Wiehernd galoppiert das Pferd los und wie ein Wirbelwind ist der Zauberer fort.
Vögel kreischen im Geäst über euch, und im Unterholz hörst du Tiere rascheln.
Frodo blickt sich gehetzt um, bis Sam an seine Seite tritt und ihn mit einem ruhigen Blick ermutigt.
Ihr schafft eure Rucksäcke und geht los. Dich ergreift ein mulmiges Gefühl, wie vermutlich auch die Hobbits. Gandalf ist fort, von nun an seid ihr auf euch allein gestellt. Deine Zweifel an diesem Abenteuer werden immer größer. Du versuchst, dir vor Augen zu führen, dass auch Frodo und Sam nicht gerade Soldaten sind. Sie sind ebenso unvorbereitet wie du, mit dem Unterschied, dass du weißt, was auf euch zukommt. Frodo glaubt ja, dass er nur bis Bree gelangen muss, das zwar unangenehm weit entfernt ist, aber längst nicht so unvorstellbar fern wie Rohan, Minas Tirith oder Mordor!
Doch dein Wissen ist mehr ein Fluch als Segen.
Frodo setzt sich an die Spitze eurer kleinen Gruppe. Alles Widerstreben gegenüber dieser Reise hat er abgelegt. Obwohl die Hobbits dir knapp bis zur Hüfte gehen, musst du dich anstrengen, um mit ihnen Schritt zu halten. Unermüdlich geht es über grüne Wiesen, an den Rändern großer Felder vorbei. Du siehst kleine, geduckte Bauernhäuschen zwischen Buschwerk und Hügelfalten, weit abseits von den großen Dörfern. Gewaltige Kiefern auf den Hügelkuppen trennen die Täler von den umliegenden ab, wie eine dunkelgrüne Wand. Nur selten seht ihr fernen Rauch aus Kaminen oder einen mähenden Bauern, denn ihr haltet euch an zerklüftete Schluchten mit rauschenden, kleinen Wasserfällen, großen Findlingen und verschlungenen Pfaden. Auf großen Trittsteinen überquert ihr fließende Waldbäche.
Schließlich gelangt ihr auf eine blühende Bergwiese voller kleiner Blüten. Am Horizont erblickst du ferne Berge. Ob das die Nebenberge sind? Von dort trennen euch noch einige Bergkuppen mit dunklen Tannen darauf. Du bist dir nicht sicher, ob nicht auf die Berge baumbestanden sind, und somit ein waldiger Teil des Auenlands. Unsicher rechnest du nach. Die Nebelberge liegen noch hinter Bruchtal, und bis Bruchtal waren es … zehn Tage, von der Wetterspitze aus? Und dazu kommt die Reise durch die Moore, und der Weg nach Bree – nein, die Nebelberge können das nicht sein. Langsam wird dir bewusst, wie weit diese Reise werden wird. Schon jetzt tun dir die Füße weh, dabei seid ihr maximal zwei Stunden unterwegs.
Schließlich erkennst du ein Feld voller goldenem Weizen mit einer einzelnen Vogelscheuche wieder, eingefasst von grünen Hecken gegen das offene, grüne Land ringsum.
Du atmest leise auf, als Sam stehenbleibt. Genau dort, wo der Weizen endet und das Maisfeld beginnt. Endlich, eine Pause – und du kannst etwas Atem schöpfen.
„Es ist soweit.“
Frodo bemerkt, dass sein Gärtner ihm nicht folgt. Er dreht sich um. „Was ist soweit?“
„Wenn ich noch einen Schritt mache, bin ich so weit von Zuhause fort wie noch nie zuvor.“
Ob er die Schritte gezählt hat? Das fragst du dich jedes Mal.
Frodo geht zurück. „Los komm, Sam.“
Sam atmet tief durch. Du ebenfalls. Dann tretet ihr fast gleichzeitig vor. Frodo klopft Sam ermutigend auf die Schulter, ehe er dir zulächelt.
‚Los komm‘, hat er gesagt. Kein Wort des Trostes. Kein Hinweis darauf, wie weit die Reise womöglich wird. Ob Sam auch nur eine Vorstellung davon hat, wo Frodo hingehen wird? Selbst Bree ist weit weg für zwei kleine Hobbits.
Doch auch für dich beginnt eine Reise, deren Ende du nicht absehen kannst. Der Weg führt dich zwar in ein Land, das du kennst, aber du weißt trotzdem nicht, ob du den Gefahren gewachsen bist. Genau wie Frodo und Sam gehst du ins Ungewisse. Und Frodos Worte machen dir klar, dass er ebenso viel Angst hat wie du, weil er ahnt, in welcher Gefahr ihr alle schwebt. Es gibt keinen Trost und keinen Mut, den ihr finden könnt. Ihr müsst weitergehen, den Ring fortbringen, weil es getan werden muss, weil niemand sonst es tun kann.
„Weißt du noch, was Bilbo immer gesagt hat?“, fragt Frodo. „Es ist eine gefährliche Sache, …“
…, Frodo, aus deiner Haustür hinauszugehen. Du kannst Bilbo förmlich hören, so tief hat sich der Satz in dein Gedächtnis gegraben. Du schließt die Augen und atmest tief durch. Du betrittst die Straße, und wenn du nicht auf deine Füße aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen.
Doch plötzlich verändert sich Bilbos Stimme und du hörst:
- „Wartet! Wartet! Ich komme mit!“ Teil 60:
[https://belletristica.com/de/chapters/169286/edit]
- Hast du es geschafft, Bilbo zur Teilnahme an der Expedition zu überreden, hörst du stattdessen: „Haaalt! Halt! Wir müssen umkehren!“ Teil 65: