•‡Dezerias Sicht‡•
Es tut mir leid ... Dezeria ...
Diese Worte geisterten noch immer durch meinen Kopf, aber ohne, dass ich verstand, was er damit gemeint haben könnte. Vielleicht, dass er so unverschämt aufdringlich geworden war? Mich jetzt alleine zurücklassen musste? Was alles passiert war? Er hatte auf jeden Fall sehr traurig dabei geklungen ... und dann war er so schnell weg gewesen, ohne dass ich etwas sagen konnte ... Einfach so. Dabei wollte ich mich doch noch bedanken ... für irgendwie alles eben – auch wenn das verrückt war. Nein. Ich zweifelte nicht mehr. Genau! Ich vertraute ihm ...
Ich weiß nicht, wie lange ich nun schon hier im Dunklen auf der Wiese stand, aber ich schaffte es auch nicht wirklich, mich zu bewegen. Ich wartete. Wartete auf irgendwas – auf dass er zurückkommen würde. Dass er mich wieder in sein Zuhause, in diesen wunderschönen magischen Raum holen würde ...
Ich brauche etwas Zeit, Dezeria. Ich kann dich erst zu mir holen, wenn mein Vater keine Gefahr mehr für dich darstellt ...
Er brauchte Zeit. Ja, dies sagte er ... Ich sollte also nicht so sinnlos hier herumstehen. Ich sollte endlich aufbrechen nach ... nach ... Wohin noch mal? “Nein! Ich habs vergessen!”, schimpfte ich über mich selbst und wühlte sofort eifrig in der schweren Tasche, welche ich von ihm bekommen hatte. Gott! Die war wirklich bis oben hin mit allerlei Dingen vollgestopft – wie sollte ich da bitte etwas finden? Der helle Mond spendete mir zwar sein herrliches Licht, aber es war doch nicht ausreichend, um etwas zu finden, was mir weiter helfen könnte.
<Sucht Ihr etwas Bestimmtes?>
Wie aus dem Nichts bildete sich vor mir etwas rot Leuchtendes, was mich augenblicklich erschrocken aufschreien ließ. Es dauerte einen Moment, bis ich nicht mehr panisch kreischen, sondern nur noch hektisch keuchen konnte. GOTT! Mein Herz!
<Entschuldigt. Euch zu ängstigen lag nicht in meinem Interesse>, ertönte wieder diese befremdliche Stimme, die von keinem Menschen stammen konnte. Ich verengte meine Augen und erkannte, abgesehen von dem Rot, das unverkennbare Glitzern von Metall. “Technik des Adels”, sprach ich flüsternd und streckte neugierig eine Hand vor. <Wenn man es so ausdrücken mag, dann ja.> Das handgroße Ding flog daraufhin einmal um mich herum und dann außerhalb meiner Reichweite.
“Wie funktioniert das? Wie kannst du sprechen?” Ich sah nach oben und versuchte, noch mehr von der kleinen Maschine zu erkennen. <Herr Reznick hat mir abgeraten, Derartiges zu erläutern. Für Menschen in Eurem Wissensstand sei es nicht nachvollziehbar.> Ah, ich war sofort erleichtert, dass Reznick mich doch nicht ganz alleine gelassen hatte. “Danke, dass du da bist”, begann ich mit einem Lächeln. “Kannst du mir vielleicht zeigen, wo ich jetzt hin muss?” <Sicherlich. Folgt mir. Mewasinas wurde für Euch als Ziel bestimmt.>
Bei den Monden, was ein Glück! Das Ding wusste wo ich hinsollte und gerade, als ich einen Schritt tätigte, erleuchtete auch noch ein magischer Lichtstrahl meinen Weg. ”Wow!”, stieß ich erstaunt aus und hielt meine Handflächen ins Licht. Es war weißer als die Sonne, aber brachte keine Wärme mit sich. Auch beschränkte sich der Schein auf einen kleinen Bereich vor meinen Füßen.
<Fürchtet Ihr das künstliche Licht? Ist Euch ein Gang in der Dunkelheit lieber? Ich kann es auch wieder abschalten>, verkündete die Stimme und sofort wurde es wieder düster. Vor meinen Augen tanzten bunte Punkte und ich hatte den Eindruck, dass es schlagartig noch dunkler geworden war als zuvor. “Nein, nein! Ich finde es nur so unglaublich ... Kannst du es bitte wieder zurückholen?”, fragte ich vorsichtig, aber kaum hatte ich es ausgesprochen, war der Lichtkegel zurück. “Wahre Magie.” Lächelte ich glücklich und folgte diesem ... diesem ... “Darf ich fragen, wie ich dich nennen darf?” <Mein Herr gab mir den Namen Heka.> “Ah, dann warst du auch bei seinem Zuhause?” <Auf dem Schiff. Ja. Natürlich.> “Ist Reznick denn jetzt alleine? Also in seinem Zuhause ganz ohne dich?” <Nein. Ich bin sowohl dort, als auch hier.>
Ich stutzte, ging sowas? “Wie ist das möglich?”, fragte ich und kam mir dabei irgendwie dumm vor. Ich verstand nichts von diesem Adelszeug, aber konnte dennoch nicht widerstehen, mehr wissen zu wollen. <Bedaure>, kam es dann nach einiger Zeit, aber das hatte ich mir schon selbst gedacht. Ich war zu dumm dafür und irgendwie ärgerte mich dies. “Entschuldige, dass ich gefragt habe. Ich weiß schon ... Ich würde es sowieso nicht verstehen”, sprach ich niedergeschlagen und blickte auf den Weg, setzte schwerfällig einen Schritt vor den anderen.
<Es bedarf keine Entschuldigung von Euch. Meine Antwort beruht auf dem Befehl meines Herrn, allerdings kann ich auch zu einem gewissen Grad selbst entscheiden. Wenn Ihr zur Besserung Eures Gemütszustandes eine Antwort wünscht, gebe ich sie Euch. Ich versuche, Eure Frage an einem verständlichen Beispiel zu erläutern. Versteht mich als Wein in einer Flasche. Man kann mich in mehrere Trinkgläser verteilen und eins davon befindet sich nun bei Euch.> Ich lächelte. “Wie ein Teig, den man in mehrere Portionen aufgeteilt hat.” <Wenn Euch dieses Beispiel besser gefällt, dann ja.> “Das ist unglaublich ... Gibt es viele wie dich bei den Adligen?” <Ja und nein. Es gibt viele, die so sind wie ich, aber dennoch kein exakt gleiches. Mich hat Herr Reznick selbst entworfen. Programme wie ich erfüllen Aufgaben. So ähnlich, wie Eure Teigportion letztlich ein fertiges Lebensmittel wird.> “Aufgaben?”, fragte ich weiter neugierig. “Was für eine Aufgabe hast du? Was musst du für Reznick machen?”
Eine ganze Weile war es danach Still. Nur meine Schritte durch das hohe Gras, waren zu hören. Heka flog vor mir und erleuchtete den Pfad, welchen ich gehen sollte. Nach weiteren Minuten glaubte ich nicht mehr daran, dass mir die Stimme noch eine Antwort geben würde, also fragte ich leise nach:
“Suchst du eine passende Umschreibung für mich?” <Nein.> “Dann willst du mir nicht antworten?” <Dieses wollen setzt einen freien Willen voraus, welchen ich nicht imitieren kann. Eure Frage bezieht sich auf sensible Daten meines Herren. Für Euch wäre etwas ähnlich Begreifbares wohl ein geheimes Tagebuch.> “Verstehe”, sprach ich nachdenklich und dann kehrte erneut die Stille zurück.
Ich überlegte lange, was ich fragen sollte. Irgendwie wollte ich unbedingt mehr über Reznick wissen, gleichzeitig war es mir aber auch unglaublich peinlich. Ich beließ es also und versuchte, nicht mehr an ihn zu denken ...
Wenn du tatsächlich frei sein willst, dann bleibt dir keine Wahl. Du musst mir glauben und vertrauen ...
Seine Worte waren dennoch unwiderruflich in meinem Kopf und schließlich konnte ich meine Neugierde nicht mehr länger im Zaum halten. “Kannst du mir vielleicht so etwas mehr über Reznick erzählen? Ich weiß nichts über ihn u-und würde es gerne”, versuchte ich es nicht allzu lächerlich zu formulieren, aber ... o Gott, war mir das peinlich!
<Könnt Ihr die Frage präzisieren?> Ich überlegte. Sollte ich fragen, wie alt er war? Was er mochte? Ob er eine Frau hatte ... Gott, ging es vielleicht noch etwas kindischer?
Ich werde meinen Vater töten und dich dann abholen ...
“Ah, ja! Er sagte etwas wegen seinem Vater ... Er wollte ihn töten, kannst du mir mehr darüber erzählen? Wer ist sein Vater?” <Sein Vater ist der Re’Nya’Ca Fyl’ Leopold Weckmelan. Er gehört zu den führenden Herren der Rea und ist Oberhaupt der Königsfamilie.> Wow! “Sein Vater ... u-und er gehört zu den Heiligen der Rea?” Mich überlief es sofort heiß und kalt. Das war das höchste Heiligtum, was es unter den Adligen gab ...
“Wieso ... wieso will er ihn töten? Wegen dem Spiel ... Nein, warte ... er hatte mal so etwas gesagt, aber ich komm nicht mehr drauf. Oder? Doch! Sein Vater hält ihn hier gefangen? Richtig? Aber wieso? Kannst du mir was darüber sagen?” <Das ist–> Plötzlich gab es einen lauten Knall und das Licht verschwand im selben Moment. “Heka?”, fragte ich verunsichert, weil die Stimme ebenso verstummte und ich nichts mehr sah außer Dunkelheit. Selbst Del, der weiße Mond, verwehrte mir seinen Schein und verbarg sich lieber hinter dicken Wolken.
“Heka? So antworte doch!”, rief ich nun deutlich ängstlicher. “Die KI ist nicht mehr hier”, ertönte mit einem Mal eine entfernte männliche Stimme, wodurch ich vor Schreck die Luft anhielt. “Zu rufen ist also sinnlos”, sprach jemand weiter und ich hörte Schritte. Näherkommende Schritte! Gott! Wer war das?! Es war niemand, den ich kannte ... dessen war ich mir sicher, aber was bedeutete dies schon? Ludwig hatte sicherlich hunderte Männer ... O GOTT! Hatte man mich gefunden? Sollte ich weglaufen oder doch lieber warten? Vielleicht sah mich der Fremde in dieser Dunkelheit nicht ...
Schritt um Schritt, hörte ich ihn näher kommen. Er wusste, wo ich war ... Musste er! Denn er hielt, ohne zu zögern, auf mich zu. Ich sah es nicht, aber ich wusste es! Ich wusste es einfach! JA! Reznick konnte doch auch im Dunkeln sehen! Das war also auch ein Adliger, oder? Mein Herz raste, aber trotz der Finsternis oder meiner wachsenden Angst, drehte ich mich herum und lief! Ich rannte so schnell, ich nur konnte! Weg von den Schritten, weg von dieser Stimme ... Jedenfalls wollte ich dies, aber irgendetwas traf mich am Rücken. Es brannte kurz wie Feuer, ehe meine Muskeln versagten und ich der Länge nach auf den Boden stürzte. Nur mit viel Mühe schaffte ich es überhaupt, meinen Kopf zur Seite zu drehen, um einigermaßen Luft zu bekommen.
“Vor mir wegzulaufen ist ebenso sinnlos”, sprach der Mann erneut und hob mich dann einfach hoch. Meine Tasche blieb bei dieser Aktion auf dem Gras zurück. Ich hatte einfach keine Kraft, um mich noch länger an den Riemen zu klammern. Ich landete keinen Augenblick später an einer harten Brust ... genauso, wie mich Reznick zuvor getragen hatte. “Wer sind Sie und was wollen Sie von mir? Lassen Sie mich gefälligst runter!”, schimpfte ich von purer Angst gepeitscht. Ich wollte nicht zurück! Ich durfte nicht zurück!
“Was denn, was denn? Erst alles über mich wissen wollen und nun so abweisend?”, sprach der Mann belustigt, was mir sofort das Blut in den Adern gefrieren ließ. “Reznicks Vater?”, fragte ich keuchend und als ein weiteres Lachen ertönte, hatte ich die Antwort. O GOTT! NEIN! Mich trug der Mann, welcher den höchsten Rea angehörte ... Welcher für mich nur Gefahr bedeutete ...
“Bei den Monden! Lasst mich runter!”, fauchte ich und versuchte, mich zu bewegen, aber es klappte nicht. Schlimmer noch, ich wurde immer schwächer. “Höchst amüsant, ehrlich”, sprach er nur und dann erschien vor uns ein Licht. Es war gleich, wie das bei Reznicks Zuhause. Adelstechnik ...
... Ich werde mich beeilen, versprochen ...
... Du musst nur auf mich warten ...
Hörte ich es dumpf in meinem Kopf – hörte Reznick und nur zu gerne, wäre ich jetzt wieder bei ihm. In seinem wunderschönen Zuhause. Ich verlor mich in diese Erinnerung, als wir in das helle Licht eintraten und meine Sicht weiter verschwamm. “Bitte ... Reznick”, säuselte ich noch, ehe mir auch dafür die Kraft ausging. O Gott, bitte Reznick, bitte hilf mir ...