Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit den gelben Keramikkrug von meinen aufgesprungenen Lippen absetzte, hörte man nur noch schweres Keuchen. Mein schweres Keuchen! Das Verlangen meiner Lungen nach Luft, war geradezu zwingend. Gott, ich hatte so hastig das Wasser hinunter geschlungen, dass ich fast daran erstickt wäre! Es brauchte einige Atemzüge, bis sich dieses quälende Gefühl besserte und mein rasender Herzschlag einen anderen Grund hatte. Angst! Unglaubliche Angst herrschte in meinem Körper, da mich alle Frauen immer noch so musternd anblickten und ich nicht wusste, was in dieser Flüssigkeit drin gewesen war. Die Weiber hier zu fragen, würde wohl wenig bringen. Ohh, warum hatte ich diesen entsetzlichen Durst nur nicht noch ein bisschen aushalten können? Es hätte doch nur einen Moment in Anspruch genommen, das Wasser zu prüfen. Nur einen Moment! O verdammt, ich könnte mich ohrfeigen! Ob ich gleich die Besinnung verlieren würde? Ein willenloser Sklave wurde? Mit zitternden Händen fuhr ich am Rand des Krugs entlang und nahm mit meinen Fingerspitzen einige der letzten Tropfen des Getränks auf. Der schon angetrocknete Schlamm auf meinen Fingern wurde von der durchsichtigen Flüssigkeit schnell blutrot, aber sonst sah ich nichts Auffälliges. Es verdunstete auch sofort bei dieser fürchterlichen Hitze, welche mich noch immer unablässig umwehte.
“Hinfort Trägerinnen! Die Eishexe hat gewählt und damit bewiesen, wem ihre Seele leider noch immer gehört!”, rief plötzlich Frau Butterblume mit leichtem Groll in der Stimme und nahm mir gleichsam den Krug ab, um diesen auf den Boden zu stellen. “Ich verstehe das nicht! Seid ihr etwa alle unfähig, auch nur einen verständlichen Satz zu sprechen?!”, schimpfte ich daraufhin ebenso verärgert und sah sie eindringlich an. “Was habt ihr mir jetzt gegeben? Ich wollte Wasser und nichts Anderes!” Ihr Gesicht zeigte Verwirrung und dann trat auch schon Frau Schleife vor mich. “Eure Wut ist unbegründet. Ihr habt doch das reine Wasser aus den mitgebrachten Gaben erwählt.” “Ihr wollt mir ernsthaft weismachen, dass ich wirklich nur Wasser getrunken habe? Und die anderen Krüge? Was befindet sich darinnen?” “Ja, Eure Wahl war gewiss nur Wasser. Die übrigen Gefäße enthielten ein wohlschmeckendes Traubengemisch und lediglich einen kleinen Segen zur Entspannung. Also nichts, was Euch schaden könnte oder Euren Zorn heraufbeschwören sollte.” “Richtig. Es ist natürlich schade, dass der unheilige Fluch Euch noch lenken kann, aber keine Sorge. Wir beschützen Euch, Hexe des Eises”, sprach Frau Butterblume mit lieblicher Stimme und wollte mein Gesicht berühren, was ich aber sofort verhinderte. “Fass mich nicht an!”, schimpfte ich, als ich ihre Hände einfing und sie bestimmend von mir drückte. “Ohh, bitte lasst mich Euch noch einen Kuss schenken, verirrte Seele. Es wird Euch guttun und beruhigen. Ihr steht noch unter dem Einfluss des Wassergeistes, was leider zu erwarten war. Aber keine Angst, die Sonnengattin wird ihren Lichtsegen gleich vollenden und das wird Euch gegenüber dem blauen Fluch stärken.” “Das kann doch alles nicht wahr sein!”, murrte ich zu mir selbst, weil meine Kopfschmerzen von diesen Worten immer schlimmer wurden und es absolut niemanden hier interessierte, was ich sagte. Unglaublich ...
“Doch doch. So wie es das Seelenheil verkündet. Ich werde auf Eurem Körper zeichnen, nachdem die Tränen von Euch gefallen sind. Beruhigt Euch also, wir lieben Euch doch. Hm? Ihr zittert ja, wollt Ihr nicht doch noch aus den anderen Krügen trinken? Es beruhigt schnell Euer kaltes Herz und erwärmt Euch. Bring die Liebe in Euren Körper”, sprach Frau Schleife und ließ sich eilig von den Umstehenden einen der gelben Tongefäße reichen. Ich konnte es nicht fassen. Redete ich hier etwa mit der Wand? Ich bebte nicht vor Kälter, sondern vor Wut! Ja, jetzt reichte es mir endgültig endgültig eben! “Bei Gott! Bleibt mir damit fern!”, schrie ich und stieß sie zurück. Vor Schreck ließ sie den Krug fallen, welcher mit einem lauten Knall sofort in tausend Scherben zersprang.
“Ihr macht mich hier alle wahnsinnig! Euer blödes und sinnloses Gerede ist unerträglich! Ihr lügt mich an! Ihr seid alle genauso falsch, wie beim Grafen!”, platzte es aus mir heraus, während ein besorgtes Raunen um mich herum erklang. Aber, es war mir gleich! Sollten diese Frauen doch von mir halten, was sie wollten! Ich war hier doch sowieso nur die Hexe ... also, was hatte ich schon zu verlieren?
“Ihr wollt mich doch nur pausenlos betäuben und willenlos machen! Mich vergewaltigen, ja?! Ich glaube euch kein Wort, dass ich gerade nur Wasser getrunken habe! Nein, so naiv bin ich nicht mehr!”, brüllte ich und schnappte mir hastig eine große dreieckige Scherbe vom Boden. Ich fuchtelte mit dieser Waffe ungelenk um mich herum, damit keiner es wagen würde, näher zu kommen. Sie sollten alle einen möglichst weiten Abstand zu mir wahren! Bei Del und Cor! Ich hatte so Angst, dass gleich die Wirkung von diesem Zeug einsetzen würde und ich dann nicht mehr ich selbst sei, dass mein ganzer Körper zitterte. Ich wollte keineswegs noch länger warten! Ich musste hier raus!
“Shhh! Ganz ruhig”, sprach sofort Frau Butterblume bemüht lieblich und hob sachte die Hände. “Legt das Bruchstück weg, Ihr verletzt Euch sonst noch.” “Es tut Euch doch hier niemand etwas. Wir sind alle liebende Kinder der Sonne, wollt Ihr jetzt ernsthaft gegen uns kämpfen? Oder will der Wassergeist, dass Ihr dies tut?”, sprach auch Frau Schleife besorgt, machte aber gleichzeitig nicht den Eindruck, dass sie noch weiter zurückweichen würde. Wie sie alle! Die Frauen hielten lediglich ein bis zwei Meter Abstand zu mir, mehr jedoch nicht. Verdammt! Wenn die sich jetzt gemeinsam auf mich stürzen würden, konnte ich unmöglich dagegen bestehen. Und außerdem wollte ich sie doch auch gar nicht ernsthaft verletzen! Oder? Würde das diese Verrückten überhaupt aufhalten? Gott, was sollte ich nur tun? Angst allein durchflutete meinen Körper und dann ... führte ich die scharfkantige Scherbe schließlich zu meinem Hals.
“Halt!” “Nicht!” “Haltet ein!” “Bei der Sonne!”, hörte ich die Frauen erschrocken durcheinander rufen und wie gebannt auf die Waffe an meiner Kehle starren. “Niemand soll mich mehr anfassen!”, schimpfte ich hingegen und sah allen voran die Schleifchen- sowie die Blumenfrau entschlossen an. Ich wollte mich nicht töten, aber ihnen mit dieser Geste unmissverständlich zeigen, wie ernst es mir war!
“Bringt mich sofort zu Zerian!”, sprach ich bestimmend, was Frau Schleife wohl so gar nicht passte. “Es ist alles gut, Hexe des Eises. Bitte beruhigt–” “Haltet den Mund!”, unterbrach ich sie gereizt. “Hört Ihr etwa schwer? Ich will jetzt zu ihm!” “Aber das geht doch nicht!”, sprach sie mit immer nervöser werdender Stimme. “Und wieso nicht?!” “Der Wassergeist ist beim Orakel des Feuers und wird auf seine Wiedergeburt vorbereitet. Wir dürfen unter gar keinen Umständen zu ihm!” “Euer Ritual oder was auch immer interessiert mich aber nicht! Es ist mir vollkommen egal, hört Ihr?!”, sprach ich wütend, auch wenn mir das Herz vor Panik bis zum Halse schlug.
“Werte Sonnengattin!”, hörte ich plötzlich jemanden atemlos aus der Menge rufen. “Ohh! Die Botin ist zurück!” “Du riechst nach ihm!” “Es riecht soo gut!” “Ja! Er ist so wunderbar!”, tuschelten sofort einige Frauen und strichen andächtig über die Haut der kleinen braunhaarigen Frau, die sich da gerade keuchend durch die Masse drängelte. “Werte Sonnengattin! Ich bringe Euch eine Nachricht vom Sonnenherrn!”, rief sie erneut und verbeugte sich tief vor Frau Schleife, als sie bei uns angekommen war. Das die ganze Zeit über unzählige Hände nach ihr griffen und sie stellenweise unsittlich streichelten, schien sie dabei überhaupt nicht zu stören. Gott! Ich konnte gar nicht hinsehen!
“Gut, sprich sodann! Was hat er gesagt?” “Er will sie sehen! Die Eishexe soll unverzüglich zu ihm gebracht werden. Er wird mit ihr reden. Will sich persönlich überzeugen, dass der Ritus der Reinheit verfrüht ist.” Nach diesen Worten sahen mich alle wieder eindringlich an, aber zum Lichtheini wollte ich keineswegs! Sicherlich würde er mich nur wieder mit seinem magischen Pulver bestreuen!
“Ich will aber nicht zu ihm! Bringt mich zu Zerian! Wie oft muss ich das denn noch sagen?!”, schimpfte ich nach einem Moment des Schweigens, wodurch Frau Schleife aber gleich den Kopf schüttelte. “Im Sonnenrefugium kann sich allein der Sonnenherrn frei bewegen. Es gibt Türen, die sich nur mit seiner Macht öffnen lassen. Wir können Euch nicht zu diesem Zerian bringen, versteht das doch!” Toll. Adelstechnik. So kam ich also kein Stück weiter ... Und nun? Resignierend atmete ich einmal tief durch, behielt aber dennoch die Tonklinge unablässig an meinem Hals. Dies würde ich auch weiterhin so machen, da es mir wenigstens etwas diese Weiber vom Leib hielt. Ob das auch bei dem Lichttypen funktionierte? Bei dem Gedanken an ihn durchfuhr mein Innerstes prompt ein kräftiger Schauer und das trotz der Hitze, die hier herrschte. Also gut ... ich hatte sowieso keine wirkliche Wahl.
“Dann bringt mich zu eurem Sonnenherrn, damit ich mit ihm reden kann! Und wehe es fasst mich einer an!”, drohte ich in die Runde, woraufhin mich Frau Schleife etwas unglücklich an sah. “Wir bringen Euch zu ihm, aber nur ohne diesen Krugsplitter. Nicht, dass Ihr Euch noch verletzt.” Pah! Das könnte ihr so passen! “Kommt gar nicht in Frage! Das ist mein einziger Schutz vor euch verrückten!” “Bitte versteht doch, wir wollen Euch nicht böses.” Versuchte es nun auch Frau Butterblume, aber da konnte sie noch so verführerisch klingend ihre Worte formen, es stieß bei mir vollkommen auf taube Ohren!
“Bemüht euch nicht! Es ist mir gleich, was ihr alle zu sagen habt! Ich traue euch nicht, also entweder bringt mich jetzt jemand zu diesem Sonnentypen oder ich such mir selbst den Weg!” “Na gut. Wie ihr wünscht, aber bitte behaltet ruhe, ja? Niemand möchte das Euch etwas geschieht, das ist mein ernst. Und können wir wenigstens noch die getrockneten Tränen von Euch nehmen? Dieser Teil der Zeremonie gehört ja noch zum Segen und ist nicht für den Sonnenherrn bestimmt. Er würde es sicherlich begrüßen, wenn Ihr ohne diesen auftauchen würdet.” Ich runzelte die Stirn und blickte kurz an mir herab. Stimmt, der Schlamm war von dem ganzen heißen Wind getrocknet und schon großflächig von mir abgefallen. Meine einst so helle weiße Haut, war nun richtig rot geworden. Unheimlich, als hätte ich Kleidung an, aber eben nur fast.
“Die restliche Erde kann ich selbst abklopfen, dabei brauche ich keine Hilfe. Gebt mir lieber was Richtiges zum Anziehen! Ich gehe keinesfalls nackt zu ihm!”, murrte ich und sah die Frauen der Reihe nach auffordernd an. “Ich. Gehe. Nicht. Nackt!”, schimpfte ich noch mal lauter nach, da mich alle nur verwirrt anblickten.
“Wir können Euch den Segen des Feuers nicht mehr geben”, sprach Frau Butterblume nachdenklich und winkte denn einigen umstehenden Frauen zu. “Wir können Euch aber die Kluft der Fünkchen anbieten, geehrte Eishexe.” “Genau, das dürfte gehen. Bringt die Schleier!”, rief auch Frau Schleife und sofort strömten einige Frauen umher. Es dauerte nur einen kurzen Moment, schon wurden mir die ersten fast durchsichtigen gelblichen Tücher nach vorne gereicht. Gott, wo bitte war das jetzt was zum Anziehen?
“Ihr habt hier nichts Anderes?”, fragte ich empört, schnappte mir aber dann doch drei, vier Stück von diesen luftigen Dingern. Mit nur einer Hand konnte ich mir diese zwar nicht sofort umbinden, aber unterwegs, wäre das dann sicherlich kein Problem. Hier war die Gefahr einfach zu groß, dass sie mir die Tonscherbe entwendeten, wenn ich nicht aufpasste. “Ich will, dass mich nur eine von euch zum Sonnentypen hinbringt!”, brachte ich es noch schnell unmissverständlich zu Wort, denn nicht, dass mich gleich alle dorthin führen wollten. Wirres Getuschel erklang. Frau Blume und Frau Schleife sahen sich ebenso kurz an, ehe sie mich beide freundlich anlächelten. Das beunruhigte mich. Wieso waren die nun wieder so selbstsicher?
“Natürlich werde ich Euch bringen”, meldete sich die kleine Braunhaarige von vorhin, fast schon schüchtern zu Wort. Einige der umstehenden bedachten sie sofort mit wehmütigen oder neidischen Blicken, was ich aber nicht verstand. ”Bitte folgt mir”, sagte sie als Nächstes und ging dann auch schon schnellen Schrittes voran. Ich folgte, auch wenn mich das Verhalten der anderen nur noch verwirrte. Ich drückte die Scherbe unwillkürlich stärker an meine Kehle, weil ich jeden Moment mit einem Überfall rechnete. Aber ... es geschah nichts. Ich konnte vollkommen unbehelligt den schmalen Pfad zwischen den Frauen passieren. Ich folgte der Braunhaarigen aus dem Höhlenabteil, durch den Vorhang und schließlich ganz aus dem Raum. Puh! Was ein Glück. Der Flur war im Vergleich dazu ja fast schon eiskalt. Mir fiel wahrlich ein Stein vom Herzen, da endlich raus zu sein ... Auch wenn mir nun vermutlich Schlimmeres bevorstand.