【♤】Leopolds Sicht【♤】
“Was gibt es Wichtigeres als dich?” Gab es nicht. Nie. Niemals. “Ich liebe dich.” Eine größere Wahrheit existierte nicht und deswegen musste ich es auch noch einmal machen. “Du gehörst zu mir, wie ich zu dir gehöre.” Ich umfasste ihr Gesicht und beugte mich ihr entgegen. Es war unglaublich niedlich, dass ihr neuer Körper mir gerade einmal bis zur Brust ging. “Du bist meins”, hauchte ich gegen ihre Lippen und dann küsste ich sie. Ich musste es. Es war wie ein Zwang. Ein durch und durch wundervoller Zwang, der mit nichts zu vergleichen war. UND dann dieser Kuss erst. Unbeschreiblich.
Ich wollte sie verschlingen oder sie mit allem, was mich ausmachte, umhüllen. Einnehmen. Besitzen. Ich brauchte diese Bindung! Nie zuvor war dieses Bedürfnis so dringend wie in diesem Moment. Unzählige Explosionen erschütterten mein Innerstes. Es brachte mich um den Verstand. Verschmorte all meine Nerven und doch konnte ich nicht aufhören. Sie war mein Atem und mein schlagendes Herz zugleich. Sie war die Lösung für jede Gleichung, die ich je aufgestellt hatte. Der Sinn aller Dinge trug ihren Namen. Nur für sie war ich hier – hier in dieser Welt.
Ich wankte bedrohlich. Obwohl ich diesmal nur langsam und vorsichtig meine Essenz in ihren Körper leitete, kam die Erschöpfung genauso abrupt. Es würde mich ein weiteres Leben kosten, aber trotz dieser Erkenntnis trennte ich weder unsere Lippen, noch stoppte ich den Energiestrom. Es störte mich nicht, für meine Liebste zu sterben. Das war unleugbar der Preis, den ich für all dieses Schöne zahlen musste, UND ich tat es gerne. Sehr, sehr gerne, solange dieses köstliche, prickelnde und berauschende Chaos zwischen unseren Seelen niemals endete.
Kraftlos sank ich auf die Knie, aber das war meinem Verlangen egal. Es ließ sich nicht bändigen, nicht unterdrücken oder wenigstens abmildern. Nein. Meinem Körper interessierte es nicht die Bohne und klammerte sich wie besessen an ihren butterweichen Mund. Ich konnte nicht von ihr lassen – brauchte mehr von ihr. Unverdünnte Lust durchzog jeden Winkel meines Selbst und die wollte ich ihr weitergeben. Sie sollte fühlen, wie ich es fühlte. Sie musste wissen, dass wir zusammengehörten. Ganz und gar und unleugbar! Jetzt. Hier. Immer.
↝Bitte.↜ Die Zeit stand still. Dieses eine Wort in dieser faszinierenden alten Sprache peitschte durch meine Seele. Es war ihr Wille und dadurch für mich ein unumstößlicher Befehl. Wie ferngesteuert ließ ich sie los und rang nach Atem. Ich hatte doch gespürt, dass ich sie überforderte und sie nicht wollte, dass ich mich opferte. Wieso war das dennoch so schwer? Wieso hielt ich meine eigenen Regeln nicht ein und bedrängte sie unablässig weiter?
“Ent-schuldige ...” Es war gut, dass sie einen Schritt zurückmachte und ich dadurch nicht in Versuchung kam, sie erneut zu berühren. “Ich ... kann mich nicht zügeln. Ein paar Sekunden länger und es hätte mich wieder umgebracht ...” Ja. Die Unterbrechung kam genau richtig. Ich merkte die Erschöpfung bis tief in meine Knochen. Ich war wirklich fertig. Kräftetechnisch hatte ich ein Level erreicht, das einfach nur beschissen war. Wann hatte ich jemals so viele Leben auf einmal gelassen?
“Vergib mir, ich ...” Schwer atmend starrte ich auf die hellblauen Fliesen und das abfließende Wasser am Boden. Ich wagte es nicht, sie anzusehen. Was sollte ich bloß sagen? Mich noch einmal entschuldigen? Gab es überhaupt eine Rechtfertigung für mein Handeln? Verletzt hatte ich sie zum Glück nicht, das spürte ich an den Wellen, die sie ausstrahlte – und doch. Das hier war nicht richtig. Nicht so geplant.
Ich fiel in einem unpersönlichen Ankleideraum über sie her, dabei hatte ich mir ein erstes körperliches Treffen anders mit ihr ausgemalt. Gut, das war nicht ihr finaler Körper, aber es kam dem doch sehr nahe. Wie würde es dann erst mit einem echten ablaufen? Würde ich sie dann einfach im Labor schnappen und sofort besinnungslos vögeln?
Ich seufzte und blickte auf meinen knüppelharten Schwanz, der begierig zuckte. Ich wollte unleugbar Sex mit ihr. Diese glühende Lust hatte mich vollständig eingenommen. Mir war so unfassbar heiß, dass selbst die eisige Temperatur des Wassers keine Linderung herbeiführte. Verdammt! Warum half das nicht? Wieso wurde es schlimmer und schlimmer? Wieso war ich nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen und etwas von den Dingen zu tun, die ich vorgehabt hatte?
“Ich wollte ... mit dir reden ...” Ja, reden! Wir sollten reden. NUR reden! Das mit dem Körper hatte ich noch nicht fertig erklärt. Zudem musste sie noch wegen ihrer neuen Aufgabe bei Paulus eingewiesen werden. Dann gab es da natürlich das Thema mit unseren Kindern und den Elementaren an sich. Unsere Zukunft galt es zu besprechen und das war verdammt wichtig. Außerdem wollte Tyschka irgendetwas. Sie versuchte schon die ganze Zeit, seit ich meine Räumlichkeiten betreten hatte, mich via Implink zu kontaktieren, aber ich blockierte ihre Anfragen. Es ging schlicht und ergreifend nicht. Ich hatte für nichts davon Platz in meinem Schädel. Keine Worte verließen meinen nutzlosen Mund. Ich war völlig von meiner Liebsten eingenommen. Geradezu besessen!
Langsam blickte ich auf und betrachtete ihre nasse kleine Gestalt. Sie anzusehen löste eine Befriedigung und eine Qual zugleich aus. Ihr silberblaues langes Haar, welches bis zu ihrer Hüfte reichte, klebte eng an ihrer hellen Haut. Vereinzelte Strähnen kringelten sich auf ihrem Oberkörper, der hier und da zusätzlich mit grauen Pigmentflecken verziert war. Wie eine Göttin stand sie im grellen Licht der Deckenbeleuchtung, aber ihr Gesicht zeigte keine Emotion dabei. Leer und puppenhaft waren ihre exotischen blausilber-violetten Augen. Ich hasste es, dass mein Umwandeln nicht funktionierte und sie in diesem instabilen Zustand feststeckte. Es tat mir weh. Hoffentlich würde da Dezerias DNA besser funktionieren. Es musste. Musste! Noch so einen Fehlschlag würde ich nicht ertragen.
“Mehr zu wollen ist töricht”, sprach sie plötzlich und kam näher. “Weißt du, wie man einen Unsterblichen fängt?” Meine Augen wurden groß und ein elektrisierendes Kribbeln jagte durch meine Adern. Sie spielte mit mir? Wirklich und wahrhaftig? Es war von mir lediglich ein Test gewesen, ob sie sich an diese Seite ihrer Persönlichkeit noch erinnern konnte. Ich hatte sie zwar in einer Phase kennengelernt, in der sie schon nicht mehr ganz sie selbst gewesen war, aber der Spieltrieb gehörte unweigerlich zu ihr, wie er auch zu mir gehörte. Vielleicht konnte meine Essenz ihre Seele ja doch ein Stück weit heilen, aber eigentlich war mir das im Moment völlig gleich. Hauptsache sie ging darauf ein und versteckte sich nicht wieder hinter verworrenen Gedankengängen, Unsicherheiten oder fixierte sich auf unseren Sohn.
“Einen Unsterblichen, fängt man nicht.” Ich lächelte und stellte mich aufrecht hin – badete in diesen herrlichen Schwingungen, die direkt ihrem aufgeweckten Geist entsprangen. “Er lässt sich höchstens dazu herab, dort hinzugehen, wo man ihn haben möchte und das auch nur, wenn man ihn vorher gaaanz lieb bittet.”
“Falsch.” Nun zog in ihr Gesicht ein Lächeln, das mir durch Mark und Bein ging. “Richtig wäre gewesen: Mit etwas, dass er will.” Sie streckte einen Arm vor und tippte federleicht gegen meinen Brustkorb. Die Berührung äußerte sich in einem bittersüßen Zwicken. Ihre Blitze drangen durch meine Haut und reizten meine Muskeln, was mir ein wohliges Stöhnen entlockte. Hilfe, ich hatte das Gefühl, als würde ich gleich vor Lust explodieren.
“Nicht wahr?” Sie verstärkte ihre Fähigkeit, wodurch die Elektrizität schließlich über das Wasser sprang und die Elektronik des Schiffes beschädigte. Es knallte und das Licht flackerte kurz, gleich nachdem sich die Dusche deaktiviert hatte. “Soo, nächste Frage.” Sie entzog mir ihre herrlichen Blitze und trat einen Schritt zurück. “Wie ärgert man einen Unsterblichen?” Ich liebte dieses verschlagene Lächeln und dann erst dieser Blick – es schoss mir direkt in die Lenden. Ich wollte sie! Berühren. Riechen. Schmecken. Voll und ganz in ihre Seele tauchen und in ihrer Essenz baden. Alles von ihr, bis zum letzten Atemzug. Jetzt sofort!
Erregt keuchend warf ich die letzte Zurückhaltung über Bord und stürzte mich auf sie – wollte ich zumindest, aber meine Beine bewegten sich nicht. Verwirrt blinzelte ich. Mein Körper reagierte kaum.
“Du hast mich gelähmt.” Es war ein Bann. Etwas, das auch ich mit meinem Blut konnte, aber bei ihr noch nie erlebt hatte. Dass sie es auch vermochte, faszinierte mich.
“Ist das deine Antwort oder nur eine Feststellung?” Sie kicherte und musterte mich anschließend von oben bis unten. Ich war hin und weg. So wollte ich sie. Natürlich. Unbekümmert. Frei.
“Eine Feststellung”, raunte ich und versuchte sogleich, ihre Blockierung aufzuheben. Stoßweise leitete ich meine eigenen Blitze durch mein Innerstes. Dies klappte auch ganz gut. Meine Gliedmaßen kamen langsam in die Gänge.
“Du schummelst”, sprach sie gespielt empört, als ich einen kleinen wankenden Schritt nach vorne machte. “Das ist gegen die Regeln.” Mahnend hob sie den Zeigefinger und ging erneut rückwärts, um den Abstand zu mir zu wahren. “Damit hast du verloren und bekommst auch nicht das, was du haben willst.”
“Das kann nicht sein.” Ich lächelte raubtierhaft. “Ich mache alle Regeln und verliere somit nie. Ich bekomme immer, was ich will.” O ja. Und wie ich hier die Regeln machte. Sie war mein. So absolut mein.
“Na, na, na.” Ihr Finger wackelte bei jedem Wort, bevor sie zuckersüß zu lachen anfing und noch ein Stück zurückwich. “Mich bekommst du soo nicht.” Sie breitete die Arme aus und drehte sich fröhlich mehrfach um sich selbst. Blitze tanzten um ihren Leib und schnalzten warnend in meine Richtung, aber darüber konnte ich nur schmunzeln. Wenn sie mir auf diese Weise eine Abfuhr erteilen wollte, war das die schlechteste Methode, die es überhaupt geben konnte. Das machte mich nur weiter an. Reinster Brandbeschleuniger für meine ohnehin schon inbrünstige Libido.
Ich riss mich stöhnend von den letzten lähmenden Ketten los, bekam aber dafür gleich die nächste Welle von ihr verpasst. Ein stärkerer Bann legte sich auf meinen Körper und hielt mich an Ort und Stelle. Sie wollte unbedingt verhindern, dass ich sie packen und an mich reißen konnte. Ich war ihr so nah und gleichzeitig doch so fern.
“Wie frech ...”, brummte ich erregt und genoss diese Situation wie nie etwas zuvor. Sie war die erfüllen all meiner Sehnsüchte. Wie sie da so freudig ein kleines Blitzgewitter entstehen ließ, gab mir ein einziges Hochgefühl. Da ich mich nicht bewegen konnte, lockte es mich enorm, sich ganz in Essenz zu hüllen und einen Sturm um sie zu weben. Aber nein. Das ging nicht. Ihre Hülle mochte zwar durch meine DNA äußerst robust sein, aber das würde sie definitiv zerstören.
“Schade ...” Sie hielt inne und sah mich prüfend an. “Du hältst dich zurück.”
“Ich will dir nicht schaden.” Ich lächelte liebevoll. Sie hatte mich also ganz bewusst in diese Richtung verführt. “Irgendwann werden wir zusammen einen Sturm entfachen, aber nicht heute.” O ja, eines Tages wird unser Sturm die Welt verändern, wenn nicht sogar den Ursprung selbst.
“Pff, würde ich jetzt auch behaupten.” Schmollend drehte sie herum und begab sich zu dem großen Ankleidetisch, der sich neben der Aufhängung der restlichen Puppen befand. Grazil setzte sie sich auf den dortigen Hocker und zog suchend die einzelnen Schubläden der Kommode auf, bis sie einen goldenen Glühkamm fand.
“Wenn du mich freigibst, kann ich dir die Haare machen und mehr ...” Natürlich hätte ich mich erneut mit Gewalt daraus befreien können, aber ich liebte nun mal auch dieses kleine Machtspiel zwischen uns.
“Das hättest du wohl ...” Plötzlich schlug die Stimmung brutal um, als sie in den mehrteiligen Wandspiegel vor sich blickte. Ihr Lächeln erstarb und damit ebenso all die positiven Gefühle für mich. Ich spürte aufwallende Zweifel, Scham, Wut, Hass und Schmerz. Der Kamm glitt im selben Moment aus ihrer Hand, wie auch der Bann von mir verschwand.
“Nein, Liebste, keine Täuschung oder Manipulation.” Ich wusste, dass es eigentlich sinnlos war, das zu sagen. Sie hatte sich schon wieder völlig vergessen und fiel nun stärker denn je in die Instabilität zurück. Ich seufzte innerlich, als sie mit der Faust ausholte und die reflektierende Oberfläche des Spiegels in tausende Teile barst.
“Nicht doch.” Ich hechtete vor und umfasste ihr Handgelenk, damit sie nicht noch einmal zuschlug. “Du bist hier zu Hause. In Sicherheit.” Auch diese Worte würden nicht bis zu ihr durchdringen, jedenfalls nicht, solange sie in diesem Anfall steckte.
↝Stirb, Rea!↜ Ihre Finger schnappten sich ein spitz zulaufendes Bruchstück, aber bevor sie es mir in die Brust rammen konnte, ergriff ich auch diese Hand. Ich entriss ihr die Waffe und presse ihren Körper anschließen eng an mich.
⇝Ich liebe dich.⇜ Auch wenn diese Liebe erst einmal wieder nur einseitig existierte, änderte das nichts daran, wie ich empfand.
“Dabei kannst du nur verlieren ...”, flüsterte sie monoton und hörte abrupt auf, in meinen Armen zu zappeln.
“Könnte ich, wenn es ein Spiel wäre, ist es aber nicht.” Ich gab ihr einen kurzen Kuss auf den Scheitel, zusammen mit etwas Essenz. “Geht es wieder?” Sie nickte, woraufhin ich meine Umarmung lockerte. Die extrem negativen Schwingungen von ihr erreichten ein erträgliches Maß, was leider meinen Schwanz dazu veranlasste, freudig an ihrem Bauch zu zucken.
Ich lächelte verkniffen. “Ignorier das bitte. Mein Körper ist noch völlig von Sexhormonen durchflutet und das wird sich so schnell nicht ändern, befürchte ich.” Erdrückende Stimmung hin oder her. Ich wollte sie nach wie vor, aber meine Bedürfnisse waren zweitrangig. Gerade zählte nur sie.
“Fällt mir nicht schwer”, sprach sie bitter und wollte von mir los, aber das ließ ich nicht zu. Nicht wenn hier noch alles voller Glassplitter war.
“Warte einen Augenblick.” Mit Leichtigkeit hob ich sie auf meine Arme, was sie erstaunlich schnell akzeptierte, und schritt zu einer Steuereinheit an der Wand. Als ich das Panel etwas umständlich berührte, ploppte sofort eine Nachricht von Tyschka auf, die ich jedoch ignorierte. Stattdessen gab ich ihr den Befehl, hier wieder alles herzurichten. Leider reagierte sie nicht so, wie sie sollte, was mich nervte. Offensichtlich funktionierte sie immer noch nicht richtig. Welchen Grund hätte sie sonst, meine Eingabe zu missachten und mir erneut eine Mitteilung einzublenden? Egal, was es war, es konnte warten!
“Probleme?”, fragte meine Liebste und betrachtete das Display genauer. “Scheint dringend zu sein.”
“Dafür ist später noch Zeit.” Immerhin waren alle Neuankömmlinge von mir geheilt worden und für den restlichen Schnickschnack hatte Tyschka die Bediensteten. Wie schwer konnte es schon sein, eine Hand voll Sklaven, zwei gebändigte Elementare und meinen verwirrten Sohn zu bewirten?
“Du solltest dich darum kümmern ... Vielleicht ist es wichtig.”
“Du bist wichtig. Vor dem Start des letzten Oswelat hatte ich auch keine Gelegenheit, mit dir großartig zu reden.” Sie wollte mich loswerden. Keine Frage. Aber wenigstens die paar Dinge, die ich mir vorgenommen hatte, wollte ich jetzt noch zu Ende bringen.
Langsam ließ ich meine Liebste runter und hämmerte leicht aggressiv noch zweimal auf das Panel, bevor Tyschka endlich spurte. Der beschädigte Ankleidetisch sowie die defekte Dusche verschwanden hinter den Wänden und umgehend fuhr aus dem Boden eine frische Kopie dieser Bereiche. Alles sah wieder so aus wie zuvor.
“Guuut ...”, ich betrachtete meine Liebste, “wir ziehen uns etwas an, dann zeige ich dir unser Zimmer und danach darfst du ganz für dich sein, weil ich noch was für unsere neuen Gäste vorbereiten muss.” Und vor allem sollte ich essen. Ich war mittlerweile verdammt hungrig. Sexuell frustriert und am Verhungern zu sein, war echt eine beschissene Kombination. “Das dürfte doch in deinem Interesse sein, oder?”
“Ja.” Sie sah mich emotionslos an und behielt auch ihre Seele verschlossen, aber das war in Ordnung. Ich hatte sie heute schon zu sehr strapaziert und respektierte ihren Rückzug. Es würde auch mir guttun. Das zuvor war einfach nur verrückt gewesen und musste von mir erst einmal genaustens analysiert werden. Wie viele Fehler hatte ich begangen? Was hätte ich anders und was besser machen können? Solange ich in ihrer Nähe war, arbeitete mein Verstand schlicht und ergreifend nicht effizient. Ich handelte impulsiv und spontan, was eigentlich gar nicht meiner Persönlichkeit entsprach, aber bei ihr fiel es mir unglaublich leicht.
“Darf ich dir beim Ankleiden vielleicht behilflich sein oder willst du es alleine machen?” Ich verbeugte mich charmant und ergriff ihre linke Hand, um einen flüchtigen Kuss darauf zu geben – kam jedoch nicht dazu. Wobei es nicht daran lag, dass sie sich sträubte. Nein. Es interessierte sie nicht, was ich tat, aber ich ertastete eine tiefe Kerbe auf der Innenseite.
“Hast du dich an dem Spiegelstück verletzt?” Prüfend besah ich mir ihre Hand genauer und tatsächlich war die Haut auf der Innenfläche bis tief ins Fleisch aufgeschnitten. Natürlich blutete die Wunde nicht und auch sonst würde eine Puppe nie verbluten. Wenn das System eine Beschädigung feststellte, schlossen sich die umliegenden Gefäße sofort, sodass keine Flüssigkeit entweichen konnte. Entsprechende Nanobots erledigten anschließend den Rest, in dem das Gewebe wieder repariert wurde. Dennoch seufzte ich.
“Du solltest vorsichtiger sein.” Gar nichts auszudenken, wenn sie sich mit einem echten Körper verletzte und ich nicht in ihrer Nähe war. Eigentlich ein Grund mehr, sie wegzusperren – aber nein. Das konnte ich ihr nicht antun.
“Ich doch egal.”
“Nein, ist es nicht!” Ich atmete einmal tief durch. “Du kannst nicht immer davon ausgehen, dass es nichts bedeutet, wenn du Schaden nimmst.”
“Es wäre Ersatz hier gewesen.” Sie entzog mir ihre Hand und deutete hinter mich, wo die restlichen Puppen hingen. Ich biss die Zähne zusammen und sparte mir einen Kommentar dazu. Sie würde nie begreifen, was der Unterschied zu einer Puppe und einem richtigen Körper war, solange sie keinen echten besaß. Vermutlich hatte sie die ganzen wundervollen Gefühle, die ich ihr vorhin gegeben hatte, schon wieder in den letzten Winkeln ihrer Seele begraben und alles als Manipulation abgetan. Für sie gab es nichts. Keine Liebe und erst recht keinen Partner.
“Ich glaube, wir lassen das vorerst. Du bekommst später die Erklärung zu deinem Körper.” Eine Diskussion darüber würde ich zweifellos heute nicht mehr packen und ob ich später wirklich Lust dazu hatte, blieb fraglich. Ich war bereits derart frustriert und wütend, dass meine Metallschuppen an die Oberfläche kamen. Meine Haut verfärbte sich schwarz und ein bedrohliches Rascheln erklang.
Tief durchatmend setzte ich mich in Bewegung und lief zu der Ankleidevorrichtung. Einmal mehr fragte ich mich, warum ich mir eigentlich die Mühe machte, ihr Dinge erklären zu wollen. Es interessierte sie nicht und selbst wenn, konnte sie nicht viel behalten, weil sie instabil war.
Nie könnte sie den gewaltigen Unterschied zu einer CeKyde, die sie sonst immer bekam, und dem Biokörper, den sie jetzt nutzte, begreifen. Unabhängig von dem Spielchen mit meiner Essenz vorhin, sollte das nämlich die Zukunft für die Oht’esch werden. Ich arbeitete schon seit Ewigkeiten daran, den Reas, die dem Auwolast entsagten, eine Alternative zu bieten. Nicht jeder wollte, so wie es auch Adele angesprochen hatte, seinen eigenen Körper opfern. Paulus lebte es zwar vor, aber kaum einer ging soweit, ein kompletter Mecha zu werden.
Wer könnte es ihnen verübeln? War doch meine Liebste und ich das beste Beispiel, wie einen das fehlende Fühlen zermürbte. So etwas Grundlegendes und Wichtiges anhand von Sensoren und Tabellen zu empfinden, war eben nicht dasselbe. Genau deswegen versuchte ich auch, das zu ändern. Niemand sollte in einer abgestumpften Hülle stecken und langsam aber sicher seelisch verkümmern.
Ich hatte es auch fast geschafft. Aus meinem Blut konnte ich bislang ein Synthetikum gewinnen, welches der Struktur der Klonkörper, die Verena für die Erneuerung herstellte, gleichkam. Anders als bei ihr jedoch, brauchte man bei meinen Prototypen keine fremde Essenz. Es mussten also keine Elementare mehr sterben, um eine perfekte Hülle zu erschaffen. Soweit die Theorie zumindest. Dem Lusius fehlte etwas, das mein kleiner Test mit meiner Liebsten wieder deutlich gezeigt hatte, aber dafür gab es ja jetzt Dezeria. In ihr war der Schlüssel verborgen, da war ich mir sicher. Der neue Körper in der Aufbereitungsanlage würde es später beweisen, wenn ich endlich die Zeit fand, dort mal nach dem Rechten zu sehen. Nachher musste ich unbedingt einige Bots erschaffen, um mit den ganzen Aufgaben fertig zu werden.
“Du bist wütend ... Es tut mir leid.” Meine Liebste stellte sich plötzlich neben mich und betrachtete mein Spiegelbild in dem mannshohen Display der Ankleide, welches noch immer auf eine Eingabe von mir wartete.
“Muss es nicht.” Sie machte zwar immer wieder irgendwelche Dinge, die mich erzürnten, aber so war das eben. Ich hatte gelernt, mich damit abzufinden. Irgendwie.
“Ich bin ... schwierig.” Keine Frage, aber es waren auch diese ehrlichen Momente zwischen uns, weswegen ich sie so unendlich liebte. Diese Augenblicke, in denen sie nicht den Rea in mir sah, sondern jemanden, der ihr etwas bedeutete. Das beruhigte mich ungemein und ließ meine Fähigkeit zurück unter die Haut kriechen.
Ich lächelte, als sie sich nun nach vorne beugte und wie selbstverständlich die Sensorik des Ankleidebildschirms berührte. Sie tippte gedankenversunken in dem Auswahlmenü hin und her, um für mich etwas Passendes zusammenzustellen. Interessiert betrachtete ich den Bildschirm vor mir und die Kleidungsstücke, die dort in einer Vorschau nacheinander auf mein Abbild projiziert wurden.
Sie entschied sich schließlich für eine verhältnismäßig schlichte Robe, die harmonische Ornamente von Sternen trug und kombinierte diese mit einer seitlichen an der Hüfte hängenden Schärpe. Für die Schultern wählte sie ein großes Modell in Form von zwei Mondsicheln, deren Spitzen nach oben zeigten. Danach editierte sie noch die Farbe aller Stoffe, was mich skeptisch eine Augenbraue heben ließ.
“Blau-Weiß? Hältst du es für sinnvoll, die Lieblingsfarben unseres Sohnes zu nehmen?” Das würde Reznick wohl kaum davon abhalten, mich zerhackstückeln zu wollen. Er würde es schlicht für eine Manipulation halten und deswegen gleich noch extra wütend werden.
“Ich hab es nicht deswegen ausgesucht.” Sie beendete die Einstellung und gab der Maschine damit den Befehl, die Kleidung herzustellen. “Es steht dir und ... du siehst darin freundlicher aus.”
“Freundlicher? Als ob.” Ich unterdrückte ein spöttisches Lachen und schritt etwas zur Seite, um mir aus dem sich öffnenden Wandfach daneben, die neuen Sachen zu nehmen. Normalerweise gehörte zu diesem System noch zwei Maugeris, die einen ankleideten, aber in unseren privaten Gemächern hatten keine Bediensteten Zugriff. Ich musste mich also selbst anziehen.
“Wenn es dir nicht gefällt, mach dir eben etwas anderes ...” Ihre Stimmung kippte wieder, wobei ich nicht genau sagen konnte, ob es an meiner Bemerkung lag oder wieder daran, dass sie ihr Spiegelbild nun auf dem Display der Ankleide erblickte.
“So habe ich das nicht gemeint.” Ich legte meinen Kleiderstapel auf eine Kommode und trat zu ihr. “Niemand würde mich jemals als freundlich bezeichnen.” Was mich absolut nicht störte. Es war leichter, Hass und Wut zu schüren, als sich darum zu bemühen, dass jemand einen mochte. “Schon vergessen? Ich bin ein Monster.” Durch und durch. An meinen Händen klebte viel Blut und es würde auch noch etliches folgen. “Aber lassen wir das und kümmern uns lieber darum, was du tragen wirst.” Das kam wieder mit einem Lächeln und sogleich wandte ich mich der Sensorik am Bildschirm zu.
“Wie du willst”, sprach meine Liebste kühl und verfolgte nun ebenfalls, was ich für sie aussuchte. Ich entschied mich für ein altertümliches Kleid mit vielen Bändchen und Schlaufen, was dadurch sehr wild aussah. Farblich ebenfalls in Blau-Weiß gehalten, damit es zu mir passte.
“Einwände?”, fragte ich sicherheitshalber zum Schluss, denn ich wollte ihr auf keinen Fall etwas aufzwingen. Sie sollte nicht den Eindruck haben, eine willenlose Puppe zu sein, die ich nach belieben bekleiden konnte.
“Nein.” Sie hob eine Hand und strich damit andächtig über die Ränder von einem der grauen Pigmentflecken, der sich über ihrer rechten Brust befand. “Warum haben die neuen Modelle, die du für mich entworfen hast, eigentlich alle irgendwelche Fehler?”
“Keine Fehler, meine Liebste, es sind lediglich Variablen, die immer auftreten können, nur von den Rea gänzlich weggezüchtet wurden. Du hattest sonst immer etwas, das der Norm entsprach ...” Und sie mal nicht in so einem überperfekten Körper zu sehen, war verdammt sexy. O nein verdammt! Ich durfte damit jetzt nicht schon wieder anfangen. Mein Verlangen hatte sich gerade erst soweit beruhigt, dass ich sie nicht länger mit dem Anblick meines knüppelharten Schwanzes belästigen musste.
Schnell schüttelte ich den Kopf, um alle möglichen Sexfantasien da raus zu bekommen, und holte ihr Kleid aus dem Fertigungsfach. “Aber wo wir gerade beim Thema sind.” Ich reichte ihr das Kleidungsstück und wandte mich selbst meiner eigenen zu. “Wegen deinem Körper ... Du wirst in Zukunft die Öffentlichkeitsarbeit der Oht’esch übernehmen und damit direkt mit Paulus zusammenarbeiten.”
“Ich verstehe nicht. Was ist mit Reznick?”
“Unser Sohn heißt immer noch Alexander und es wird für ihn keine Betreuung mehr geben. Ich weiß nicht, was du alles vorhin noch mitbekommen hast, aber er wird nicht länger an irgendwelchen Spielen teilnehmen. Niemand von uns. Damit ihr beide dennoch etwas zu tun habt, wird er mir bei meiner Forschung mit den Elementaren helfen und du eben Paulus.”
“Keine Spiele? Einfach so?” Natürlich ignorierte sie unsere kleine Namensdifferenz weiterhin. “Aber du hast doch gesagt, es muss immer ein Spiel für die Rea zu seinem Schutz geben ... Und wieso bekommst du ihn dann und nicht ich?”
“Die Idee mit der Forschung kam mir eben erst und ist durchaus sinnvoll, weil ich seine Partnerin im Labor noch brauchen werde und –”
“Brauchen? Du redest von Dezeria? Ich erlaube keine Tests. Weder an ihr, noch an unserem Kind oder an einem der anderen!”
“Ich werde mit dir nicht darüber Diskutieren.” Seufzend zog ich mir als Letztes die Schulterstücke über und drehte mich zu ihr. “Du möchtest eine Welt, in der niemand verschlungen werden muss, was nur ohne das Machtsystem der Rea möglich sein wird. Dafür wiederum ist es wichtig und notwendig, dass wir genauestens verstehen, was uns ausmacht. Aktuell sind unsere größten Probleme die Instabilität sowie die Körperproduktion für die Oht’esch, wobei ich kurz vor einer Lösung stehe. UND es ist ja nicht so, dass ich für meine Untersuchungen mir einfach irgendjemanden schnappe und ihn dann zerlegen werde. Mal ehrlich. Deine Schützlinge mitsamt Alexander sind hier sicher.” Sofern wir das erste Treffen unblutig hinter uns brachten. “Oder haben sich deine Pläne dahingehend geändert und es ist dir jetzt wieder alles egal? Dann sag es mir, Liebste.” Ich trat dicht vor ihr und richtete einige Bändchen an ihrer Hüfte, die sich miteinander verheddert hatten. “Es genügt ein Wort von dir und ich schmeiß alles hin. Ich werde wie zuvor einfach jeden umbringen, der mir nicht passt und bei der Führungsebene der Rea gleich mal anfangen. Es braucht nur ...” Ich blickte ihr ins Gesicht und setzte eine ebenso nichtssagende Miene auf, wie sie es tat. “Ein. Einziges. Wort.”
“Ich ...” Sie schloss den Mund wieder und blickte zu Boden. Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte. Damit war sie schon immer leicht zu überzeugen gewesen, was aber nicht bedeutete, dass sie es akzeptierte oder sich kooperativ verhalten würde. Nein. Das kannte ich schon zur Genüge.
“Gut. Dann ist das geklärt und ich würde es begrüßen, wenn du dich ab sofort vom Labor fernhältst. Es war nicht unbedingt lustig, als du mir das letzte Mal essenzielle Bestandteile meiner Forschung geklaut hast.” Um nicht zu sagen sämtliches Lusius, das ich gerade produziert hatte. Wenn sie rumwütete war das in Ordnung, aber mir still und heimlich etwas stehlen? Nein. Da war ich tatsächlich richtig sauer geworden.
“Es waren nur Nanobots gewesen und ich hab sie für Reznick gebraucht ...” Ja. Fast umgebracht hatte sie ihn damit, aber das würde ich jetzt nicht weiter breittreten. “Und was das andere angeht, werde ich mich zurückhalten.” Sie hob ruckartig den Kopf, blickte mich finster an und drückte anschließend mit dem Zeigefinger gegen meine Brust. “Solltest du allerdings jemandem schaden, wirst du es bereuen!” O ja verdammt, diese Art Machtspiele schossen mir direkt in den Schwanz.
“Uhh, werde ich das?” Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen, darauf einzugehen. Wie sie mich ansah und dann noch diese impulsiven Wellen von Entschlossenheit sowie Dominanz, die sie ausstrahlte. Zu köstlich.
“Jeden, den du zu dir holst, um was auch immer zu machen, werde ich vor und nach deinem Test begutachten.” Schade, sie ging nicht darauf ein, aber war vermutlich auch besser so. Irgendwie. “Dann bleibt da noch die Sache mit den Oht’esch. Inwiefern kann ich da helfen? Du hast bislang nicht gewollt, dass ich direkt mit Paulus zusammenarbeite.”
“Du wirst auch nicht direkt mit ihm arbeiten.” Kam gar nicht in Frage, dass sie ihn besuchte oder sonst einen dieser unbedeutenden Wichte. Mochte sein, dass sie meine Verbündeten waren, aber meine Liebste deswegen zu -ihnen schicken? Nein. Niemals nie. Und hierhaben wollte ich auch keinen von denen. Allein Paulus würde versuchen, sich in alles Mögliche und Unmögliche reinzuhacken. Der Typ war wie ein Virus, weswegen man auch kein ViDl mit ihm machen konnte.
“Allein unsere Gemächer stehen dir dafür zur Verfügung. Du bekommst von mir sämtliche Daten und wirst sie genauestens verinnerlichen. Wenn du mit Paulus oder einen der Oht’esch sprechen musst, werde ich über meine Bots vermitteln.” Somit hatte ich die volle Kontrolle darüber, was sie besprachen, und meine Liebste würde auch unser Zimmer nicht verlassen. Es war die perfekte Überwachung, was sie wohl auch durchschaute. Ihr skeptischer Gesichtsausdruck machte es deutlich.
“Ich soll ... nur lesen? Wie ist das hilfreich? Versuchst du, mich hier festzusetzen?”
“Nicht doch. Die Unterlagen beziehen sich auf all die Dinge, die du bislang immer verdrängt hast. Meine Forschung eben. Ein Grundwissen, das du haben solltest. Dein eigentliches Aufgabengebiet wird sein, die normale Rea-Bevölkerung über das Fühlen und nicht Fühlen bezüglich künstlicher Hüllen aufzuklären. Ebenso spielt mein entwickelter Modifikator eine Rolle. Du bist die Erste, die sich ein Modell erstellt. Ich möchte, dass du das ernst nimmst und mir eine ehrliche Einschätzung von dem Programm gibst. Es soll jeden möglichen Wunsch, den man bezüglich eines Körpers haben kann, abdecken und ich muss von dir auch wissen, ob die Handhabung einfach genug für jedermann ist.” Letzteres war zwar nicht geplant gewesen, aber so bekam ich sie hoffentlich gezielt dazu, sich einen persönlichen Skin zu erstellen. Etwas, das ihr gefiel.
“Ich weiß nicht so recht ...” Sie musterte mich weiterhin – glaubte mir nicht, aber das war unerheblich. Sobald sie unser neu gestaltetes Zimmer sah, würde alles andere an Bedeutung verlieren.
“Warum? Alexander wird dich nun nicht mehr brauchen und du benötigst eine Aufgabe, das weißt du auch.” Ihr das noch einmal in Erinnerung zu rufen, hielt ich für sinnvoll, aber länger wollte ich mich jetzt nicht damit befassen. Es war Zeit für die Überraschung. “Aber genug davon, ich habe noch etwas für dich ... Darf ich bitten?” Ich reichte ihr breit grinsend die Hand, welche sie zögerlich ergriff.
“Zeigst du mir also endlich das Zimmer?” Süß. Ihr mürrischer Tonfall machte deutlich, dass sie immer noch darüber verärgert war, es nicht am Anfang gesehen zu haben.
“Naa selbstverständlich, Liebste.” Ich zog sie behutsam bis zur Tür. Bevor es allerdings hineinging, musste ich noch etwas auf dem Steuermodul an der Wand einstellen.
“Was machst du denn da?” Sie ließ mich los und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. “Du stellst was am Licht ein? Was soll das? Hör auf, mit mir zu spielen!”
“Geduld ...” Es sollte immerhin perfekt werden.
“Ich will es gar nicht sehen, wenn du weiter so ein Geheimnis darum machst.” Ich grinste.
“Und wie du das willst.” Sie mochte wegen der Warterei ungehalten sein, aber innerlich freute sie sich. Da war ich mir sicher. “Soo, bin auch schon fertig.” Geschmeidig schritt ich hinter sie und legte meine Hände auf ihre Schultern. “Ich werde dich jetzt hineinführen, aber du darfst dich erst umsehen, wenn wir in der Mitte des Raums sind.” Meine Hände wanderten federleicht nach vorne, ihren Hals hinauf, bis ich das Gesicht erreichte und schließlich ihre Augen verdeckte. “Und du darfst auch nicht schummeln.” Ich hatte zwar das Licht ausgeschaltet, aber die Puppe würde trotzdem sämtliche Umrisse erkennen und das wollte ich nicht. Meine Liebste sollte mit einem Schlag davon überwältigt werden und nicht die Möglichkeit haben, sich irgendwie darauf vorzubereiten.
“Langsam reicht es mir wirklich ...”
“Ja, ja, weniger meckern, mehr gehorchen.” Belustigt schob ich sie voran und obwohl sie verärgerte Geräusche von sich gab, kam keine Gegenwehr. Sie tat, was ich wollte. Fabelhaft. Mein Herz schlug schneller, als ich ihre kleine Gestalt in den finsteren Raum dirigierte. Der Timer, der die Holowände steuerte, würde in weniger als eine Minute mit der Show beginnen. Ob es ihr tatsächlich so sehr gefiel, wie ich mir das vorstellte? Ich war selbst schon ganz aufgeregt.
“Sind das lauter kleine runde Steine?” Ich stutzte kurz, bis mir wieder einfiel, dass sie natürlich die Beschaffenheit des Bodens durch die Füße wahrnehmen konnte. Innerlich ohrfeigte ich mich. Warum hatte ich daran nicht gedacht? Ich hätte sie tragen müssen! Wobei. Das hätte wohl keinen großen Unterschied gemacht. Man hörte bei jedem Schritt das verräterische Reiben der Steinchen aneinander.
“Nja ...”
“Ich will es sehen.” Sie griff nach meinen Händen, schaffte es aber nicht, diese wegzuziehen.
“Gleich ...” Obwohl sie sich in meine Haut krallte, brachte ich sie, ohne nachzugeben, zu ihrem vorbestimmten Platz. “Und jetzt, staune ...” Ich gab sie genau in dem Moment frei, als ein kräftiges Donnergrollen aus den Lautsprechern ertönte. Die Vibration ging mir selbst durch Mark und Bein. Ein wunderbares Gefühl.
Ich entfernte mich ein Stück von ihr und setzte mich auf den Boden, damit sie vollen Blick auf die Holowände hatte, die auch sofort einen Blitz nach dem anderen darstellten. Gleich einer Schlange bewegten sich abwechselnd blau, rot, gelb, violett oder weiß gezackte Linien rhythmisch zu dumpfen oder kreischenden Klängen. Es war eine exzellente Entscheidung gewesen, sämtliche Möbel aus diesem Zimmer zu entfernen, um die Illusion perfekt zu machen. Nichts störte das Bild. Es schien fast so, als würde das aufflackernde Licht um uns tanzen oder lauernd seine Kreise ziehen. Zu diesem Schauspiel gesellte sich nach und nach der Sound von verschiedenen Windströmungen. Erst leise und sanft, bis diese richtig zu jaulen anfingen. Aber nicht nur das. Dank versteckter Düsen entstand tatsächlich ein feiner Luftstrom, um meine Liebste herum, was ihre Haare, das Kleid und die vielen Bändchen daran ein bisschen Leben einhauchte.
Der Hintergrund kam zudem auch in Bewegung. Das Schwarz wurde wie ein dicker Wolkenschleier hin und her getrieben, um allmählich an der Decke einen Sternenhimmel preiszugeben. An den Wänden selbst zuckten die Blitze weiterhin, aber nicht mehr nur auf einer Leinwand aus Dunkelheit, sondern es kam eine Gebirgskette zum Vorschein. Es bildete sich dabei nicht irgendeine Landschaft. Nein. Es waren jene Felsspitzen, die einst um die Stadt Valahanig existierten, noch bevor man dort alles großflächig abgebaut und besiedelt hatte.
Um diese Illusion anfertigen zu können, hatte ich mir extra die Gegend auf Nepner gekauft, wie sowieso schon fast alles auf diesem Planeten. Es war die Heimatwelt meiner Liebsten, daher war es nur selbstverständlich, dass er ganz mir gehören musste. Sie wusste es zwar noch nicht, aber ich hatte vor, mich dort irgendwann einmal mit ihr niederzulassen. Sie war nicht dafür geschaffen, auf einem Schiff oder auf einer anderen Station in den Sternen zu leben. Sie brauchte – etwas Natürliches.
Kurz kamen mir Zweifel. Ich wollte ihr mit diesem Zimmer, das vollkommen den Eindruck erweckte, inmitten eines Blitzgewitters auf einem Berg zustehen, eine Freude machen. Aber eigentlich spielte ich ihr nur etwas vor, das nicht hier war und nach dem sie sich sehnte. Ich war dadurch nicht besser, als all jene, die sich ausrangierte Elementare in Terrarien hielten. Das betrübte mich irgendwie.
Nachdenklich sah ich zu ihr auf. Sie freute sich wirklich und wahrhaftig. Keine Frage. Sie hatte die Arme ausgestreckt und schrie zusammen mit den Wind- und Blitzgeräuschen um die Wette. Ich liebte ihre atemberaubende Stimme, ihren Anblick – ob nun mit einer Hülle oder rein aus Essenz – und die Wellen, die ihre Seele verströmte. Das alles gehörte mir. Sie gehörte mir. Genau. Ich war nicht wie die anderen Rea, die etwas besitzen wollten, um dadurch Macht oder Ansehen zu bekommen. Meine Liebste und ich sind vom Ursprung für einander bestimmt worden. Dabei hatte es keinerlei Bedeutung, dass sie sich bislang weigerte, meine Partnerin sein zu wollen. Oder?
Ich war plötzlich von mir selbst verwirrt, aber auch zu kaputt, um mir weitere Gedanken darüber zu machen. Erschöpft bettete ich mich auf den Boden, der aus einer dicken Lage unterschiedlich farbigen Steinchen bestand und durch die darunter eingebauten Heizstäbe eine angenehme Temperatur hatte.
“Hmmm ...” Ich seufzte genüsslich und schloss die Augen. Noch nie hatte ich besser gelegen, als auf diesem Untergrund. Obwohl ich Kombinationen aus Sand und Erde zuvor nie etwas abgewinnen konnte, weil das blöde Zeug einfach überall an einem klebte, schien das Gefühl des warmen Gesteins mich regelrecht einzulullen. Ich würde nie wieder auf einer normalen Matratze schlafen, so viel stand fest.
Eine seltsame Form von Frieden erfüllte auf einmal mein ganzes Sein. Die positiven Schwingungen meiner Liebsten streichelten mich auf eine zärtliche Weise und ihr Singsang zusammen mit Blitz- sowie Windgeräuschen wiegte mich sicher in den Schlaf. So sollte es sein. Es war vollkommen. Ein wahrgewordener Traum.
Aber wie das immer mit diesen Dingen war, die eigentlich viel zu schön sind, so erstarb auch dieses Paradies. Plötzlich wurde es taghell und auch der Sound verstummte, was definitiv nicht hätte passieren dürfen. Die Videosequenz war so programmiert, dass sie in einer Dauerschleife lief.
Brummig öffnete ich die Augen und blickte zur Wand. Ich dachte erst an einen Fehler, aber als ich grob das visuelle Abbild von Tyschka sah, war mir klar, dass sie sich einfach in meine Gemächer eingeklinkt hatte. Wut wallte sofort in mir. Wie konnte sie es wagen, uns zu stören? Ausgerechnet jetzt! Irgendwo war mir natürlich klar, dass sie nur dann dieses Recht nutzte, wenn es ein gravierendes Problem gab, aber das war doch höchst unwahrscheinlich. Woher sollte das Schiff nun einen schwerwiegenden Defekt haben? Und im Sterben lag sicherlich auch niemand.
⫷Verzeiht, mein Herr, aber ich –⫸
“Nicht JETZT, Tyschka! Lass uns alleine!” So wichtig konnte es nicht sein und ich wollte meine Ruhe. Nur dieses eine Mal.
⫷Bedaure. Ich brauche dringend eine Rückmeldung bezüglich meiner Anfrage.⫸ Ich knurrte und meine Hände verformten sich zu schwarzen Klauen. Ich hasste es, wenn jemand nicht gehorchte.
“WAS! Was zur Hölle ist denn so verdammt wichtig?!” Blitze huschten über meinen Körper, während ich mich mühsam aufrappelte. Wenn es keinen triftigen Grund gab, würde hier definitiv gleich ein Unglück passieren.
⫷Der junge Herr Elian benötigt Euer Blut. Seine Vitalwerte verschlechtern sich zusehends.⫸ Ich runzelte verwirrt die Stirn und schlagartig wich sämtliche Aggression aus mir.
“Elian? Was ist mit Elian?”, fragte meine Liebste aufgebracht und stellte sich mit einem wütenden Gesichtsausdruck zu mir. “Was hast du ihm angetan?!”
“Ich? Warum sollte ich ihm etwas antun?” Das ergab keinen Sinn. Woran hatte er sich bitteschön derart schwer verletzen können, dass er von mir geheilt werden musste? Dezeria war dazu nicht fähig. Wobei. Mein erinnerungsloser Sohn geisterte auch noch irgendwo im Schiff herum. War es also doch meine Schuld, weil ich dies nicht berücksichtigt hatte?
“Was weiß ich!” Sie verkrallte sich in den Stoff meiner Robe. “Er ist verletzt und du solltest auf ihn aufpassen! Hast du etwa, trotz meines Verbotes, an ihm rumgetestet?!”
“Unsinn.” Ich atmete einmal tief durch. “Tyschka, wo befindet er sich aktuell?” Ich musste ihn mir unbedingt ansehen und auch alle Aufzeichnungen. Ich war nicht auf dem neuesten Stand und das brach mir gerade das Genick. Die Laune meiner Liebsten war im Keller, was meine ebenso angriff. Wut. Hass. Enttäuschung. Jap. Da war sie wieder die altbekannte Abwärtsspirale. Vergessen war all das Schöne. Für mich gab es jetzt nur wieder die reinste Ablehnung. Herrlich.
⫷Der junge Herr Elian wurde von mir in das gegenüberliegende Zimmer verlegt.⫸ Meine Liebste rannte sofort los – zog mich ruppig hinter sich her.
“Los, beweg dich! Er braucht deine Hilfe!” Ich knurrte, ließ mich aber von ihr mitschleifen. So zu hetzen war eigentlich unnötig und mochte ich überhaupt nicht. Elian würde schließlich nicht in der nächsten halben Minute sterben, aber diesen Kommentar verkniff ich mir.
Im Nu eilten wir aus unserem Zimmer, über den Flur und anschließend in den umfunktionierten Serverraum. Dort lag er in einem offenen Regenerationsbehälter, der mit einem speziellen Siasal-Gemisch befüllt war. Eine Standardprozedur für kritische Patienten, da die orange-grüne Flüssigkeit den Körper in eine regenerative Stase versetzte. Wenn seine Vitalwerte dennoch absackten, konnte es sich bei seiner Verletzung eigentlich nur um eine Essenzwunde handeln.
“Elian!” Wie zu erwarten stürmte meine Liebste auf den Behälter zu und griff hinein, um den bewusstlosen Jungen herauszuziehen.
“Hör auf damit!” Ich packte ihre Hände, um diese unnötige Aktion zu unterbinden. “Du weißt, dass er darin keine Schmerzen hat und Tyschka wird das Umbetten übernehmen.” Musste ja nun wirklich nicht sein, dass sie ihr neues Kleid mit dem Mittel einsaute und in diesem Bereich dazu noch alles unter Wasser setzte.
“Lass mich los!” Sie zappelte vehement und regte sich immer weiter auf, bis selbst Blitze um sie peitschten, aber das Spiel konnte man auch zu zweit spielen!
“Und wenn nicht?” Gleich einem Donnergrollen entwich mir ein Knurren und schnell fing ich ihre Essenz mit meiner eigenen ein, damit sie hier nicht noch Elektronik beschädigte. “Entscheide! Entweder du kümmerst dich um ihn und er stirb oder wir machen es auf meine Weise. Falls du es vergessen hast, er braucht MEIN Blut! Wenn du vorhast, das Blut aus deiner Hülle zu nutzen, weil das auch von mir stammt, dann sei versichert, dass es nichts bringen wird.” Ich atmete schwer. Es war nicht richtig, sich in dieser Situation mit ihr zu messen, weil es mich einerseits erregte wie aufregte. Der Drang, sie zu unterwerfen stieg kontinuierlich, aber das war denkbar ungünstig. Ich konnte sie hier schlecht zu Boden werfen und mich mir ihr einen, bis sie nur noch ergeben wimmerte. Elian ging es nicht gut und sollte er wirklich sterben, dann würde sie mir auf ewig zürnen. Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen, egal wie scharf ich auf sie war.
“Dann tu halt auch endlich mal was!” Biestig bis zum Schluss und – verdammt sollte ich sein – dieses Verhalten schoss mir direkt in den Schwanz.
“Wenn du die Güte hättest ... zurückzutreten.” Bestimmend drängte ich sie zurück. “Tyschka, richte den Raum soweit her, dass es einem schlichten Gästezimmer gleichkommt. Platziere Elian auf ein einfaches Bett ohne Baldachin und daneben jeweils eine bequeme Sitzgelegenheit. Zudem will ich die Aufzeichnungen sehen. Gib mir den Zeitpunkt ab dem Moment, wo ich ihn zuletzt gesehen habe, bis jetzt.” Kaum ausgesprochen, bewegten sich sämtliche Wände. Die letzten Rechnereinheiten, die noch in der Ecke standen, verschwanden und das Zimmer erhielt das von mir gewünschte Design. Zum Schluss wurde Elians nackter Körper von drei Greifarmen sanft auf ein schneeweißes Bett abgelegt, aber bevor Tyschka ihn auch noch zudeckte, ging ich dazwischen.
“Das genügt.” Optisch gesehen fehlte ihm nichts, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Zielstrebig schob ich erst die Lider des rechten Auges auseinander und wiederholte dies anschließend beim linken. Wie befürchtet hatte der Junge einfach nicht damit aufgehört, seine sonderliche Fähigkeit einzusetzen. Beide Augen hatten sich tiefschwarz eingefärbt, wobei ich mich fragte, wie das möglich war. Ich hatte ihm doch ein Bleasta verpasst, um seine Kräfte zu unterdrücken, oder nicht? Seltsam. An seinem Arm befand sich jedenfalls nichts dergleichen.
Ich seufzte und warf einen flüchtigen Blick zu meiner Liebsten. Es juckte mir in den Fingern, Proben zu nehmen, aber darauf musste ich wohl oder übel verzichten. Sie verfolgte haargenau sowie äußerst misstrauisch meinem Tun und schien selbst mit dieser harmlosen Begutachtung unzufrieden zu sein. Sie hatte die Arme verschränkt und verschmorte meinen Geist geradezu mit ihren negativen Schwingungen.
“Was ist jetzt? Heilst du ihn nun oder was?”
“Natürlich.” Die Gesundheit von Elian ging vor, obwohl technisch gesehen noch Zeit blieb. Solange sein kurzes Haar diese satte goldgelbe Farbe hatte, würden weitere Verzögerungen keine bleibenden Schäden anrichten. Aber das zu sagen würde mir wohl kaum irgendwelche Pluspunkte einbringen.
Ich unterdrückte ein Seufzen, schob seinen Mund auf und schnitt mir mit einer Kralle die Pulsader auf. Es brauchte eine beachtliche Menge Blut, um ihn von diesen sonderlichen Schatten wieder zu befreien. Warum das überhaupt bei ihm vorkam, war mir noch immer nicht ganz klar. Ich hatte lediglich herausgefunden, dass Elian zwei Seiten besaß. Eine friedfertige und eine – nun ja – gegenteilige. Aber ob das daran lag, dass er mit seiner Fähigkeit nicht umgehen konnte oder dies eine abgewandelte Form von Instabilität war, blieb ein Rätsel.
Fest stand, dass er seine Persönlichkeit wechselte und dann weder ansprechbar, noch auf sonst etwas reagierte. Das Schwarz befiel erst die Augen, dann die Haare und schließlich den Verstand. Es war wie eine Art Verseuchung, die seinen Körper extrem belastete. Zum Glück war dies bisher erst einmal passiert. Sein Herz hatte dabei schlapp gemacht und musste mehrfach von mir reanimiert werden. Nach dem Aufwachen hatte er allerdings wild um sich geschlagen und egal, was ich versuchte, es brachte nichts. Allein Sucius Anblick hatte ihn letztlich besänftigen können. Es schien –
“Was machst du?”, fragte plötzlich meine Liebste, als Elian sichtbar krampfte.
“Heilen. Es ist nur die übliche Abwehrreaktion, aber da wird er jetzt durch müssen.” Hätte ich noch was von dem Lusius übrig, würde das vermutlich einfacher gehen, aber das Zeug herzustellen dauerte.
“Hat er Schmerzen?” Sie kam näher und schnappte sich eine seiner zuckenden Hände, um diese tröstend zu halten.
“Nein, er bekommt davon nichts mit.” Ob er beim Aufwachen jedoch er selbst war, würde sich erst noch zeigen müssen, aber das lag nicht in meiner Macht und interessierte mich im Moment auch nicht im Geringsten. Vielmehr wollte ich wissen, wie es überhaupt dazu kommen konnte.
Ich drehte mich herum und betrachtete das Hologramm eines Bildschirms, das auf Augenhöhe schwebte und nur darauf wartete, dass ich die vorbereitete Aufzeichnung startete. Es genügte dann auch nur ein kurzer Wink mit Zeige- und Mittelfinger, damit das Überwachungsvideo abspielte.
Ich sah jene Szene, an die ich mich selbst noch erinnerte. Ich hatte mit Elian geschimpft und ihm schließlich ein Armreif aus Bleasta verpasst, damit er kraftlos am Boden zurückblieb. Im Nachhinein betrachtet kein schöner Anblick. Was hatte ich mir dabei bloß gedacht?
“Du hast ihn mit deinen Kristallen bestraft?!”, schimpfte meine Liebste sogleich hinter mir, was nur allzu verständlich war. Das warf immerhin kein gutes Licht auf mich und wenn man bedachte, was davor noch passiert war – das konnte ich nicht entschuldigen.
“Ich war wütend ...” Ich senkte den Blick und starrte gedankenversunken ins Leere. Es hatte tatsächlich nicht mehr viel gefehlt und er wäre von meinen Klingen durchbohrt worden.
“Wütend? Du solltest auf ihn aufpassen! Was hast du davor überhaupt mit ihm gemacht? Sieh ihn dir doch mal an! Warum ist seine Kleidung zerschnitten? Und blutet er etwa?”
“Ich musste meine aufgebrachte Essenz beruhigen.” Ich atmete einmal tief durch. “Seine Verletzungen hat er sich selbst zuzuschreiben. Ich hatte ihn weggeschickt, aber er wollte ja nicht hören.”
“Er wollte sicherlich nur helfen, das tut er immer, aber du ... Du hast ihn geschwächt und dann auch noch hilflos am Boden zurückgelassen. Ich bin fassungslos! Und was ist das da mit Dezeria? Wieso hat sie von dir nichts Vernünftiges zum Anziehen bekommen? Musste sie etwa nackt herumlaufen?”
“Hm?” Ich sah zurück auf den Holo-Bildschirm. Dezeria kümmerte sich gerade um Elian und trug dabei nichts weiter als ein Bettlaken. Schöner Mist. Das sprach jetzt auch nicht unbedingt für mich. Vielleicht war es nicht unbedingt die beste Idee, die Aufzeichnung im Beisein meiner Liebsten zu sichten.
“Den Rest werde ich allein analysieren.” Ich stoppte kurzerhand die Aufnahme und drehte mich zu ihr. “Du wirst hierbleiben und Elian Gesellschaft leisten.”
“Oh, nein! Kommt gar nicht in Frage. Ich will das jetzt sehen. Das und auch alles, was davor passiert ist.” Ihr Blick erdolchte mich regelrecht und mit einer schnellen Handbewegung ließ sie das Video wieder abspielen. Ich knurrte wütend aufgrund dieser Ungehörigkeit, konnte aber sonst nichts dagegen unternehmen. Wie hätte ich ihr auch etwas verbieten können?
Genervt setzte ich mich in einen Sessel neben Elians Bett. Langsam aber sicher reizte mich die Situation nicht länger auf eine gute Art und Weise. Mir blieb natürlich jederzeit die Möglichkeit, die Puppe zu deaktivieren, um ihr so meinen Willen aufzuzwingen, aber würde das irgendetwas besser machen? Nein. Ihr Hass würde sich dadurch nur noch unangenehmer in meiner Seele brennen.
Alles war im Moment überaus beschissen und als Hendrickson nun auch noch auf der Bildfläche erschien, ebenfalls halbnackt, wusste ich, dass ich heute keinen neutralen Wert mehr bei meiner Liebsten erreichen konnte. Innerlich zählte ich bereits die Sekunden, bis ihr nächster Wutimpuls meinen Geist peinigte.
“Das du den immer noch hast!” Drei Sekunden. Gerade einmal drei Sekunden. “Das mit diesem verdammten Klon habe ich nicht vergessen und wollte ich ohnehin mit dir besprechen. Wie kannst du es wagen, so ein Ding von unserem Sohn anzufertigen UND ihm diesen auch noch zu zeigen?! Gekämpft haben die beiden!” Ich schnaufte abfällig und verschränkte die Arme vor der Brust. War ja klar, dass ich von einem Kampf der beiden jetzt erst erfuhr. Das hätte ich zu gerne gesehen.
“Also erstens, ist das kein Klon und zweitens, habe ich ihn nicht direkt zu Alexander geschickt. Er sollte nur im Transporter bleiben und warten, bis die Bots Dezeria aus dem Refugium holten, aber er kann ja genauso wenig hören, wie der Rest von euch.” Also mal ehrlich, wenn jeder exakt das tun würde, was ich vorgab, gäbe es diese ganzen Probleme nicht.
“Wie ... kein Klon? Wer ist das? Und wieso sieht er aus wie Reznick?” Ja, das war nun so eine Sache. Hatte ich Lust auf diese Diskussion? Nein. Aber eigentlich spielte es keine Rolle, ob sie es jetzt erfuhr oder irgendwann später. Der Zeitpunkt war genauso ungünstig wie jeder andere auch.
“Er ist ebenso unser Kind, wie Alexander es ist. Du hast beide am selben Tag geboren. Alexander ist dabei ein paar Minuten älter als Hendrickson. Die beiden sind Zwillinge, um genau zu sein.” Ich starrte auf das Hologramm, wo Dezeria, Elian und besagter Sohn durch die Gänge marschierten. “Sein voller Name lautet Re’Nya’Ca Hendrickson Weckmelan.” Wobei sie das vermutlich am wenigsten interessierte.
“Er ... ist auch mein Kind? Wie kann das sein? Wie geht das? Es gab doch nur Reznick ... Ich ... verstehe nicht.” Was nachvollziehbar war, aber eben auch ihre eigene Schuld, wenn man es genau nahm.
“Ganz einfach. Durch deinen verwirrten Zustand gleich nach den Geburten, hast du nicht mitbekommen, wie ich ihn dir weggenommen habe, aber es war unumgänglich. Hendrickson ist äußerst instabil, was sich in Form von körperlichen Defiziten zeigt. Ich musste ihn aufpäppeln und unter ständiger Beobachtung halten, weil sein Herz immer wieder aussetzte. Ich war mir anfangs nicht sicher, ob er es überhaupt schafft und als er dann endlich stark genug schien, damit ich ihn dir zeigen konnte ... Ja, was soll ich dazu noch großartig sagen. Du warst halt nicht da. Du hast den Moment meiner Abwesenheit genutzt, um mit Alexander abzuhauen.” Was mich auf so viele Ebenen verletzt hatte, dass es unmöglich in Worte zu fassen war. “Es versteht sich von selbst, dass ich nach deiner Flucht und dem anschließenden Desaster mit den Rea keine Lust hatte, dir von ihm zu erzählen. Auch danach ergab sich irgendwie keine Gelegenheit oder Vertrauen zwischen uns. Seither lebt er hier bei mir und ich kümmere mich regelmäßig um die Schäden an seinem Körper.” Mehr gab es da auch nicht zu erzählen. Vielleicht noch, dass Hendrickson nach ihr kam und beeindruckende Windfähigkeiten für einen Hybriden in sich trug, aber dafür war ein andermal auch noch Zeit. Meine Liebste würde schon mit den gegebenen Infos eine ganze Weile brauchen, um das zu verarbeiten. Oder sie verleugnete alles und warf mir wie üblich eine Täuschung vor. Dahingehend waren ihre Schwingungen gerade schwer zu deuten. Aber eigentlich konnte es mir auch egal sein, wie sie dazu stand. Es war nun mal so, wie es war und nicht anders.
Gleichgültig verfolgte ich das Treiben der kleinen Gruppe auf dem Holo-Bildschirm. Anscheinend hatte Elian sie zum Hangar führen sollen und sich sichtlich unwohl dabei gefühlt. Schließlich war er auch noch verwirrt, weil Tyschka den Weg blockierte. Armes Kerlchen. Seine nachfolgende Panik, weil ich das Schiff verlassen hatte, war dagegen nicht unbedingt schön anzusehen. Dass er immer noch diese massiven Verlustängste in sich trug, hatte ich nicht bedacht. Sein Anfall war also doch meine Schuld und das tat mir zwar nicht direkt leid, aber dann doch irgendwie. Vielleicht. Ein bisschen. Bei Dezeria und Hendrickson war es zum Glück besser gelaufen. Beide befanden sich aktuell jeweils in einem gesicherten Zimmer, wo sie keinen Unfug anstellen konnten. Dadurch gab es gleich zwei Sorgen weniger.
“Kann ich ihn ... sehen? Wirklich sehen?”, sprach meine Liebste mit leiser Stimme, wodurch ich überrascht den Kopf zu ihr drehte. Dass sie so schnell darüber nachgedacht hatte, war für ihre Verhältnisse ungewöhnlich.
“Nein. Nicht jetzt. Später gerne.” Sie war eindeutig nicht ganz da. Wie sie in mechanischen Bewegungen Elians Arm streichelte und auf seiner Bettkante saß, um ihm möglichst nahe zu sein – zweifellos steckte sie noch mitten in dem Verarbeitungsprozess. “Und auch nicht allein.” Da würde ich definitiv keine Kompromisse machen.
“In Ordnung ...” Als wenn ich das glauben würde. Sie verschloss ihre Emotionen – kapselte sich ein. Kein gutes Zeichen. Innerlich seufzend stand ich auf und beschloss, auch gleich das andere mit abzufertigen.
“Erinnerst du dich noch an meine Strafe für dich am Anfang des Oswelats? Scheinbar hat es dazu geführt, dass sich eine eigenständige KI aus dir und mir entwickelt hat. Sie nennt sich selbst Ikathe und befindet sich mit einer Puppenhülle in einem der Sicherheitstrakte. Ein drittes Kind, wenn du so willst.“ Und da ich ohnehin schon untendurch war, konnte ich auch gleich ein paar neue Regeln aufstellen.
“Sie hat im Sicherheitssystem der Tyschenka einiges kaputt gemacht, weswegen ich vorerst niemanden ohne Aufsicht im Schiff rumlaufen lasse.” Das holte sie prompt aus ihrer Trance.
“Du willst mich überwachen?” Oh, ja und wie!
“Richtig. Wenn ich gleich gehe, um Alexander in Empfang zu nehmen, wird einer meiner Bots hierbleiben.” Sie schnaubte abfällig.
“Kommt gar nicht in Frage. Ich werde dich begleiten!”
“Nein. Wirst du nicht. Du bist nur für eines gut und das sind Dummheiten, so leid es mir tut. Vorerst wird es auch keine Treffen mit den anderen für dich geben. Besonders nicht mit dem Wasserelementar.”
“Was?! Wieso?”
“Wieso wohl. Willst du, dass etwas passiert? Oder hast du bereits gewusst, dass der Kerl ein Astyl ist? Du hast doch genügend Erfahrungen bei den Augonen mit diesem Seelenfresserzeug gemacht, um zu wissen, wie gefährlich das ist. Zudem werde ich bei jedem einen Test anordnen, damit ich die Pole bestimmen kann.”
“Das erlaube ich nicht!”
“Das ist mir herzlich egal, Liebste, oder willst du mir sagen, dass dir in eurer kleinen Gruppe nichts aufgefallen ist? Alexander und der Wasserele haben sich sicherlich nicht vertragen, oder?” Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber unverrichteter Dinge wieder, was mir genügend Bestätigung gab. “Dacht ich’s mir doch. Da er mein Geneva ist, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Alexander ebenso feindselig auf ihn reagiert und umgekehrt. Es ist unverantwortlich, einen Haufen Elementare zu haben, ohne die Paare und Gegenpaare zu kennen. Mit Suciu und Elian sind wir nun neun, was ein großes Gefahrenpotential birgt.” Sogar zehn, wenn sich das mit der Eisseele bewahrheitet, aber das jetzt auch zu erwähnen, verkniff ich mir. Noch wusste ich immerhin nichts Konkretes.
“Hast du noch etwas einzuwenden oder verzichtest du freiwillig auf ein Blutbad?” Das zu fragen war eigentlich unnötig. Sie hatte den Blick abgewandt und kümmerte sich konzentriert um Elian. Da seine Muskelzuckungen vorüber waren, deckte sie ihn liebevoll zu und kraulte anschließend sein Köpfchen.
Ich seufzte. Dieses Ignorierspielchen konnte ich auf den Tod nicht leiden. Es war albern, aber überaus wirksam, um mich in den Wahnsinn zu treiben. Denn was sollte das? Niemand ignorierte mich! Aber gut. Von mir aus. Sollte sie ruhig, dann konnte ich mich endlich um den ganzen angefallenen Kram kümmern.
Ich schloss die Augen und startete die Duplizierung. Diese Fähigkeit fühlte sich immer ausgesprochen widerlich an, weshalb ich sie ungern anwendete. Sämtliches Gewebe zerriss, wurde gequetscht oder unendlich gedehnt. Durch und durch unangenehm und das bei jedem einzelnen Bot. Wie viele brauchte ich überhaupt?
Einen auf jeden Fall für meine Liebste und Elian. Dann wollte ich noch bei Suciu, Dezeria, Hendrickson und Ikathe vorbeischauen. Ebenso musste ich bei der Aufbereitungsanlage den Körper begutachten sowie beim Hauptrechner der Tyschenka nach dem Rechten sehen. Also sieben Stück und das bei meinem schlechten Zustand. Kritisch. Ich sollte lieber – ach scheiß drauf! Ich wollte alles so schnell wie möglich hinter mich bringen und es war ja auch nicht für lange.
Nachdem ich mich durch die Prozedur gequält hatte, steuerte ich schnellen Schrittes jedes Duplikat zu seinem Bestimmungsort, während ich mich selbst zum Esszimmer aufmachte. Es gab kein Wort mehr dafür, wie hungrig ich war und Alexander – ja, um den musste ich mich auch noch kümmern, aber erstmal essen!