Plötzlich wurde es still. So schnell, wie es begonnen hatte, versiegten die Schüsse. Verunsichert warf ich einen flüchtigen Blick durch den Raum. Der Boden war übersät mit faustgroßen Löchern, jedoch sah ich niemanden verletzt am Boden liegen – kein Blut. Erleichterung wallte in mir auf.
“Ist jemand getroffen worden?”, fragte ich vorsichtshalber und spähte gleichzeitig an die Decke. Das Geschütz ragte noch immer gut sichtbar heraus.
“Nein ...”
“Hier bei uns ist keiner verletzt!”
“Mari und mir geht es bis auf den Schreck auch gut”, antwortete Emeli zum Schluss, aber keine von ihnen wagte auch nur ansatzweise aus seiner Deckung zu kommen. Gut. Die KI hatte niemanden getötet. Es war also nur eine Warnung gewesen.
“Johanna? Was sollte das überhaupt?”
“Ist das ein Spiel?”
“Oh, bitte nicht!”
“Wer schießt da auf uns?!”
“Das ist die Strafe dafür, das wir abhauen wollten!”
“Ich wusste, dass es ein Fehler war! Wir werden alle sterben!”
Ich atmete einmal tief durch. Es war verständlich, dass sie Angst hatten, und ich bedauerte, dass ich ihnen diese nicht nehmen konnte. So sollte das alles nicht laufen.
“Magst du mir sagen, was das soll?”, fragte Zerian und ergriff meine Hand. “Warum verstecken wir uns hier? Warum bist du im ständigen Wechsel von Angst zu Wut?” Ich sah in sein besorgtes Gesicht und anschließend auf Reznick, den er neben sich auf den Boden abgelegt hatte. Stimmt. Solange wir ihn hatten, würde die KI uns nicht direkt angreifen. Er war unser perfektes Druckmittel.
“Ich weiß, das ergibt für dich vielleicht gerade wenig Sinn, aber ...” Ich spähte erneut nach oben – zeigte auf das Geschütz. “Siehst du die Maschine dort oben? Das schwarze Ding da an der Wand?” “Natürlich.” “Es bedeutet eine Gefahr für uns. Bitte zerstöre es. Schaffst du das von hier aus? Also ohne dich von hier wegzubewegen?” Er nickte mit einem Brummlaut und dann floss auch schon Wasser von seinem nackten Körper.
Es bildete sich ein beweglicher Strahl, der blitzschnell in die Luft schoss. Ein lauter Knall ertönte. Das Wasser hatte die Apparatur, gleich eines Peitscheinhiebes, von der Decke gefegt. Große und kleine Trümmerteile schlugen auf den Boden. Seine Fähigkeit war noch immer äußerst beeindruckend.
“Ich liebe dich”, hauchte ich, umschlang sein Gesicht und gab ihm einen verführerischen Kuss auf die Lippen. Seine strahlenden blauen Augen fixierten mich. “Pass bitte auf die Wände auf. Wenn noch so eine Maschine zu sehen ist, machst du sie bitte genauso kaputt, ja? Ich knöpf mir mal eben die KI vor!” “Aber Johanna, dass ...” Ein erneuter Kuss brachte ihn zum Schweigen.
“Ich verlasse mich auf dich”, flüsterte ich und lächelte ihn liebevoll an. “Alle bleiben, wo sie sind! Keiner verlässt seine Deckung!”, rief ich anschließend, bevor ich selbst auf das kleine Schiff zu rannte, in dem sich noch immer die CeKyde befinden musste. Mein Herz schlug mir vor Aufregung bis zum Halse. Es gab sicherlich weitere Waffen, aber ich vertraute darauf, dass Zerian sie ausschaltete, bevor sie mich treffen konnten. Er würde mich beschützen. Ganz gewiss.
Zum Glück ertönten keine neuen Schüsse. Ich schaffte es ohne Probleme ins Innere, prallte dann allerdings gleich mit Isabell zusammen. Wir stürzten zu Boden – ich landete auf ihr.
“DU!”, fuhr ich sie an und packte grob den Kragen ihres roten Kleides, das sofort unter meinen Fingern zu kokeln begann. Ihr Anblick machte mich rasend. Gleißende Flammen bildeten sich auf meiner Haut. Dass sie diese Menschen einfach so gefährdet hatte, würde ich ihr nie verzeihen. Wenn sie mit dem Feuer spielen wollte – konnte sie das gerne haben.
“Wir sind dir ZU VIELE, ja? Nur weil es nicht nach deinem Willen geht, willst du sie einfach UMBRINGEN?!”, schimpfte ich aufgebracht und rüttelte an ihrer Kleidung. “Ich werde dich bis auf den Kern niederschmelzen!” Mein Feuer breitete sich rasch auf dem Stoff aus. Einige ihrer langen blonden Haare schmolzen bei der Hitze. Es stank fürchterlich.
“Ich weiß nicht, wovon du sprichst”, erwiderte sie sichtlich verwirrt und versuchte dabei gar nicht erst, sich zu wehren. Sie blieb unbewegt unter mir liegen. Tat nichts weiter, als mich mit großen Augen anzusehen.
“Wie du weißt nicht, wovon ich spreche?! Du hast eben versucht, die anderen umzubringen! Deine Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben macht mich wahnsinnig!” “Das verstehe ich immer noch nicht, aber du solltest diesen Körper nicht beschädigen. Es wäre schlecht für Heka.” Ich hielt inne. Zügelte schnell meine Flammen. Der Gedanke, Heka zu schaden, verpasste mir einen schmerzhaften Stich.
“Hör auf so etwas zu sagen, vermutlich stimmt das nicht einmal. Nichts aus deinem Mund. Heka ist dir doch völlig egal!” “Ist sie nicht! Hilfe ... ich hasse es, mit euch interagieren zu müssen! Ihr seid so unlogisch. Alles an euch! Ich wollte gerade zu dir, um das Schiff des Grafen zu starten. So wie du es verlangt hast ... Was willst du denn noch? Sag es mir und ich werde es tun, wenn das nur bedeutet, dass ich endlich Heka in Sicherheit bringen kann!”
Ich runzelte die Stirn. Diese Aussage verwirrte mich.
“Ach, jetzt auf einmal gehts doch? Du willst helfen? Warum schießt du dann auf uns?” Ich nahm meine Hände von ihr und erhob mich anschließend. Musterte sie misstrauisch. Unschlüssig, ob es nicht doch besser wäre einen schönen geschmolzenen Haufen aus ihr zu machen.
“Johanna!” Plötzlich eilte Zerian um die Ecke. Sein Blick huschte kurz über mich und heftete sich danach auf die CeKyde. “Es sind keine Maschinen draußen zusehen. Was ist mit der da? Hat sie dir etwas getan? Darf ich sie jetzt auch zerstören?” “Meine Hülle zerstören? Was ist nur los mich euch? Ich habe gerade lediglich über deine Worte nachgedacht, Johanna, und eine Entscheidung getroffen. Ich habe zudem keine Kontrolle über die Sicherheitssysteme des Hauses. Die hat die 10 und diese würde nur in einem Fall ...” Ihr Gesicht zeigte auf einmal entsetzen und es kam schlagartig richtig Leben in ihren Körper. Ruckartig stellte sie sich auf, wodurch ihr halb verbranntes Kleid zu Boden rutschte. Ihr Äußeres war gar nicht so stark beschädigt, wie ich gedacht hatte. Ihre Brüste und die umliegende Haut schien lediglich etwas verrußt, aber nicht geschmolzen. Nur ihre Frisur hatte etwas gelitten.
“Ihr habt doch nicht ... Habt ihr Reznick etwas angetan? Ist er verletzt?!”, fragte sie fast schon panisch und wechselte ihren verzweifelten Blick zwischen Zerian und mir hin und her.
“Was soll diese komische Frage?”, erwiderte ich und stemmte die Hände an die Hüfte. Ich verstand es nicht. Warum hätten wir Reznick verletzen sollen? Wenn sie das mit den Schüssen nicht gewesen war, machte die Angst um ihn keinerlei Sinn. Sie konnte wirklich schlecht lügen.
“Die 10! Die andere KI würde nur in diesem Fall schießen. Nur wenn ihr ihn verletzt habt! Wo ist er?!” Sie wurde lauter und ging wackelig zu mir, wodurch sich Zerian sofort vor mich stellte.
“Reznick ist draußen ...”, knurrte er und baute sich immer größer vor mir auf. Seine Muskeln waren bis zum Äußersten gespannt. Ich legte ihm sanft eine Hand auf den Rücken, sagte aber nichts dazu. Ich spürte deutlich, dass er diesmal die Puppe zerstören würde, egal, was für Einwände ich auch vorbrachte. Sie musste dafür nur noch ein Stück näher kommen.
Im nächsten Moment steuerte Isabell allerdings nicht uns, sondern den Ausgang an. Sie stolperte nach draußen. Hielt kurz nach Reznick Ausschau und rannte zu ihm – warf sich regelrecht an seine Seite, um ihn vorsichtig aus der Decke zu schälen. Es war eigenartig das zu beobachten, wie sie ihn derart behutsam berührte, als wäre er aus Glas. Ihre Hände zitterten richtig.
“Ich will endlich mit dir verschwinden! Wie viel Zeit haben wir noch?”, murrte Zerian und wandte sich zu mir. “Ich weiß es nicht”, flüsterte ich gedankenverloren und sah ihn an – wollte ich zumindest, aber meine Augen blieben auf den Einschusslöchern kleben. Von dieser erhöhten Position aus, glaubte ich darin ein trauriges Gesicht zu erkennen. Seltsam. Etwas weiter rechts erweckte es sogar den Anschein von Buchstaben. Ganzen Wörtern.
“Ich will mit ...”, las ich vor und runzelte die Stirn. “Da hat jemand ernsthaft eine Nachricht im Stein hinterlassen ... Wieso?”, fragte ich mich selbst und kam dabei auf keine passende Antwort. Isabell sagte etwas von noch einer. Von zehn KIs? Wie passte das zusammen und warum sollte sie auf diese Weise einen Text schreiben?
“Johanna?” Zerian umfasste mein Gesicht, sodass ich ihn ansehen musste. “Wir. Gehen. Jetzt!” Ich nickte. Sicherlich würde die Säuberung jeden Moment anfangen. Wir hatten keine Zeit für solch ein Rätsel.
“Wo befindet sich nun das Schiff vom Grafen?!”, rief ich in die Runde und lief eilig mit Zerian zu den Bediensteten zurück – suchte den jungen Mann, der mich vorhin noch dahin bringen wollte. Aber nun rührte sich niemand. Innerlich stöhnte ich genervt.
“Es werden keine weiteren Schüsse erfolgen. Das war ... eine Fehlfunktion der Anlage. Bitte. Ihr könnt mir glauben. Wir müssen uns beeilen”, sprach ich bemüht ruhig, um keine weitere Panik auszulösen. Zum Glück bewegten sich die Leute danach – kamen aus ihren Verstecken. Alle Gesichter zeigten jedoch noch deutlich Angst und Zweifel.
“Los, Theodor, jetzt zeig ihr schon, wo das Pult ist. Immerhin kennst du dich hier aus”, sagte Emeli und zerrte besagten Mann neben sich her. “J-ja, mach ich schon”, sprach er eingeschüchtert, schlug dann aber zielsicher eine Richtung ein.
“Es ist gleich ... hier. Moment.” Er streckte nach ein paar Schritten seinen Arm vor und schwenkte diesen mehrfach nach rechts und links. “Was wird das?”, fragte ich, da ich mir nicht erklären konnte, was er mit diesem Gefuchtel erreichen wollte.
“Ich ... nun. Es ist genau hier, aber es reagiert nicht”, sprach er sichtlich nervös werdend und hockte sich als Nächstes hin, um dasselbe nun dicht über dem Boden zu probieren. “Mist, es reagiert einfach nicht, aber es ist genau hier! Ich schwöre es!”
Plötzlich lief die CeKyde zu uns und tat es ihm gleich – streckte einen Arm vor, aber anders als bei Theodor, passierte bei ihr tatsächlich etwas. Eine kleine Säule fuhr aus dem Boden, auf deren Spitze eine Art Tablet befestigt war. Sie tippte kurz darauf herum und brachte damit die ganze Halle augenblicklich zum Beben. Ich staunte nicht schlecht. Ein Stückchen vor uns teilten sich laut quietschend die Platten und es tauchte ein übergroßes Schiff auf.
“Da habt ihr das Hapanthma des Grafen. Euch bleiben sechs Minuten”, sprach Isabell und blickte mit leichter Verzögerung zu mir. Ihr Gesicht zeigte Entschlossenheit. “Ohne Reznick starten wir nicht. Ich lasse euch sterben, wenn ihr ihn nicht hineintragt.” “Deine Drohung ist unnötig. Ich hätte ihn nicht hier gelassen”, erwiderte ich und wandte mich mit einem entschuldigenden Lächeln umgehend an Zerian. “Würdest du bitte noch einmal ...” Langsam kam ich mir schon selbst dumm vor, ihn ständig darum zu bitten, wo ich doch genau wusste, dass er ihn nicht leiden konnte. Ohne jedoch etwas zu sagen, marschierte Zerian los. Erleichterte atmete ich durch.
“So, los! Wenn alle drin sind, starten wir! Beeilt euch!”, rief ich und wollte selbst gerade die Laderampe hinauf, als die Puppe plötzlich Theodor am Arm packte. Ihn aufhielt.
“Was wird das?”, fragte ich und griff ebenso nach ihr, damit sie ihn loslassen musste. “Er bedeutet eine zusätzliche Gefahr. Wenn du ihn mitnehmen willst, muss der EBS ab. Andernfalls wird das Halsband ein Signal an den Rea-Rat schicken. Es wird ihn auch mit großer Wahrscheinlichkeit umbringen, wofür du mir die Schuld geben würdest.” Ich blickte sie mit großen Augen an. “Kannst du es entfernen?” “Wenn der Besitzcode des Harecan passt, kann ich es ... muss nur verbinden.”
Sie zog das weiße Kabel aus ihrem Arm und wartete darauf, dass Theodor sich nach vorne beugte. Der Mann schien zuerst überfordert, aber als er schließlich begriff, dass sie ihm lediglich das Halsband abnehmen wollte, lächelte er freudig. Es dauerte auch nur wenige Sekunden, da hatte sie ihn schon von dem Ding befreit.
“Hat noch jemand einen Sklavenreif um?”, fragte ich ihn und war überaus froh, als er den Kopf schüttelte. “Nein, niemand sonst im Haus. Außer natürlich ... euer Freund.” Er deutete auf Reznick, den Zerian gerade samt Decke an uns vorbei trug. Stimmt. Er hatte auch eins.
“Das ist unwichtig. Den habe ich bereits deaktiviert”, sagte Isabell und folgte den beiden schnurstracks ins Innere. Ich runzelte die Stirn. “Wenn du es bereits unschädlich gemacht hast, warum trägt er es dann überhaupt noch?” Auf meine Frage erhielt ich keine Antwort, dachte mir aber auch nichts weiter dabei. Wenn sie so gelassen reagierte, war er sicherlich in keiner Gefahr.
Ich warf einen letzten prüfenden Blick zurück in den Hangar, während sich die massive Metalltür des Schiffes langsam schloss. Endlich konnten wir hier verschwinden.
Plötzlich hallten erneut Schüsse in schneller Abfolge an meine Ohren. Ich zuckte erschrocken zusammen und noch bevor die Tür vollends einrastete, sah ich es. Genau auf der gegenüberliegenden Wand blickte mir ein trauriges Gesicht aus diversen Punkten entgegen.
“Ich will mit ...”, flüsterte ich, als mir die Nachricht wieder in den Sinn kam. Sofort lief ich den Korridor des Schiffes entlang, um Isabell und die anderen einzuholen.
“Was ist mit der KI oder den KIs, die sich noch im Anwesen befinden? Lässt du sie hier? Wer sind die überhaupt?”, fragte ich und tippte der Puppe dabei auf die Schulter. Sie reagierte natürlich nicht. Hielt lediglich Zerians Arm fest, um ihn mit in die zentrale Schiffssteuerung zu lotsen.
“Hier, leg Reznick da ab.” Isabell deutete direkt zu einer Sitzecke, als wir das weitläufige Cockpit betraten. Zerian gehorchte und stellte sich anschließend hinter mich – zog mich in seine Arme.
“Sind wir jetzt in Sicherheit?”, fragte er und hauchte mir einen zärtlichen Kuss in den Nacken. “Noch nicht, sie muss uns erst rausfliegen.” Mein Blick fixierte die CeKyde, die hurtig das System über die Schalttafel startete. Es sollte mich fröhlich stimmen – tat es aber nicht. Die Frage nach den anderen KIs ließ mich nicht los. Was wenn es noch Freunde von Heka waren?
“Isabell, wer ist da noch in der Sicherheitstechnik im Anwesen, wenn du es nicht bist? Hat das was mit Heka zu tun?” Sie hielt kurz in ihrer Bewegung inne und betätigte dann einige Knöpfe der Kommunikation. Die Lämpchen der Daten- und Signalübertragung flackerten daraufhin gelblich auf.
“Die KI mit der Nummer 10 ist eigentlich irrelevant, aber um weitere feurige Diskussionen mit dir zu vermeiden, habe ich sie auf das Schiff gelassen. Zufrieden?” Ich schmunzelte über den Begriff feurige Diskussion. “Wenn du uns hier raus gebracht hast und mir dann noch sagst, wer das ist, vielleicht.” “Ich hasse es zu reden”, murrte sie, während die große gebogene Frontscheibe vor uns immer heller wurde. Das Dach öffnete sich und ließ die Sonne herein.
“Starte in drei, zwei, eins ...” Plötzlich bebte es und irgendetwas drückte mich zu Boden. Ein Gefühl, als würden unsichtbare Gewichte einen zerquetschen wollen. Selbst Zerian blieb davon nicht verschont. Er wand sich neben mir und ich sah deutlich, wie sich Wasser um ihn bildete.
“Nein! Tus nicht!”, keuchte ich, denn was auch immer hier gerade passierte, es konnte nicht besser werden, wenn er jetzt etwas zerstörte. Wir hatten doch nur dieses Schiff und ich konnte mir nicht vorstellen, dass die CeKyde uns damit verletzen wollte. Vor allem nicht Reznick, der durch das ganze Geschüttel schon halb vom Sofa rutschte.
“Hilfe ... was war das?”, fragte ich zittrig, als der Druck im nächsten Moment wieder verschwand. “Entschuldigt. Für den Schwerkraftausgleich blieb keine Zeit mehr. Der Schub war notwendig, um uns noch rechtzeitig aus der Parzelle zu bringen”, antwortete die Puppe und erhob sich wankend vom Sitz.
“Geht es dir gut?”, fragte Zerian und half mir auf die Füße – musterte besorgt meinen Körper. “Danke, mir ist nichts passiert und dir?” “Ich bin unverletzt, aber es war dennoch ein Angriff auf uns!”, sprach er knurrig und schritt auf die CeKyde zu.
“Nicht, lass sie ...” Ich griff schnell nach seinem Arm und zog ihn zurück. “Ich verstehe, was sie gesagt hat und dass es keine böswillige Handlung war. Bitte, lass uns lieber nach den anderen sehen, ja?” Er sah mich wenig begeistert an, aber das verblasste mit einem Mal, als ich die Aussicht realisierte.
“Sieh mal ...”, flüsterte ich ehrfürchtig und drehte sein Gesicht nach vorne. Hinter der Fensterscheibe lag ein schwarzes Meer mit vielen bunten Punkten darauf. Sie funkelten wie lauter kleine Diamanten. Weiter links am Rand blitzte die Sonne in Weiß, Rot und Gelb. In meinem gesamten Leben hatte ich sie noch nie so klar gesehen. Wunderschön.
“Das ist doch der Himmel bei Nacht, wieso sehe ich keinen der Monde, dafür aber die Sonne?”, fragte Zerian verwirrt und trat bis dicht an das Glas heran. Legte eine Hand darauf.
“Die Monde sind aktuell hinter uns, aber ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr mich mit weiteren Fragen verschonen würdet. Ich brauche jetzt Ruhe. Bitte.”
Nur mit sehr viel Mühe konnte ich mich von dem Bild losreißen – drehte mich zu Isabell. Sie hatte sich auf das Sofa neben Reznick gesetzt und war gerade dabei, seinen Kopf vorsichtig auf ihren Schoß zu betten. Wenn er jetzt erwachte, würden ihm gleich zwei riesige Brüste entgegenspringen.
“Was passiert jetzt? Wohin fliegen wir überhaupt? Wie lange sind wir hier sicher?” Sie wollte zwar keine Fragen mehr hören, aber es ging nicht anders. Das wollte ich wenigstens noch wissen.
“Das Schiff wird eine Umlaufbahn nahe der Sonne einschlagen, um nicht entdeckt zu werden. Alles Weitere wird dann Heka bestimmen, wenn Reznick aufgewacht ist”, sprach sie und strich ihm langsam durchs wirre Haar. Es war immer wieder eigenartig anzusehen, wie liebevoll sie mit ihm umging. Sie summte sogar leise.
“Gut. Das soll mir reichen.” Ich atmete einmal tief durch, ergriff Zerians Hand und verließ die zentrale Schiffssteuerung. Etwas Ruhe konnten wir schließlich alle gut gebrauchen. Aber zuerst wollte ich wissen, wie es den anderen ging. Der Schnellstart hatte sie sicherlich sehr verängstigt.
“Johanna? Was meinte die Maschine mit hinter uns? Also, dass die Monde hinter uns sind?”, fragte Zerian, was mich zum Schmunzeln brachte. Dann allerdings runzelte ich die Stirn. Wie erklärte ich ihm jetzt, dass wir nicht mehr auf dem Planeten waren? Konnte er sich sowas überhaupt vorstellen?
So gedankenversunken achtete ich nicht auf den Weg und stieß mit dem Fuß schmerzlich gegen irgendetwas Hartem.
“Ah! Aua!”, murrte ich und hockte mich hin – tastete meine pochenden Zehen ab. “Ich heile es schnell”, sagte Zerian und ließ umgehend kühles Wasser über meinen Fuß gleiten. Eine wahre Wohltat.
“Danke.” Ich lächelte ihn an und blickte anschließend auf den flachen silbernen Roboter, mit dem ich zusammengestoßen war. Es handelte sich um eine kleine luxuriöse Adelstechnik, die ich schon oft in verschiedensten Herrenhäusern gesehen hatte. Diese Maschinen beseitigten geräuschlos jede Bodenverunreinigung und konnten rund um die Uhr arbeiten. Ich stutzte. Plötzlich drehte sich das Ding wie wild im Kreis. Hatte ich es kaputt gemacht?
“Komischer Kasten.” Zerian hob den Roboter auf und hielt ihn mir hin. “Soll ich es zerstören?” Ich schmunzelte. “Ich denke nicht, dass das notwendig sein wird. Es ist nicht gefährlich und ...” Ich stoppte. Auf dem schmalen Bildschirm leuchtete auf einmal ein Wort auf.
“Seltsam. Es bedankt sich.” Aber dabei blieb es nicht. Danach bildete sich ein lächelndes Gesicht aus vielen kleinen Punkten. “Verstehe. Du bist die KI aus dem Hangar. Na dann, gern geschehen”, sagte ich und schmunzelte, als weitere Dankesworte aufblinkten. Sie schien sich wirklich zu freuen, auch wenn dieser Körper für eine vielschichtige KI doch sehr beengend sein musste.
“Du kannst es runterlassen, Zerian. Es will vermutlich zur Puppe.” “Wie du möchtest.” Er setzte es zurück auf den Boden und sofort schlug der Roboter die Richtung zur Schiffssteuerung ein. Irgendwie bezweifelte ich, dass die andere KI sich darüber freuen wird.
“Komm, wir gehen weiter”, sagte ich, ohne genau zu wissen, wo es überhaupt lang ging. Das Schiff war deutlich größer und nicht so offen gebaut, wie bei Reznick. Hier gab es keinen einzelnen Raum, in den alle anderen Bereiche mündeten. Es glich mehr den Fluren im Anwesen. Ein langer Korridor, von dem etliche Türen abgingen.
Mit einmal hörte ich Geräusche. Stimmen. Weit konnten sie also nicht mehr sein.
Wir bogen um eine Ecke, wo sich noch ein zweiter Gang erstreckte und auch der erste prunkvoll geschmückte Rahmen, der keine Tür beinhaltete. Der Raum schien eine Art Empfangshalle zu sein. Mehrere Sofas und Sessel waren im Inneren verteilt. Die Wände zierten allerhand Gemälde und Vitrinen mit irgendwelchen Dekorationsfiguren. Einen langen Tresen mit Getränken gab es auch. Einer der mir nicht bekannten Bediensteten hatte bereits dahinter Platz genommen und reichte Emeli eine Wasserflasche.
Als wir eintraten, hielten plötzlich alle in der Bewegung inne und sahen mich schockiert an, als hätte ich sie bei etwas Verbotenem erwischt.
“Bitte entschuldigt!”, rief Theodor von der Seite und sprang zeitgleich von seiner Sitzgelegenheit, um sich kerzengerade hinzustellen. “Wir hatten nicht Eure Erlaubnis, diese Räumlichkeit nutzen zu dürfen, aber wir wussten sonst nicht wohin.”
“Darf ich das Wasser haben, Johanna? Es ist für Mari, ihr ist vom Start noch etwas schwindelig”, fing nun auch Emeli damit an, als ob ich sie hier als meine Sklaven halten würde. Das war absurd.
“Lasst diesen Unsinn. Natürlich könnt ihr was trinken oder euch hinsetzen. Ich bräuchte allerdings mal jemanden, der sich hier auskennt. Die Räume ... zum Beispiel. Ich würde gern noch die Einteilung besprechen, wo jeder unterkommt.” Ich bezweifelte zwar, dass es für jeden ein Einzelzimmer gab, aber eins davon gehörte definitiv mir und Zerian. Da war ich egoistisch.
“Ich könnte da behilflich sein.” Theodor hob die Hand. “Ein Hapanthma besitzt traditionell ein Hauptschlafzimmer, vier Gästezimmer, eine Küche sowie–” “Das reicht mir schon, danke”, unterbrach ich ihn und blickte dann zu Emeli.
“Reicht ein Zimmer für euch Frauen und die restlichen drei teilen sich die Männer untereinander auf? Wobei, ich weiß noch nicht, wo Reznick schlafen wird, aktuell ist er noch betäubt bei Isabell. Zerian und ich werden vorläufig das Hauptschlafzimmer beziehen. Irgendwelche Einwände?” Die Frage war eigentlich überflüssig. Niemand von ihnen sah so aus, als ob er irgendwelche Ansprüche stellen würde.
“Dann machen wir es erstmal so und besprechen alles Weitere, wenn Reznick wach ist.” Ich schritt rüber zur Charlotte, die still und stumm neben einem Sessel stand. “Ich weiß du kannst gut kochen. Magst du dich um das Essen kümmern, wenn einer Hunger hat? Es ist kein Befehl, nur eine Bitte ...” Sie lächelte mich an und nickte.
“Wenn ich darf, würde ich mich auch gerne nützlich machen und zusammen mit Theodor die Lagerbestände durchgehen, zwecks Kleidung und anderen Dingen, die wir gebrauchen könnten”, sagte Emeli und trug anschließend die Wasserflasche zu Marianne herüber, die der länge nach auf einem der Sofas döste.
“Ich würde auch gerne etwas tun. Habt ihr eine Aufgabe für mich?”, fragte ein junger Mann, den ich leider nicht kannte. Aber das ging als Nebensächlichkeit in meinem Kopf unter. Jetzt wo langsam der ganze Stress der Flucht verschwand, spürte ich wieder, wie erschöpft ich war. Ich wollte nur noch ins Bett.
“Ähm, ja. Ich möchte, dass einer bei der CeKyde Isabell bleibt ... beziehungsweise in der Nähe von Reznick. Ich will sofort Bescheid wissen, wenn er wieder aufwacht. Die restlichen von euch können von mir aus machen, was sie wollen. Wobei ... ich will, dass ihr euch benehmt, klar?” Ich deutete mit dem Finger auf Zerian. “Der Mondgott ist an meiner Seite und sollte jemand meinen, handgreiflich zu werden, habe ich kein Problem damit, denjenigen von Bord werfen zu lassen.” Meine Wortwahl war zwar hart, aber es musste mal gesagt werden. Bei gleich fünf fremden Männern, die ich nicht einschätzen konnte, wollte ich gewiss keine Gewalt erleben müssen.
“Ihr habt mein Wort, es wird nichts dergleichen passieren.”
“Meins auch.”
“Und meines.”
“Ich käme gar nicht auf den Gedanken. Wir sind alle so froh, dass wir mit Euch kommen durften.”
“Ja, wir danken Euch von Herzen”, sprachen die Männer der Reihe nach und auch Charlotte sowie Emeli nickten zufrieden.
“Gut. Wir werden uns dann jetzt zurückziehen und ausruhen. Also ... wo ist noch gleich das Hauptschlafzimmer?”, fragte ich mit einem Lächeln, während ich Zerian bereits Richtung Flur schob.
“Von hier aus müsste es die vierte Tür rechts sein. Es ist die einzige mit den Initialen des Grafen”, antwortete Theodor, was ich mit einem Daumen nach oben erwiderte, bevor wir gänzlich aus dem Raum verschwanden. Mittlerweile drehte sich in meinen Gedanken alles nur noch um ein weiches Bett – ein Bett und vielleicht vorher eine heiße Dusche.
“Johanna! Warte.” “Hm? Was gibt es?” Ich blickte fragend auf Emeli, die uns hinterhergerannt war. “Darf ich noch schnell die Maße von deinem Freund nehmen? Er wird sicher Kleidung brauchen, oder? Deine Größe weiß ich ja.” “Klar, nur zu.” Sie lächelte und begann sofort mit dem Messen.
Vorsichtig strichen ihre Hände wenige Zentimeter über seine weiße Haut, was er skeptisch beobachtete. Aber nicht nur er verfolgte jede ihrer Bewegungen. Meine Augen fraßen sich regelrecht an ihr fest. Dass sie so nah bei ihm stand, störte mich plötzlich ungemein. Eine Mischung aus Eifersucht und Sorge kämpften in mir. Bilder von dieser rothaarigen Schlampe, die ihn überall verbrannt hatte, schwirrten in meinem Kopf. Aber das war vollkommen lächerlich. Emeli wollte nur helfen.
“Sooo, schon fertig.” Ich blinzelte benommen. “Oh ... Danke ...”, murmelte ich und blickte entschuldigend in Zerians blaue Augen. Ich spürte deutlich seine Besorgnis, aber das sollte er nicht ständig meinetwegen sein.
“Ich will euch auch nicht länger aufhalten. Ihr zwei seht müde aus. Ruht euch aus und ... vielen Dank noch einmal. Wirklich Johanna. Es bedeutet mir viel, dass wir hier bei euch sein dürfen.” “Dafür brauchst du uns nicht danken, haben wir gern gemacht. Und falls etwas Dringendes sein sollte, komm bitte sofort zu mir, einverstanden?” Sie nickte und drehte sich anschließend herum.
“Ach, Emeli? Bevor ich's noch vergesse. Kannst du Reznick und Isabell bitte auch Kleidung besorgen?” “Natürlich.” “Danke ... dann bis später”, sagte ich und wandte mich wieder Zerian zu. “Gehen wir.” Er lächelte.
“Huch!” Plötzlich hob er mich auf seine Arme – drückte mich fest an sich. “Jetzt bist du ganz mein?”, fragte er leise, was ein wohliges Kribbeln durch meinen Körper jagte. “Ja ... ich bin ganz dein.”
Das Hauptschlafzimmer mit dem eingravierten L war schnell gefunden. Als ich die Inneneinrichtung sah, atmete ich erleichtert auf. Es waren keine Ketten, Fesseln oder anderes Sklavenzeug zu erkennen. Lediglich ein prunkvolles Schlafzimmer mit einem einladenden Himmelbett in den typischen Hausfarben. Was ein Glück.
“Bitte sag, dass es da hinten ein Badezimmer gibt. Ohh bitte, bitte.” Ich deutete auf eine schmale goldene Tür, zu der mich Zerian sofort hinüber trug.
Und ich wurde nicht enttäuscht. Warm-weiße Kacheln schlugen uns entgegen, gefolgt von einem langen Waschbecken samt Spiegelfläche. Um die Ecke erstreckte sich eine Badewanne, die locker für zwei Personen reichte, eine Toilette aus edelstem Porzellan und eine offene Dusche. Mit einem Wort – perfekt.
“Ja, sieht aus wie ein Badezimmer”, stellte Zerian unnötigerweise fest, was mich zum Schmunzeln brachte. “Wirklich? Na dann lass mich bitte runter, ich will duschen ... es sei denn, du willst mit mir zusammen darunter.” Ich umschlang seinen Nacken und zog mich ein Stück hoch – küsste sanft seine Wange. Er drehte den Kopf und erwidere den Kuss. Seine kühlen weichen Lippen auf die meinen zu spüren, war unbeschreiblich. Ich liebte es. Bevor das Ganze allerdings zu intensiv wurde, rückte ich schnell wieder von ihm ab.
“Dusche ...”, flüsterte ich und sah ihn mit einem erwartungsvollen Lächeln an. “Alles, was du willst”, sagte er und steuerte mit mir auf den Armen besagte Vorrichtung an – ließ mich genau unter dem breiten Duschkopf herunter. Kurz darauf stellte ich verblüfft fest, dass er sehr genau wusste, wie man die dortige Bildschirmkonsole betätigte.
“Du kennst dich mit Adelstechnik aus?”, fragte ich und genoss die herrlichen warmen Wassertropfen, die sintflutartig auf uns niederprasselten. Großzügig nahm ich einige Schlucke. Zerian tat es mir gleich.
“Nicht direkt. Ich habe früher viel beobachtet. Ich weiß, was man wo drücken muss.” Ich runzelte die Stirn. “Du hast die Leute beim Duschen beobachtet?” In meinen Worten schwang deutliche Missbilligung mit, obwohl ich das gar nicht beabsichtigt hatte. Zerians verwirrter Blick daraufhin, sprach Bände.
“Ja. Wieso auch nicht? Ich habe bei vielen Dingen zugehen. Menschen sind sehr interessant.” “Hast du ... auch mich beobachtet? Mein Leben beim Grafen gesehen?” Ich war mir nicht ganz schlüssig, warum ich das fragte. Wollte ich es wirklich wissen? Nein. Und doch – mein Herz schlug schwer. Die Vorstellung, dass er bei meiner Folter oder den ständigen Demütigungen teilnahmslos zugesehen hatte, schmerzte.
“Nein.” Er drückte mich an seine harte Brust – streichelte liebevoll meinen Rücken. “Und ja”, fügte er noch hinzu, wodurch ich sofort Abstand wollte – meine Hände gegen ihn stemmte.
“Nein und ja? Wie meinst du das?” “Versteh mich nicht falsch. Ich würde niemals wieder zulassen, dass dir jemand Schaden zufügt. Jedoch früher ... Ich war anders. Ich fühlte anders.” Er strich mir die nassen Haare aus dem Gesicht, um mir besser in die Augen zu sehen.
“Lange vor deiner Lebenszeit habe ich die Welt beobachtet oder die Sonne und die Monde. Ich habe das Treiben der Rea verfolgt. Sie kamen mit ihren Schiffen und brachten Technik in diese Welt. Maschinen, die so anders waren, als alles, was ich kannte. Sie lebten nicht, aber bewegten sich trotzdem. Ich ... kann es schlecht beschreiben. Ich fange am besten noch mal anders an.” Sein Seufzen ging im Rauschen des Wassers fast komplett unter.
“Du musst verstehen, dass ich alles Mögliche bei den Menschen gesehen habe. Wie sie lachten oder weinten. Feinste Gesänge oder aggressives Geschrei. Ich sah sie auf unterschiedlichste Arten sterben und auch neues Leben entstehen, aber es machte keinen Unterschied. Weißt du, was ich meine? Vor dir ... also bevor ich dich gefunden habe, da war alles ähnlich für mich. Ich hatte zwar etwas gefühlt, aber das kann ich nicht mit jetzt vergleichen. Wie kann ich dir das einfacher erklären? Ich mochte es, die Menschen zu beobachten, aber nicht wenn es ihnen schlecht ging. Daher hielt ich mich später immer von den Gebäuden der Rea fern. Auch in diesen sogenannten Parzellen verweilte ich immer seltener. Was ich meine ... Ich habe dich nicht gesehen, aber früher ... da hätte ich dich nicht einmal erkannt. Verstehst du, Johanna? Dein Leid, es hätte mich nicht berührt.”
Es waren nicht ganz seine Worte, die mich trafen, sondern vielmehr seine Emotionen, die unablässig auf mich einströmten. Ich spürte Schuld und Bedauern. Es tat ihm leid, dass er mich nicht früher gefunden hatte – dass er schon viel länger an meiner Seite hätte sein können. Unweigerlich stiegen Tränen in mir auf.
“Nein, bitte! Sei nicht traurig, ja? Ich habe die falschen Worte gewählt. Ich ... wollte dich damit nicht verletzen. Ich liebe–” Schnell umfasste ich sein Gesicht und küsste ihn. Er ging sofort darauf ein – presse meinen Körper eng an sich.
“Ich liebe dich auch. Ich könnte hier ewig mit dir stehen”, flüsterte ich kurz darauf und schmiegte mich glücklich an seine Brust. “Ich will dich nicht enttäuschen, meine kleine Sonne, aber ich bezweifle, dass ich mich noch lange auf den Beinen halten kann. Dieses Menschsein ist sehr anstrengend für mich.” Ich lächelte. “Nicht nur für dich.” Wir mochten beide völlig erschöpft sein und doch standen wir nur da – genossen die Nähe des jeweils anderen. Es war einfach zu schön.
“Darf ich dich vielleicht einseifen? Würde dir das gefallen?”, fragte Zerian und schob mich ein Stück weit von sich. “Sehr sogar.”
Mit einem kurzen Tippen auf die Steuerung beendete er das Wasser und griff nach dem Seifenspender. Auf seine Handflächen verteilte er flüssiges Gold, welches stark nach etwas Süßem roch, bevor er mich berührte. Prompt kam ich mir wie eine frische Brotscheibe vor, die man mit edlem Honig bestrich.
Unglaublich sanft bekleidete er mich mit der Seife. Seine Hände wanderten langsam auf meiner Haut, ohne auch nur an einer Stelle zu lange zu verweilen. Federleicht streichelten seine Fingerspitzen meine Brüste. Es war kein erotisches Spiel, das wusste ich, und doch entwich mir ein kleines Stöhnen, als seine Hand plötzlich zwischen meine Beine fuhr. Dass er dort dann auch noch stoppte und mich mit großen Augen anblickte, machte es keinen Deut besser.
“Ich ... ich wollte nicht ...”, stammelte er mit belegter Stimme und nahm umgehend die Hand weg. Ich schmunzelte. Ich spürte deutlich sein Verlangen in meinem Körper widerhallen. Gleich einem lieblichen Summen. Ein flüchtiger Blick in Richtung seiner Körpermitte bestätigte mir, dass er selbst erregt war.
“Vielleicht ist es besser, wenn jeder für sich alleine weitermacht”, sagte ich und schöpfte etwas Schaum von meinem Bauch, um mir damit die Haare zu waschen. Zerians Blick wurde daraufhin nur noch verwirrter.
“Ich habe es falsch gemacht, oder? Aber es tat dir nicht weh ... Und dann ist dein Feuer, also deine Hitze auf mich übergesprungen. Sehr intensiv sogar.” “Es war nicht falsch, Zerian ... Es hat mir gefallen. Mach dir darüber nicht so viele Gedanken, ja? Ich will nur vorerst nicht, dass wir dieses Feuer noch größer werden lassen ... verstehst du? Mir fallen fast die Augen zu.” “Ich denke schon. Wir sind beide erschöpft und wenn ich dich so berühre, raube ich uns damit nur Kraft”, sprach er seltsam niedergeschlagen und betrachtete mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck seine Handflächen. Offensichtlich hatte er meine Worte missverstanden, aber ich beließ es dabei. Später konnten wir uns immer noch ausgiebig mit diesem Thema befassen.
Die restliche Dusche verlief schweigend. Fast wäre ich dabei tatsächlich eingeschlafen. Das heiße Wasser gab meinen Muskel definitiv den Rest. Träge griff ich nach dem Handtuch und reichte auch Zerian eins, nachdem ich meinen Körper verhüllt hatte.
“Hier, für dich.” Auffordernd hielt ich es ihm hin – wedelte mit dem Stoff. “Wozu?”, fragte er skeptisch und neigte leicht den Kopf dabei. Gott! Ein erwachsener Mann sollte auf keinen Fall derart unschuldig aussehen. Vor allem nicht wenn er nackt vor einem stand.
“Na ... zum Abtrocknen.” Ich stutzte. Seine kurzen weißen Haare standen ihm wild in alle Richtungen ab und auch auf seiner Haut fand ich keinen einzigen Wassertropfen. “Stimmt. Ich vergaß. Machst du mich denn auch trocken?”, fragte ich mit einem Lächeln und ließ das Tuch achtlos zu Boden fallen. “Nichts leichter als das”, antwortete er freudig und im Nu wanderte sämtliches Wasser von meinem Leib in den Abfluss. Es war immer noch äußerst praktisch. Fasziniert strich ich durch meine luftigen Haare.
“Danke dir.” Ich drehte mich herum und schritt durch das Bad. “Du kannst schon mal vorgehen, ich muss noch auf die Toilette.” Gesagt getan. Erleichtert setzte ich mich auf das Porzellan. Sah dann allerdings verwundert auf Zerian. Er stellte sich unbekümmert an meine Seite. Aufgrund meines früheren Sklavendaseins hatte ich kein Problem mit Nacktheit oder irgendwelchen Sexualitäten. Dass allerdings sein immer noch halbsteifer Penis neben meiner Nase wippte, während ich pinkelte, weckte Erinnerungen, die ich absolut nicht haben wollte.
“Muss das sein?” Ich sah fragend zu ihm auf. “Ja. Ich muss auch mal”, antwortete er völlig unschuldig und sah mich dann auch noch so an, als ob er nicht verstehen würde, was ich meinte. “Kannst du vielleicht etwas Abstand nehmen?”, wies ich ihn nun eben deutlicher darauf hin. “Wieso?” Ich seufzte frustriert.
*
“Mhm ... Wundervoll ...”, säuselte ich verträumt in das weiche seidige Laken hinein. Das Himmelbett war nach den ganzen Strapazen ein echtes Geschenk der Götter. Zudem roch es nicht nach Ludwig oder anderen unangenehmen Dingen. Der Bezug war frisch und sauber.
Glücklich wühlte ich mich kreuz und quer durch die Decken. Es machte Spaß alles aufzutürmen, um sich anschließend darinnen zu vergraben. Von dem federleichten streichelnden Gefühl auf meiner Haut konnte ich nicht genug bekommen.
Mit einem breiten Lächeln warf ich meinen Kopf letztlich ins Kissen und blinzelte mit schweren Lidern durch das luxuriöse Zimmer. Es war irgendwie befremdlich hier zu sein und keine Angst zu empfinden. Ich lag in diesem Bett nicht als Sklave. Niemand wollte mich gleich foltern oder wie einen leblosen Gegenstand benutzen. Ich fühlte mich wohl. Wobei. Etwas fehlte noch zu meiner vollsten Zufriedenheit.
“Bist du immer noch nicht fertig?”, rief ich verstimmt Richtung Badezimmer. Warum Zerian für einen normalen Toilettengang derart lange brauchte, blieb mir ein Rätsel.
“Entschuldige ... ich habe es gleich”, hörte ich ihn und wenig später tauchte er dann auch endlich im Türrahmen auf. “Ich weiß nicht, warum es mir so schwerfällt. Bei den anderen Männern sah es immer so einfach aus. Mein Geschlecht braucht sehr lange, bis etwas rauskommt. Ebenso braucht es lange, bis es wieder klein wird, siehst du? Ich glaube, es ist kaputt.” Er blickte mich hilflos an, wodurch ich irritiert eine Augenbraue hob.
“Du weißt schon, dass du nicht zwangsläufig pinkeln musst, wenn dein Geschlecht hart wird, oder?” “Ja. Es stellt sich auch auf, wenn ein Mann mit einer Frau eins werden will.” “Richtig ... Und du warst halt in der Dusche erregt. Deswegen kannst du danach erstmal kein Wasserlassen. Das eine ist dem anderen im Weg, verstehst du?” Seinem fragenden Gesichtsausdruck nach vermutlich nicht.
“Lassen wir dieses Thema doch vorerst, ja? Ich möchte gerne endlich ein bisschen schlafen. Wer weiß, wie lange wir noch Zeit dafür haben.” Ich schlug die Decke ein Stück zurück. “Komm zu mir.”
Seine Augen wurden groß. “Ich darf wirklich zu dir? Neben dir schlafen?” Ich runzelte die Stirn. “Ähm, ja. Ich möchte mich an dich kuscheln ... Ich dachte, das würdest du auch wollen. Ich zwinge dich natürlich nicht”, sagte ich unsicher und überlegte, wann ich ihm signalisiert haben könnte, dass ich seine Nähe nicht haben wollte.
Meine sämtlichen Gedanken verfolgen aber sofort, als er zu mir ins Bett krabbelte und mich umarmte. Liebevoll schlangen seine Arme um meinen Körper und drückten mich zärtlich an seine Brust. Ich hörte laut und deutlich seinen Herzschlag. Wahre Musik in meinen Ohren. Mit einem glücklichen Seufzen schloss ich die Augen. Ich badete in diesem atemberaubenden Gefühl der Zweisamkeit und schlief binnen Sekunden friedlich ein.