“Also, dann fang ich mal an”, verkündete Lichius geradezu feierlich und setzte sich mit einer ausladenden Geste neben mich. Viel zu dicht für meinen Geschmack. Meinen missbilligenden Blick schien er auch sofort zu bemerken. “Oh, ist das etwa schon zu nah?”, sprach er neckend und in mir wuchs sofort der Wunsch, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Verdient hätte er eine. Besser zwei. Oder gleich so viele, dass dieses unverschämte Grinsen für immer aus seinem Gesicht verschwand. Unwillkürlich kam mir dabei das Lächeln von Reznick in den Sinn. Seines war dagegen ehrlich gewesen. Echt. Er hatte sich auch nicht so unverschämt benommen oder bildete ich mir das jetzt ein? Ich seufzte leise. Ja, es war verrückt, aber mittlerweile vermisste ich ihn. Ein bisschen. Irgendwie. O Mann, langsam aber sicher wusste ich nicht mehr, wo mir der Kopf stand.
“So. Jetzt besser?” Ich blickte auf. Lichius hatte sich auf seinen alten Platz gesetzt. Als sich unsere Blicke trafen, winkte er spielerisch mit einer Hand, was ich mit einer gehobenen Augenbraue kommentierte. Sein Verhalten und sein Aussehen passten einfach nicht zusammen. Er war ein stattlicher junger Mann. Wirkte mit dieser sonderlichen goldfarbenen Hautfarbe und den leuchtend gelben Augen wie ein Gott. Er verkörperte durch und durch einen machtvollen Rea und dennoch benahm sich wie ein kleines Kind. Eigenartig.
“Ja. Danke”, sagte ich schließlich, weil er mich so erwartungsvoll anblickte. “Ihr wolltet mir doch das alles hier erklären, also ... dann redet.” Er lachte. “Natürlich, meine Süße. Ganz wie du es wünscht.” Ich stutzte. “Meine Süße?” “Ja, du bist doch süß, oder nicht? Und lass doch bitte diese distanzierte Anrede, ja? Ich bin doch dein Freund.” Ich schnaubte abfällig. “Soweit kommts noch. Und außerdem lenkt Ihr schon wieder ab!” “Oh, tu ich das? Bitte entschuldigt. Ich bin es nicht gewöhnt, so abgewiesen zu werden. Ich würde dich gerne im Arm halten oder willst du lieber auf meinem Schoß sitzen?” Ich ballte die Hände zu Fäusten. Langsam aber sicher neigte sich meine Geduld dem Ende.
“Hm, dann vielleicht einen Kuss bevor ich anfange?”, fragte er weiter und lächelte mich verträumt an. Ich erwiderte nichts. Zeigte lediglich Verachtung. Kurz huschte mein Blick sogar zum Tisch. Vielleicht brauchte er ja doch einen kräftigen Wink mit der Obstschale. Ob ich ihn damit überwältigen konnte? Wäre dies sinnvoll? Hm. Mit etwas Glück waren die drei Männer vor der Tür fort und ich konnte auf eigene Faust Zerian suchen.
“Schade ...”, sprach Lichius und atmete einmal hörbar tief durch, “aber ein Versuch war's wert.” “Ernsthaft? Ich versteh Euch nicht. Ihr habt doch meine Aufmerksamkeit. Warum albert Ihr weiter rum? Habt Ihr mir nun etwas zu sagen oder nicht?” “Entschuldigt. Ich fang ja an. Hm. Wo war ich noch gleich?” Er fasste sich mit einer Hand ans Kinn. Überlegte. “Jetzt fangt einfach an!” Gott, der treibt mich echt zur Weißglut!
“Wie Ihr befiehlt. Ich heiße hier Adamek Lichius, aber mein richtiger Geburtsname lautet Zar’Rea Rene Mewasinas. Mein Vater ist der Graf dieser Stadt.” Toll. Jetzt wiederholte er sich. Ich knirschte vor Wut mit den Zähnen, vermied es aber, ihn zu unterbrechen. Ich konnte immerhin froh sein, dass die Geschichte nicht bei seiner Geburt begann.
“Ich habe hier also streng genommen kein Bestimmungsrecht. Nicht solange mein Vater der Besitzer dieser Wasserparzelle ist. Ich durfte keinen Tempel oder sonst etwas in meinem Sinne erbauen, weil das, Zitat: nicht in das Stadtbild passte.” Er seufzte frustriert. “Deswegen sind wir soweit unter der Erde, verstehst du?” “Ich weiß nicht so recht. Ihr versteckt Euch hier wegen Eures Vaters?” Das erinnerte mich erneut an Reznick. Hatten etwa alle Rea Probleme mit ihren Vätern?
“Verstecken? Ich? Nein. Ich darf unter der Erde und außerhalb seines Blickes alles machen, was ich will. Ich erbaute in tiefster Dunkelheit meine Kirche – erschuf mein Sonnenrefugium. Mein Reich.” Plötzlich stand er schwungvoll auf, was mich zusammenzucken ließ. “Das alles hier habe ich erschaffen! Ich allein!” Er streckte die Hände zur Seite und streckte die Brust raus. Sein Umhang öffnete sich unweigerlich. Etwas irritiert von dieser Aktion starrte ich auf seine symmetrischen Bauchmuskeln. Dann ungewollt deutlich tiefer. O Gott. Ich riss sofort eine Hand vor die Augen und blickte beschämt zur Seite, während ich mit der anderen meinen Mantel fester zuzog. Kam jetzt die nächste Runde Aufdringlichkeiten? Bei Cor und Del, ich dachte, wir hätten das hinter uns.
“Seht mich an! Hier bin ich. Adamek Lichius. Das Kind der Sonne. Der Herr des Lichts. Der Sonnenfürst. Hier unten verehren mich die Menschen als ihren Gott!” “Schön für Euch”, nuschelte ich und mied es weiterhin nach vorne zu sehen.
“Hm? Oh. Verzeiht. Ich war erneut unangebracht offenherzig zu Euch ... ähm, dir. Bitte entschuldige mein zügelloses Verhalten, ja?”, sprach er betrübt und schnappte sich meine linke Hand, sodass ich ihn ansehen musste. “Könnt Ihr ... kannst du mir vergeben?”, fragte er noch, bevor er sich hinkniete. Seine Lippen hauchten zarte Küsse auf meinen Handrücken. Ich seufzte frustriert und versuchte, mich ihm zu entziehen. Leider ohne Erfolg. Er hielt mein Handgelenk bestimmend fest und strich seine Lippen unaufhörlich über meine Haut. Sowas Aufdringliches. Ich blendete seine federleichten Berührungen aus und sah ihn lediglich verärgert an. Wieso ignorierte der Kerl vehement, dass ich sowas verabscheute? Und warum hielt er so konzentriert Augenkontakt? Ich stutzte. Er beobachtete meine Reaktionen, wurde mir bewusst. Ich begriff es endlich. Das war offensichtlich sein Spiel – seine Art mich zu manipulieren. Aber, das war lächerlich. Er konnte mich noch so oft anfassen oder sich vor mir entblößen, dadurch würde ich keinesfalls Zuneigung für ihn empfinden. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass dies überhaupt bei irgendjemandem funktionierte.
“Bitte hört auf damit, dann vergebe ich Euch auch.” Er seufzte, ließ aber tatsächlich los. “Dich zu verführen ist schwer, aber eine Herausforderung, die ich nur zu gerne annehme.” “Ich will nicht von Euch verführt werden”, sprach ich genervt und zog noch mal die Enden meines Mantels enger.
“Warum nicht? Ich bin ein exzellenter Liebhaber.” “Schön für Euch, aber ich bin nicht interessiert.” “Hm ... nicht mal an einer kleinen Massage zur Entspannung? Es würde dir guttun.” “Nein, danke.” “Sicher? Ich sehe es dir doch an, dass du gereizt bist. Ich kann dir auch etwas zum Entspannen geben.” Er stand auf und griff in die Innenseite seines Gewands.
“Ihr meint Eure seltsame Magie, nicht wahr?”, fragte ich besorgt und rückte von ihm ab. “Nein. Keine Magie. Es ist ein pflanzliches Mittel und nennt sich Changonis.” Ich schluckte. “I-ich kenne dieses Changonis. Damit hat-hat man mich willenlos gemacht und halb betäubt. Ihr habt also doch dasselbe mit mir vor ...”, sprach ich resignierend und blickte verloren auf meine Hände. Wenn mein Eis doch nur funktionieren würde.
“Nein, Dezeria. Ich will dir sowas doch nicht antun. Hier, sieh her. Es ist alles in Ordnung.” Ich blickte auf. Er hielt in seiner Handfläche ein kleines rotes Pulverhäufchen. “Du brauchst davor keine Angst haben. Mein Gemisch wirkt nur beruhigend, aber nicht betäubend oder so stark, dass du nicht mehr weißt, wo und wer du bist. Wirklich. Du kannst mir vertrauen. Ich habe es dir doch schon einmal gegeben, erinnerst du dich? Du hattest ein Messer in der Hand und ich wollte nur, dass du es weglegst.” Ich erinnerte mich, aber das machte es irgendwie nicht besser.
“Ist doch egal”, erwiderte ich schließlich frustriert und verschränkte die Arme vor der Brust. “Tut, was Ihr tun müsst, aber meint nicht, dass ich Euch dadurch jemals lieben werde!” Er runzelte die Stirn. “Hm, bitte zürnt mir nicht. Passt auf, ja?” Er hauchte das Pulver in meine Richtung. Kurz überlegte ich, ob ich mit dem Stoff meines Ärmels Mund und Nase bedeckten sollte, aber wozu? Ich war ihm doch ohnehin ausgeliefert.
“Danke, dass du mir vertraust”, sprach er sanft und griff nach meinen Armen. “Ich vertraue Euch keineswegs”, murrte ich, ließ aber zu, dass er beide Hände zu seinem Mund führte. Er verteilte eifrig Küsse auf ihnen und kniete sich anschließend erneut vor mich. Seine Liebkosung wurde schnell intensiver, was mich schwer schlucken ließ. Ich wusste, was nun unweigerlich folgen würde, noch bevor er meine Hände losließ und dafür meine Oberschenkel berührte.
“Also ...”, begann er mit einem sehr verruchten Klang in der Stimme, “willst du mit mir jetzt der Leidenschaft frönen? Dich mir voll und ganz hingeben?” Er fächerte seinen Umhang auf und schob sich geschmeidig über mich – drängte mit seinem Körper meine Beine auseinander. O Gott! Ich stemmte schnell die Hände gegen seinen nackten Oberkörper und konnte dadurch gerade noch so einen Kuss verhindern.
“B-bitte ... hört auf”, sprach ich atemlos, auch wenn ich wusste, dass es sinnlos war. Seine Kraft überstieg meine bei weitem und es gab nichts, was ich noch tun konnte. Ich war wie gelähmt. Mein Herz raste. Er würde mich genauso nehmen wie Ludwig oder Hannes.
“Sag es, Dezeria. Sag, dass du mit mir eins sein willst”, sprach er lüstern, während sich seine goldfarbenen Augen in meine bohrten. Seine Hände ruhten auf meinen Brüsten – kneteten diese in einem sanften Rhythmus. “I-ich will ... nicht mit Euch schlafen”, erwiderte ich wimmernd und spürte, wie mir dabei die Tränen flossen.
“Hey, nicht weinen. Bitte! Ich sagte doch, ich mach nichts. Ich wollte dir nur beweisen, dass dein Wille nach wie vor da ist. Mein Pulver verfälscht dich nicht. Bitte, ja? Nicht weinen”, sprach er hastig und wischte mir vorsichtig das Gesicht trocken. Ich verstand derweil gar nichts mehr.
“Ihr habt ... das nur gemacht, um mir was zu verdeutlichen?”, fragte ich fassungslos. Er kann doch nicht einfach so rücksichtslos mit meinen Gefühlen spielen! Mir ungestraft solche Angst machen!
“Natürlich”, lächelte er freundlich und erhob sich – schloss seine Kleidung wieder. “Es sei denn, du hättest ja gesagt. Aber, du bist dir sicher, dass du wirklich nicht willst, oder? Du würdest es sicherlich nicht bereuen.” Echt jetzt? Ich sah ihn mit großen Augen an. Betrachtete, wie er da so selbstherrlich vor mir stand und auch noch den Nerv hatte, mir frech zu zuzwinkern.
“Falls du vielleicht deine Frauenblutung hast, sei unbesorgt.” “Wie bitte?” “Ich wollte es nur erwähnen, dass mich sowas nicht abschrecken würde. Also. Falls du deswegen nicht mit mir schlafen willst. Wisse, dass an diesem Ort Blut für Feuer und Leidenschaft steht. Es absolut nichts Verwerfliches oder Schlechtes ist.” Er beugte sich vor. “Und? Wie schaut’s aus? Hast du jetzt Lust?”
“Nein!”, fauchte ich zurück und sah ihn böse an. Der ist doch einfach nur irre! Am liebsten hätte ich ihm mit voller Wucht in seine Genitalien geschlagen, ABER leider verpuffte die Wut immer sofort, wenn ich meine Muskeln für einen Schlag an spannte. Verdammtes Pulver!
“Auch in Ordnung. Ganz wie du möchtest. Ich bin für dich da, wenn du es dir anders überlegst.” “Nein Danke. Ich will nichts von Euch. Begreift das endlich! Es reicht jetzt sowieso. Erzählt mir auf der Stelle, was mit Zerian ist. Bringt mich zu ihm oder lasst ihn herbringen”, sagte ich verstimmt, auch wenn ich mir langsam aber sicher albern dabei vorkam, das ständig zu wiederholen.
“Ach stimmt. Ich hatte dir ja noch nicht alles erzählt.” “Ernsthaft?” Ich stand auf – wankte kurz und tippte dann zornig gegen seine Brust. “Ihr wollt mir jetzt wieder mit sinnlosem Gerede kommen? Wagt es bloß nicht”, drohte ich, auch wenn ich nichts hatte, womit ich ihn einschüchtern konnte. Er war locker einen Kopf größer, als ich und selbst nur mit einem Finger gegen seine Brustmuskeln zu tippen, bereitete mir Schmerzen. O Mann, waren die vielleicht hart.
“Du bist süß, aber nein. Ich wollte dir von diesem Ort erzählen und warum du gerade nicht zu deinem Freund kannst.” Er schritt soweit zurück, dass sein Hintern an den langen Tisch mit den Speisen stieß. Gemütlich lehnte er sich an. “Ich erzähle zu Ende, ja? Ganz ohne Umschweife und ohne weitere Anzüglichkeiten. Einverstanden?” Ich musterte ihn skeptisch. Das glaubte er doch selber nicht. Vermutlich fing er mit seiner Geschichte wieder von vorne an. Das alles brachte mich doch kein Stück weiter und ihm machte das vermutlich auch noch einen Heidenspaß. Verdammter Mistkerl!
“Nein. Ich bin nicht einverstanden! Ihr erzählt mir nur noch genau das, was ich wissen will und nichts Anderes.” “Aber alles, was ich sage, ist wichtig. Du sollst ja den Zusammenhang verstehen.” “Mir egal, also. Wo ist Zerian?” Er lächelte und legte leicht den Kopf schräg. “Wie du willst. Er ist bei Allie und wird von ihr auf seine Zeremonie vorbereitet.” “Dann bringt mich dahin.” “Und dann?” “Wie und dann?” Er verschränkte die Arme vor der Brust. “Na, willst du ihn dann an die Hand nehmen und einfach hier herumspazieren?” “Nein. Hier unten will ich sicherlich nicht bleiben! Ich will mit ihm diese Stadt verlassen.” Er schüttelte den Kopf. “Das endet doch nur in einem Trauerspiel.” Ich runzelte die Stirn. “Weil Ihr das mit Gewalt verhindern werdet?” “Ich? Nein. Aber, die Menschen in Mewasinas. Wenn dein Freund ohne mein Zeichen in der Stadt gesehen wird, werden sie ihn vermutlich töten.” Ich schluckte und sah in einen Moment lang einfach nur schockiert an.
“Das ... ist doch nicht Euer Ernst! Wieso werden sie ihn töten wollen? Zerian hat doch niemandem etwas getan!” Er atmete tief durch. “Das spielt keine Rolle. So ist nun einmal die Geschichte dieser Stadt. Weißt du, hier gibt es regelmäßig Überschwemmungen oder Seuchen durch das abgestandene Wasser. Egal wie oft mein Vater neue Menschen ansiedelte, alle bekamen auf kurz oder lang psychische Störungen.” “Ps-psüchische Störungen?” “Ja na, Angststörungen, Depressionen und sowas. Es gab zudem viele Gewalttaten. Raub. Mord. Vergewaltigung.” “Und was hat das jetzt alles mit Zerian zu tun?”
Er seufzte. “Versteht doch. Die Menschen geben hier dem Wasser und den Monden die Schuld für all ihr Leid. Ob das nun Sinn ergibt, sei dahingestellt. Jedenfalls verlangen sie einen Ausgleich. Ein Opfer.” “Ein Opfer?”, echote ich fassungslos. Mir gefiel absolut nicht, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickelte.
“Ja. Es gab gestern eine überraschende Flut. Der Wasserstand war schon seit Jahren nicht mehr so hochgeschossen ... das ängstigt die Leute. Ich wollte eigentlich heute nur eine Messe in meiner Kirche abhalten. Feierlichkeiten eben. Drogen, Gesang und Sex beruhigen ungemein, aber da wusste ich ja noch nichts von euch. Es machte jedoch schnell die Runde, dass sich ein Mann mit strahlend blauen Augen und weißem Körper im Gasthaus Bergfuß einquartierte. Ein Mondgott in Gestalt eines Menschen. Darauf musste ich reagieren, verstehst du?” “Heißt ... ihr wollt ihn jetzt töten?”, fragte ich mit bebender Stimme und faltete die Hände flehend vor meiner Brust. “Ihr dürft ihm nichts antun. Er hat nichts getan! Bitte!” Er seufzte. “Ich bin hier unten ein Gott und als dieser habe ich gewisse Pflichten zu erfüllen. Pflichten, wie sie ein jeder hat”, sprach er sanft und schenkte mir ein Lächeln. Mir jedoch war ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Ich glaubte aber, zu verstehen, worauf er hinaus wollte.
“Mein Leben für seins, nicht wahr? Ihr wollt, dass ich Euch liebe. Dass ich Euch gehöre ... mit Euch schlafe.” Ein sanftes Lachen erfüllte den Raum. “Nein.” Er schritt langsam zu mir und umfasste meine zitternden Hände. “Dies würde ja bedeuten, dass ich dich dazu zwinge, mich zu lieben. Aber, das ist es nicht, was ich will. Versteht doch. Ich versuche, deinem Freund zu helfen, sodass er hier akzeptiert wird. Deswegen nimmt er an dem Ritus der Reinheit teil. Wenn er dies übersteht, werden die Menschen hier keinen Groll mehr gegen ihn richten. So wie ich es auch mit dir vorhabe. Du bist für die Leute eine Hexe. Ein Symbol für die bittere Kälte und das tödliche Eis. Ich ändere dies mit einer Zeremonie und gebe euch dort meinen Segen. Ihr werdet danach im Zeichen der Sonne stehen und somit sicher vor jedwedem Zorn sein. Dein Ritus wollte ich ja eigentlich heute auch schon machen, aber du bist noch nicht so weit. Jedenfalls nicht so offenherzig wie dein Freund.”
Ich runzelte die Stirn. “Zerian möchte das Ritual?” “Ja. Er konnte es vorhin kaum erwarten.” “So? Und was wird da genau gemacht? Also wieso bin ich noch nicht soweit?” Er lachte erneut und dann zog er mich plötzlich eng an seinen Körper. Umarmte mich.
“Willst du denn jetzt, dass ich dich nehme?”, hauchte er mir ins Ohr, während seine Hände zu meinem Hintern wanderten. Ich schnaufte frustriert und versuchte, ihn wegzudrücken. War ja klar, dass es jetzt wieder so kommen musste.
“Nein, will ich nicht!” Er rückte ein Stückchen von mir ab und sah mir in die Augen, behielt aber seine Hände unsittlich an Ort und Stelle. “Genau deswegen bist du noch nicht soweit. Dein Freund wird mit Allie vor allen Anwesenden verkehren. Freiwillig und ungezügelt. Bei deiner Zeremonie wiederum wirst du dasselbe mit mir tun.”
“Oh ...”, keuchte ich schockiert. Glühende Hitze schoss in meine Wangen. “Das kann doch unmöglich wahr sein. Er wird ... U-und Ihr wollt ... Nein. I-ich kann sowas nicht. Ganz und gar nicht!” O Gott! Ging es vielleicht noch peinlicher? Ich konnte doch nicht mit ihm vor irgendwelchen Leuten schlafen oder überhaupt. Oh je. Und das Zerian so etwas tun würde. Nein, oder? Vielleicht. Ich wusste es nicht. Er war schließlich nicht so erzogen worden wie ich – er war ein Gott gewesen. Und, ja. Was wusste ich schon von ihm. Aber. Ich konnte das nicht. Nein. Ausgeschlossen. Bei den Monden, in was bin ich da nur hineingeraten?
“Dezeria? Alles in Ordnung?”, fragte Lichius besorgt und strich mit einer Hand behutsam über meine erhitze Wange. Forderte damit meine volle Aufmerksamkeit. “Es ist deine Entscheidung, hörst du? Ich werde warten, bis du soweit bist. Bedenke aber, dass du ohne mein Segen nur hier in diesen Räumlichkeiten sein darfst.” “Mit anderen Worten ... gefangen.“ Er schnaubte abfällig und schritt von mir zurück. “Weißt du. Ich habe einige Frauen hier, die aus ähnlichen Umständen zu mir fanden. Du kannst jede davon gerne fragen, wie gut es ihnen hier geht. Jeder liebt diesen Ort hier und ich bin mir sicher, dass du ebenso empfinden wirst. Du kannst doch nicht ewig in Einsamkeit leben, nur weil du an einem Spiel der Adligen teilgenommen hast. Sex ist nun wahrlich nichts Verwerfliches. Du wirst einsehen müssen, dass du letztlich nur selbst darunter leidest, dich so zu verschließen. Es wird dauern, aber du wirst mich schon noch lieben lernen.”
Ich sah ihn verständnislos an. Er konnte leicht reden. Alles, was ich mir je gewünscht hatte, war von Ludwig zerstört worden. Ich hatte nie viele Träume in meinem Leben gehabt, aber doch immer fest daran geglaubt, später glücklich zu werden. Ich wollte einen Mann, der mich aufrichtig liebt. Eine Hochzeit im Schein des blauen Cors. Ein Kind. Eine wundervolle Familie eben. Doch – alles davon lag in Trümmern. Ja, was hatte ich dem Mann meiner Träume jetzt noch großartig zu bieten? Mein Körper war von anderen entweiht worden und ich konnte keine Kinder kriegen. Mein Herz war alles, was ich noch hatte.
“Immer noch Zweifel?”, fragte er nach einem Moment des Schweigens. “Hier zu leben ist doch nun wirklich nicht schlimm. Wo wolltet ihr den sonst hin? Dein Mann sucht überall nach dir. Wolltet ihr beide ewig auf der Flucht sein? Ich biete euch an meiner Seite alles. Was vermisst du denn hier?” “Ich will erst mit Zerian reden. Dabei bleibe ich”, sprach ich entschlossen, denn er konnte mir schließlich viel erzählen. Woher wusste ich schon, ob dies stimmte? Ob Zerian überhaupt hier war?
Plötzlich ertönte ein feiner Glockenklang. Lichius warf sofort einen überraschten Blick auf die goldene Manschette an seinem linken Arm. Als er darauf herum tippte, verschwand die Musik.
“Hm. Was will mein Vater denn?”, sprach er zu sich selbst und runzelte die Stirn. “Oh ... und es ist schon so spät.” Er blickte zu mir. “Entschuldigt aber ich muss jetzt zu Allie. Wir reden später weiter, ja?” Ohne meine Antwort abzuwarten, ging er an mir vorbei und steuerte einen diamantbesetzten Schrank an.
“Heißt, jetzt ist sein Ritual? Bringt Ihr ihn danach zu mir?” “Nja ... wenn du es dir so sehr wünschst. Es wird aber dauern”, murrte er und holte eine gezackte goldene Krone sowie eine weiß-orangene Maske hervor. “Klingt ja nicht sehr überzeugend”, sprach ich misstrauisch und verschränkte die Arme.
“Verzeiht mir, Hexe des Eises. Ich bin nun wieder in meiner Rolle. Ich bin schließlich das Kind der Sonne und muss mich dementsprechend verhalten. Meine Pflicht erfüllen und eine Zeremonie ist nun mal sehr aufwendig”, sprach er erhaben und verhüllte im selben Zuge sein Gesicht. Ich schüttelte indes den Kopf. “Ihr spielt den Menschen doch nur etwas vor, wieso könnt Ihr das denn nicht auch verkürzen?” “Sowas kann nur von einer Hexe kommen. Den Ritus der Reinheit kann man nicht einfach verkürzen. Die Wiedergeburt des Wasserteufels ist wichtig.” Er setzte sich die Krone auf, richtete sein Gewand und drehte sich anschließend zu mir.
“Euren Unmut mir gegenüber habe ich begriffen. Während meiner Abwesenheit könnt Ihr ja mal ergründen, warum Ihr so feindselig seid. Ich habe Euch immerhin nichts angetan. Keiner meiner Frauen habe ich das je”, sprach er fast schon anklagend und schritt zu Tür. “Ihr werdet hierbleiben. Wenn ich Zeit habe, komme ich Euch erneut besuchen. Seid versichert, dass Euch hier drinnen niemand belästigen wird. Speist in Ruhe oder legt Euch schlafen. Auf dann”, sprach er hastig und verschwand.
Ich starrte fragend auf die massive Tür, die sich klickend schloss. Ich war eingesperrt? Schnell lief ich hinüber und versuchte, diese einen Spaltbreit zu öffnen. Mist! Er hatte mich tatsächlich eingeschlossen. Schwer atmete ich mehrfach tief durch. Was jetzt? Wieso hatte er es nun so verdammt eilig gehabt? Ob etwas passiert war? Und ob das mit Zerian stimmte? O Gott, bitte nicht. Was soll ich jetzt nur machen?