Ich brachte kein einziges Widerwort aus meinem Mund. Weder, als mich Manfred, Rottervals gesegneter Geistlicher, in seiner festlichen roten Robe einfach vermählte, noch protestierte ich gegen den hauchzarten Kuss, der danach von Ludwig kam. Es war einfach nicht ich, der das hier alles passierte. Ich fühlte ja noch nicht einmal etwas. Diese Frau in diesem verflucht eng und unbequem geschnürten Kleid, das war ich nicht. Eine Hochzeit in Weiß, Gold und Rot ... war nicht meine, würde nie die meine sein. Mein Geist war lediglich anwesend, ja, das beschrieb es eigentlich ganz gut. Ich träumte die Hochzeit einer Frau, die ich weder beeinflussen noch verhindern konnte. Stellte mir eine große Feier vor, die mir unter normalen Umständen wohl unangenehm sein würde. Ich mochte nicht der Mittelpunkt sein oder gar so viele Menschen um mich herum haben. Wenn meine Mutter auf dem Markt unsere Waren verkauft hatte, brachte ich ihr lediglich Nachschub und half sonst meinem Vater bei den Broten ... hier und da durfte ich ja auch von dem Süßgebäck naschen. Hier hingegen durfte ich nichts – konnte nicht einmal etwas essen oder irgendwie bequem auf dem Stuhl an dieser reichlich gedeckten Tafel sitzen.
Steif war mein Körper. Atmen ging nur gerade so mit viel Mühe und Not ... Ich fühlte mich in diesem protzigen Kleidungsstück wie eine Gefangene. Ich blickte hin und wieder zum Grafen, der die Feierlichkeit in vollem Umfang zu genießen schien. Er bot mir auch von den Speisen, hier und da musste ich sogar abbeißen. Es sah zwar alles unglaublich köstlich aus, roch und schmeckte aber irgendwie nach nichts. War genauso unwirklich, wie der ganze Traum an sich. “Kein Hunger, wie?”, fragte Ludwig schließlich und nahm die Gabel mit der schokoladenüberzogenen Erdbeere wieder fort. Ich sah ihn teilnahmslos an. Ja, ich konnte einfach nichts essen ... mein ganzer Bauch fühlte sich so schrecklich gequetscht an.
“Aber trinken solltest du”, sprach er weiter und hob ein wunderschönes Kristallglas zu meinen Lippen. “Es ist auch nur Wasser, keine Sorge.” Er hatte gut reden. Ich hatte keine Sorge darüber, was es war, sondern vielmehr, ob ich es bei mir behalten konnte. Unwillkürlich nahm ich einige wenige Schlucke und spürte es dann doch überraschend wohltuend meiner vertrockneten Kehle hinunterlaufen. Durst! Verdammt ich hatte schrecklichen Durst! Aber, so sehr ich es auch wollte, so ließen meine Magenschmerzen und dieser Druck nicht zu, dass ich mehr noch trinken konnte. Als ich aufhörte zu schlucken, lief zwangsläufig das Wasser meinen Mundwinkeln und den Hals hinab. “Oh”, war alles, was von Ludwig kam, ehe er den Becher fort nahm und mit einer Stoffserviette behutsam mein Dekolletee trocken tupfte.
“Sieh mich an”, befahl er und drehte mein Gesicht zu sich. “Bekommst du überhaupt etwas mit?”, fragte er dann schon viel weicher klingend und strich sanft die letzte Feuchtigkeit von meinem Kinn. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich ... fühlte mich nur noch ganz weit weg und elend. “Deine Augen sind ganz trüb. Dagmara bemaß wohl eine falsche Dosis des Changonis für dich. So wie du reagierst, ist sie viel zu hoch ... schade eigentlich. Ich wollte doch deine Reaktionen auf diese goldene Hochzeit sehen. Aber ... na ja, so ist es eben und lässt sich auch nicht mehr ändern. Ein Tanz will ich dennoch, dann haben wir alles, was zu solch altertümlichen Hochzeit gehört, erledigt”, lächelte er, stand auf und zog mich ebenso auf die Füße. “Last Tanzmusik erklingen!”, rief er euphorisch und eilte mit mir auf eine freie Stelle im Saal.
Ich flog – stolperte ihm mehr hinterher, als alles andere. Ich hörte noch, wie Stühle und Tische verschoben wurden, ehe tatsächlich Musik zu spielen begann. Meine Finger krallten sich in den feinen Anzug des Grafen, weil ich einfach nicht umfallen wollte. Ihn schien das sogar sehr zu gefallen. Mit einem Lächeln umfasste er meine Taille und befreite meine verkrampfte Hand von seinem Zwirn, um auf meinen Handrücken einen Kuss zu hauchen. Das war merkwürdig ... und mehr noch, als er mich so bedacht vorsichtig hin und her schob. Ich konnte nicht tanzen – oder besser, nicht so erhaben und leichtfüßig wie er es wohl für mich vor machte. Ja ... ungelenk und steif blieben alle meine Bewegungen, egal wie sehr ich mich bemühte.
Nach einer Weile schwindelte mir. Ich bekam schon die umstehenden Leute gar nicht wirklich mit. Zunehmend glich alles, was nur ein paar Meter von mir entfernt war, einer verschwommenen undefinierbaren Masse aus Form und Farben. Dann plötzlich versagten meine Beine und ich stürzte auf die Knie, was die Musik sowie sämtliche Unterhaltungen der Anwesenden zum Verstummen brachte. “Eleonore? Wird es immer noch schlimmer?”, fragte Ludwig besorgt und hockte sich zu mir, während er noch jemanden heranwinkte. “Reznick! Geh und frag die Hadeza, wie viel Changonis sie ihr gegeben hat. Ich wollte eine etwas ruhigere Braut und keine betäubte!” “Ich eile”, erwiderte der Mann und lief davon. “Bringt sie in meine Gemächer!”, rief Ludwig als Nächstes und schon hoben mich kräftige Arme auf. Das Mieder presste gleichsam sämtliche Luft aus meinen Lungen und ich glaubte, gleich zerquetscht zu werden. Unweigerlich wurde mir schwarz vor Augen ...
*
Ein Ruck holte mich zurück in die Besinnung. “... hab ich ihr gegeben.” “Sieh mal, das Korsett ist auch viel zu eng.” Hörte ich dumpf und dann spürte ich, wie plötzlich der brutale Druck von meinem Körper weniger wurde. Befreiend atmete automatisch mein Körper auf, was augenblicklich für seltsames Schweigen sorgte. “Unheimlich”, sprach erneut ein Mann und irgendwas zog an meinem Rücken. “Danke ... Reznick, aber den Rest werde ich schon selbst machen”, sprach jemand anderes und dann schaffte ich es, endlich meine Augen zu öffnen. Ich sah verschwommen eine goldene Bettdecke ... Kissen ... ich lag auf dem Bauch? “Uhh”, stöhnte ich und versuchte meinen Kopf zu drehen – mich aufzurichten, aber mit Muskeln wie Pudding war das schlichtweg unmöglich. Mein Nacken schmerzte ... ich wollte nicht so verquer mit dem Gesicht zur Seite auf diesem weichen Bett liegen.
“Möglich dass sie sich noch übergibt.” “Dann lasse ich Dagmara selbst putzen.” Gelächter folgte, dessen Sinn ich nicht verstand. Wieso lag ich hier? War ich nicht gerade noch auf einer Hochzeit? “Lasst uns nun allein. Du gehst selbstverständlich auch Reznick!” “Natürlich.” Schritte erklangen und das dumpfe Schließen einer Türe. Stille.
Ich weiß nicht, wie lange ich nun so komisch da rum lag, aber irgendwann ließ das Rauschen in meinem Kopf nach ... nein ... es wurde deutlicher ... war das nicht Rascheln von Kleidung? Dann plötzlich wackelte das Bett und ich spürte Berührungen an meinem Rücken. Jemand ruckte an meinem Kleid – zog unablässig an meiner Schnürung und dann war ich frei! Gott ... wie gut das tat! Als würde eine tonnenschwere Last von mir genommen. Als wäre ich federleicht ... würde schweben. Ja ... es war so schön, dass mir vor Freude die Tränen kamen. “Ich habs gleich”, flüsterte eine Stimme und dann wurden die Stoffe endgültig von meinem Körper gezogen. Die Erleichterung darüber wich schnell aus meinen Gedanken, als nun Hände meinen nackten Po kneteten. Ich keuchte entsetzt, denn das bildete ich mir ganz gewiss nicht ein!
Erneut versuchte ich mich zu bewegen und meine Arme in die Matratze zu stemmen, aber da wurde ich auch schon geschwind umgedreht. Ich sah kurz darauf einen Kopf mit welligen hellbraunen Haaren ... Ludwig. Ich war also immer noch beim Grafen? War das alles doch echt gewesen und kein Traum?
“Fühlst du dich nun besser? Wird dein Verstand schon klarer?”, fragte er und küsste sich meinen Bauch hinauf. “B-bitte ...”, war denn auch alles, was ich stotternd hervorbrachte, als er sich immer weiter über meinen Körper schob. Mit den Händen drückte ich abwehrend gegen seinen stark behaarten Oberkörper, jedoch konnte ich keine wirkliche Kraft aufbringen. Gott! Ich wusste, was er vorhatte! Und obgleich ich versuchte meine Beine zusammen zu pressen, so gelang es ihm doch spielend, sich dazwischen zu positionieren. “Entspann dich, ich will dich nicht verletzen”, sprach er sanft, aber dennoch war das nicht richtig! Ich war nicht seine Frau und er nicht mein Mann! Er durfte ni–
... Leere ...
In meinem Kopf herrschte augenblicklich Leere und mein Herz raste nur so vor lauter Panik. Ich keuchte schmerzlich und sog hektisch die Luft ein, als er das tat, wozu unser beider Nacktheit gedacht war ...
Es fühlte sich falsch an ... einfach nur falsch. Dabei ganz gleich, ob er sich in mich stieß oder mich zu küssen versuchte. Ich erwiderte nichts. Versuchte ihn auszublenden ... das was er mit mir machte zu ignorieren. Am liebsten hätte ich geschrien, aber selbst das kam mir so sinnlos vor. Wer sollte mir hier schon zu Hilfe kommen? Richtig ... niemand. Ich versuchte also, etwas Positives darin zu finden ... danach flehte ich zu den Monden. Bat um einen Ausweg. Irgendwann wünschte ich allerdings nur noch, dass es schnell vorbei gehen möge. Aber auch darin verspotteten mich Zerian. Wozu war aller Glaube überhaupt gut? Ich hasste es! Lange ... viel zu lange dauerte das Spiel des Grafen, bis er endlich stoppte und sich über mir versteifte. Ich fühlte mich schmutzig ... und angewidert, als er mir erneut einen Kuss auf die Stirn drückte. “Das war gut. Du fühlst dich so herrlich an”, hatte er sogar noch den Nerv zu sagen, ehe er von mir runter robbte. Ich sah ihn nicht an, drehte mich nur weg, als er aus dem Bett stieg. “Du solltest jetzt etwas schlafen”, sprach er und plötzlich wurde es wieder richtig dunkel im Raum. Ich zuckte zusammen, als ich noch eine Tür hörte, aber ich wollte nicht hinsehen ... vergrub mich weinend in die Kissen und verbarg mich in der Decke. Wollte das alles hier ... nur noch vergessen ...
*
Ein seltsam drückendes Gefühl um meinen Hals ließ meinen Verstand erwachen. Ein Klickgeräusch brachte mich dann auch dazu, die Augen zu öffnen. Verwirrt blinzelte ich in das Gesicht ... des GRAFEN! Erschrocken wich ich zurück und dann gleich noch mal, da ich mich nackt in einem Bett befand!? O GOTT! Schnell raffte ich die Decke bis zum Hals und rutschte auf die andere Seite des Bettes.
“Entschuldige. Dich zu erschrecken, lag nicht in meiner Absicht”, sprach er und warf danach einen Blick auf den flachen schwarzen Stein in seiner Hand. “Wie mir scheint, arbeitet es aber gut. Ich bin also fertig.” “Fertig?”, fragte ich verwirrt und presste den Stoff noch fester gegen meine Brust. Tränen sammelten sich in meinen Augen, als die Erinnerung der vergangenen Nacht über mich einbrach. O Gott! Ich hatte mit ihm geschlafen! Wieso hatte ich mich nicht gewehrt?! Nicht gekämpft? Ich schluckte und schluckte ... und noch einmal. Verzweifelt versuchte ich, einen Heulkrampf zu unterdrücken – scheiterte aber letztlich doch daran. Unablässig entwichen Schluchzgeräusche meinem Mund und mein ganzer Körper fing an zu zittern.
“Shhh, nicht doch”, sprach Ludwig und sah von der kleinen Tafel auf, bevor er sich auf die Kante vom Bett setzte. “Gestern war unsere Hochzeit und ich muss sagen, dass ich mich wirklich prächtig amüsiert habe. Der Akt der Fleischeslust mit dir war auch sehr schön. Warum also benimmst du dich nun so?” Ungläubig starrte ich ihn an, war das sein Ernst?! Bei den Monden ... mir wurde schwindelig – schlecht – am liebsten hätte ich mich jetzt vor Ekel übergeben. Ekel bei dem Bild, wie er auf mir gelegen hatte und ... GOTT!
“Reiß dich zusammen, ja? Ich will kein Geheule oder dergleichen von dir hören”, sprach er nun deutlich ernster, als ich nichts auf seine Frage antwortete. Gut, das half etwas, nicht tiefer in diesem Strudel aus Selbsthass und Verzweiflung zu versinken. Ja, es brachte meinen Hass zurück! “Was bildest du dir ein?! Du hast meine Eltern ermordet! Mich entführt! Meinen Verstand benebelt u-und dann auch noch mit mir geschlafen!”, schrie ich also und gerade, als ich tief Luft holte, um ihn gleich darauf mit Schimpfwörtern zu belegen ... durchjagte mein Körper ein gleißender Schmerz. Jeder Muskel verkrampfte und ließ mich sofort zusammenklappen und vom Bett fallen. Ich keuchte mit schreckgeweiteten Augen und wusste nicht, was genau passiert war ... sowas hatte ich noch nie gefühlt. Mein Hals brannte und als ich kraftlos meine Finger dorthin bewegte, fühlte ich ... Metall?
[Darklover war mal wieder so lieb, mir bei der Rechtschreibung zu helfen 🥰]