Der Flug verlief ereignislos. Binnen weniger Minuten landeten wir im Hangar von Ludwigs Anwesen. Die Zeit hatte nicht gereicht, meinen ramponierten Körper zu heilen. Mittlerweile war ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich die Nanobots überhaupt noch gezielt steuern konnte. Oder. Sie funktionierten. Schmerztechnisch hatte ich eher nicht den Eindruck, dass sich irgendetwas besserte.
“Komm, Sklave.” Wilhelm erhob sich zusammen mit Dagmara aus den goldgelben Ledersitzen und sah mich auffordernd an. “Ich habe einen Namen”, murrte ich und bemühte mich, ebenso aufzustehen.
“Unerhört! Besitztum hat nur den Namen, den es vom Meister bekommt. Alles was–” “Spar dir deinen Atem”, fuhr ich Dagmara gelangweilt dazwischen und stützte mich wankend gegen die Lehne, um nicht umzukippen. Scheiße ist das anstrengend!
“Ich habe einen Namen und dieser lautet Reznick! Da könnt ihr mich noch so bestrafen, wie ihr wollt. Das kümmert mich nicht. Ich akzeptiere keinen neuen Namen.” Ja. Mein Vater konnte davon schließlich ein Lied singen. Ganz gleich, wie sehr er mich auch folterte. Ich behielt den Namen, welchen mir meine Mutter gab. Dieser war meine einzige Konstante. Schon immer. Hielt meinen Verstand beisammen, wenn alles andere mich zu zerstören drohte.
“Also DAS ist doch unglaublich!”, geiferte sie und blickte verärgert zu Wilhelm. “Und? Bestraft ihn endlich dafür!” Er grinste und deutete zur Tür. “Ich bin mir sicher, dass Gewalt unnötig ist. Nicht wahr?” Ich spürte umgehend Strom durch meinen Körper fließen. Nicht stark. Nur gerade soviel, dass ich es wahrnehmen konnte. Ein unmissverständliches Zeichen, dass ich ihm gehorchen sollte. Aber. Da kannte er mich schlecht.
“Wenn der EBS nicht mit deiner Teck gekoppelt wäre, würde ich dir jetzt eine verpassen”, sprach ich geradezu lieblich und setzte ein dümmliches Grinsen auf. Wilhelm schien das nicht sonderlich zu stören, während Dagmara durch meine Respektlosigkeit regelrecht kochte. Sie hob ihren zusammengeklappten Fächer in die Höhe und verpasste mir damit eine klatschende Ohrfeige.
Ich nahm es hin. Sie war sowieso unbedeutend. Wilhelm war derjenige, dem ich eine Reaktion entlocken wollte. Jedoch zeigte er genau das Verhalten, welches ich befürchtet hatte. Er biss nicht auf meine Provokation an. Erlaubte sich keine Unachtsamkeit. Vermutlich hatte er sehr viel Erfahrung mit aufmüpfigen Sklaven. Es wird so verdammt schwer, meine Fessel wieder loszuwerden. Wenn nicht sogar – unmöglich.
“Können wir dann? Oder braucht der feine Herr Reznick doch noch einen deutlichen Befehl?”, fragte er, während der Strom spürbar stärker wurde. Mein Innerstes brannte. Die Finger meiner linken Hand zuckten sogar leicht, aber ich biss die Zähne zusammen, um mir nichts anmerken zu lassen. Diesen Triumph gönnte ich ihm einfach nicht. Dennoch musste ich gehorchen. Natürlich. Das wussten wir beide. Ich setzte mich schließlich in Bewegung. Jeder Schritt dabei pure Folter.
Draußen im Hangar schlug ich die Richtung zu den anderen beiden Schiffen ein, wo sich auch schon einige Männer versammelt hatten und einen großen Behälter entluden. Vermutlich befand sich Zerian darinnen. Johanna konnte ich nicht sehen. Sicherlich war sie noch immer bewusstlos.
“Halt!”, hörte ich Wilhelm hinter mir und der plötzliche Stromstoß, der durch meinen Körper fegte, zwang mich augenblicklich in die Knie.
“Blöder Arsch ...”, zischte ich, als er sich neben mich stellte und die Stärke keinen Deut abmilderte. “Wo willst du denn auch hin?”, fragte er hörbar belustigt und beugte sich sogar ein Stückchen zu mir runter. Musterte mich mit einem zufriedenen Grinsen, das ich ihm nur zu gerne ausgeschlagen hätte.
“Es geht direkt zu Ludwig und du weißt ja, wo sein Zimmer ist. Beziehungsweise. Seine persönliche Folterkammer.” “So? Weiß ich das?”, fragte ich dümmlich und wollte aufstehen, ohne weitere Schwäche zu zeigen. Leider war mein Körper bereits so im Eimer, dass mich ein Hustenanfall ereilte. Ein fürchterlicher. Ich musste runter auf alle viere – spuckte Blut.
“Widerlich!” Dagmara stampfe mit ihren hochhackigen Schuhen und einem verächtlichen Schnauben vor mich. “Mir reicht es mit diesem ekligen Tier! Bringt diesen Unwürdigen ruhig ohne mich zum Grafen. Ich werde derweil die Zivilisierung beim Aschengard Fräulein vornehmen.” “Och, ich bin untröstlich, dass Ihr das mit ansehen musstet”, sagte ich mit triefendem Sarkasmus. Ihr verächtlicher Blick daraufhin brachte mich ehrlich zum Lachen. Angeekelt verzog sie ihr Gesicht und wandte sich ohne ein weiteres Wort ab. Stakste geschwind zu den Männern. Schade, dass sie nicht die Kontrolle über meine Fessel besaß. Mit ihr hätte ich sehr leichtes Spiel gehabt.
“Das reicht jetzt”, sprach Wilhelm mit einem strengen Ton und ließ den Strom umgehend versiegen. Erleichterung wallte in mir auf, aber dieses Gefühl verdrängte ich sofort wieder. Ich kannte diese Art der Sklavenerziehung nur zu gut. Sie war eine der simpelsten und zugleich am erfolgreichsten – zielte auf den primitiven Drang zu gehorchen, um weiteren Schmerz zu entgehen. Es war etwas Natürliches und in jedem fest verankert. Aber. Bei mir würde es nicht wirken. Niemals.
Langsam richtete ich mich auf. Wischte mir das Blut vom Mund und blickte ihn bemüht gelangweilt an. “Und jetzt? Soll ich etwa Dankbarkeit empfinden? Das kannst du sowas von vergessen.” Er zuckte mit den Schultern. “Keine Sorge. Ich erwarte von einem ehemaligen Besitz des Königs kein Gehorsam. Noch nicht zumindest.” Mit einer geschmeidigen Handbewegung deutete er zu dem überdimensionalen Torbogen, welcher in den Flur ins Hausinneren mündete.
“Allerdings ist dein Zustand kritisch und ich will nicht, dass du jetzt schon zusammenbrichst.” “Verstehe. Nicht, dass man mich nachher noch tragen muss und ich die unglaubliche Folter verschlafe, die Ludwig für mich vorbereitet hat, nicht wahr?” “So in der Art. Wärst du denn so frei oder braucht es wieder Elektrizität, damit du gehorchst?” Ich schnaubte abfällig und humpelte anschließend mehr schlecht als recht in Richtung des Tors. Wilhelm folgte einige Schritte hinter mir.
Anschließend herrschte eisernes Schweigen zwischen uns, während wir in den langen Gängen des Hauses wanderten. Ich nutzte die Ruhe und versuchte, die Nanobots gezielt auf meinen tauben rechten Arm zu lenken. Leider nicht sonderlich erfolgreich. Auch die übrigen Schmerzstellen verbesserten sich kein Stückchen. Selbst das nervige Schädelbrummen blieb unverändert. Langsam aber sicher kotzte es mich richtig an. Alles.
Ich quälte mich mit jedem Schritt und hatte immer noch keine brauchbare Idee, wie ich aus der Sache schnell wieder rauskam. Es lag auf der Hand, dass mein Vater mich an Ludwig überschrieben hatte. Sicherlich für die Dauer von sieben oder zehn Tagen. Wilhelm würde in der Zeit sicherstellen, dass ich nicht an meinen Verletzungen verstarb. Das war schlecht. Ludwig alleine, hätte ich noch soweit provozieren können, aber beide zusammen würden schon genügend aufpassen, damit das Spiel nicht vorzeitig endete. Was brachte es überhaupt, mich auf diese Art zu bestrafen, oder gefügig zu machen? Vor allem. Wieso wollte mein Vater jetzt auf einmal, dass man mich verstümmelte?
“Frage.” Ich hielt an und drehte mich herum. Sah ihm direkt in die Augen. “Hat der Herzog von Weckmelan ernsthaft zugestimmt, mich für das Yngewa zerstückeln zu lassen?” Ja, dieses Puzzleteil passte nicht zu den anderen. “Ja. Ein Bestrafungsspiel ohne Einschränkungen”, erwiderte Wilhelm, aber ich erkannte sofort die Lüge darinnen. “Vermutlich für die Dauer von einer Woche angesetzt?” “Nein. Nur zwei Tage”, sprach er erneut äußerst gelassen, aber auch das war nicht die Wahrheit. Wieso log er?
“Verstehe”, sprach ich monoton und schenkte mir jede weitere Frage. Mein Sklavenhalsband begann schon zu kribbeln und ich würde sowieso keine brauchbare Antwort bekommen. Eigentlich war das auch nicht sonderlich überraschend. Ja. Eigentlich war das sogar ziemlich einfach und genau deswegen bin ich nicht schon früher darauf gekommen. Ich dachte im Moment definitiv viel zu kompliziert.
Vermutlich wollte er mich mit dem Yngewa nur verängstigen und mir im Bezug auf die Dauer einen kleinen Hoffnungsschimmer geben. Das wurde gern genutzt in Folterspielen. Einen Haufen leerer Versprechungen und die Aussicht auf ein baldiges Ende, nur um dem Sklaven anschließend mit der Wahrheit – oder eben den brutalen Tatsachen – brechen zu können. Das versuchte er ernsthaft bei mir? Lächerlich.
Mit einem breiten Grinsen drehte ich mich wieder nach vorne und ging weiter. “Etwas mehr Ehrlichkeit hätte ich schon von dir erwartet”, flötete ich, natürlich nicht ungestraft. Der Strom wurde stärker. Nur mit Mühe konnte ich ein Keuchen unterdrücken.
“So? Was daran war nicht richtig?” Er klang äußerst interessiert und nun war ich mir mehr als nur sicher. Er testete mich. “Sag doch einfach, was du wissen willst.” “Nichts. Oder. Unterhalten werden? Weiß nicht. Nenn es, wie du willst.” Ah ja. Sehr aufschlussreich. Blöder Arsch!
“Es ist wirklich amüsant, mit dir zu spielen”, sagte er nach einer Weile, aber ich reagierte nicht darauf. Ging stumm den Flur entlang. “Hm? Ignorierst du mich jetzt? Das ist aber nicht sehr nett.” Ich ließ ihn quatschen. All meine Konzentration lag derzeit darauf, diese lästigen Schmerzen zu unterdrücken. Was unglaublich schwer war. Wenn nicht sogar – unmöglich. Wilhelm schien sich einen Spaß daraus zu machen, mich auf die letzten Meter zu Ludwigs Zimmer ordentlich fertig zu machen. Wechselte die Intensität des Stroms bei jedem meiner Schritte.
“Nicht mal ein Wort?”, säuselte er und erhöhte noch mal um ein gutes Stück meine Qual. Ich biss die Zähne zusammen. Aber. Das war nicht länger zum Aushalten. Meine Beine versagten und ich landete erneut auf allen vieren. Blut tropfte auf den Boden – lief mir aus der Nase.
“Deine Belastbarkeit und Durchhaltevermögen ist wirklich beachtlich.” Ich hustete. “Na ... wenn du meinst.” “Betteln würdest du sicherlich nicht, oder?”, sprach er neugierig und schritt vor mich. Ich behielt den Kopf unten. Es war mir zu dumm, zu ihm aufzusehen. Selbst als der Strom endete, blieb ich unten. Er spielte nur mit mir und ich hatte keine Lust, darauf einzugehen.
“Es ist zwar nicht so gut, zu erkennen, aber die vielen Narben und Brandstellen auf deinem Rücken. Es sollen Flügel darstellen, richtig?” Ich schwieg. Das Familienzeichen hatte Heka extra zu meinem Schutz unkenntlich gemacht. Man konnte daraus nicht schlussfolgern, dass ich mehr als nur Besitz im Hause Weckmelan war. Obwohl. Eigentlich spielte es im Moment keine Rolle mehr.
“Es sind einmal Phönixflügel gewesen, um genau zu sein”, sprach ich mit einem Lächeln und kämpfte mich schließlich doch auf die Beine. “Das Familienzeichen hat mir Vater persönlich eingebrannt.” Bei dem Wort Vater, zuckte seine rechte Augenbraue kurz nach oben. Das hatte er also nur vermutet, aber nicht hundertprozentig gewusst.
“Interessant. Du weißt, dass ich Besitz bin, aber nicht, dass ich auch der Sohn des Königs bin. Och, bringt das deine Pläne jetzt etwa durcheinander?” Er überlegte. Es stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Ob das allerdings gut oder schlecht für mich war, blieb abzuwarten. Da ich seine generelle Motivation nicht kannte, war es schwer, daraus jetzt einen Nutzen zu ziehen. Je nachdem, ob er mit der Politik meines Vaters sympathisierte oder eben nicht.
“Und nun? Willst du jetzt wissen, wie es ist, der Sohn des Königs zu sein? Wie es ist, etwas tief in die Zellen und DNA verankert zu bekommen? Oder willst du mich fragen, warum ich überhaupt ein Sklave wurde?” “Nein. Aber ich verstehe jetzt, warum man wollte, dass dein Gesicht unangetastet bleibt.” Mein Grinsen wurde breiter. “Und das mich keiner töten darf, richtig?” Seine Augen verengten sich. Ein klares Ja.
“Genug geplaudert. Beweg dich! Der Graf wartet.” “Schade”, murrte ich gespielt beleidigt und ging wie befohlen an ihm vorbei – weiter des Weges. Wilhelm fand offensichtlich seine Professionalität wieder. Aber er hatte mir bereits alles verraten, was ich wissen musste. Vaters Spielchen. Wie immer. Ich durfte bestraft werden, jedoch nicht verstümmelt oder getötet. Reines Zeitschinden, da er mich aktuell nicht bei sich haben wollte. Auch wenn mir das noch immer sonderlich erschien. Wenn er Dezeria hatte – warum mich auf Abstand halten? Sie vor meinen Augen zu brechen, würde mich definitiv zerstören. Dessen war ich mir sicher. Ich wollte sie zurück. Dafür würde ich alles tun – auch, wenn mir dieser Gedanke überhaupt nicht gefiel.
*
Nach zahllosen Gängen und zu meinem Leidwesen auch Treppen, erreichten wir endlich eine goldbeschichtete Flügeltüre mit rotem Rahmen. Ludwigs persönliches Folterzimmer. Ich griff nach der Klinke, wohl wissend, dass es Sklaven nicht gestattet war, diese zu berühren. Kurz bevor meine Finger das feine Metall erreichten, traf mich wie zu erwarten ein Stromschlag. Zwang mich auf die Knie.
“Was soll DAS werden?”, fragte Wilhelm hörbar verärgert, schritt an mir vorbei und klopfte selbst an das Holz. “Sklaven haben kein Recht, hier etwas anzufassen. Und du hast gefälligst nach mir einzutreten!” “Ich bin untröstlich. Ich dachte–.” Mein Spot blieb mir im Halse stecken, als die Intensität sich weiter steigerte. Ich rang nach Luft. Meine Muskeln zuckten unwillkürlich. Scheiße! Wie ich diesen Strom hasse!
“Mag sein, dass du weiterhin zum Haus von Weckmelan gehörst und wir dich nicht ganz so hart bestrafen können. Aber. Du wirst definitiv die nächsten Tage sehr viel über Respekt lernen. Du wirst gehorchen und entsprechend unterwürfig sein. Hast du das verstanden?” Ich lächelte. Auch wenn eine gefährliche Dosis Elektrizität durch meinen ganzen Körper jagte. Er wollte mich brechen? Mit Schmerz gefügig machen? Bitte. Das war doch vergebene Liebesmüh. Ich hatte vor niemandem Respekt.
Als sich die Tür öffnete, verebbte sofort der Schmerz. Dankbar holte ich die dringend benötigten Atemzüge und beruhigte mein Herz. Viele von diesen Schocks würde ich gewiss nicht mehr überstehen. Leider war Bewusstlosigkeit auch nicht sonderlich verlockend. Ich konnte nur verlieren.
“Bitte tretet ein, werter Harecan.” Mit großer Anstrengung hob ich den Kopf. Erblickte eine Bedienstete, die ein schlichtes rotes Kleid trug und sich tief vor Wilhelm verbeugte. Ich erkannte sie. Es war Sn 993 oder auch Emeli genannt, welche schon lange in diesem Anwesen arbeitete und diesbezüglich bereits Züge einer Puppe angenommen hatte. Gehorsam. Unterwürfig. Widerlich. Sie sah starr zu Boden, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
“Der Hund muss angekettet werden, kümmere dich darum. Und mach es gründlich!”, sagte Wilhelm hochtrabend und ging hinein. “Wer ist hier ein Hund?”, murrte ich ihm hinterher, aber er reagierte nicht darauf. Emeli erwachte dafür aus ihrer Gleichgültigkeit und musterte mich. Verwirrung, Entsetzen, Abscheu, Sorge, Mitleid – sie brachte mir von allem etwas entgegen, bis ihr wieder einfiel, wo sie war und was sie hier zu tun hatte. Ihr Gesicht verlor jede Mimik. Wurde ausdruckslos. Leblos. Ja. Ganz die brave Puppe.
Ohne ein Wort zu sagen, schritt sie zur Seite und deutete mir mit einer ausgestreckten Hand, ebenso einzutreten. Ich tat es. Mir blieb ohnehin nichts anderes übrig. Im Inneren erwartete mich ein großer fensterloser Raum mit glatten weißen Wänden. In der Mitte hingen lange dünne und dicke rote Ketten von der Decke. Rundherum lagen in edlen Vitrinen diverse Peitschen und kleine Dolche in den unterschiedlichsten Varianten. Nichts wirklich Aufregendes.
Wilhelm sah ich weiter hinten, wie er zu einer prunkvollen Sitzecke stolzierte und natürlich – Ludwig, welcher gerade von einer zweiten durch und durch verschleierten Bediensteten ein Glas Wein eingeschenkt bekam. Sie begrüßten sich förmlich und wechselten einige gedämpfte Worte, die ich nicht verstand. Allerdings war es auch nicht sonderlich schwer, zu erraten, was sie redeten. Wilhelm würde ihm jetzt stecken, dass ich nicht nur Besitz, sondern auch der Sohn des Königs war. Na ja. Soll er ruhig. Desinteressiert begab ich mich zu den Ketten, denn genau dort wird für die nächsten Tage mein Platz sein. Sofern sich nicht etwas anderes ergab. Und danach sah es leider nicht aus. Jedenfalls nicht, wenn Wilhelm vorhatte, die ganze Zeit über anwesend zu sein. Schöner Mist.
Stillschweigend legte mir Emeli die erste Fessel ums Handgelenk. Bei meinem völlig verschmorten rechten Arm allerdings zögerte sie auffällig lange. “Tut mir leid ...”, flüsterte sie bedauernd und berührte mich unglaublich vorsichtig. Aber. Das war albern. Wollte sie mich damit beruhigen? Mir eine Art von Vertrauen vorgaukeln? Da sie mich nicht direkt ansah, konnte ich ihre wahre Gesinnung nicht ausmachen. Moment. Was denke ich da? Suche ich jetzt ernsthaft Hilfe bei einem Diener von Ludwig? Bei einer Puppe? Langsam nimmt mein Verstand wohl ernsthafte Schäden von den ganzen Schmerzen.
“Sieh an, sieh an. Da ist er also”, erhob Ludwig seine Stimme und schritt gemütlich mit dem Weinglas in der Hand auf mich zu. “Der Sohn des Königs ... wenn das mal keine Neuigkeit ist. Hast du’s auch bequem?”, fragte er und nickte anschließend kurz Emeli zu. Sie betätigte eine Schalttafel an der Wand, wodurch sich meine Ketten in Bewegung setzten.
Unbarmherzig zog das Metall meine kaputten Arme nach oben, bis ich nicht mal mehr mit den Zehenspitzen den Boden berührte. Der Schmerz nahm ganz neue Qualitäten an. Ein Gefühl, als schnitten gesplitterte Knochen die Muskeln entzwei. Jeder normale Mensch wäre schon längst in Tränen ausgebrochen und hätte wie wild rumgeschrien. Mir jedoch entlockte es nicht mal ein Stöhnen. Ich atmete ruhig ein und aus.
“Kein Ton? Du siehst ziemlich fertig aus.” Er trat etwas dichter an mich heran. Wenn Wilhelm nicht da hinten auf dem Sofa sitzen würde, könnte ich sein Genick jetzt locker mit meinen Beinen packen und ihn töten. Langsam. Stück für Stück die Luft abschnüren, ohne, dass er etwas dagegen unternehmen könnte. Ach. Ein schöner Gedanke.
“Was gibt’s da so dumm zu grinsen, hm? Weißt du, was für Unannehmlichkeiten ich deinetwegen erst hatte? Du hast mir falsche Daten von Eleonore gegeben, mich wegen meines Kindes belogen, mein Spiel ruiniert ... Aber. Der König hat mich großzügig entschädigt.” Er trank in einem Zug sein Wein aus und gab anschließend der anderen Bediensteten ein Zeichen, ihm neu einzuschenken. Ich wunderte mich indes, was er mit der Kindersache meinte. Und – mein Vater hatte ihn entschädigt? Das konnte nur eins bedeuten.
“Du hast mit ihm verhandelt. Was hat er gesagt? Wie geht es ihr?” “Ihr? Du solltest dir lieber Sorgen um dich machen. Und–” “Ich will wissen, WAS er gesagt hat!”, unterbrach ich ihn knurrend und hasste mich im gleichen Moment selbst dafür. Als würde er mir jetzt noch etwas verraten, wenn er sah, wie wichtig es mir war.
Ja. Prompt erfüllte lautes Gelächter den Raum. Ludwig und Wilhelm amüsierten sich köstlich über meinen kleinen Wutausbruch. Verdammt! Dezeria ging mir einfach zu sehr unter die Haut. Ich konnte keine beschissene Sekunde ruhig bei diesem Thema sein. Das machte mich wahnsinnig! Ich musste wissen, wie es ihr geht. Musste!
“Du hast hier gar nichts zu melden, dreckiger Köter. Wenn du später vor mir auf den Knien rumrutscht und brav meine Schuhe leckst, werde ich dir vielleicht etwas ...” Ich blendete sein sinnloses Gefasel aus. Blickte starr vor mich hin. Atme tief durch. Tiefer. Ob es mir jetzt passte oder nicht. Ich kann nichts mehr tun. Weder für dich, Dezeria, noch für mich. Er wird mich foltern. Aber. Ich werde es über mich ergehen lassen. Werde es überstehen. Und ich bitte dich, es ebenfalls zu tun. Egal, was Vater mit dir gerade macht – bitte. Sei stark. Bitte – bleibe du selbst, so wie ich es auch bleiben werde.
Im Augenwinkel bemerkte ich, wie Ludwig aus einer nahestehenden Vitrine eine Peitsche holte. Ich hatte bei der Bestrafung wahrlich das einfachere Los gezogen. Mein Vater würde nie zu solch banalen Mitteln greifen. Ja. Ich muss Ludwig mehr reizen. Mein Schmerz ist noch nicht schlimm genug. Jedenfalls nicht im Vergleich dazu, was dir widerfahren wird, Dezeria. Scheiße. Daran zu denken zerfrisst mich innerlich. Wie geht es dir? Was macht Vater mit dir?! Diese Fragen bohrten sich brutal in mein Herz, wie glühende Nadeln. Quälen mich – schlimmer, als es jede körperliche Folter tun könnte.
“... überhaupt noch was mit? Er reagiert nicht”, sprach Ludwig leicht verunsichert und drehte sich zu Wilhelm. “Seine Vitalwerte sind schlecht, aber eine Runde übersteht er. Keine Sorge”, hörte ich ihn antworten, was mich dazu veranlasste, in seine Richtung zu sehen. Ich grinste. “Was sind schon ein paar Peitschenhiebe?” Mein Blick schweifte zu Ludwig. “Ich entschuldige mich aber schon mal jetzt. Kann sein, dass ich vor Langeweile einschlafen werde.” Er verzog verärgert das Gesicht. Wurde sogar rot.
“Deine Unverschämtheiten werden dir noch vergehen! Ich werde schon dafür sorgen, dass du vor Schmerzen um Gnade flehen wirst!”, spuckte er mir wutschnaubend entgehen, bevor er sich wieder fing. “Mein geschätzter Harecan”, er prostete zu Wilhelm, “hat ein Arsenal unterschiedlichster Säuren. Es wird sicherlich ein großer Spaß werden, mich auf deiner Haut und in deinem Fleisch zu verewigen. Es ist doch eine unerwartete Ehre, den Sohn des Königs foltern zu dürfen.” “Tz ...” Ich verdrehte die Augen. Das beeindruckt mich keineswegs, aber hoffentlich wird es ausreichend sein, um nicht länger an Dezeria zu denken. Keine Bilder mehr von ihr im Kopf zu haben – keine grausigen Vorstellungen, wie sie schreit und wimmert.
*
Der erste Peitschenhieb traf mich einmal quer über den Brustkorb. Brannte wie die Hölle, was verdeutlichte, dass Ludwig darin viel Erfahrung hatte. Das war gut. Es half tatsächlich etwas, mich zu beruhigen. Den zweiten Hieb allerdings, spürte ich nicht einmal. Etwas anderes verschlang sofort all meine Aufmerksamkeit. Meemai. Sie betrat das Zimmer und ging schnurstracks zu Ludwig. Das fehlte mir gerade noch. Ob Vater ihm gesteckt hatte, dass sie meiner Mutter ähnelte? Wenn sie mich foltern würde, es mich mehr verletzte? Ja. Schädlich für meine Psyche wäre es allemal.
Sie stellte sich hinter Ludwig, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Das löste seltsamerweise eine kindliche Sehnsucht in mir aus, auch wenn das lächerlich war. Aber. Bisher hatte sie mich immer mit diesem ganz bestimmten Lächeln bedacht. Sanft. Fürsorglich – liebevoll. O Mann. Ich dachte, ich bin gegen diese Täuschung endlich immun! Wieso fängt das jetzt wieder an? Warum kann ich–
Ich stutzte. Starrte mit unglaublicher Verwirrung auf Meemai. Sie – sie hatte Ludwig den Kopf verdreht. Wortwörtlich! Ihre zarten Hände hatten ihm mit einem Ruck spielend das Genick gebrochen. Wow. Das kam – unerwartet. Ist das jetzt wirklich passiert? Offensichtlich. Kein Traum. Keine Wahnvorstellung. Sein dicker Körper sackte leblos vor mir auf den Boden. Speichel lief ihm aus dem Mund. Der ist definitiv hin.