“Regeln und Gesetze, die kümmern mich nicht”, sprach Richard ruhig und tippte dabei zweimal leicht auf seine Nase. Seltsamerweise sah sie nun deutlich besser aus. Die Schwellung war zurückgegangen und auch die vielen Farben verblassten immer mehr. Er hatte offensichtlich etwas zur Heilung eingenommen. Verstieß damit ebenso gegen den Rea-Rat.
“Sollten sie aber. Was Ihr hier gerade tut, wird eine erhebliche Strafe nach sich ziehen. Ihr könnt schließlich nicht ewig die Überwachung stören. Oder wollt Ihr wirklich–” “SCHWEIG!” Hastig zog er etwas Silbernes aus der Innenseite seiner Jacke. Ich schluckte nervös, als ich es als Schusswaffe erkannte.
“Du missverstehst die Situation. Glaubst du ernsthaft, ich lasse dich einfach so gehen? Als eine Adlige? Als eine Aschengard? Sehe einfach tatenlos dabei zu, wie du aus meinem Leben spazierst? Das kannst du vergessen! Du gehörst mir! Nur MIR!” Mit einem triumphierenden Lächeln wedelte er mit der Mündung in meine Richtung. “Und jetzt ... geh auf die Knie. Kriech vor mir auf den Boden, ganz so, wie es sich für einen minderwertigen Sklaven gehört.” Ich biss die Zähne zusammen und tat, was er verlangte. Hockte mich durch den Rock etwas umständlich auf den Teppich.
“Ich sagte, du sollst KRIECHEN! Los! Mach schon! Komm her!” Er winkte mehrfach mit der Waffe zu sich. Wütend sah ich ihn an. Glühender Zorn fraß sich durch meine Adern. Ich hatte seine Machtspielchen so satt. Was versprach er sich davon?
“Lass ja diesem Blick! Du stehst nicht über mir! Du hast zu gehorchen! Also ...”, er legte mit ausgestrecktem Arm die Waffe auf mich an. “Wird’s bald? Oder soll ich nachhelfen? Gleich hier dein kleines kümmerliches Leben beenden?” Diese Drohung war lächerlich. Ich wusste, dass er mich nicht erschießen würde. Verletzen ja, aber niemals auf diese Weise töten. Dennoch zog ich es vor, zunächst zu gehorchen. Krabbelte ich auf allen vieren zu ihm. Der Stoff um meine Hüften rutschte dabei immer weiter nach unten.
“Jaa ... das gefällt mir. Sehr schön. Wenn wir wieder zu Hause sind, wirst du dich nur noch so fortbewegen. Zu meinen Füßen ... für den Rest deines Lebens. Du wirst keine Beine mehr brauchen und ich werde dich zusehen lassen, wenn ich es mache ... Klingt das gut? Ja. Ich finde schon ... Oh, warte! Stopp! Da kannst du bleiben.” Ich hielt grob zwei Meter vor ihm an. Sah zu ihm auf.
“Dieser Trotz in deinen Augen ... ich konnte das noch nie leiden. Lass das! Mag sein, dass das Vererbungssystem dein Blut als eine Zar’Rea klassifiziert, aber das stimmt nicht. Ich habe dich gemacht! Hörst du? Du bist nichts als ein Spielzeug. Eine Puppe, die ich geformt habe aus dem Blut der Ersten. Verstehst du das?” Ich verstand es nicht wirklich, aber das spielte sowieso keine Rolle. Er warf mir ohne Umschweife die graue Kleidung samt Halsband hin.
“Du bist meine Sklavin! Und als solche, wirst du auch dieses Zimmer verlassen.” “Nein”, sagte ich entschlossen, zog meinen Rock – so gut es auf Knien ging – wieder nach oben und setzte mich anschließend wie eine Adelsdame auf die Fersen. “Ich werde das graue Zeug nicht–”
Es knallte. Ein gleißender Schmerz bohrte sich wie eine glühende Eisenstange durch meine linke Schulter. Ich spürte, wie meine Haut verbrannte. Das Fleisch zerriss. Knochen splitterten. Ein entsetzliches Gefühl, das mir umgehend die Tränen in die Augen trieb. Mich regelrecht lähmte und dann kraftlos zur Seite kippen ließ. Kurz drohte ich sogar, komplett die Besinnung zu verlieren. Aber die aufkommende Panik, weil Richard sich im nächsten Moment auf mich schmiss, hielt mich wach. Hellwach sogar!
Er donnerte mich gewaltsam auf den Rücken, setzte sich auf meinen Bauch und legte die Hände um meine Kehle – drückte zu. Ich wusste, was das bedeutete. Was nun folgte. Sein liebstes Dominanzspiel, was darin bestand, mir solange die Luft abzudrücken, bis ich nicht mal mehr einen Muskel rühren konnte. Danach würde er meinen Körper benutzen und ich hatte keine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. War schon immer zu schwach.
“Du bist mein Besitz! Tust nur das, was ich sage! Verstanden?! Du hast dich mir gefälligst zu unterwerfen!”, brüllte er mir wütend entgegen, während ich verzweifelt mit nur einem Arm versuchte, seine Hände von meinem Hals zu lösen. Ich bekam immer weniger Luft.
“Na? Fühlst du dich noch immer so überlegen? Du glaubst wohl, nur weil dieser Fatzke die Modis aus deinem Implantat entfernt hat, brauchst du MIR nicht mehr gehorchen, was?! Wie konnte er das überhaupt? He? Sag es mir! Woher hatte er den Schlüssel?! Woher–” Wild rauschte das Blut in meinen Ohren und verdrängte jedes andere Geräusch. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Die Muskeln erschlafften.
Bevor ich aber ohnmächtig werden konnte, ließ er los. Packte dafür grob meinen Kopf und – küsste mich. Reflexartig sog ich seinen Atem tief in mich. Keuchte bitterlich gegen seine Lippen. Viel Sauerstoff gestattete er mir allerdings nicht. Legte bereits wieder eine Hand um meinen Hals. Ich hasste dieses Spiel.
“Du bist meine Puppe ...”, sprach er mit einem zufriedenen Lächeln und riss mit der freien Hand meine Bluse auf. Streichelte über meine Haut und kniff schließlich in eine meiner Brustwarzen. “Wie ruhig und still du bist ... ein Teil meiner Erziehung ist also noch in dir, gut so.” Er gab mir einen erneuten Kuss. Presste seine Lippen mit unnötig viel Gewalt auf meine.
Auch das ließ ich geschehen. Lag vollkommen bewegungslos da, aber nicht aus dem Grund, den er dachte. Ich mein, ja. Zu schreien hatte noch nie etwas gebracht, außer noch ausgefallenere Folter. Würde ihn nur weiter anstacheln. Aber. Das war es nicht, was mich regelrecht paralysierte. Ich spürte – Sorge. Verwirrung und unbändige Wut, die nicht von mir aus ging. Zerian!
All seine Empfindungen strömten ungefiltert auf mich ein. Als würde er mich verschlingen wollen. Meinen Verstand Stück für Stück in einen monströsen Strudel ziehen. Diese Kraft – diese Intensität war unheimlich. Überstieg alles, was ich jemals erlebt hatte.
Ich hörte Zerians rufen. Tief in mir schrie er unablässig meinen Namen. “Ich bin hier ...”, flüsterte ich unwillkürlich, als Richard endlich meinen Mund freigab. “Ja, du bist hier bei mir, so wie es sein soll”, erwiderte Richard zufrieden, sein Lächeln verging ihm aber prompt, als das Zimmer plötzlich bebte. Es krachte ohrenbetäubend und alles geriet in Schieflage.
“Scheiße, was ist das?!”, fragte er panisch und erhob sich von mir. Blickte verwirrt umher. Und noch, bevor er irgendetwas tun konnte, brach auch schon der Boden auf. Wasser sprengte das Gestein, zerriss das Holz der Tür und zersplitterte das Glas der Fenster. Gleich einer gigantischen Flut füllte sich von allen Seiten her der Raum.
Nur ganz kurz hörte ich Richard aufschreien, bevor uns eine Welle erfasste. Mein Herz schlug wild, als ich vollkommen von dem kühlen Nass umschlungen wurde. In der Dunkelheit zu ertrinken drohte. Ich konnte mich nicht bewegen. Nicht sprechen oder gar atmen. Es fühlte sich an wie sterben.
Irgendwo wusste ich, dass es Zerian war, doch mein Verstand verfiel immer mehr in Panik. Bis – das Wasser schlagartig verschwand. Der schreckliche Druck auf meinem Körper wich dem Gefühl einer Umarmung. Sämtliche Schmerzen verblassten. Verschwommen erkannte ich zwischen all der Zerstörung – weiße Haut. Kurzes weißes Haar. Zerian. Er hielt mich fest. Presste mich an seine Brust.
“Du bist gekommen ...”, flüsterte ich erschöpft und strich mit den Händen zärtlich über seinen Rücken. Dankbar. Glücklich. Er hatte mich gerettet – geheilt, wie schon einmal. Doch. Etwas stimmte nicht. Während ich absolute Zufriedenheit verspürte, herrschte in ihm weiterhin eine gewaltige Unruhe. Sein Zorn hatte sich noch nicht gelegt.
“Zerian?”, fragte ich unsicher und versuchte, ihn etwas von mir zu drücken. Er reagierte jedoch nicht. Hielt mich weiter in seinen starken Armen. Ich brauchte sehr viel Kraft, um meine Hände zwischen uns hindurch zu zwängen und schließlich seinen Kopf zu umfassen.
“Zerian?”, fragte ich erneut und drehte sein Gesicht vorsichtig zu mir. Keine Emotion war darin zu erkennen. Seine Augen glühten vollständig blau. Er war nicht da. Nicht wirklich zumindest.
“Es ist alles in Ordnung ...”, flüsterte ich und legte meine Lippen sanft auf die seinen. Gab ihm einen Kuss, der sich mehr als nur gut anfühlte und ein stummes Versprechen beinhaltete. Ich für dich – für immer.
“Uh? Hey ... Zerian?!”, sprach ich besorgt, als seine Augen erloschen und er plötzlich zusammenbrach. Mich mit seinem Körpergewicht nach unten riss. Ich versuchte, ihn zu stützen. Schaffte es aber nicht. Wir landeten beide auf dem Boden.
“Zerian? Kannst du mich hören?” Ich drehte ihn behutsam auf den Rücken. Seine Augen waren geschlossen. Er sah aus, als würde er schlafen. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Erleichtert bettete ich seinen Kopf auf meinen Schoß und strich ihm liebevoll durch die Haare.
“Hast du dich wegen mir überanstrengt? Um mich zu retten?”, fragte ich leise und seufzte anschließend. Schüttelte den Kopf. “Du Idiot ...” Er hatte dieses ganze Chaos angerichtet, nur um zu mir zu kommen. Ich wollte doch keinesfalls, dass er sich selbst schadete.
Langsam schweiften meine Augen über das Trümmerfeld. Das ganze Zimmer schien im Erdgeschoss gelandet zu sein, obwohl wir uns im zweiten Stock befunden hatten. Eine Wand nach draußen fehlte komplett und gab den Blick auf den Garten preis, der gerade von der aufgehenden Sonne beleuchtet wurde. Auf der anderen Seite konnte ich Teile vom Flur sowie von den anderen Zimmern erkennen. Die Möbel lagen zusammengeschoben und aufgetürmt in einer Ecke. Und dann natürlich das ganze Wasser. Wir befanden uns zwar auf einer kleinen Erhöhung durch eine herabgestürzte Platte, aber alles andere stand bestimmt knietief in den gräulichen Fluten.
Ich stutzte. Etwas entfernt drang ein Husten an meine Ohren. Keine Sekunde später erblickte ich Richard, wie er sich weiter aus dem Wasser zog und keuchend nach Luft rang. Er lebte noch.
“Scheiße!”, fluchte er sofort und rappelte sich mühselig auf. Entdeckte uns. “Der Elementar reagiert auf dich? Wie kann das sein?” Schlagartig wurde er blass um die Nase. “Du bist künstlich. Ihr gehört nicht zusammen”, stammelte er weiter und raufte sich die nassen Haare. Suchte irgendetwas in seinen Taschen, fand aber nichts.
“Ich sage das jetzt nur einmal ... Komm auf der Stelle weg von ihm! Das ist ein Befehl!” Ich runzelte die Stirn und blieb unbewegt sitzen. Was dachte er sich dabei? Als ob ich deswegen auf ihn hören würde.
“Johanna, ich warne dich! Gleich wird es hier nur so vor Wachen wimmeln. Willst du wirklich, dass sie euch beide töten? Los, beweg dich! Komm zu mir.” “Nein. Ich bleibe bei ihm.” “Das kannst du aber nicht! Ihr werdet euch beide sowieso aufheben und sterben! Hörst du? Es gibt hier kein gewinnen für dich.” “Verschwinde! Wage es ja nicht, näher zu kommen!” Wut und Angst keimten in mir, als er tatsächlich zu uns schritt. Ich durfte ihn unter keinen Umständen zu Zerian lassen. Aber, was sollte ich tun? Ich war zu schwach und–
Eine sanfte Berührung riss mich aus der beginnenden Panik. Zerians Hand streifte meinen Arm und wanderte zu meinem Kopf – streichelte liebevoll meine Wange. Ich lächelte auf ihn herab. Seine Augen waren klar. Keine einzige blaue Fläche mehr.
“Du lebst ...”, flüsterte er überglücklich. “Ich dachte, ich verliere dich. Du hattest starke Schmerzen.” Seine andere Hand berührte mich an der linken Schulter. Genau dort, wo sich die Schusswunde befunden hatte. “Was ist passiert?” “Du hast mich gerettet”, sagte ich und blickte anschließend zu Richard hinüber. Sein Gesicht schien noch mehr Farbe verloren zu haben.
“Und dieser Mann dort, hat mich verletzt”, sagte ich mit so viel Abscheu in der Stimme, dass ich hoffte, Zerian würde es verstehen. Meinen Wunsch heraushören, dass Richard sterben sollte. Denn genau dass, wollte ich. Seinen Tod. Nur so würde ich endgültig von ihm frei kommen. Von diesem schrecklichen Menschen, den ich so sehr hasste. Jedoch Zerian wörtlich darum bitten, konnte ich nicht. Diese Bitte hing wie ein gigantischer Kloß in meiner Kehle. Drohte mich zu ersticken. Aber zum Glück musste ich auch nichts weiter sagen. Zerian stand auf und stellte sich schützend vor mich.
“Warte! Warte!”, rief Richard schnell und hob ergebend die Hände. “Sie ist kein richtiges Element! Ich habe sie gemacht, hörst du? Sie gehört nicht dir!” “Das ist für mich bedeutungslos. Sie ist meine kleine Sonne”, erwiderte Zerian und dann türmte sich überall um uns herum Wasser auf. Eine Gänsehaut überkam mich und als diese massiven Wände auf meinen alten Meister einschlugen, schloss ich die Augen. Ich wollte es nicht mit ansehen. Mir reichte seine Stimme. Sein panisches Schreien, bevor es in einem gewaltigen Getöse unterging.
“Du weinst.” Erschrocken riss ich die Augen auf, sah Zerian, der mit einem verwirrten Gesichtsausdruck vor mir hockte. “Warum?” Seine Hände umfassten meinen Kopf. “Er war schlecht für dich und ich habe deinen Wunsch gehört. Ihn für dich getötet. War das falsch?” Ich lächelte. “Nein ... ich bin glücklich. Du hast mich befreit ...” Ich umschlang seinen Nacken und zog ihn das restliche Stück zu mir. Küsste ihn.
Ich konnte nicht in Worte fassen, wie ich mich fühlte. Wie unendlich dankbar ich war. Aber dieser leidenschaftliche Kuss sollte es ihm zeigen. Er bedeutete mir alles.