“Raus mit Euch!”, schimpfte ich und versuchte dabei, so wenig Angst wie möglich zu zeigen. Egal wer das war, er wollte mich offensichtlich einschüchtern, denn warum sonst war er hier eingedrungen und trug dieses pompöse Gewand? Diese mehrlagigen weiß-gelben Umhänge, die seinen kompletten Körper verbargen und dazu noch diese unheimliche rituelle Maske? Sein Lachen wurde leiser und dann griff er sich mit einer ausladenden Geste an den Kopf. Es dauerte einen Moment, bis er sein Gesicht enthüllte und ... O GOTT! Von seinen extrem perfekten Gesichtszügen und dieser unnatürlichen goldfarbenen Augen- sowie Hautfarbe mal abgesehen, trug er ... Er trug ein weißes Sonnensymbol auf der Stirn! Bei den Monden! Ein heiliger Rea?! Was hatte einer dieser hochrangigen hier zu suchen? Es hieß immer, sie wohnten in den Sternen und kamen nur zu feierlichen Zeremonien in die Städte ... Das war nicht gut – überhaupt nicht gut! Der Mann war gefährlich!
“Ihr seid wahrlich ein amüsantes Weib und was ich von Euch im Moment sehen kann, gefällt mir. Zwar etwas üppiger, als ich es gewohnt bin, aber sei's drum”, sprach er mit einem unverschämten breiten Lächeln, wodurch ich sofort innerlich erschauderte. Gott, was machte ich jetzt nur? Bloß nicht zittern oder anderweitig Angst zeigen! Ich ... ich war kein kleines weinendes Mädchen mehr. Ich ... ich wollte keines sein! Für meine Eltern und für mich wollte ich stark sein – musste ich es sein! Ich durfte also nicht die Nerven verlieren, ansonsten war ich verloren. Mir musste nun schleunigst etwas einfallen! Etwas Gutes! Wie wurde ich ihn nur wieder los? Ob es etwas brachte, wenn ich versuchte, die Ahnungslose zu spielen?
“Wer seid Ihr und was macht Ihr hier in meinem Zimmer?” Nein, nicht bestimmend genug. “Oder besser nein, ich will es gar nicht wissen. Verschwindet einfach!” Ja, das war besser und um meine Ablehnung ihm gegenüber zu verdeutlichen, zeigte ich zur Tür, welche immer noch offen stand. Zu meinem Erstaunen erblickte ich auch einige Leute im Flur, die zwar nicht ganz so verhüllt waren, wie dieser Rea-Kerl hier, aber dennoch solch ähnlichen Gewänder trugen. Waren das etwa seine Anhänger oder gar Wachen?
“Aber, aber. Warum denn so abweisend? Jeder liebt die Kinder der Sonne”, sprach er, blickte an die Decke und riss plötzlich seine Arme in die Höhe. “Die Kinder der Sonne werden geliebt, ausnahmslos!” Nun nahm er die Hände wieder runter und sah zu mir. Sein lüsterner Gesichtsausdruck passte mir dabei überhaupt nicht. “Ich bin eines davon, also liebt mich auch jeder.” Igitt! Wieso überraschte mich das jetzt nicht? Was bildete sich dieser Kerl bitte ein? “Ich bin Adamek Lichius, Herr des Sonnenrefugiums”, sprach er mit seidenweicher Stimme und hatte sogar die Nerven, mir danach auch noch zu zuzwinkern. Was sollte das denn werden? Er schien unglaublich, von sich überzeugt zu sein und mit diesem perfekten Gesicht, fand er sicherlich viel Anklang bei den Frauen, aber nicht bei mir. Ich hatte genug von Männern!
“Schön ... und da ist die Tür”, sprach ich also bemüht ruhig, auch wenn es mir zunehmend schwerer fiel. Bislang hatte ich es zwar geschafft, meine Angst zu unterdrücken, aber dies beeindruckte ihn leider keineswegs. Er blieb einfach an Ort und Stelle stehen. Drehte sich ja nicht einmal um! Der Mann hatte definitiv keine Manieren, immerhin stand ich hier halbnackt! Aber ... das schien ihm wohl sehr zu gefallen. Ständig wanderten seine gelb leuchtenden Augen an mir auf und ab ... O Bitte nicht! Unweigerlich breitete sich eine Gänsehaut wie ein Lauffeuer auf meinem Körper aus und ich spürte, wie mein gerade gewonnener Mut, zu verschwinden drohte.
“Ihr wollt, dass ich gehe? Ich? Ein Kind der Sonne? Nein. Nicht doch, kleine Seele. Ich kann nicht zulassen, dass Ihr alleine im Dunkeln watet. Ich bin das Licht! Jeder liebt das Licht!” O Gott! Jetzt machte er auch noch einen Schritt auf mich zu! Ohh, was mache ich nur?! Er war locker einen Kopf größer als ich und sicherlich auch um einiges stärker ... Vor der Tür lauerten ebenso seine Anhänger, aber ... ich wollte nicht, dass er mir noch näher kam! Mich ... mich berührte oder Schlimmeres ...
“NEIN!”, schrie ich ihm letztlich panisch entgegen, als die ersten Bilder, wie er über mich herfiel, in meinem Kopf auftauchten. Ja, nun war ich also genau jene ängstliche Frau, die ich doch eigentlich nie wieder sein wollte. Es war wirklich zum Heulen! Ich fühlte mich so ... klein und schwach. Aufgrund meines Schreis hielt er kurz inne, was ich sofort ausnutzte, um hinter mein Bett zu flüchten. Mir war unklar, wieso mein Körper ausgerechnet dorthin rannte und nicht in Richtung Badezimmer, wo ich mich wenigstens noch hätte einschließen können. Ich war wirklich zu dumm, um überhaupt etwas richtig zu machen. Aber gerade, als ich vor lauter Verzweiflung losheulen wollte, sah ich den Griff des Messers unter meinem Kopfkissen. GOTT JA! Das Messer! Ich stürzte mich regelrecht darauf, umklammerte den edlen Holzgriff, als gäbe es sonst nichts auf der Welt und riss zuletzt die Lederhülle runter. O Reznick ... bitte beschütze mich ...
“Uhh, die Eishexe greift zum Messer? Hat sie das denn nötig? Befindet sich etwa eine Gefahr für Leib und Leben an diesem Ort – in diesem Zimmer?” Er ließ die Hände unter sein Gewand verschwinden und sah sich gespielt suchend um. Mich verwirrte sein Verhalten. Mimte er jetzt den Dummen? Aber ... er wusste das mit dem Eis! War er also im Auftrag von Ludwig hier? Was mich ebenso verwunderte, die Leute im Flur hatten gar nicht auf mein Gebrüll reagiert. Auch dass ich eine Waffe hatte, schien sie kein Stück zu interessieren. Dies machte mich irgendwie nur noch nervöser. Irgendetwas stimmt hier doch nicht, oder?
“Ver-verschwindet endlich!”, sprach ich mit bebender Stimme und hielt ebenso zitternd die Spitze der Klinge auf ihn gerichtet. “Ahh, verirrte kleine Seele, fürchtete Euch nicht”, begann er daraufhin liebevoll klingend und hob seine Arme in die Höhe. Die Hände waren dabei zu Fäusten geballt. “Fürchtet Euch nicht, denn ich bin das Licht.” Seine Arme vollführten währenddessen eine ausladende halbkreisartige Bewegung und stoppten schließlich direkt vor seinem Gesicht. “Und alle ... lieben das Licht ...” Nun holte er tief Luft und pustete gegen seine Fäuste, die sich im selben Zuge öffneten. Ein rot-glitzerndes Pulver flog sogleich durch den Raum ... was wunderschön aussah. Magie? Zauberte er? Und wenn ja, was bewirkte es? Oder sollte das doch eine Ablenkung werden? Aber ... er kam mir weder näher, noch hatte er etwas Anderes versucht. Seltsam ...
“Was sollte das?”, fragte ich schließlich verunsichert, als der funkelnde Nebel sich allmählich lichtete. Ich musste kurz husten und es roch nun irgendwie leicht nach Rosen, sonst aber passierte nichts. Sein Blick ruhte auch nur erdrückend auf mir, als würde er auf etwas warten. Oh! Mir fiel in diesem Moment auf, dass mein Handtuch durch diese hastige Aktion verrutscht war. Dieser Lichtheini starrte also nur auf meine Brüste, die fast vollständig entblößt waren! Gott! Also war er nur hier, um mich zu begaffen? Das ergab doch gar keinen Sinn! Verärgert zog ich schnell den klammen Stoff zurecht und behielt auch weiterhin die Klinge drohend in seine Richtung. “Ist Euer Herz wirklich aus derartig kaltem Eis?”, fragte er und fasste sich dabei übertrieben dramatisch an die Brust. “Ich bin ein Kind der Sonne und jeder liebt die Sonne – liebt somit auch mich.” Hilfe ... der hatte eindeutig was am Kopf. “Hört auf damit und geht jetzt”, sprach ich unerwartet ruhig, obwohl ich ihn doch eigentlich hatte anbrüllen wollen. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Mein Herzschlag verlangsamte sich spürbar sowie auch das Zittern aufhörte. Kam das etwa von diesem magischen Pulver?
“Aha auch das Herz einer Eishexe kann also schmelzen – kann erweichen. Wunderbar. Kommt ins Licht, kleine Seele. Bei mir ist es warm. Bei mir gibt es Liebe. Liebe und die Sonne”, säuselte er einfach weiter und kam sogar näher. “Bleibt stehen. Ich will nichts von Euch. Ich will, dass Ihr geht. Wieso versteht Ihr das nur nicht?” Huch? Erneut kamen die Worte sanfter aus meinem Mund, als ich es beabsichtigt hatte. Ich ... ich fühlte mich plötzlich so seltsam. Hatte ich mich nicht schon einmal so gefühlt? So fremd?
“Oh gewiss. Ich werde gehen. Ich werde zum Licht zurückkehren – zu meinem Sonnenrefugium und Euch ... werde ich dabei mit mir nehmen. So lasset die Waffe sinken, Hexe des Eises. Schreitet mit mir gemeinsam zur Sonne und badet im Schein des Feuers. Lasst mich Eure Seele reinigen und ich verspreche Euch ewige Liebe.” Nach diesen Worten stellte er sich erhaben vor mich und ich konnte einfach nicht anders, als das Messer sinken zu lassen. Es war merkwürdig ... Ich war nicht ängstlich. Spürte weder Zorn, noch Hass oder Furcht.
“Was habt Ihr mit mir gemacht? Ich fühle ... Ich bin nicht ich ...”, sprach ich flüsterleise und verfolgte fast schon unbeteiligt, wie er mir das Messer behutsam entwendete. Jenes Messer, welches mir Reznick einst mitgab ... und als ich es nicht mehr hatte, fühlte ich Verzweiflung in mir aufwallen. Es hielt allerdings nur für einen Augenblick, dann kehrte wieder Ruhe in meinen Körper. Verstörende Ruhe, weil alles Negative sofort verpuffte und dies überhaupt nicht natürlich war. Nicht gut sein konnte ... Das sollte mir Angst machen. Das sollte mich beunruhigen ... doch ich konnte dieses Empfinden in mir unmöglich aufrecht erhalten.
“Jaa, so ist es wunderbar kleine Seele und seht Ihr? Niemand will Euch etwas Böses. Niemand rührt Euch an, sofern Ihr nicht darum bittet. Ich bin Licht. Ich bin ein Kind der Sonne und jeder liebt die Sonne. Ihr werdet mich auch noch lieben, dessen bin ich mir sicher.” Er drehte sich um und schritt etwas im Raum auf und ab, musterte abschätzig die Inneneinrichtung. “Dies hier ist kein Ort für Euch!”, verkündete er und riss dabei erneut seine Hände in die Höhe. “De Asa sire meeha!”, rief er plötzlich lautstark, was mich zusammenzucken ließ. “Bring den Segen des Feuers für die Frau aus Eis! De Asa sire meeha! Die Sonne hat gesprochen!” Auf einmal kamen eine Handvoll hochragende Männer aus dem Flur hinein geeilt. Sie knieten sich allesamt ehrfürchtig vor ihm nieder und reichten ihm, gleich eines heiligen Rituals, einige Bänder aus funkelndem Rot.
“Seht. Ich habe für Euch sogar ein Geschenk mitgebracht, damit Ihr mit mir erhaben und geehrt fortgehen könnt”, sprach er feierlich und hielt mir dieses Geschenk freudig entgegen. “Ich will aber nicht mit Euch gehen”, erwiderte ich sanft und war unendlich froh, dass es keine anderen Worte aus meinem Mund geschafft hatten. Nicht das seine Magie mich dazu brachte, mit ihm zugehen. Der Mann war nicht gut ... Er war ein gefährlicher heiliger Rea ...
“Ihr verschmäht meine Einladung? Aber, wollt Ihr denn nicht der Reinigung Eures Freundes beiwohnen?” “Reinigung meines Freundes?”, echote ich verwirrt, bevor eine Welle von Besorgnis über mich hinweg rollte. Er meinte Zerian, oder? “Natürlich. Eure zweite Seite oder seid Ihr vielleicht die seine? Ich spreche von der Geißel des Wassers, Eurem Freund, der blaue Mond ... Wie nanntet Ihr ihn noch gleich? Zerian?” “Er ist bei Euch? Was habt Ihr mit ihm gemacht?” “Och, der genießt im Moment die hitzige Nähe von Allie Falame-sere-me, dem Orakel des Feuers. Er wird, wie jeder vor ihm, mit Haut und Haar ihren Flammen verfallen. Es wird nur für ihn heute eine Zeremonie geben, welche ihn von seiner dunklen Seite befreien wird. Auch Ihr seid für eine derartige Reinigung vorgesehen, Hexe des Eises.”
O Gott, was machte ich den jetzt? Sie hatten Zerian geschnappt? Dieses Flammen und Reinigen hörte sich ganz und gar furchtbar an ... Unweigerlich musste ich an diese Geschichten mit dem Verbrennen denken. Wollten sie ihn etwa auf einem Scheiterhaufen anzünden? Wie meine Großmutter?! Meine Angst stieg unaufhörlich, wogegen scheinbar auch dieses Pulver nicht mehr wirken konnte. GOTT! Was sollte ich nur tun?! Wenn ich mit ihnen ging, würde mir dasselbe passieren ... Aber, es würde mir so oder so passieren. Ich saß in der Falle. Nein! Ich wollte nicht so sterben! Nicht so.
Ich starrte den Verrückten lange an und haderte immer schlimmer mit mir. Zu meinem Erstaunen, ließ er mir aber auch die Zeit, um über sein Angebot nachzudenken. Komm schon! Mir musste doch etwas einfallen! O Bitte Del und Cor ... bitte ... Und was ... wenn ... Ja, wenn ich ... Konnte das funktionieren? Ich hatte ohnehin keine Wahl und ich wollte nicht noch weiter mein Leben sinnlos vergeuden! Zerian brauchte meine Hilfe! Wer weiß, was diese Fanatiker schlimmes mit ihm gemacht hatten! Wenn ich mich also richtig anstellte, würde ich uns beide retten können. Einen Versuch war es allemal wert!
“Gut, ich werde mit Euch gehen”, sprach ich schließlich bemüht ruhig, damit er nicht mitbekam, dass sein Zauber auf mir erloschen war. “Sehr schön, das freut mich und was mich erfreut, lässt auch die Sonne heller strahlen”, sang er fast schon und reichte mir erneut den edlen Stoff hin. “So könnt Ihr jedoch nicht in mein Reich. Ein schlichtes Handtuch ist nichts, was Eure Haut zieren sollte. Hier, kleidet Euch bitte in dieses Gewand – dieses Kleid, welches aus dem Herzen des Feuers stammt. Es enthält den Segen der Sonne.” Öhm ... sagte er Kleid? Als ich es so in den Händen hielt und skeptisch betrachtete, wäre dies sicherlich die letzte Bezeichnung gewesen, die mir dafür einfiel. Es war nur ein Stückchen Stoff – ein oder zwei lange Tücher mit einem Loch für den Kopf, dessen Enden stark fransig waren. Die Seiten lagen offen ... da verhüllte ja mein Handtuch deutlich mehr Haut.
“Soll ich Euch beim Ankleiden behilflich sein?” Gott! Nein! Aber ... da ich mich nicht verraten wollte, nickte ich ergeben. Ich schluckte mein Schamgefühl hinunter und legte so ruhig wie möglich das Handtuch ab. Er tat auch nichts weiter, als mir sofort danach dieses Kleid über den Kopf zu stülpen. Der Stoff war unglaublich weich und floss wie reine Seide über meinen Körper. Wie befürchtet ... verdeckte es aber kaum etwas, jedenfalls nicht, wenn ich mich bewegen würde. Zwei breite Bänder lagen auf meinen Brüsten und ab der Hüfte waren da nur noch diese lockeren Fransen, sodass man meinen Intimbereich sicherlich sehen konnte. Mein breiter Hintern war sicherlich genauso freizügig ...
“Gut steht Euch das Feuer”, sprach er, nachdem er noch meine Haare aus dem Kragen gezogen hatte, und drehte sich zu seinen Männern. “Auf, auf meine Funken! Lasst uns zurück ins Sonnenrefugium schreiten. De Asa sire meeha! Die Sonne hat gesprochen!” “Ja, die Sonne hat gesprochen!”, echote es im Chor hinterher und dann setzten sich die Leute sofort in Bewegung. Ich kämpfte dagegen mit meiner Angst und versuchte, mir nur nichts anmerken zulassen. Vor Peinlichkeit hatte ich sicherlich schon einen hochroten Kopf, aber das konnte ich einfach nicht verhindern.
Ich schritt also in den Flur, wo der Lichtheini sich gerade zu einer Frau hinunter beugte und sie küsste. “Danke, mein kleines Fünkchen. Ich erwarte dich wie immer zum Feuer der Sonne”, sprach er, nachdem sich ihre Lippen trennten und strich dabei zärtlich über ihre Wange. Sie nickte und dann erkannte ich, dass es diese Emma war. Hatte sie uns also verraten? Sie würdigte mich jedenfalls keines Blickes. Ihre gesamte Aufmerksamkeit lag auf diesem Reatypen, der sich nun wiederum seine komische Maske aufsetzte und mir anschließend deutete, ihm nachzukommen.
Gut ... ich gehorchte und folgte ihm brav. Ich war entschlossen Zerian da rauszuholen. Mit meinem Eis würde ich das schon irgendwie schaffen ... Nein, ich würde es auf jeden Fall schaffen!