•‡Dezerias Sicht‡•
Toll ... Ich hatte uns beide festgefroren. Da wieder herauszukommen hatte eine ganze Weile gedauert. Zerian sagte zwar nichts Negatives zu meinen erbärmlichen Versuchen, aber ich hätte schwören können, dass er sich köstlich darüber amüsierte. Er trug so ein seltsames Lächeln auf den Lippen ... vielleicht hatte er auch einfach nur Mitleid und wollte höflich sein.
*
Irgendwann bekam ich es aber dann doch noch so halbwegs hin, den sumpfigen Boden hart wie Stein werden zu lassen. Es half ungemein, Zerians Hand währenddessen festzuhalten – dies beruhigte mich. Warum ich allerdings ständig mit meinen Schuhen am Eis festfror, wusste er auch nicht. Er hatte vielmehr selbst damit zu kämpfen, dass er ständig ausrutschte, was mich wiederum amüsierte.
“Ahhh!”, rief er ein weiteres Mal hinter mir, bevor er uns beide fast zu Boden riss. “Ich verstehe nicht, was ich falsch mache”, murrte er und setzte sich dann erst einmal, um seine Füße zu betrachten. “Mittlerweile schmerzt es ganz schön. Ist das bei dir auch so?”, fragte er verunsichert und berührte zögerlich seine Beine. Ich warf einen Blick auf diese und erst jetzt fiel mir auf, dass seine Zehen schon ganz blau waren. O Gott! Er bekam Erfrierungen! Ich hockte mich schnell zu ihm und umfasste seine verfärbten Füße.
“Du bist ja ganz kalt! Wieso hast du nicht vorher gesagt, dass es dir wehtut?”, murrte ich und massierte seine Zehen, um diese wieder etwas aufzuwärmen. Bei den Monden! Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich hatte gar nicht daran gedacht, dass das Eis ihm schaden könnte! Ich war so mit mir und der Magie beschäftigt, dass ich gar nicht richtig auf ihn geachtet hatte.
“Es tut weh, ja, aber ich dachte, das muss so sein mit einem Körper. Laufen ist ohnehin sehr anstrengend.” “Verdammt, Zerian! Das ist aber gefährlich! Du musst mir doch sagen, wenn es dir nicht gut geht!”, schimpfte ich und sah ihn besorgt an. Er war jetzt wirklich ein echter Mensch und kein Gott mehr? Musste er ja, da er nun genauso empfindlich auf Kälte reagierte wie jeder andere, der mit blanken Füßen übers Eis wanderte. Verdammt ... Hatte er selbst überhaupt genügend getrunken? Nicht dass er wieder einfach so zusammenbrach!
“Du musst mir immer sagen, wenn etwas ist, verstanden?! Also, wenn du etwas fühlst, das Schmerzen verursacht. Trink auch noch etwas, das ist wichtig! Hörst du?” Er nickte und zauberte in seine Handflächen erneut Wasser, um dieses sofort zu trinken. Gut. Ich zog derweil meine Schuhe und die Socken aus. Ich würde sicherlich eine Weile auf dem kalten Boden aushalten können, damit sich seine Füße wieder erholen konnten.
“Was ist mit dir? Du brauchst das doch auch?”, fragte er verunsichert, als ich ihm die Sachen behutsam anzog. “Wir wechseln uns einfach ab. Du brauchst die Schuhe und die Wärme jetzt dringender.” Ich überlegte ... Er hatte nur den Mantel, vielleicht fror er ja noch mehr. “Wie fühlst du dich sonst? Hast du noch irgendwo Schmerzen?” Er hielt mir seine Hände auffordernd hin. “Trink du erst mal noch etwas.” Ich lächelte und nahm gierig mehrere Schlucke.
“Danke”, sagte ich schließlich, als ich genug hatte und erhob mich. Vorsichtig setzte ich meine blanken Füße auf das Eis und musste feststellen, dass es gar nicht so unangenehm war. Ich fühlte die Kälte seltsamerweise überhaupt nicht. Auch war es kein bisschen rutschig – verrückt. Ein flüchtiger Blick zu Zerian, der nun sichtlich verwirrt über die Schuhe zu sein schien, brachte mich sofort zum Lachen. “Du gewöhnst dich schnell daran”, sagte ich noch und reichte ihm wieder meine Hand. “Es kribbelt ganz komisch und schmerzt jetzt schlimmer als vorher”, murrte er und wollte sich erneut hinsetzen, vermutlich um sie wieder auszuziehen. “Nein, das ist ein gutes Zeichen, deine Füße tauen auf – so gesehen. Bitte lass sie an! Es hätte auch gar nicht erst so kommen müssen, wenn du mir früher Bescheid gesagt hättest. Nun mag es zwar anfangs noch stärker wehtun, aber danach wird es besser, vertrau mir.” Er sah etwas unglücklich aus, nickte aber dann und bemühte sich um ein Lächeln. “Ich vertraue dir.” Ich lächelte ebenso und musste mir dabei unweigerlich eingestehen, dass er schon recht süß war.
*
Wir kamen gut voran. Die Sonne wanderte gemächlich am Himmel und schenkte uns Wärme. Meine Füße zeigten unterdessen keine Beeinträchtigungen durch das Eis – wo ich immer noch nicht wusste, ob mich das jetzt freuen, oder eher beunruhigen sollte. “Wie geht es deinen Füßen? Immer noch so starke Schmerzen?” “Nein, es ist besser. Danke dir ... aber dafür wird das mit meinem Bauch schlimmer.” “Das wird vom Hunger kommen. Das musst du leider noch eine Weile aushalten.” “Nein, dass ist etwas Neues.” “Neues?”, echote ich verwirrt und drehte mich zu ihm herum. Ohne großartige Erklärung öffnete er den Mantel und zeigte mir ... seinen nackten Körper. Gott! Er hatte einen Steifen! Wieso sah ich auch immer automatisch darunter? Ich spürte deutlich, wie mein Kopf zu glühen begann und gleich darauf in Flammen aufging, als er meine Hand auch noch dorthin führte.
“Nein, nicht! Zerian!”, schimpfte ich und entriss ihm panisch meine Hand. Das konnte er doch nicht von mir verlangen! Verwirrt sah er mich daraufhin an und deutete auf die Stelle über seinem stehfreudigen Freund. “Ich wollte dir zeigen wo. Habe ich es jetzt nicht richtig gemacht? Also hier tut es unangenehm weh – drückt ganz fürchterlich.” Gott, ernsthaft? Ich atmete einmal tief, tief durch und dann musste ich mir ein Lachen verkneifen. “Was hast du?”, sprach Zerian besorgt, während ich krampfhaft versuchte, mich zusammen zu reißen. Er hatte Schmerzen, darüber wollte ich mich nicht lustig machen, andererseits war mir das so unglaublich peinlich, dass ich nicht wusste, was ich jetzt machen sollte.
“Du musst sicherlich mal”, sprach ich schließlich und sah deutlich, dass er nicht wusste, was ich meinte. Gott, ging es vielleicht noch schräger? Wie sollte ich ihm denn bitte das jetzt erklären? Also schön. Am besten wie bei Kleinkindern. “Du trinkst doch jetzt Wasser, weil dein Körper das zum Überleben braucht. Es läuft so gesehen dabei einmal durch dich durch und muss dann dort wieder raus.” Ich deutete zwischen seine Beine ohne dorthin zusehen. “Deine Blase ist sicherlich voll, daher hast du Schmerzen. Du musst sie regelmäßig leer machen.” “Und wie mach ich das?” Och komm schon! Was weiß ich, wie das genau bei Männern funktioniert, und ich werde sicherlich nicht an dem Ding dran rumspielen!
“Du bist ein Mann, da kann ich dir nicht helfen. Versuch ... nun ... dich zu entspannen – loslassen. Ich kann es schlecht beschreiben, aber du wirst das schon schaffen”, sprach ich zuversichtlich und mit sicherlich hochrotem Kopf. Ich drehte ihn einmal herum und wob auch eine Wand aus Eis zwischen uns, weil ich nun selbst musste ...
Nachdem ich fertig war, wusch ich mir die Hände in einer Taupfütze auf dem Eis. Ich hoffte nur, Zerian würde es alleine hinbekommen, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich ihm sonst dabei helfen könnte. Ich traute mich auch gar nicht zu fragen ... O Gott, wieso musste das alles nur mir passieren?
Mein Blick schweifte durch die Gegend, während ich wartete und betete, dass er nicht doch noch nach Hilfe fragen würde. Plötzlich entdeckte ich etwas in der Ferne, was mich besorgt die Stirn runzeln ließ. Vielleicht ein Tier? Es kam schnell näher ... Ein Reiter? Hatte Ludwig neue Männer geschickt? Zeit genug dürfte wohl vergangen sein und ich hatte schon gehofft, er würde uns jetzt in Ruhe lassen ... Elender Mistkerl!
Gerade, als ich Zerian warnen wollte, erkannte ich, dass es kein Mensch oder Tier war, sondern eine Maschine! Was mich verunsicherte ... Bedeutet dies jetzt etwas Gutes oder doch eher etwas Schlechtes? Ich wurde jedenfalls sehr nervös, als das Ding zielstrebig zu uns flog. Vielleicht kam es ja auch von Ludwig und bedeutete Gefahr? Aber vielleicht war es ja auch von ...
<Dezeria, schön, dass ich dich endlich gefunden habe.> Die blecherne Stimme kannte ich doch! “Heka?”, fragte ich dennoch vorsichtig, um ganz sicher zu sein. <Richtig.> Was ein Glück! Die Adelstechnik von Reznick! Unweigerlich schlug mein Herz schneller ... Gott, wie konnte ich mich nur über diesen Mann derart freuen? Ich kannte ihn doch kaum.
<Geht es dir gut?> Ich wollte gerade antworten, da strahlte von der Maschine auch schon ein magisches, rötliches Licht. <Keine Verletzungen, deine Vitalwerte könnten aber besser sein.> Uff, so schnell konnte ich gar nicht reagieren, wie das Teil einmal um mich herum flog und dann auch schon die Eiswand untersuchte. <Wer ist der Mann? Ist er eine Gefahr für dich?> “Ähm, nein. Das ist Zerian – ein Freund”, sagte ich, ohne darüber nachzudenken, und schlug sofort danach die Hände auf meinen Mund. Gott! Hannes hatte ich auch als meinen Freund bezeichnet und Reznick hatte ihn getötet!
“Bitte tu ihm nichts!”, flehte ich sofort, was nun auch Zerian hervorkommen ließ. Ihm schien das rötliche Licht, welches ihn nun ebenso beleuchtete, nicht so zu stören. “Eine Drohne”, sprach er besorgt und blickte eindringlich zu mir. “Das bedeutet selten etwas Gutes für die Menschen, Dezeria. Wir sollten verschwinden.” <Seine Vitalwerte sind genauso schlecht.> Diese Worte ließen mich hellhörig werden und schnell ging ich zu ihm. “Hast ... hast du es geschafft? Oder hast du immer noch Schmerzen da unten?”, flüsterte ich und versuchte dabei nicht wieder rot anzulaufen. “War anstrengend und gewöhnungsbedürftig, aber hat schließlich funktioniert”, er öffnete seinen Mantel und präsentierte mir ... Gott!
“Super! Das sollst du doch nicht machen! Man zeigt sich vor niemandem nackig, gewöhn dir das bloß ab!”, murre ich peinlich berührt und schloss wieder seinen Mantel. Was dachte der sich nur dabei? Ich muss doch nicht seinen schlaffen ... begutachten! Wieso hatte ich überhaupt wieder hingesehen? Am liebsten würd ich mir jetzt selbst in den Hintern treten. Heka sagte nichts dazu, aber ich war mir sicher, dass die Adelstechnik später Reznick davon erzählen würde. Und sofort wurde mir die Sache noch eine Spur unangenehmer. Toll ...
<Ihr müsst essen. Wie gut, dass ich deine Tasche unterwegs fand>, überging Heka vollkommen unbekümmert Zerians Verhalten und dann ertönten auch schon ein-zwei Klickgeräusche. Uh! Am Bauch der Maschine öffnete sich sowas wie ein Fach und ... “Tatsächlich! Die hat er mir gegeben!” Ich freute mich riesig und kramte gleich darinnen, um nach dem Essen zu suchen. Reznick hatte wirklich eine Menge hineingestopft ...
Ich holte sämtliche Dinge aus der Ledertasche heraus, die ich für etwas Essbares hielt. Ich war sehr unsicher, da wirklich keines der Lebensmittel mir bekannt vorkam. “Das könnte sowas wie Käse sein, Wurst und Brot ... und das hier?”, fragte ich irritiert und hielt es in Richtung Heka. <Schokolade. Das Andere sind Agnikanas, eine sehr vitaminreiche und regenerierende Frucht. Selbstgezüchtet. Solltet ihr unbedingt zu euch nehmen, danach wird es euch spürbar besser gehen.> “Gut, dann machen wir das. Hier Zerian”, sprach ich und reichte ihm eine der orange-gelb gestreiften Früchte. “Erst kauen und dann schlucken”, fügte ich noch besorgt hinzu, als er nur fragend das Essen in seiner Hand betrachtete. Gott, er würde doch hoffentlich essen können, ohne sich zu verschlucken?
*
Es war wirklich köstlich! Ich weinte sogar vor Freude, weil es so guttat, endlich etwas im Magen zu haben. Zerian stöhnte sogar mehrfach, weil es ihm so lecker schmeckte. Wie ein neugieriges Kind probierte er alles wild durcheinander. Er hatte noch nie zuvor etwas geschmeckt und freute sich richtig darüber. Das mit anzusehen, war wirklich süß.
“Heka? Kannst du Reznick von uns beiden danken?”, fragte ich schließlich, als ich mehr oder weniger satt war. “Oder kann ich vielleicht selbst mit ihm sprechen? Ohne ihn wären wir sicherlich noch verhungert. Wo ist er? Kommt er auch hierher? Ist er vielleicht schon in der Nähe?”, fragte ich neugierig weiter und reichte Zerian noch ein Stück von der dunklen Schokolade, welche er sofort mit einem breiten Lächeln verspeiste.
<Ich übertrage Koordinaten und eure Daten schon die ganze Zeit. Es wird allerdings noch dauern, bis ihr abgeholt werdet. Reznick ist derzeit nicht in der Lage, mit dir zu sprechen.> Ich runzelte irritiert die Stirn. “Er ist nicht in der Lage? Ist etwas passiert?” <Reparaturen des Schiffes dauern an und er selbst ist aktuell bewusstlos.> “Bewusstlos?!”, echote ich besorgt und stand auf. “Ist er verletzt? Was ist passiert?” <Organische und technische Schäden seines Körpers, Einzelheiten würden für dich wenig Sinn ergeben.>
Ich schluckte. Natürlich! Ich hatte sein Zuhause zerstört ... GOTT! Es fiel mir wieder ein! Ich hatte seinen Vater ... Er war von Eis aufgespießt ... Reznick war also auch dort gewesen? Ich hatte ihn unwissentlich verletzt?! Bei den Monden! Ich hätte ihn auch töten können! Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn und ich drohte gleich an dem riesigen Kloß in meiner Kehle zu ersticken. Was hatte ich nur getan?!
“Es war meine Schuld ...”, murmelte ich letztlich traurig und kramte das übrige Essen zurück in die Tasche. “Komm Zerian, wir müssen weiter. Die Sonne geht bald unter.” “Gut, ich fühle mich großartig! Viel besser!”, summte er fröhlich und folgte mir ... sowie auch Heka. “Heka, geh wieder zu Reznick”, sprach ich mit unterdrückter Trauer, welche mich gerade so unerträglich zu übermannen versuchte. <Negativ. Meine Aufgabe bestand darin, dich zu finden. Nun bleibe ich zum Schutz bei euch, bis das Schiff vollständig repariert wurde.>
“Dann führst du ihn direkt zu uns?”, fragte ich unsicher und konnte ein Schniefen nicht länger verhindern. <Ja.> “Nein, dass geht nicht! Ich ... ich bin gefährlich! Er muss weg bleiben, sonst stirbt er das nächste Mal noch!” Obwohl ich nun schon schimpfte, blieb Heka dennoch an meiner Seite. Das konnte doch nicht wahr sein! “Verschwinde endlich! Bitte!”, rief ich noch mal und spürte unweigerlich, wie mir die Tränen liefen. <Nein. Reznick wird euch abholen.> “Nein! Er darf nicht! Darf ... mir nicht zu nahe kommen! GEH JETZT!”, schimpfte ich weiter und fuchtelte dabei mit meinen Händen. Reznick durfte einfach nicht hierher kommen! Durfte nicht!
Ich wollte die Maschine nur vertreiben, aber unweigerlich sah ich erneut die Bilder von Reznicks Vater ... sah Blut ... sah die Eisstäbe und dann passierte genau das, was ich die ganze Zeit befürchtet hatte. Eis bildete sich vollkommen unkontrolliert! Aus dem Boden schoss eine ganze Reihe von spitzen Stacheln und durchschlugen binnen Sekunden Heka. Das Eis zerstörte die Maschine vollständig ... “Gott, i-ich bin ein Mo-Monster!”, schluchzte ich und sackte heulend auf die Knie.