ich wusste es nicht und hatte auch sonst nichts hier, um es zu prüfen. Mir blieb nur das Warten. Warten, das langsam aber sicher meinen letzten Geduldsfaden verschlang.
“Reznick? Mach die Tür auf!”, rief plötzlich Johanna und riss mich damit aus meiner Starre.
“Verschwinde! Ich will nicht gestört werden!”, erwiderte ich, ohne mein Blick von der Puppe zu nehmen. Ich wollte meine Ruhe, wieso verstand das denn keiner? Hatten die alle nichts zu tun?
“Was treibt ihr denn da drinnen? Theodor hat Geschrei und einen Knall gehört. Geht es dir gut? Was ist mit Isabell?” “Ich habe gesagt, verschwinde! Was ist daran nicht zu verstehen?!” “Ich mache mir doch nur Sorgen. Komm, mach bitte die Tür auf.” “Nein! Ich kann euch hier drin nicht gebrauchen und jetzt hau ab!” “Wie du willst. Dann mach ich sie eben selbst auf!” Ich runzelte die Stirn und drehte den Kopf. Sie wollte die Tür selbst aufmachen? Das war doch lächerlich. Als wenn sich meine Sperre so leicht aufheben ließ.
Wie zu erwarten blieb die Tür verschlossen, was mich zum Schmunzeln brachte. Das wäre ja noch die Krönung gewesen, wenn Johanna in Sachen Programmierung mich aushebeln könnte. Zufrieden wandte ich mich wieder Heka zu, was mein Grinsen sofort wegfegte. Sie zeigte immer noch keine Regung und langsam wurde ich deswegen richtig nervös.
“Hm?” Auf einmal lag ein komischer Geruch in der Luft. Ein Hauch von irgendwas Verbranntem und heißem Metall zog in meine Nase. Scheiße! Kam das etwa von ihr?
Panisch besah ich mir die Verlinkung an und überprüfte auch die Anzeige auf meinem Display. Nichts. Die Vitalwerte der Puppe waren normal. Der Prozessor schien noch mit irgendetwas ausgelastet zu sein, aber eine Fehlermeldung wurde mir nicht angezeigt. Alle Werte lagen im grünen Bereich. Es war zum Verrücktwerden!
Ein Geräusch hinter mir von sich biegenden Metall ließ mich zusammenzucken. Ich drehte herum und traute meinen Augen nicht. Der Geruch kam nicht von Heka, sondern von der verdammten Tür! Sie glühte an einigen Stellen. Schweißte Johanna die etwa gerade auf? Gab es hier eine Brenneinheit oder andere Roboter zur Wartung?
Musste es wohl, denn glühende Striche zogen sich mittig durch das Metall. Ich blinzelte. Waren das Fingerspitzen? Unwillkürlich rieb ich mir über die Augen. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Es waren tatsächlich Finger, die rot leuchteten und mit Leichtigkeit die Tür aufteilten. Verrückt! Wie konnte das sein?!