“Wenn unser Sohnemann aufwacht, wird er sicherlich sehr schlechte Laune haben. Ein Gespräch mit ihm wird schwierig werden ...” Zu schade, dass ich momentan nichts über seinen geistigen Zustand wusste. Aber eigentlich spielte das auch keine große Rolle. Durch die laufende Myt-Datei in seinem Schädel hätte er sowieso nichts als Hass für mich übrig. Er würde nicht zuhören und ohnehin durchdrehen, sobald er mich erblickte. Vielleicht wäre es besser, ihn zuvor von seinen falschen Erinnerungen zu befreien – wobei. Nein. Dann würde ihm Dezeria gänzlich unbekannt sein und ihm deswegen irgendwelche Gefühle für sie neu einzupflanzen, wäre äußerst dämlich. Dieser Punkt war schließlich das einzig Echte, was mich bei ihm weiterbringen würde. Sein Antrieb. Sein Ziel. Ich werde mich hüten, etwas davon zu manipulieren.
“Hmmm ...” Gedankenverloren streichelte ich liebevoll mit dem Daumen über den Bleasta und presste ihn fester an meine Brust, während ich meine andere Hand heilte. “Vielleicht bekomm ich ihn ja doch zu etwas Vernunft.” Mit einem Lächeln stand ich auf. In mir braute sich ein grober Plan zusammen, wie ich ihn zu paar Minuten Aufmerksamkeit – nun ja – zwingen könnte, und vielleicht ließ sich dadurch auch Dezeria zu mehr gehorsam animieren. Ein Versuch war es Wert und selbst wenn es nicht einhundertprozentig klappte, so erhoffte ich mir davon wenigstens das Chaos in kontrollierbare Bahnen zu lenken.
“Gut. Das war das.” Zufrieden streckte ich meine Glieder und tastete zeitgleich mit meinen Sinnen die weiteren Bereiche der Schiffe ab. Da gab es tatsächlich noch einige Überlebende, denen ich einen Besuch abstatten musste. Allein fünf davon gar nicht weit von hier entfernt. Im hinteren Teil des Hapanthmas hatte ich auch schon die beiden Elementare lokalisiert. Jedoch stimmte irgendetwas nicht mit ihnen. Sie lebten zwar, aber ihre Essenzen wirkten durcheinander. Auf die Distanz konnte ich nicht abschätzen, was genau es sein könnte. Fest stand allerdings, dass es keine Wirbel waren, wie bei Alexander.
“Dann sehen wir uns mal den Rest deiner kleinen Truppe an.” Ich bettete die Hand, in der sich meine Liebste befand, wieder an meine Brust und schritt gemächlich Richtung Schottentor. Die kurze Strecke dorthin war übersät von toten Körpern. Bei einem davon musste ich zwar noch etwas nachhelfen, aber dafür hielt ich nicht einmal an. Ich spürte, dass es sich bei dem Mann um einen Rea handelte und dementsprechend gleichgültig teilte ich ihn in zwei Stücke.
↝Ich bitte dich.↜ Ein wohliger Schauer fegte durch mich hindurch und reizte all meine Sinne.
“Duu ... brauchst nicht zu bitten. Ich liebe dich über alles, aber ich werde hier keinen Rea am Leben lassen. Du weißt genauso gut wie ich, dass diese Leute ein zu großes Risiko sind. Selbst als Gefangene.” Sie würden, ob nun gewollt oder nicht, Auskunft über unseren Aufenthaltsort geben – über alles, was sie sahen und hörten. Sowas konnte ich jetzt nicht noch zusätzlich gebrauchen. “Alle aus dem Korkut haben meine Regeln bezüglich unseres Kindes für nichtig erklärt. Sie werden nun versuchen, ihn auf ihre Weise zu beeinflussen – loszuwerden und damit zwangsläufig auch mich. Oliver hat sich zwar heute noch an den Richtlinien des Oswelats orientiert, aber das nächste Mal wird er nicht so zurückhaltend agieren. Gesetze der Regeere wird er schon zu umgehen wissen.” Sicherlich arbeitete er schon an einem pompösen Event. Oliver war ein absoluter Meister darin, selbst aus grausamsten Hinrichtungen ein spaßiges Unterhaltungsprogramm für jedermann zu kreieren.
Der zweite bewusstlose Niemand fand durch mich sein Ende und auch diesmal konnte sich meine Liebste einen Protest nicht verkneifen. Wellen der Ablehnung schlugen mir entgegen, was mich schwer seufzen ließ. Diese Mischung aus Frustration und Erregung war anstrengend. Es nagte an meiner Selbstbeherrschung. Riss an meiner Konzentration.
“Wieso machst du es mir schwer?” Ich lief hier schon wieder mit einem Steifen rum und das war keineswegs hilfreich bei meinem Tun. Alles von mir wollte sich an ihr laben – sich binden. Aber noch war ich nicht mit meiner Überprüfung fertig. “Du kannst noch so aufbegehren. Ich werde von meinem Standpunkt nicht abrücken. Nicht, wenn es dich oder unseren Sohn in Gefahr bringt.” Ihre Missbilligung blieb bestehen, wodurch mir erneut ein Seufzen entwich. Konnte oder wollte sie meine Bemühungen nicht sehen? Wenn es rein darum ging etwas zu töten, dann könnte ich auch einen Blitz zu jedem Lebenszeichen schicken. Innerhalb eines Wimpernschlags wäre jeder an diesem Ort Geschichte. Aber ich wollte ihr unbedingt gefallen. Wenn es jemanden gab, der kein Rea war, würde ich diesen verschonen. Ich konnte gar nicht anders.
Beim betreten des Verladeraums des Hapanthmas fand ich dann auch ENDLICH meine ersten Pluspunkte in Form von zwei Frauen. Zwischen einigen toten Wachen lag eine kurzhaarige Blondine und gleich daneben eine mit längeren schwarzen Haaren. Beide trugen einen goldenen EBS und auch sonst schrie alles an ihnen nach Sklave. Mager. Zierlich. Selbst einige Bestrafungsmerkmale konnte ich entdecken, die nicht von den Blitzschäden meiner Liebsten herrührten. Der einen fehlten jeweils zwei Finger einer Hand, während die andere am Hals verblasste Narben trug.
Eigentlich interessierte es mich nicht wirklich. Der Anblick ihrer geschundenen Körper löste nichts in mir aus. Weder Mitleid noch sonst irgendein Drang, ihnen zu helfen. Jedenfalls nicht freiwillig, aber die herrlich starken Impulse meiner Liebsten sorgten ganz automatisch dafür. Mein Körper handelte von allein. Wie hypnotisiert beugte ich mich vor, formte lange scharfe Krallen und griff nach dem ersten Halsband.
↝Leopold, ich tu alles, was du willst, wenn du sie verschonst.↜ Ich hielt inne und keuchte. Diese Worte waren das Schlimmste, was sie von sich geben konnte. Mein Gehirn verabschiedete sich. Für einen kurzen Moment stellte ich mir vor, wie es sein würde, wenn wir uns verbanden. Pure Sehnsucht jagte durch mein Innerstes, was grauenhafter war als jede Folter der Welt.
“Ohh verhandel nicht mit mir, meine Liebste.” Ich erhob mich und blickte den Kristall missmutig an. So verlockend all diese Gefühle auch waren, der bittere Nachgeschmack folgte immer irgendwann. Besonders bei ihr. Ich durfte mich nicht davon einwickeln lassen. Als ich das erste Mal diesen Worten nachgegeben hatte, waren daraus unsere beiden Söhne entstanden. Nicht zu vergessen, das zweite Mal, wo ich ihr absolut nicht widerstehen konnte und dadurch das Problem mit den bescheuerten Spielen überhaupt erst anfing.
“Du weißt ohnehin, was ich will, aber das kannst du mir nicht geben.” Mist. Mein Mund war schneller als mein nutzloser Kopf. Das war absolut nicht der richtige Moment, um dieses vielschichtige Thema auf den Tisch zu bringen. “Entschuldige. Meine Nerven liegen schon seit gefühlten Ewigkeiten blank und du befeuerst es auch noch ordentlich mit deiner unbedarften Art.” Das war wahrlich keine gute Entschuldigung und bevor ich es schlimmer machte, zog ich es vor, nicht näher darauf einzugehen. Später musste ich mit ihr sowieso noch etliches besprechen. Angefangen von unserem zweiten Kind, bis hin zu meinen Zukunftsplänen mit ihr. Ich war mir nicht sicher, wie sie auf einem möglichen echten Körper reagieren würde. Konnte sie sich daran erfreuen, wenn ich ihn hergestellt hatte? Das Aussehen selbst bestimmte? Würde sie es akzeptieren? UND am wichtigsten – würde sie mich dann, als ihren Partner erwählen?
Bei all diesen Fragen drängte sich plötzlich noch was ganz anderes in den Vordergrund. Sterblichkeit. Wenn das alles funktionierte, wie ich mir das vorstellte und ich sie aus ihrer Instabilität befreien konnte, dann wäre sie verletzbar. Schon jetzt war sie meine größte Schwäche, aber so?
Vierzehnmal hatte man sie in meinem Beisein getötet – die CeKyde oder ein anderes Konstrukt, in der sie gesteckt hatte, zerstört. Bei jeder dieser Situationen hatte ich es nicht verhindern können. Diese Unachtsamkeit konnte eine Maschine verzeihen und ersetzt werden, aber kein beseelter Körper. Und selbst, wenn ich sie in vollkommener Sicherheit hielt, würde sie das glücklich machen? Sie war ein unkontrollierbarer Freigeist und nur, wenn ich sie einsperrte, konnte ihre Unversehrtheit gewährleistet sein. Aber würde sie das zulassen? Nach all den Jahrhunderten, die sie bereits eingesperrt existiert hatte und es auf eine gewisse Weise noch immer war? Noch dazu – konnte sie ewig leben oder alterte sie mit einer echten Hülle? Starb sie mir letztlich also doch weg?
Ein Knurren entwich meiner Kehle. Irgendwie war das gerade überaus unbefriedigend und das nicht nur auf meine körperliche Lust bezogen. Je länger ich über alles nachdachte und das Chaos in meinem Schädel weiter rotieren ließ, desto unerträglicher wurde es. Ich fühlte – Leere.
“Na fabelhaft ...” Wütend biss ich die Zähne zusammen. Damit hätte ich rechnen müssen, dass all die Strapazen derartige Schübe nach sich ziehen würden. Der Ursprung lockte und wartete offensichtlich sehnsüchtig darauf, dass ich mich endlich löste. Elendes Gleichgewicht! Jetzt wo ich mir dessen wieder wirklich bewusst war, langweilte es mich. Normalerweise war ich nicht anfällig dafür, aber heute – auch ich hatte meine Grenzen.
“Ich werde deinen Sklaven nichts antun.” Ja. Sich darauf zu konzentrieren würde helfen und gleich doppelt, wenn ich meine Liebste damit erfreute. Sie protestierte zwar noch mit einigen negativen Wellen, aber als ich meine Krallen lediglich dafür einsetzte, die Halsreife zu entfernen, verstummte sie. “Zufrieden?” Es war eine rein rhetorische Frage, denn ich spürte ihr Wohlwollen und das ging runter wie Öl. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich sie umarmt und innig geküsst. Aber man konnte ja nicht alles haben.
Nachdem ich den beiden Frauen auch noch etwas von meinem Blut eingeflößt hatte, um sie einerseits zu heilen und andererseits ein gewisses Maß an Kontrolle beizubehalten, sah ich mich genauer um. Mir war nicht der dezente Geruch nach Erbrochenem sowie von fremdem Blut entgangen. Es gab zwar noch einen Lebendigen hier, und das nicht einmal zwei Meter von mir entfernt, aber der konnte warten.
Spätestens als ich einen Körper entdeckte, der buchstäblich zweigeteilt war, hatte der Raum meine volle Aufmerksamkeit. Ich sah einen Kopflosen und weiter hinten eine undefinierbare verstreute Fleischmasse, was sicherlich früher mal ein Mensch gewesen war. Unweigerlich musste ich darüber schmunzeln. Das trug eindeutig Alexanders Handschrift.
“Vor deinem Ausbruch muss hier ganz schön was los gewesen sein. Unser Sohn hatte scheinbar seinen Spaß.” Wobei drei Tote bei seiner Stärke doch arg wenig waren. Ob er dabei einen Plan verfolgt hatte? Eine absichtliche Gefangennahme? Oder ein Anflug von blinder Wut? “Was war überhaupt euer Ziel, mit dem Hapanthma gewesen? Ich hätte ehrlich nie gedacht, dass ihr das für eine Flucht nutzen würdet. Mir erschließt sich in dem Zusammenhang die Zerstörung der Parzelle nicht. Was hattet ihr vor?” Es interessierte mich ehrlich, aber leider war meine Liebste nicht gewillt, mir dementsprechend etwas mitzuteilen. Äußerst schade.
Mit einem langen Seufzen schritt ich durch das knöcheltiefe Wasser und wandte mich dem letzten Überlebenden zu. Er lag etwas ungelenk auf dem Bauch und halb unter zwei Wache begraben. Gleichgültig trat ich die störenden Leiber beiseite und packte den Schopf des Wichtes, der entweder gleich völlig hinüber sein würde oder aber meine Großzügigkeit erleben durfte. Na mal sehen.
Etwas lieblos riss ich ihn an den Haaren empor und musterte seine Gestalt. Er war zweifellos derjenige gewesen, der sich übergeben hatte. Sonst jedoch konnte ich mit seinem Anblick nichts anfangen. Er besaß kein EBS und auch seine Uniform gehörte dem ersten Eindruck nach nicht zu Oliver. Der Mann trug einen weiß-roten Anzug, zwar schlicht aber doch wertig genug, um sich von der normalen Dienerschaft abzuheben.
Nachdenklich zerrte ich ihn weiter in die Höhe und besah mir lange seine Kleidung an. Wenn er das persönliche Spielzeug von jemandem hier war, müsste er ein Zeichen tragen. Aber ich fand keines. Kein Symbol oder Ähnliches, mit dem ich ihn hätte zuordnen können. Seltsam.
“Was ist mit dem hier? Gehört er zu euch oder hat einer von Olivers Leuten ihn dabeigehabt?” Aus meiner Sicht her würde ich ihn umbringen, aber ich wollte nichts überstürzen.
“W-er ...” Dieses geflüsterte Wort ließ mich aufhorchen und wieder in sein Gesicht blicken. Zu meiner Überraschung hatte er die Augen geöffnet. Wie konnte er bei dem Grad seiner Verletzungen noch wach sein? Essenz beschädigte den Körper äußerst effektiv und ich selbst spürte, dass er näher am Tod war als am Leben.
↝Er gehört zu den Geretteten. Bitte tu ihm nichts.↜
“Verstehe. Mit anderen Worten ein spezielles Spielzeug.”
“W-wer ... seid Ihr?”
“Oh, du bist ja richtig munter. Faszinierend, dass du sogar ganze Sätze in deinem Zustand schaffst.” Ich legte den Kopf schräg. “Von einer Skala von eins bis unerträglich, wie fühlst du dich? Ich hatte noch nie das Vergnügen mit einem lebenden Carami.” Was daran lag, dass diese Sklavenklasse nur auf Bestellung angefertigt wurde und ich nicht noch extra dazu beitragen wollte, jemandem Derartiges anzutun. Für meine Forschungen hatten Überreste auch völlig ausgereicht.
“Unerträglich ...” Er bemühte sich sofort, klar und deutlich zu sprechen. Das Lächeln wollte ihm dagegen so gar nicht gelingen, aber allein sein Versuch zeigte eindrucksvoll, wie kaputt er war. Seine Pupillen hatten sich geweitet, als ich seine Kategorisierung erwähnte, und sogleich vermutete er, dass ich etwas Hohes sein musste. Er wollte mir gefallen. Mich zufrieden stimmen. Widerlich.
“Kannst du dich bewegen oder liegt deine Modifizierung allein im Wachsein?”
“Wachsein ... und gehorchen.” Kaum ausgesprochen ließ ich ihn los, um das zu testen. Wie ein Lebloser fiel er in sich zusammen und landete mit dem Gesicht voran auf dem nassen Boden. Nicht ein Muskel hatte dabei gezuckt. Sein Selbsterhaltungstrieb war gleich null.
↝Leopold, bitte.↜
⇝Ja, ich weiß. Ich soll ihm nichts antun. Ich habe es nicht vergessen. Aber was willst du eigentlich mit ihm später anfangen? Er ist gezüchtet, sprich, selbst wenn ich ihn heilen würde, bleibt er beschädigt.⇜
↝Wie kann etwas Heiles beschädigt sein?↜
⇝Sieh ihn als defekte Maschine, wo nicht nur einzelne Hardwarebestandteile getauscht werden müssten, sondern auch das Betriebssystem als Ganzes.⇜ Das war ein komischer Vergleich, aber was Besseres fiel mir gerade nicht ein.
↝Aber du kannst sein Betriebssystem auch heilen?↜
⇝Möglich. Ich würde das beschädigte Gewebe entfernen und versuchen, es mit meiner Essenz zu ersetzen.⇜ Was sich nicht nur verrückt anhörte, sondern es auch tatsächlich war. Sowas hatte ich noch nie versucht, aber theoretisch müsste es funktionieren. ⇝Danach wäre er frei und hätte keine negativen Effekte mehr durch die Rea.⇜
↝Ich möchte, dass du ihn ganz heilst.↜ Was mich nicht überraschte. In gewissen Dingen war meine Liebste schon immer unglaublich berechenbar.
⇝Eine Bedingung hätte ich da allerdings. Ich will, dass du dem neuen Körper, den ich gerade für dich anfertige, eine Chance gibst, gleich ob dieser Kerl überlebt oder sterben wird.⇜ Irgendeinen Nutzen musste ich schließlich auch von dieser nervigen Selbstlosigkeit haben.
↝Chance? Wie meinst du das? Ich habe mich noch nie gegen eine von deinen Entwürfen gestellt.↜ Das war sowohl richtig als auch falsch. Sie hatte sich nie offen gegen eine Hülle gesträubt, aber dennoch gab es bei jeder einzelnen versteckte Anzeichen von Akzeptanz oder Ablehnung. Dies war mir nie entgangen. Ich bekam jede Regung von ihr, und sei sie auch noch so klein, sehr intensiv mit. Sie war meine Welt. Mein Leben. Mein Ein und Alles.
⇝Diesmal ist es anders. Ich habe vermutlich etwas Endgültiges für dich.⇜ Ihr es jetzt schon mitzuteilen war zweifellos viel zu verfrüht, aber ich konnte nicht länger an mich halten. Es war mir ein tiefes Bedürfnis, ihr das zu sagen. Sie sollte sich über einen permanenten Körper Gedanken machen. Ob sie das wollte. Ob sie mich wollte.
↝Ich werde akzeptieren, was immer du entworfen hast.↜ Das klang nicht nur gleichgültig, sondern es fühlte sich auch genauso an. Gekränkt oder verletzt deswegen, war ich aber nicht. Wir hatten einfach schon zu viele Methoden ausprobiert, um ihre Instabilität in den Griff zu bekommen. Sicherlich glaubte sie mir nicht und das war auch in Ordnung.
⇝Bitte verzeih, meine Liebste, aber für das Umstrukturieren werde ich dich kurz ablegen, da ich beide Hände gebrauchen werde.⇜ Kaum gesagt, blickte ich umher. Kein Platz schien mir wirklich geeignet, aber es war ja nicht für lang. Ich entschied mich letztlich dafür, sie auf eine der beiden Sklavenfrauen abzulegen. Mitten in den Ausschnitt der Blonden. Ein guter weicher Ort. Von dort aus konnte sie entspannt über ihre Schützlinge wachen und war doch weit genug entfernt, um mich nicht bei meiner Arbeit zu stören.
Danach stapfte ich zurück zu dem Glückspilz, der gleich in den vollsten Genuss meiner Fähigkeiten kommen durfte. Meine Fingerspitzen kribbelten schon richtig. Ich konnte es kaum erwarten, mich an ihm auszuprobieren. Wenn die Augonen eines konnten, dann war es Sklaven für jede nur erdenkliche Vorliebe herzustellen. Ob sich diese genetische Veränderung beheben ließ, war ungewiss, aber auch aufregend. Eine Herausforderung.
“Werdet ... Ihr mich ... töten?” Er war noch immer bei Bewusstsein und starrte mich mit geweiteten Augen an, als ich mich neben ihm auf den Boden kniete.
“Wird sich zeigen.” Eigentlich war mir nicht nach reden. Jedenfalls nicht mit ihm. Es interessierte mich kein Stück, ob er leben oder sterben wollte. Seine Wünsche spielten hier keine Rolle. Meine Liebste wollte, dass ich ihm half und mein eigener Antrieb war, ihr zu gefallen gepaart mit Neugierde. Mehr gab es da nicht.
“Dann ein Folterspiel?”, fragte er ohne Furcht, als ich ihn etwas lieblos auf den Rücken drehte.
“Ein Spiel wäre es, wenn ich nicht wüsste, was du bist.” Dann wäre mein Tun wahrlich sinnlos und seine Überlebenschancen gleich minus. Ich hätte der Reihe nach alle Organe tauschen müssen und wenn das keine Wirkung zeigte auch noch sein Blut. Durch Hendrickson wusste ich jedoch, dass es spätestens bei diesem Schritt enorme Probleme geben würde. Ich war kein Universal, wie vermutlich Dezeria. Jeder reagierte auf meine Essenz und zu viel davon war immer gleich anstrengend für den fremden Organismus. Ich konnte noch so behutsam und vorsichtig sein, wenn selbst mein eigenes Kind fast daran gestorben wäre, würde es diesen Wicht locker killen.
“Du bist ein Carami mit einer Gewebe-Modifizierung im Bereich der Nieren und Nebennieren.” Ich formte jeweils beide Zeigefinger zu gezackten Klingen und durchtrennte damit konzentriert seine Kleidung am Oberkörper. “Enzyme, Hormone sowie dein Stoffwechsel wurde so umstrukturiert, dass du bei egal welcher Schmerzintensität immer wach ...” Ich hielt inne und starrte mit gerunzelter Stirn einen kleinen Leberfleck auf seiner rechten Brust an. “Wie lautet deine Werkszahl?”
“Werkszahl? Ich ... verstehe nicht, mein Herr.”
“Die Herstellungsnummer oder auch Sklavennummer! Deine Zahl eben!” Mein Blut kochte und ohne seine Antwort abzuwarten, schnitt ich das Muttermal in Form einer kleinen Schlange aus seiner Haut.
“0 ... 0 ... 34–” Was er noch stotterte, blendete ich wütend aus. Allein die beiden Nullen am Anfang hatten schon gereicht, um meine Vermutung zu bestätigen. Zumal das Zeichen auch zu eindeutig gewesen war. SIE hatte ihn gemacht! Verena. All ihre Kreationen verzierte sie an dieser Stelle mit einem Tiersymbol.
Ich atmete einmal tief durch, um mich zu beruhigen. Es regte mich noch immer unglaublich auf, dass ausgerechnet sie mich hintergangen hatte. Wie konnte sie nur? Was war mit all der Schwärmerei und dem Gerede, zu mir zu gehören? Meine Partnerin sein zu wollen?! Dass ich mich davon verraten fühlte, war lächerlich, immerhin bedeutete sie mir nichts – und doch. Es verletzte mich auf eine Weise, die mir fremd war. Dafür würde sie auf jeden Fall sehr lange und qualvoll leiden.
“Bitte ... ich ... will nicht ...” Der Kerl rang hektisch nach Atem und blickte voller Angst an sich herab. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich meine Hände in groteske Klauen gewandelt und in sein Fleisch verkrallt hatten.
“Was du willst, ist irrelevant.” War es definitiv, dennoch ließ ich von ihm ab. Ihn so zu verletzten hatte ich nicht beabsichtigt. Eine Entschuldigung würde er aber trotzdem nie von mir hören. Das wäre ja noch schöner. Stattdessen riss ich mir selbst in einer fließenden Bewegung den linken Unterarm der Länge nach auf und ließ mein Blut über ihn fließen. Ich würde sicherlich eine Menge davon brauchen und so bekam er durch die offenen Wunden schon mal einen kleinen Vorgeschmack dessen, was ich gleich im großen Stil zu tun gedachte.
“Wiederherstellung”, gab ich gelangweilt von mir, als er mich panisch ansah und sich sein Keuchen beschleunigte. Vermutlich tat es ihm zusätzlich weh, aber was kümmerte mich das? Allein, dass seine Verletzungen heilten, war von Belang und das klappte auch ohne Probleme.
“Warum ... tu–” Ich ignorierte das Gesabbel und blickte an seinem Brustkorb entlang. Etwa auf Höhe der elften und zwölften Rippe würde ich die Einschnitte bis zur Wirbelsäule machen. Unwillkürlich musste ich lächeln. Ich ruinierte damit Verenas Werk und wenn der Kerl daran nicht verstarb, gleich doppelt. Es wäre eine schöne Herabwürdigung ihrer Arbeit und würde sie auf jeden Fall treffen. Ja. Das löste in mir ungeahnte Zufriedenheit aus. Sie war nutzlos. Unbedeutend. Und genau das würde ich ihr auch sehr deutlich vor Augen führen.
Ich fackelte dann auch nicht lange. Meine Krallen formten sich in hauchdünne Skalpelle und konzentriert bahnte ich mir einen Weg in sein Innerstes. Genervt drängte ich unerwünschtes Gewebe beiseite und ließ nebenbei mein Blut unentwegt in die geöffnete Bauchdecke fließen. Es war leicht, die fehlerhaften Organe zu entfernen, und auch das sofortige Ersetzen klappte von meiner Seite aus einwandfrei.
Nun begann allerdings der schwierige Teil. Meine Essenz versuchte die Anpassung an seinen Körper. Es brachte mir schließlich nichts, wenn ich mich ein Leben lang auf diesen unbedeutenden Wurm konzentrieren müsste, damit er nicht verreckte. Die Organe sollten ohne mein Wirken selbstständig funktionieren und das konnten sie nur, wenn meine Essenz sich umstellte – ganz zu der Seinen wurde.
“Dann streng dich mal an”, sprach ich mit einem Grinsen, während ich meine blutüberströmten Hände aus ihm zurückzog. Fein säuberlich legte ich die herausgetrennten Organe neben mir auf den Boden. Jetzt musste ich diesen Glibberhaufen nur noch zu Verena schicken, sonst würde sie ja schlecht davon erfahren können.
“Was habt ... Es ... ist ... unerträglich.” Der Sklave zitterte erbärmlich, schwitzte, verdrehte die Augen und kam aus dem Hecheln gar nicht mehr raus. Er kämpfte verzweifelt mit den Schmerzen, aber das musste er auch. Wenn er aufgab, würde meine Essenz ihn nicht akzeptieren. Dabei konnte ich ihm nicht helfen. Meine Aufgabe bestand jetzt nur noch darin, sein Herz zu überwachen. Es vibrierte zwar förmlich in seiner Brust, sah aber soweit gut aus. Solange es nicht stehenblieb, war alles in Ordnung.
“Perfekt.” Zufrieden schloss ich die Augen, als ich spürte, dass mein Schlachtschiff eintraf. Die Tyschenka verleibte sich in diesem Moment die beiden Schiffe ein. Wenigstens in dieser Hinsicht funktionierte Tyschka noch einwandfrei, ohne dass ich ihr hierfür eine extra Anweisung geben musste. Sie nutzte die Leitstrahlen, um die Maschinen völlig kontaktlos und ohne einen Ruckler in den Hangar zu manövrieren. Groß genug war dieser ja. Nichts würde anecken. Somit befand sich nun alles vollständig in meiner Obhut – unter meiner Kontrolle. Nun musste ich keine zusätzliche Kraft mehr in ein Energiefeld aufwenden, um ein Auseinanderbrechen zu verhindern.
“Deaktiviere auf dem Hapanthma und auf dem Kriegsschiff des Orchikors alles, was als Waffe durchgeht oder als Komponente dafür genutzt werden kann. Ach und ja, auch sämtliches Zeug, was man zu einer Bombe umfunktionieren könnte”, gab ich ihr sogleich Anweisungen durch mein Implantat. Ich hatte mir überlegt, dass es vorerst besser wäre, wenn Alexander hier in seiner vertrauten Umgebung erwachte. So würde es noch am ehesten gelingen, einen gesitteten Rahmen für unser Aufeinandertreffen zu schaffen. Allerdings hatte ich keine Lust, dass er mir irgendwo ein Loch hineinsprengt oder anderen Blödsinn machte.
⫸Wie Ihr wünscht, mein Herr.⫷
“Markiere dir auch noch meinen Nav-Punkt. Hier liegt organisches Material, dass du umgehend zu den Augonen schickst. Persönlich adressiert an Verena Votapek. Schreib was in dem Sinne: Für deinen Verrat, oder so.”
⫸Verstanden.⫷
“Hm?” Ich öffnete die Lider. Meine Aufmerksamkeit fiel zurück auf den Wicht vor mir, der es doch tatsächlich wagte, den Löffel abzugeben. “Keiner hat dir erlaubt, zu sterben.” Zum Glück ließ sich sowas mit meiner Fähigkeit immer leicht beheben. Nur ein paar gezielte Stromstöße und der Herzmuskel nahm seine Arbeit wieder auf. “Besser. Viel besser.” Sein Körper machte das wirklich gut. Meine Essenz wandelte sich langsam um und auch sonst hatte sich sein Körper perfekt regeneriert. Dass er jetzt das Bewusstsein verlor, sprach auch eine deutliche Sprache. Ich war hier fertig.
“Kategorisiere die Überlebenden. Ich will eine vollständige Analyse und eine ständige Überwachung ihrer Vitalwerte. Sollte sich etwas zum Schlechteren ändern, will ich darüber informiert werden”, befahl ich Tyschka via Link und stand wankend auf. Heute hatte ich wahrlich viel Energie verbraucht. Je mehr sie nun übernahm, desto einfacher würde es für mich werden.
⫸Verstanden.⫷
“Ich will außerdem was essen, wenn ich hier fertig bin. Reichlich. Egal was.” Aktuell würde es auch ein riesiger Haufen rohes Fleisch tun, Hauptsache etwas Essbares.
⫸Verstanden.⫷
“Gut ...” Kurz blickte ich orientierungslos umher, bis mir wieder einfiel, was ich gerade machen wollte. Mit einem Lächeln schritt ich zu den Sklavenfrauen und schnappte mir den Kristall – bettete meine Liebste erneut sanft an meine Brust.
↝Hast du es geschafft? Wie viel Zeit ist vergangen?↜ Aus ihrem Geist pulsierte ein Gefühl, das dem von Sehnsucht glich und mir sogleich ein Stöhnen entlockte.
“Nicht ... viel und ja, es geht ihm den Umständen entsprechend.” Ich genoss es vom Scheitel bis in die Zehenspitzen, dass sie mich vermisst hatte. Mich. Nur mich. Keinen einzigen Gedanken verschwendete ich daran, dass es nicht so sein könnte. Es spielte keine Rolle, dass sie ohne mich die Außenwelt nicht wahrnehmen konnte. Es hatte nichts damit zu tun, dass ich den Bleasta berühren musste, damit sie nicht taub, blind und stumm war. Nein. Daran lag es bestimmt nicht. Sie hatte mich ganz gewiss vermisst.
“Da sieh.” Ich hielt den Kristall in Richtung des Kerls, der zwar noch rasch atmete, aber sonst friedlich dalag. “Sein Organismus wird sich nun ohne weitere Einmischung meinerseits stabilisieren.”
↝Da ist viel Blut.↜
“Ist nicht weiter tragisch.”
↝Und was ist mit Johanna und Zerian? Hast du sie auch schon angesehen? Geht es ihnen gut?↜
“Ich bin noch nicht dazu gekommen.” Ich schnaufte. Hoffentlich musste ich die beiden nicht auch so intensiv behandeln. Meine Essenz war eigentlich überhaupt nicht zum Heilen vorgesehen. Zerstörung lag mir da eher und kostete nur einen Bruchteil meiner Kraft.
Müde und unglaublich hungrig ging ich den zerpflückten Korridor entlang. Offensichtlich hatten Olivers Männer hier am stärksten mit dem Wasserelementar gekämpft. Überall sah man massive Zerstörung. Das Metall war großflächig verbogen oder ganz aus seiner Fassung gedrückt worden. Ein paar Meter weiter hatte es eine Tür sogar soweit verzogen, dass man sie kaum noch als solche erkannte. Ich stoppte. Genau dahinter spürte ich fünf Überlebende.
“Klopf, klopf ...” Mit einer Klinge schnitt ich mühelos einen Spalt in die deformierte Wand. “Hm?” Verwundert hob ich eine Augenbraue. Der nachfolgende Weg war voller Gerümpel blockiert. Jedes Möbelstück, das sich wohl hatte verschieben lassen, türmte sich vor mir auf.
“Wie lästig.” Gelangweilt zerhackte ich einige aufeinandergestapelte Sessel, einen Tisch und zwei Holzschränke samt Glasvitrine. Die Leute hatten scheinbar versucht, sich hier zu verbarrikadieren. Welch sinnloses Unterfangen. Oliver hätte sich über diese Situation richtig gefreut und daraus ein Spiel gemacht. Er hätte die Tür noch extra von außen versperrt und abgewartet, bis sich die Insassen aus Hunger gegenseitig zerfleischten. Derartiges lief regelmäßig im Abendprogramm.
Einen Haufen Kleinteile später, fand ich die fünf schließlich hinter einem Tresen versteckt. Alle lagen eng beieinander. Optisch Sklaven durch und durch. Keiner von ihnen war ein Rea, aber das hatte ich bereits vermutet.
“Obwohl du zerbrochen bist, hast du dennoch aufgepasst, dass deine Essenz keinen deiner Sklaven tötet. War das bewusst oder unbewusst?”
↝Unbewusst. Verletzt sind sie ja trotzdem. Es ist purer Zufall, dass ich keinen getötet habe.↜ Nein. Das war alles, aber kein Zufall. Sie konnte es irgendwie steuern – nur wie? Es frustrierte mich ungemein, dass ich nicht viel über das Lösen wusste und auch nicht näher untersuchen konnte. Das war einfach ein Ding der Unmöglichkeit.
Zu Anfangs hatte ich es noch mehrfach selbst ausprobiert, war aber schnell an meine Grenzen gestoßen. Ich hatte versucht, daraus Macht zu generieren. Stärker zu werden. Immerhin war das unser aller Ursprung. Irgendeinen Sinn musste es doch haben, darin zurückzukehren. All die Seelen und Essenz – ein endloser Quell aus allem, was wir waren. Es umgab uns. War überall. Ständig.
Darüber sollte niemand Kontrolle haben und doch reizte es mich enorm, weil ich dadurch meine Liebste retten konnte. Ich wollte sie nicht verlieren. Ich selbst konnte völlig in Essenz aufgehen und an einem schmalen Grat tanzen, der zwischen Leben und Tod hing. Es war nur eine Entscheidung. Ein Schritt. Ein Impuls nötig und ich würde fallen. Mein Lösen hatte ich aber bislang immer durch eiserne Willenskraft verhindern können. Eine eigene Entscheidung spielte also durchaus eine Rolle. Musste es ja.
Man war bis zu einem gewissen Grad bei Bewusstsein, wenn das Lösen einsetzte. Aber was kam dann? Existierte etwas von einem weiter? Irgendwo? Überall oder nur an einem Ort konzentriert? Konnte man wieder zurück? Hatte es schon mal jemand geschafft? Und wenn ja, erinnerte man sich daran?
Ich liebte es, mir darüber Gedanken zu machen. Meine Unsterblichkeit brachte das irgendwie mit sich. Ich war anders als die anderen und konnte dadurch wiederum Besonderheiten bei ihnen erkennen. Meine Liebste war wohl die älteste Instabile, die es je gegeben hatte. Ich war mit ihr nicht vollkommen und doch hatten wir zwei – drei Kinder miteinander. Zwei mit einem echten Körper und jetzt eines, das genauso flüchtig war wie sie selbst. Unsere Familie entsprach keiner Norm und doch waren wir alle am Leben. Und ich würde alles –
↝Leopold?↜ Angst. Zweifel. Schuld. Ihre Gefühle waren durcheinander.
“Entschuldige, ich schweife ab ...” Sanft streichelte ich mit dem Daumen über meine Liebste und hob zugleich den anderen Arm. “Sie werden es überleben. Keine Sorge.” Meine Finger wurden zu Krallen und bohrten sich erneut in meinen Handballen. Über jeden Einzelnen träufelte ich eine gewisse Menge an Blut und drang durch die Atemwege ins Innere. So viel wie ich heute hatte ich mein ganzes Leben noch nicht heilen müssen und die zwei schlimmsten standen mir noch bevor.
Ich seufzte, presste meine Liebste fest an meinen Körper und ging zurück in den Flur. Mittlerweile fühlte ich mich nur noch elendig und hätte ich sie nicht an meiner Seite – hier läge schon längst alles in Schutt und Asche. Ich war niemand, dem andere etwas bedeuteten. Lediglich meine Familie und Alexander hatte ich bereits versorgt. Alles andere war egal. Eine Störung in meiner Welt. Unbedeutende Geschöpfe. Auch die beiden Elementare hatten da keinen besseren Stellenwert. Ich wollte ihnen nicht helfen und anschließend bei mir aufnehmen müssen. Aber darauf lief nun einmal leider mein ganzes Handeln hier hinaus. Wieder etwas, dass die Aufmerksamkeit meiner Liebsten fesseln und mich in den Hintergrund drängen würde. Ich hasste das.
Mir entwich ein erneutes Seufzen, als ich den völlig zerstörten Raum – oder besser gesagt die lächerlichen Reste davon – betrat. Hier hatte es meine Liebste zweifelsohne zerrissen. Dem Anschein nach genau neben den beiden Elementaren, da ich zwischen ihren nackten Körpern die geschmolzenen Überreste einer Puppe entdeckte.
↝Es sieht schlimm aus. Was habe ich nur angerichtet?↜ Von ihr strömten intensive Wellen aus Angst und Schuld, als ich mich den Verletzten näherte. Es tat ihr unglaublich leid, dass beide deutliche Verbrennungsspuren aufwiesen. Auf dem weißen Körper des Mannes konnte man es noch einmal extra bewundern. In seinem Fleisch hatten sich fette schwarze Blitzspuren auf der kompletten rechten Seite verewigt. Bei der Frau hingegen nur der linke Arm. Vermutlich hatte er sie zu schützen versucht.
“Nichts, was nicht verheilen würde.” Über die verbrannte Haut und das Fleisch darunter machte ich mir keine Gedanken. Dahingehend waren Elementare äußerst zäh. Vielmehr beschäftigte mich die Frau und das wirre Flackern ihrer Essenz.
Mit grimmigen Blick hockte ich mich neben sie, drehte ihren Leib auf den Rücken und legte eine Hand auf ihre Stirn. Ich hatte zwar schon vorhin gespürt, dass etwas durcheinander war, aber jetzt verstand ich auch warum. Ihr fehlte ein Stück von sich selbst.
“Wie stehen die beiden zueinander?” Ich drehte den Kopf und betrachtete nachdenklich den Kerl. Er war das gewesen und das bedeutete Probleme. Neue Probleme, die ich nicht gebrauchen konnte.
↝Sie gehören zusammen und haben sich vor kurzem gebunden.↜
“Verstehe. Dass ich ihn töte, willst du vermutlich nicht, oder?” Die Frage war eigentlich hinfällig, aber ein Versuch war es wert.
↝Nein!↜
“Und wenn du zwischen beiden wählen müsstest?”
↝Wählen? Wie meinst du das? Bitte hilf ihnen. Ihnen beiden.↜ Schwierig. Ihre Verletzung an sich und sie im Speziellen.
“Heilen ist so eine Sache. Sie ist kein Elementar aus dem Ursprung, sondern künstlich. Was sie grob zu einem Rea macht. Das hatte ich dir doch schon einmal zu erklären versucht. Sie gehört zu der Testreihe der Augonen, um eine Essenz zu vervielfältigen. Wer war es noch ... Mylagie hast du ihn genannt. Das Feuer. Dass sie überhaupt lebt, ist schon erstaunlich. Es gibt schließlich nur eine Seele und eine Essenz als solches. Dies lässt sich nicht duplizieren. Die vielen leblosen Hüllen, die es hervorgebracht hatte, waren sehr deutlich gewesen. Weil du es so sehr wolltest, hab ich zugestimmt, sie durch das Spiel zu uns zu holen. Aber der da”, ich deutete auf den Wasserkerl hinter mir, “hat nun ein Stück von ihr verschlungen. Wenn ich das mit meiner Essenz zu beheben versuche ... Sie kann damit nichts anfangen. Vermutlich werde ich das bisschen Essenz oder Seele, das sie damals eingepflanzt bekommen hat, restlos zerstören. Sie ist schwach und egal wie sehr du an dem Feuer hängst ... das gibt es längst nicht mehr.”
↝Du irrst.↜ Ich lächelte freudlos.
“Und in welchem Punkt irre ich mich, Liebste?” Konnte sie es nicht verstehen oder wollte sie es nicht? Die Frau hier war ein Experiment, welches zwar überlebt hatte, aber doch nichts dabei rausgekommen war. Die Aufzeichnungen dieses Aschengardtypen hatte ich alle durchgesehen. Er war auch nicht weiter gekommen als Verena. Mag sein, dass diese Hülle in dem Oswelat noch einen eigenen Willen gezeigt hatte, aber inwieweit das echt und nicht einprogrammiert war – blieb fraglich.
↝Sie beherrscht das Feuer. Ist das Feuer. Sie kann es nach Belieben rufen und kontrollieren. Mylagie ist in ihr. Ich weiß es. Ich habe es gespürt und auch gesehen.↜ Ich schüttelte sachte den Kopf, öffnete den Mund und schloss ihn unverrichteter Dinge wieder. Es wäre egal, was ich dazu sagen würde. Sie wollte die beiden haben und ich konnte es ihr nicht verweigern. Nicht, wenn ich all diese Gefühle von ihr empfing. Sie flehte auf diese eine ganz bestimmte Weise, die mein Herz schneller schlagen ließ und sämtlichen Widerwillen in mir brach.
“Du wirst aber einen Augenblick warten müssen und wenn es nicht funktioniert, will ich keine Beschwerden hören.”
↝Ich danke dir.↜ Ein Ruck ging durch mich hindurch und kurz starrte ich verwirrt auf den Kristall. Wann hatte sie sich das letzte Mal bei mir bedankt? Hatte sie das überhaupt jemals getan?
“Nicht dafür ...” Behutsam legte ich sie eine Armlänge von mir entfernt auf den Boden. Warum meine Hand dabei zitterte, verstand ich allerdings nicht. Vermutlich lag es aber nur an meiner generellen Erschöpfung.
“Also dann.” Entschlossen ballte ich einmal die Faust, bis es schmerzte und konzentrierte mich. Innerliche Aufruhr würde jetzt nur hinderlich sein. Ich durfte keinerlei Emotionen in mir tragen, wenn ich mit meiner Essenz ein Teil ihrer Seele wiederherstellen wollte. Bei Körperschäden war es unwichtig, was ich dachte. Es war egal, was für Gefühle ich in mir trug, aber nicht bei solch einer Wunde. Ich musste so neutral wie möglich sein.
Erst nachdem ich sämtliches Fühlen und Denken tief in mir verschlossen hatte, legte ich die zweite Hand auf ihren Brustkorb, während die andere noch immer auf ihrer Stirn verweilte. Zögerlich. Tastend. Meine Essenz drang in sie ein, aber anders als erwartet fand ich dort keine Leere. Kein schwarzes Loch, das dem Lösen oder dem einer toten Hülle ähnelte. Nein. Eigentlich glich ihr Aufbau erschreckend dem von meinen beiden Söhnen. Ein reinstes Durcheinander – keine Frage. Aber alles in ihr, war wie sonst auch bei einem Elementar, der aus zwei Kräften bestand.
“Hm?” Und dann plötzlich kam die Hitze. Erst streifte diese nur flüchtig meine Sinne, aber dann brach es mit einer solchen Intensität empor, dass es nicht nur meine Synapsen grillte, sondern sich auch körperlich bemerkbar machte. Hektisch riss ich die Hände von ihr und betrachtete überrascht die Innenflächen. Sie glühten und schmerzten eigenartig stark. Aber wirklich Zeit, darüber nach zu denken, hatte ich nicht. Kaum eine Sekunde später fing nämlich SIE Feuer. So richtig und inbrünstig, dass es mir auf der Haut brannte.
Ich wich zurück. Musste ich, denn wie auch das Eis war Feuer für mich nicht unbedingt etwas Tolles. Zugegeben, es war ein nettes Schauspiel, wie sie vor sich hin fackelte. Rot. Gelb. Violett. Blau. Einziges Problem dabei war lediglich, dass sie durch den Boden zu schmelzen begann. Meine Liebste hatte recht. Diese Frau trug Ursprüngliches in sich. Wie auch immer das möglich war.
“Schluss damit!” Irgendwo war mir klar, dass es sich hierbei nur um eine Schutzfunktion handelte und sie das nicht gezielt steuerte – zumal sie nicht bei Bewusstsein schien. Dennoch. Das nervte. Mochte sein, dass der Wassertyp ihr etwas genommen hatte, aber da war tatsächlich noch genügend vorhanden. Sie brauchte meine Hilfe nicht.
Das war es auch schließlich, was meine Passivität vollständig verdrängte. Mit einem gezielten Blitz ließ ich ihr Herz verstummen, wodurch ihr Feuer erlosch. Unglaublich schnell verletzte ich mich am Handgelenk und flößte ihr mein Blut ein, bevor ich sie zurück ins Leben holte. Mein Bann zeigte auch sofort Wirkung. Es brach kein erneutes Feuer aus. Damit war erstmal Ruhe – dachte ich zumindest, aber da hatte ich den Plan ohne den anderen gemacht.
Wasser peitschte überaus heftig auf mich ein. Der Kristall meiner Liebsten schlitterte wild durchs Zimmer und hätte ich diesen Angriff nicht kommen sehen, wäre mein Körper wohl ähnlich haltlos durch den Raum geschleudert worden. So aber überzog meine Haut eine dicke Metallschicht und meine Beine hatten sich mit dicken Streben in den Boden verankert.
“So leicht lasse ich mich nicht durch die Gegend schubsen.” Blitzschnell gab ich meiner Verteidigungshaltung auf und wandte mich dem Bengel zu. Er wirkte wie in Trance. Nicht ganz da und doch kroch er unbeirrt auf mich zu. Er bewegte sich so langsam, dass ich nicht einmal meine Macht benutzen musste. Es war kinderleicht ihn am Hals zu packen und auf die Füße zu zerren. “Wenn du Kämpfen willst, dann aufrecht. So am Boden ist es doch recht armselig, findest du nicht auch?”
“Du ... hast meiner Sonne Schmerzen bereitet ...”, keuchte er und versuchte krampfhaft, loszukommen. Seine Augen glühten stechend blau und seine Mimik zeigte mir deutlich, dass er mich auf jeden Fall töten wollte.
“Deiner Sonne?” Ich lächelte. Es war irgendwie eine süße Bezeichnung und so höllisch, wie es gebrannt hatte, war die Frau wahrlich wie eine unglaublich heiße Sonne.
“Dafür ... wirst du büßen!” Seine Essenz strömte aus ihm und wollte sich manifestieren, aber so schnell konnte er gar nicht schauen, wie ich Blitze durch seinen Körper jagte.
“Wir hatten noch nicht das Vergnügen, aber ich würde dir nicht empfehlen, es weiter zu versuchen. Du bist am Ende. Kannst ja kaum aufrecht stehen.” Was ich damit verdeutlichte, indem ich meine Hand von seiner Kehle nahm. Er geriet ins Wanken, sonst jedoch schien ihn seine Schwäche nicht zu beunruhigen. Spürte er seine Verletzungen überhaupt? Einige seiner Wunden waren aufgerissen und es quoll unentwegt Blut heraus, aber eine Schonhaltung nahm er trotzdem nicht ein.
“V-verschwinde! Niemand tut meiner Sonne weh!” Scheinbar konnte er gar nicht denken. Vielleicht stand er aber auch nur unter Schock, anders konnte ich mir die steigende Feindseligkeit nicht erklären. Aufgrund unseres sehr deutlichen Kräfteunterschieds, sollte er eigentlich Furcht verströmen. Angst zeigen.
“Und was ist, wenn nicht?” Das interessierte mich ehrlich. Was konnte er schon tun? Ich war hier alles und er nur ein unbedeutender Wurm.
“Ich lasse nicht z–” Ich griff erneut nach seinem Hals. Fester diesmal und jagte auch sogleich weitere Blitze durch ihn, bis er nur noch schlapp vor mir hing. Sein Widerstand reizte mich. Jedes Wort aus seinem Mund oder dieser aufmüpfige Blick. Wieso konnte er sich nicht freiwillig unterordnen?
“Ich sehe es sehr genau, wenn du dein Wasser heraufbeschwörst und darauf habe ich keine Lust. Du bist mir von Natur aus unterlegen. Kommt das in deiner Matschrübe überhaupt an?” Vermutlich nicht, denn obwohl er keinerlei körperlich Kraft mehr besaß, so sprudelte doch seine Essenz ungebrochen heftig. Aufmüpfig durch und durch.
“V-erschwinde!”, zischte er erneut wenig einfallsreich und mühte sich sichtlich ab, meine Hand loszuwerden. Niedlich. Was glaubte er würde dann passieren? Wollte er so unbedingt vor mir im Dreck kriechen?
“Ich hatte noch nie so nah mit echten Verbundenen zu tun. Würdest du mehr Gehorsam zeigen, wenn ich statt deiner ... sie verletze?” Ich hob meine freie Hand und ließ kreischende Blitze zwischen den Fingern tanzen. Langsam. Äußerst langsam drehte ich das Blitzgewitter in Richtung der Frau. Seiner Partnerin. Ich sah dabei nicht zu ihr, sondern verfolgte jede Regung, die er mir daraufhin gab. Es war unglaublich leicht, ihn zu lesen. Er verstand die Drohung sofort und wurde mit einem Schlag noch bleicher im Gesicht als ohnehin schon.
“Du wirst ihr keine Schmerzen zufügen ...” Das kam schon deutlich friedvoller – besorgter, jedoch ohne das sich etwas in seinem Innersten änderte. Er würde wieder zum Angriff übergehen, hatte sich nur noch nicht entschlossen wann.
“Na schön. Genug gespielt.” Es lag ja sowieso nicht in meinem Interesse, ihnen ernsthaft zu schaden. Nicht wenn sich dieses Problem mit Leichtigkeit beheben ließ. “Könnte jetzt unangenehm werden.” Ich schenkte ihm ein wissendes Lächeln und verflüssigte anschließend meine Finger. Geschmeidig schlängelte sich meine Fähigkeit um seinen Hals und im Nu verpasste ich ihm einen Halsreif aus dickstem Bleasta. Umgehend verdrehte er die Augen und verlor das Bewusstsein – fiel zu Boden. Genauso, wie ich es vorausgesehen hatte.
Er war verdammt jung und trug viel Ursprünglichkeit in sich. Sein Körper funktionierte hauptsächlich mit Essenz, weil er sich noch nicht daran gewöhnt hatte, ihn normal zu benutzen. Muskeln. Sehnen. Dazu musste er nicht seine Macht aufwenden, aber das würde er jetzt eben auf die harte Tour lernen müssen. Sicherheitshalber verpasste ich ihm gleich noch an den Handgelenken und den Fußknöcheln jeweils einen Kristall. Selbst wenn sein Leben nun davon abhinge, könnte er nicht mal einen Wassertropfen befehligen. Egal, wie sehr er toben würde.
“Sooo ...” Damit wäre das auch erledigt. Bevor ich mich jedoch meiner Liebsten widmete, wollte ich noch etwas austesten. Neugierig fuhr ich mit dem Zeigefinger über seine offenen Wunden und benetzte die Spitze mit dem dortigen Blut. Danach verteilte ich das leuchtende Rot auf meiner Zunge und verzog sofort angewidert das Gesicht. Spuckte es aus.
“Ekelhaft!” Und obwohl ich es auch genauso abstoßend meinte, lächelte ich erfreut. Der Kerl war wirklich faszinierend. Nicht nur ein Astyl, sondern auch ein Geneva steckte in ihm. Dazu besaß er eine gebundene Partnerin. Eine, die eigentlich kein richtiger Elementar sein konnte und es doch irgendwie war. Eine solche Konstellation hatte ich noch nie erlebt – nie so viele unterschiedliche lebendige Elementare besessen. Allein der Gedanke an all das Wissen, was ich durch sie erfahren könnte, jagte pure Euphorie durch meine Adern. Und wer weiß, vielleicht ließ sich mit ihnen und Dezeria als Universal endlich die Frage nach unserer Entstehung und dem Lösen ergründen.
Wen kümmerte da schon das Machtsystem der Rea oder der Überlebenskampf der Oht’esch? Richtig. Niemanden.