•‡Dezerias Sicht‡•
Ich lag noch immer benommen im Bett und starrte ins Leere. Nachdem Hannes mir im Flur ausführlich seine Liebe gezeigt hatte, verschleppte er mich anschließend in sein Zimmer, um dort fortzufahren. Nun war er gegangen, um irgendetwas zu holen, oder so ... Ich hatte ihm nicht wirklich zugehört ... nur noch das zum Schluss mit “ich sollte mich ausruhen” hatte ich mitbekommen. Ausruhen ... ja, das musste ich wirklich. Ich war immer noch völlig fertig von dem, was er da mit mir gemacht hatte. Ausgerechnet er ... mein Freund aus Kindertagen.
Er hatte meinen Körper überall berührt ... mich geküsst, sodass schon allein der Gedanke daran mir erneut die Schamesröte ins Gesicht trieb ... sowie auch Tränen. Ich hatte dies nicht gewollt. Nein. Nicht so. Aber dies hatte keinerlei Bedeutung gehabt ... Eigentlich war ich auch selbst schuld. Ich hätte mich mehr wehren können – hätte ihn anschreien können, hätte ... irgendetwas machen können. Aber nein. Nichts tat ich. Ich hatte mich vollkommen hilflos fühlend dem Ganzen hingegeben. Gott, ich fühlte mich so schlecht deswegen. Ja, richtig schlecht ...
Abrupt richtete ich mich auf und hielt mir die Hand vorm Mund. Was kein Stück gegen dieses eklige Gefühl half. Bemüht schnell wankte ich aus dem Bett. Meine Muskeln fühlten sich schrecklich schwach an – fast wäre ich deswegen hingeflogen. An Wänden und den Möbelstücken abstützend schleppte ich mich schließlich ins Badezimmer direkt zum Klo. Ich übergab mich ... wusste aber nicht warum. In meinem Magen war definitiv nichts. Schwindel mischte sich jetzt auch immer stärker dazu. Letztlich sackte ich, schluchz- und heulkrampfartig, zusammen, während das entsetzliche Würgegefühl nicht abflauen wollte. Hilfe, mir war das alles zu viel ... ich konnte nicht mehr.
“Dezeria?! Was ist los?”, hörte ich es dumpf. “Hast du Schmerzen?”, sprach Hannes gleich besorgt weiter und eilte zu mir. Er griff nach meinen Haaren, um diese zurück zu halten, und streichelte ebenso über meinen Rücken. Seltsamerweise half dies. Nach einer Weile ging es dann auch endlich wieder. Erschöpft atmete ich ein und aus ... kämpfte mit meinen Tränen. Meine Kehle brannte fürchterlich. “Hier, trink”, sprach er und hielt mir plötzlich einen Becher hin. “Wasser”, sagte er noch und ich nahm es dankend entgegen. “Geht es wieder?”, fragte er und nahm mir den Becher wieder ab, als ich alles hastig ausgetrunken hatte. “I-ich glaube schon”, sprach ich verunsichert und schon half er mir auf. Unweigerlich begann ich erneut zu schluchzen und war unfähig sonst irgendetwas zu sagen. “Shhh, schon gut. Komm hier lang, ich halte dich”, sprach er freundlich und lotste mich zu einem Waschzuber.
Er setzte mich auf einen kleinen Hocker und kniete sich vor mich – begann sanft, mit einem feuchten Lappen über mein Gesicht zu tupfen. Zögerlich bedeckte ich mit den Armen meine Brüste und presste die Beine zusammen. Ich konnte gar nicht anders. Meine Nacktheit empfand ich weiterhin als sehr unangenehm. Egal wie lächerlich das doch war. Gott, unweigerlich schossen mir die Bilder von unserem Sex durch den Kopf. Schnell versuchte ich, diese Erinnerung zu verdrängen und mied es auch ihn direkt anzusehen – suchte verzweifelt einen Punkt in dem Badezimmer, um mich nur darauf zu konzentrieren. Entgegen meinen Erwartungen blieb das Waschen bei dem, was es war ... nur waschen. Er berührte mich nicht unsittlich. Er säuberte lediglich mein Gesicht und den Halsbereich.
“Es tut mir leid”, sprach er dann unerwarteterweise, wodurch ich gar nicht anders konnte, als ihn verwirrt an zu sehen. “Ich hatte das Gefühl zu ersticken, als ich von deiner Heirat erfuhr. Dass der Graf dich mir weggenommen hat – dass sie mir unter Folter sagten, ich stehe dir zu nahe und dürfte dich nie wieder sehen ... Es-es hat mir das Herz gebrochen.” Er atmete einmal tief durch und strich mir zögerlich die zerzausten Haare aus dem Gesicht. “Dass ich mit dir so rüpelhaft geschlafen habe – ist nicht zu entschuldigen, aber ich hoffe, du wirst mir irgendwann verzeihen können.”
Schniefend rang ich mit mir. Was sollte ich nur darauf antworten? Ich würde ihm gewiss nicht verzeihen! Nein. Aber ... Sein Gesicht war von Schrammen und farbenfrohen Blutergüssen gezeichnet. Die Augenklappe trug er gerade auch nicht und so konnte ich sein zerstörtes rechtes Auge sehen. Gott! Ich hatte es vergessen ... vergessen, dass sie ihn meinetwegen so zugerichtet hatten. Er tat mir unweigerlich leid ...
“I-ich ... ich bin dir nicht mehr böse ... nicht sehr zumindest ... aber ich werde dir dennoch nicht so leicht verzeihen”, sprach ich also bemüht ruhig und hoffte, dadurch nun keinen Fehler begangen zu haben. Ich sollte auf ihn sauer sein, ich sollte ihn beschimpfen ... sollte ... “Uhh!”, stöhnte ich schmerzlich auf und hielt mir den Kopf.
“Wird dir wieder schlecht? Du hast viel aus meiner Vorratskammer gegessen. Vielleicht hast du was davon nicht vertragen oder haben dir die Adligen etwas verabreicht, Dezeria?”, sprach er besorgt und umfasste mein Gesicht. “Deine Augen sind ganz trüb – richtig grau.” “Ich weiß nicht ... es geht schon wieder. Es sind nur Kopfschmerzen”, sprach ich erschöpft und sogleich presste er seine Hand gegen meine Stirn. “Du bist ganz heiß! Du solltest besser noch was trinken!” Er erhob sich, ging zum Wasserhahn und reichte mir in Windeseile erneut den gefüllten Becher. “Trink, danach kannst du dich ankleiden. Wir sollten dann auch los. Ich hab für uns schon zwei Pferde im Hinterhof bereitgestellt. Auf dem Marktplatz suchen sie noch nicht nach dir, jedenfalls habe ich niemanden reden gehört – es war ruhig.” “Wo-wohin gehen wir?”, fragte ich mit einem riesigen Kloß in der Kehle. Der Gedanke, nach draußen zu gehen, machte mich nervös ...
“Erstmal nach Halvigaw.” “Nach Halvigaw?”, echote ich besorgt und schluckte unweigerlich schwer. “Ja, ich kenn da jemanden, bei dem wir einige Tag unter kommen können und hattest du da nicht auch Verwandte?” Meine Großmutter ... ja, aber ... “Hellkus sagte, man habe sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt”, sprach ich leise und fühlte, wie die Tränen erneut aus meinen Augen liefen. “Wirklich? Das ... das wusste ich nicht, es tut mir leid.” Er rieb mir nach diesen Worten über die Schulter, beugte sich runter und umarmte mich schließlich ganz.
“Ich kann verstehen, wenn du deshalb nicht dorthin willst, es ist aber von Rotterval aus die nächstgelegene Stadt. Mein Freund ist dort Schmied. Er wird auch sicherlich deinen Halsreif abbekommen. Man sieht deutlich das Zeichen der Sonne, die initialen des Grafen Van Rotterval – das ist gefährlich, Dezeria.” Ich spürte, wie er gegen das Metall tippte und ich wusste, dass er Recht hatte. Dies war wohl unsere einzige Möglichkeit. Ich nickte also schniefend und versuchte, meine Trauer zu unterdrücken. Sofort zog er mich in dieser innigen Umarmung auf die Füße, bevor er sich von mir löste. “Gut, dann brechen wir auf!” Als er mich nun aber auf seine Arme hob, protestierte ich. “He?! Was wird das, Hannes? Lass mich runter! Ich kann selbst laufen!”, murrte ich, aber es half wenig. “Keine Sorge, ich trag dich nur ins Zimmer, wo deine Sachen liegen.”
Ja, das tat er dann auch. Unverschämtheit! Ich war mir sicher, seine Hand dabei deutlich an meinen Hintern gespürt zu haben. Wenigsten verließ er danach den Raum, sodass ich mich alleine anziehen konnte. Was ein Glück! Ich zog die von ihm bereitgelegte Unterwäsche an, ohne mir was dabei zu denken – ich war nur dankbar welche zu haben. Anstelle eines Kleides lagen auf dem Bett jetzt leinenfarbene Männerhosen und ein abgetragenes Hemd – was kein Problem für mich war. Ich hatte als kleines Mädchen gerne Hosen getragen. Ich fand es viel praktischer als ein Kleid und zum Reiten wäre es jetzt sowieso denkbar ungünstig gewesen. Es passte auch alles, was mich echt wunderte – woher hatte er dies? Sogar ein Paar geschlossene Schuhe in meiner Größe hatte er besorgt. Ah, wie angenehm, nicht mehr Barfuß draußen rumlaufen zu müssen. Ein grau-brauner Mantel lag auch bereit ... Er hatte wirklich an alles gedacht.
“Bist du soweit?”, rief er vom Flur her und stand dann auch sogleich im Türrahmen. “Ja, bin ich ... Danke für die Sachen u-und das du mir hilfst.” Er lächelte freundlich und schritt auf mich zu, im ersten Moment dachte ich, er wollte mich küssen. “Hier”, sprach er stattdessen und reichte mir ein braunes Tuch, welches er aus seiner Jackentasche zog. “Für deinen Hals, darf ich?” “J-ja”, sprach ich unsicher und sah dabei zu, wie er mir dieses unglaublich vorsichtig um den Hals wickelte. “Gut siehst du aus, jetzt sieht man auch nicht mehr dieses Metallding. So wird dich keiner erkennen.” “Danke ...”, sagte ich verunsichert und neigte meinen Blick. Er war mir einfach viel zu nahe. Ich konnte damit nicht umgehen, jetzt wo ich wusste, dass er mich liebte und ... mit mir Sex gehabt hatte. Er war einfach nicht mehr der Hannes, welchen ich kannte und würde es auch nie wieder sein ...
*
“Schnell jetzt!”, sprach er und half mir geschwind aufs Pferd. Er hatte nicht gelogen. Draußen standen zwei fertig aufgezäumte Tiere mit prall gefüllten Satteltaschen. Als ich richtig saß, schwang auch er sich auf seins und zog seine Kapuze tief ins Gesicht, bevor er los trabte – ich tat es ihm gleich. Ich staunte echt nicht schlecht, als wir durch die Straßen ritten ... ohne das etwas passierte – ohne das uns jemand aufhielt. Hannes grüßte sogar mit Handzeichen einen entgegenkommenden Kutscher, ich hingegen zog meinen Mantel noch mal enger, um nicht erkannt zu werden. Es dauerte nicht lange und wir passierten die Stadtgrenze. Als die gepflasterte Straße unter uns endete, beschleunigten wir schließlich. Ich konnte es nicht fassen ... die Stadt wirklich hinter mir zu lassen. Es fühlte sich so gut an, im schnellen Galopp über den Weg zu reiten. Es hatte etwas Befreiendes ... Ja, ich liebte dich nicht Hannes, aber dafür dankte ich dir von ganzem Herzen.
[Ein sehr großes Dankeschön an Darklover für die tolle Rechtschreibhilfe🤗]