“Hmm ... Uhww ... mhmeine Nhahse!” Elian rührte sich, was mich unglaublich erleichterte. Als dann allerdings das Licht zurückkehrte, durchfegte mein Innerstes ein dermaßen heftiger Schock, dass ich einen spitzen Schrei ausstieß. GOTT! Keinen Meter vor uns war eine riesige groteske Spinne aus Metall!
Instinktiv presste ich Elian an mich und versuchte krampfhaft, nicht gleich in Ohnmacht zu fallen. Aber es war schwer. Mein Herz donnerte wie verrückt. Mein Atmen ging nur stoßweise. Noch nie hatte ich solch ein Ungetüm gesehen und dann auch noch genau auf Augenhöhe!
Eine Waffe. Ja. Das war die Waffe, von der Leo gesprochen hatte und ich zweifelte keinen Moment, dass mich dieses schwarz-silberne Ungetüm grausam zurichten konnte. Allein schon die Enden der langen Beine wirkten wie Dolche. Elian schürte meine Angst noch zusätzlich, da er genauso entsetzt auf dieses Ding reagierte wie ich.
“Bhmitte sthuop! Bhitte deahktiviern! Ehms isht niuchts passieohrt!”, brachte er panisch hervor und richtete seinen Oberkörper umständlich auf. Was er aber mal besser gelassen hätte. Ein Schwall Blut schoss ihm sofort unkontrolliert aus der Nase und verteilte sich großflächig auf seinem hellen Pullover sowie dem edlen Teppich. Eilig zog ich die weiße Überwurfdecke vom Sofa und reichte es ihm, um die Blutung zu stoppen. Starkes Husten und unverständliche Gurgellaute folgten. Gott, hoffentlich erstickte er nicht.
“Bhmitte, khein Ahngriff!” Elian wankte bedrohlich, während er mit seiner freien Hand vor der Maschine herumwedelte. Etwas hilflos saß ich daneben. Er versuchte, mich offensichtlich vor dem Ding zu beschützen, aber ob das so sinnvoll war, wagte ich zu bezweifeln. Wenn die Waffe mich bestrafen sollte, würde sie das so oder so tun. Im schlimmsten Fall passierte ihm dadurch noch zusätzlich etwas und das wollte ich nicht.
“Elian, lass gut sein ...” Entschlossen griff ich nach seinem Arm – wollte ihn von diesem Gezappel abbringen. Mein Vorhaben endete allerdings in jenem Moment, als plötzlich die Zimmertür öffnete und niemand anderes als Leo hereintrat. Ich war mit einem Mal wie gelähmt. Er zeigte deutliche Verwunderung bei unserem Anblick. Dass sich Elian verletzt hatte, war ihm nicht bekannt gewesen. Aber konnte das stimmen? Er überwachte uns wirklich nicht?
Ich schluckte. Sein Ausdruck wurde mit einem Mal eiskalt und ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, was wir für ein groteskes Bild abgeben mussten. Beide zusammen auf dem Boden. Von der Waffe belagert, die Elian beschützen sollte – er wiederum fuchtelte panisch herum, während ich ihn festhielt. Und dann noch das ganze Blut. Es überraschte mich nicht, dass der Rea sofort alles fallen ließ und mit langen Schritten zu uns eilte. Gott, ich war sowas von tot.
“Lheo!”, bemerkte Elian nun auch endlich das Monster, aber im Gegensatz zu mir, beruhigte ihn dessen Anwesenheit. “Shnicht whies auhssieht ...” Er nahm das mittlerweile rot gewordene Laken aus seinem Gesicht, um ihm vermutlich seine Unversehrtheit zu zeigen, was aber keine gute Idee war. Das Blut sprudelte fröhlich aus seiner Nase. Schneller und stärker noch als das erste Mal.
“Halt den Mund.” Leo hockte sich vor ihm. Drehte den Kopf von Elian vorsichtig in alle Richtungen, ohne sich großartig um die wachsende Sauerei zu kümmern. “Ich weiß sehr genau, wonach das aussieht. Deine Nase ist gebrochen. Schon wieder. Ich werde dich diesmal heilen, auch wenn dir das nicht gefallen wird.”
“Wahas? Nhein!” Elian versuchte, von ihm abzurücken, aber das ließ Leo nicht zu. Das Monster griff in seine kurzen gelben Haare, zog ihn grob zu sich und presste ohne jedwedes Feingefühl die andere Hand auf seinen Mund. Der Anblick und die gurgelnden Geräusche dazu bereiteten mir eine Gänsehaut. Elian versuchte panisch, sich von der Hand zu befreien. Natürlich vergeblich. Das Monster hatte keine Probleme, ihn an Ort und Stelle zu halten. Beließ die Handfläche auf seinen Lippen und blickte ihn emotionslos an. O Gott! Wollte er ihn etwa ersticken?
“Hört auf! Er kriegt doch überhaupt keine Luft!” Entschlossen half ich Elian – zog ebenso an dem Arm des Monsters. Dass ich nichts ausrichten würde war mir bewusst, aber ich konnte einfach nicht tatenlos dabei zusehen. “Lasst ihn los!”
“Es dient lediglich der Erziehung”, sprach Leo kühl und grinste mich dann derart unheimlich an, dass sich mein Körper versteifte. “Er hat zu gehorchen, so wie du auch.” Ich schluckte und blickte besorgt in Elians Gesicht. Seine Haut wurde immer blasser. Tränen flossen genauso zahlreich wie das Blut aus seiner Nase.
“Das ist nur eins, und zwar grausam!” Meine Worte kümmerten ihn nicht. Er zuckte mit den Schultern und betrachtete danach gelangweilt Elian, der nun auch seine Gegenwehr aufgab. Allerdings nicht freiwillig. Er wurde schlicht und ergreifend ohnmächtig. Das Licht flackerte kurz, erlosch aber nicht wie das letzte Mal.
“Gott, jetzt lasst ihn endlich los!” Verzweifelt riss ich an seinem Arm und war überrascht, dass er es tatsächlich zuließ. Sofort zog ich den bewusstlosen Elian von ihm weg, lehnte ihn an meine Brust und öffnete seinen Mund, damit er atmen konnte. Gleichzeitig achtete ich darauf, dass er sich nicht an dem vielen Blut verschluckte. “Warum habt Ihr das gemacht? Ich dachte, ihr habt ihn gern?! Wie kann man nur so boshaft sein?”
“Wäre es nur gewesen, wenn ich ihn bei Bewusstsein gelassen hätte.” Das Monster erhob sich und blickte gleichgültig auf uns herab. “Er wird gleich wieder zu sich kommen, also verschon mich mit diesem Theater.” Ich runzelte die Stirn. Theater? Er war genervt von meinem Verhalten? Das konnte er unmöglich ernst meinen. Er hatte ihn fast erstickt! Und seine Verletzung schien ihn nicht einmal zu kümmern, während ich mich bemühte das Nasenbluten mit der Tagesdecke abzudrücken.
“Ihr seid nicht nur ein abscheuliches Monster, sondern–”
“Vorsicht. Ich habe aktuell keine Nerven dafür. Keine. Verstehst du? Reicht schon, dass er sich deinetwegen verletzt hat.” Er drehte den Kopf zur Metallspinne und richtete einen Arm darauf. Ein kleiner Blitz huschte aus seiner Hand und traf auf das Ungetüm. Umgehend setzte es sich in Bewegung – trippelte zurück zum Schrank.
“Meinetwegen? Ich habe nichts–”
“Ja, deinetwegen! Oder warum trägt er sein Bein nicht mehr? Er hat es sicherlich abgenommen, um dir – was? Zu zeigen, dass er keine Puppe ist? Ist doch immer dasselbe mit euch.” Er seufzte und sah mich an, als wäre ich ein Kleinkind, das etwas angestellt hatte. Es stimmte zwar, dass Elian für mich seine Prothese abgenommen hatte, aber das ergab doch gar keinen Sinn, ihn deswegen so zu behandeln. Ich verkniff mir jedoch weitere Worte. Es würde ohnehin nichts bringen. Da schenkte ich lieber Elian, der gerade erwachte, meine volle Aufmerksamkeit.
“Keine Angst, du bist ohnmächtig geworden ...”, flüsterte ich, als er sich langsam bewegte und warf zugleich einen prüfenden Blick unter das Laken. Zum Glück hatte die Blutung nachgelassen. Endlich.
“N-nimm ... es b-bitte raus!” Er schluchzte und dann weinte er plötzlich bitterlich in meinem Armen – warum verstand ich allerdings nicht.
“Rausnehmen? Was meinst du?” Da er verzweifelt hinauf zu Leo sah, kam mir jedoch ein schlimmer Gedanke. “Habt Ihr ihm etwas verabreicht?” Ich hatte nichts gesehen, aber was bedeutete das schon bei diesem Monster. Unmöglich war es bestimmt nicht für ihn gewesen. Sein diabolisches Grinsen verstärkte meine Vermutung, jedoch gab er keine Antwort. Drehte sich lediglich herum und ging ins Bad. Gott, wie ich ihn hasste.
“Shh, Elian, was ist denn? Hast du starke Schmerzen?” Ich versuchte, ihn zu beruhigen, aber das klappte nicht. Er schniefte ununterbrochen vor sich hin. Zitterte. Gott, was hatte er nur? “Komm schon, Elian, sprich mit mir. Sag mir, wie ich dir helfen kann. Bitte!”
“Du wirst gar nichts können.” Das Monster kehrte mit einem Handtuch zurück und hockte sich mit einer gefühlskalten Miene zu uns – griff mit einer Hand unter Elians Kinn. “Und ich werde erst aufhören, wenn du was daraus gelernt hast. Ich will Gehorsam von dir, hast du verstanden?” Trotz seiner harten Worte wischte er ihm verstörend sanft das Blut aus dem Gesicht.
“B-bitte ...”, wimmerte Elian lediglich abwesend und starrte ins Leere. Sein Zittern wurde zudem immer stärker. Er schien völlig neben sich zu sein, aber das interessierte Leon nicht. Er säuberte ganz gelassen seine Haut. Zu meiner eigenen Verwunderung sah die Nase jetzt vollkommen in Ordnung aus. Keine Schwellung oder Verfärbung blieb zurück. Höchst merkwürdig.
Schließlich gab das Monster ein missbilligendes Geräusch von sich und musterte Elian eindringlich. “Nie lernst du etwas daraus. Du verärgerst mich.” Er hob ihn hoch. Setzte ihn auf das Sofa hinter uns. “Das hört auf. Haben wir uns verstanden?” Er hielt eine Hand dicht vor sein Gesicht – berührte die Nasenspitze. Im ersten Moment befürchtete ich, dass er ihm wieder schaden wollte. Aber. Was dann passierte, hätte ich nicht im Traum vermutet.
Ich schluckte und eine dicke Gänsehaut überzog meinen Körper als ich beobachtete, wie etwas Schwarzes aus Elians Nase lief. Dieses unheimliche Blut floss zu Leos Fingerspitzen und wand sich wie ein eigenständiges Lebewesen darum. Umgehend schnitt er sich mit dem Mittelfinger tief in den Handballen und dieses Ding schlängelte sich durch die Öffnung in sein Fleisch. Die Wunde verschloss danach sofort. Gott, war sowas auch in mir gewesen? Oder schlimmer – immer noch?
“W-was war das?”, fragte ich verstört und rutsche etwas von den beiden ab. “Ist das auch in mir? Dieses Ding? Macht es raus!” Mein Herz raste. Die Vorstellung, wie sowas in mir herumkroch, war einfach nur widerlich.
“Schweig still.” Leo bedachte mich kurz mit einem genervten Blick, bevor er die Beinprothese aufhob und diese an Elian befestigte. “Ich werde dir keine deiner lästigen Fragen beantworten.” Er hielt inne. “Oder vielleicht doch. Mal sehen.” Er drehte den Kopf erneut zu mir und grinste teuflisch. “Ich habe sehr wahrscheinlich gleich größere Kapazitäten übrig, dann können wir gerne spielen.” Das verwirrte mich und befeuerte zusätzlich meine Angst, aber bevor ich was dazu sagen konnte, ergriff Elian das Wort:
“Du ... hast nur mit mir gespielt ...” Seine Stimme klang gebrochen und überhaupt sah er gar nicht gut aus. Sein Blick war trüb und einige Tränen bahnten sich immer noch ihren Weg über seine Wangen. Von seiner einstigen Heiterkeit war nichts übrig geblieben. Als wäre sein früheres Ich gestorben.
Leo seufzte, erhob sich und kramte in den Taschen seines Mantels. Er holte irgendwas Knisterndes hervor und warf es Elian anschließend in den Schoß. Ich blickte genauer hin und auch Elian neigte fragend den Kopf – nahm es zögerlich in seine Hände.
Ich stutzte. Was war das? Rot glitzerndes – Papier? Ähnlich einer Kugel und dann doch wieder nicht. Es hatte einen runden Körper und je zwei flache Seiten. Vielleicht Rea-Technik? Ich hatte ehrlich keine Ahnung, aber in Elians Augen kehrte schlagartig ein freudiges Funkeln. Das Zittern verschwand gänzlich und auch die Angst löste sich – machte einem liebevollen Lächeln Platz. Warum blieb mir allerdings ein Rätsel. Was konnte daran schon so toll sein, dass man all das Grauen vergessen konnte?
【♤】Leopolds Sicht【♤】
Elian reagierte so wie immer, wenn ich ihm Schokopralinen gab. Er freute sich riesig darüber. Diese Regel war unglaublich dämlich und hätte sie nicht meine Liebste aufgestellt, würde es diesen Quatsch auch nicht geben. Aber. Na ja. Was tat ich nicht alles, um ihr zu gefallen. Trotz alldem Unsinn, den sie bereits verbrochen hatte, liebte ich sie. War von ihr abhängig. Nach ihr süchtig. Ein Fluch durch und durch. Aber auch etwas, was ich unendlich genoss.
“Du entschuldigst dich.” Elian grinste bis über beide Ohren und drückte die Süßigkeit an seine Brust. Ich hasste das. Hasste, dass er aus dieser Situation nichts lernte und sich auch bei den anderen später genauso unvernünftig verhalten würde. Er schloss viel zu schnell Vertrauen und öffnete damit jedem eine Möglichkeit, ihn zu manipulieren. Dezeria war da das beste Beispiel. Sie hatte ihm irgendetwas versprochen und sofort jedwede Vorsicht verdrängt. Ein Versprechen. Belanglose Worte, die kein Gewicht hatten und in der Bedeutungslosigkeit verschwanden. Trotzdem hing er sehr daran. Mag sein, dass meine Liebste ihn mit ihrer Sanftmütigkeit aus seinem Trauma befreit hatte. Dennoch. Das war etwas, was ich wohl nie verstehen würde. Gesagtes hatte keinen Wert. Ein weich gewebtes Konstrukt, welches nicht hielt oder sich nach belieben verbiegen ließ. Das hatte ich sehr früh gelernt.
“Danke”, säuselte Elian glücklich und wickelte das Papier ab. Er biss in die Schokoladenkugel und weil ich schon wusste, was passieren würde, blickte ich prüfend zu Dezeria. Sie zuckte kurz zusammen als er genüsslich aufquietschte und sah danach noch verwirrter aus. Genauso, wie ich es mir gedacht hatte. Das war alles überaus langweilig. Vorhersehbar.
“Hier. Probier’ mal. Es ist köstlich!” Sie zögerte. Das taten sie alle, aber letztlich konnte keiner diesem fröhlichen Kerlchen widerstehen. Seine Fähigkeit lag in der Zerstreuung von negativen Empfindungen und Verstärkung von positiven Gefühlen. Er mochte es nicht mehr wirklich beherrschen, aber es steckte noch in ihm. Ich war dagegen zum Glück immun. Solch eine Verschleierung von meinem Geist würde mir nur Probleme bereiten. Ich empfand für niemanden Sympathie – außer meiner Liebsten und das war auch gut so.
“Was ist das?” Dezerias Misstrauen hielt länger als vermutet und da Elian keine Ahnung hatte, was Schokolade genau war, sah er mich hilfesuchend an. Wie lästig. Am liebsten hätte ich die beiden jetzt in eine Stasekapsel gesperrt. Die einfachste Art, sämtliche dummen Konversationen aus dem Weg zu gehen und gleichzeitig alle Risikofaktoren zu beseitigen. Aber nein. Dies hatte meine Liebste verboten. Eine Eigensinnigkeit von vielen, die ich ihr zugestand. Ob das nun Sinn machte oder nicht.
“Was zu essen”, erwiderte ich kühl und verschränkte die Arme vor der Brust. “Und es ist allein für Elian.” Eine Entschuldigung für die unangenehme Behandlung durch mein Blut, aber das hatte sie nicht zu interessieren. Sie brauchte nichts wissen. Musste nur gehorchen. Ich hatte keine Lust auf noch so eine unkalkulierbare Person in meiner Nähe. Wenn erst herauskam, dass sie eigentlich unter dem Schutz meiner Liebsten stand, würde das meinen Handlungsspielraum weiter einschränken.
“Ach jetzt sei nicht so.” Elian lächelte und hielt ihr weiter konsequent die Schokolade hin. “Bitte versuch nur ein kleines Stück, ja? Bitte, bitte! Es ist wirklich lecker. Du hast bestimmt noch nie so etwas gegessen. Vertrau mir.” Innerlich wetzte ich meine Krallen. Den beiden bei diesem Spielchen beizuwohnen war überhaupt nicht meins. Vertrauen auch nur eins dieser schmückenden Worte, die zwar gerne benutzt wurden, aber falscher nicht sein konnten. Warum tat ich mir das hier überhaupt an? Ach ja. Weil gerade nichts so lief, wie es sollte.
Innerlich seufzend warf ich einen Blick durch die Augen meiner Kopie, die sich noch vor der Konsole des Hauptrechners befand. Auf einer Vielzahl von Monitoren ratterte der Quellcode von Tyschka rauf und runter. Sie schien nicht mehr korrumpiert, aber die Überprüfung sämtlicher Puppen und anderen Robotern auf dem Schiff würde weitere Zeit in Anspruch nehmen. Ich bezweifelte zwar, dass sich noch eine fremde KI bei mir eingenistet hatte, aber darauf wollte ich mich nicht verlassen. Allein die Tatsache, dass es überhaupt eine geschafft hatte, war schon verrückt. Bevor ich meine Liebste holen konnte, musste alles einhundertprozentig unter meiner Kontrolle stehen. Alles.
Mein Bewusstsein schwenkte zu einer weiteren Kopie, die vor einer Wand aus dickstem Sicherheitsglas stand. Ich blickte in einen kahlen Raum. Betrachtete sorgfältig eine Maugeri in Form eines kleinen Mädchens, die dort drinnen eingesperrt war. Ein gutes Gefängnis für die fremdartige KI, die sich selbst Ikathe nannte und in meinem System unerlaubt herumgefuhrwerkt hatte. Noch immer war ich mir unschlüssig, ob ich sie am Leben lassen oder besser zerstören sollte. Sie war aus einem Fehler meiner Liebsten entstanden, denn ich selbst provoziert hatte.
Es war eigentlich nur als Bestrafung gedacht, aber das daraus ein drittes Kind entstehen würde. Eine interessante Wendung. Definitiv. Wenn auch ein äußerst unpassender Zeitpunkt. Wegen ihr musste ich nun jede mechanische Einheit an Bord persönlich kontrollieren und das war nur eines – lästig. Allein hier zu stehen. Eine eigene Kopie nur für ihre Überwachung abzustellen, verbrauchte unnötige Kapazitäten meinerseits. Von der grässlichen Verzögerung, meine Liebste endlich holen zu können, ganz zu schweigen.
Plötzlich vernahm ich ein leises Knacken. Ich wandte den Kopf zur Seite und sah, wie sich hauchfeine Ranken durch die Wände bohrten. Suciu. Das war Sucius Werk. Aber warum? Warum durchzog sie das Schiff mit ihren Pflanzen? Das konnte ich jetzt nicht auch noch gebrauchen.
Ich blinzelte und landete sichtlich verärgert in meinem echten Körper. Elian hatte es aufgegeben Dezeria zu überzeugen und aß das verbliebene Stücken selbst. Anschließend leckte er sich verträumt die schokoladenverschmierten Finger.
“Du solltest dich doch bei Suciu melden! Warum hast du das nicht gemacht?” Die Frage hätte ich neutraler stellen können, aber dazu fehlte mir schlichtweg die Lust. Er sollte deutlich spüren, dass ich wütend über sein Verhalten und diesem andauernden Ungehorsam war. Jeden anderen hätte ich zur Strafe längst in seine Einzelteile zerlegt.
“A-aber, das habe ich!” Verwirrt riss er die Augen auf. Furcht und Sorge las ich darinnen. Endlich mal eine angemessene Reaktion, auch wenn diese vermutlich nur von der Sache mit meinem Blut herrührte. Es war amüsant, dass er vor dieser Behandlung ernsthaft Panik hatte. Dabei setze ich es bei ihm lediglich zur Heilung ein. Keine Folter. Keine Spielereien. Rein zu seinem Wohlbefinden. Dass sein schwacher Körper meine Essenz abstieß und darauf negativ reagierte, war höchstens ein unerwünschter Nebeneffekt und nicht der Rede wert. Hauptsache es wirkte.
“Ich habe sie angerufen, ganz so, wie du es gewollt hast!” Sein Blick huschte über den Tisch und danach musterte er die blutverschmierte Unordnung. “Dieses Technikding lag auf dem Tisch! Es ist sicherlich runtergefallen ...” Er wollte aufstehen, aber ich versperrte ihm den Weg.
“Ach. Angerufen hast du. Natürlich. Und warum wuchert sie mir gerade den ganzen Trakt voll, hm?” Die Finger meiner rechten Hand wurden schwarz und verformten sich zu scharfen Sicheln. Spielerisch ließ ich diese vor ihm durch die Luft gleiten. Ja. Davor sollte er sich fürchten. Bei meiner Kraft würde selbst die leichteste Berührung ausreichen, um ihn in winzige Stücke zu filetieren.
“Jetzt hört auf, ihm wieder Angst zu machen. Ihr habt ihn doch geheilt mit–” Ich starrte sofort Dezeria nieder, die immer noch auf dem Boden saß. Ihre Position machte es mir umso leichter, den unterschiedlichen Stellenwert zwischen uns zu verdeutlichen. Mit einem zufriedenen Grinsen beobachtete ich, wie sie um ihre nächsten Worte rang. Mehrfach schwer schluckte. Sie einzuschüchtern war leicht und das gefiel mir außerordentlich gut. Ich stand an der Spitze jeder Hierarchie und das sollte sie endlich begreifen.
“... Magie oder Rea-Technik. Es ist offensichtlich, dass Ihr ihm nichts antun wollt. Euer Verhalten ist widersprüchlich. Zumal er wirklich diese Mädchen oder die Frau ... mit dieser schwarzen Tafel ... Keine Ahnung. Er hat jedenfalls etwas gemacht gehabt.” Ja. Und da war es wieder. Trotz. Es lag in ihren weißen Augen. Sie kaufte mir mein Spiel nicht ab und stellte sich gegen mich, obwohl sie noch nicht einmal mit meiner Liebsten gesprochen hatte. Gefährlich. Das konnte ich so nicht stehen lassen.
“Soll ich dir denn statt seiner etwas antun?” Ich lächelte diabolisch, was ihren verunsichert Blick kurz zu Elian gleiten ließ. Der wiederum grinste treudoof und tat dann etwas, was ich ihm schon tausendmal verboten hatte. Er lehnte sich vor und umarmte mich. Schon wieder. Mein Körper versteifte – reagierte immer auf diese Weise, wenn mich jemand unerlaubt derart vertraut anfasste.
“Lass das!” Zur Untermalung meiner Missbilligung entwich mir ein Knurren, während ich seine kleine Gestalt schnell von mir abzupfte und einen Schritt nach hinten machte. Elian zeigte sich sichtlich unbeeindruckt. Vergessen war die Behandlung mit meinem Blut. Zurück war seine typische Frohnatur, der ich nichts mehr befehlen konnte. Na fabelhaft.
Plötzlich meldete sich auch noch meine Kopie aus den G-Trakten wieder. Bilder von riesigen Ranken fluteten meinen Verstand. Länger konnte ich sowas Suciu nicht durchgehen lassen. Nachher zerlegte sie noch das gesamte Schiff und ich hatte bereits genügend Baustellen hier. Aktuell war definitiv der Wurm drin. Eigentlich sollten mich diese ganzen unvorhersehbaren Ereignisse erheitern. Taten sie aber nicht. Nicht, wenn sich dadurch die Ankunft meiner Liebsten verzögerte. Das nervte. Ich wollte sie bei mir haben. Nicht in ein paar Stunden. Nicht irgendwann – sondern jetzt!
Ich seufzte und blickte Elian ernst an. “Ab auf dein Zimmer! Ich will nicht, dass Suciu noch mehr beschädigt, wenn sie dich sucht! Ihre Pflanzen tummeln sich in den Wänden des Schiffes. Tu was dagegen oder ich werde es.”
“Sie sucht mich ... und das soll sie nicht. Bin schon unterwegs”, säuselte Elian verträumt und sprang regelrecht vom Sofa. Vergessen war Dezeria und ihr besorgter Blick, der auf ihm lastete. Ja. Gegen Suciu konnte sie nicht bestehen. Sie war ihm wichtiger als alles andere.
“Eins noch.” Ich griff nach seinem Arm, als er an mir vorbeihechten wollte. “Ihr bleibt auf dem Zimmer und verhaltet euch ruhig. Ich schicke euch Speisen, sobald die ersten Bediensteten wieder funktionstüchtig sind.” Um ganz sicherzugehen, dass er sich auch daran hielt, holte ich noch eine Handvoll Pralinen aus meinem Mantel. “Hast du das verstanden?”
“Ja!” Freudig nahm er meine Bestechung entgegen und einmal mehr verfluchte ich den Umstand, dass Schokolade bei ihm besser funktionierte als irgendwelche Machtdemonstrationen. Ich hasste das.
“Aaaber was ist mit Dezeria?” Er hielt plötzlich im Türrahmen inne und drehte sich zu uns herum. Offensichtlich hatte er sie doch noch nicht vergessen. Zu schade.
“Was soll mit ihr sein? Sie bleibt vorerst bei mir.” Mein emotionsloser Blick schweifte zu ihr. Sofort kam Bewegung in ihren Körper. Sie stand auf und schritt zu Elian. Ja. Der Gedanke, mit mir gleich allein sein zu müssen, zeigte definitiv seine Wirkung.
“Ich will nicht bei ihm bleiben! Kann ich nicht mitkommen? Mit in dein Zimmer?”, fragte sie flehend, während ich lauthals darüber lachen musste.
“Ja, Elian, wie entscheidest du dich? Nimmst du die Frau aus Eis mit zu deiner empfindlichen Blume?” Eigentlich hatte ich für diesen Quatsch absolut keine Zeit, aber es machte unglaublich viel Spaß, dieses Drama mitzuverfolgen. Wie sein Unbehagen stieg, weil er einerseits Suciu nicht gefährden und andererseits Dezeria nicht ängstlich zurücklassen wollte. Armes Kerlchen.
“Es tut mir leid, Dezeria, aber du bist instabil.” Nervös trippelte er von einem Fuß auf den anderen. “Leo tut dir schon nichts, oder?” Seine großen Augen fixierten mich.
“Natürlich nicht.” Das war lästigerweise sogar die Wahrheit.
“Versprich es mir.” Wie vorhersehbar und langweilig. Er sollte längst begriffen haben, dass mir nichts daran lag. Aber was soll’s.
“Ja, ist versprochen. Und jetzt verschwinde. Suciu wartet.” Er nickte eifrig und huschte hinaus in den Flur, ohne noch einmal zurückzublicken.
“Hey, Moment! Elian warte!” Dezeria wollte ihm hinterher, jedoch war ich schneller. Ohne Mühe packte ich ihren Arm und zog sie zu mir. “Ahhh!”
“Du bleibst schön bei mir. Ich will noch etwas Wichtiges mit dir testen.” Gesagt getan. Mit meinen Krallen schnitt ich mir eine tiefe Wunde in die linke Handfläche und drückte diese auf ihren Mund. Sie verstand sofort, was ich vorhatte, und presste die Lippen aufeinander. Äußerst amüsant.
“Du wirst es trinken. Ob du nun willst oder nicht.” Emotionslos wartete ich ab, während sie immer stärker versuchte, von mir loszukommen. Sogar nach mir schlug. Aber. Was konnte ihre kümmerliche Kraft schon gegen mich ausrichten? Richtig. Rein gar nichts. Vor mir gab es kein entkommen.
“Niedlich, aber ich bestimme hier. Es ist nicht wirklich relevant, ob du mein Blut so schluckst. Immerhin gibt es noch andere Wege in deinen Körper, wenn du verstehst, was ich meine ... Könnte jetzt vermutlich unangenehm werden.” Ich lenkte die schwarze Flüssigkeit geschwind zwischen meine Finger hindurch, in ihre Nase und anschließend die Speiseröhre hinab. Entsetzt von diesem Gefühl und der mangelnden Möglichkeit zu atmen, riss sie panisch die Augen sowie den Mund auf. Perfekt.
“Na geht doch.” Ihr kleiner Kampf endete abrupt. Mein Blut übernahm die Kontrolle über ihren Organismus. Schlaff wie eine Puppe sackte sie zusammen, aber noch, bevor ihr Körper auf dem Boden landen konnte, hob ich sie hoch. Bettete sie behutsam an meine Brust.
“Hm ...” Nachdenklich betrachtete ich ihre betäubte Gestalt. Ich spürte bereits deutlich, wie mein Einfluss wieder schwindete. Sowas sollte jedoch ohne mein Zutun unmöglich sein. Eigenartig. Mir gefiel das nicht. War das etwa ihre Fähigkeit? Eine Art Immunität gegen mich oder schlimmer – etwas mit Absorption? Das konnte ich nicht gebrauchen. Sie war schon jetzt sehr besonders – zu wichtig.
Angesäuert verließ ich das Zimmer mit ihr und lief eilig den Flur entlang. Ich wollte nicht, dass diese Frau einen derart hohen Stellenwert in meinem Leben bekam. Hasste es. Aber ich konnte auch nicht wirklich etwas dagegen tun. Noch fehlten mir zwar die finalen Testergebnisse, aber ihre DNA zeigte bereits in den ersten Durchläufen eine unglaubliche Resonanz. Dezeria könnte der ersehnte Schlüssel sein, um meine Liebste aus ihrer Unvollkommenheit zu befreien. Sie endgültig daran hindern, mich irgendwann zu verlassen. Sie zwingen, auf ewig die Meine zu sein. Ja. Ganz die Meine.