Du folgst der Stadtmauer von Bree und schlägst dich schließlich in das Gebüsch zwischen Stadt und Straße. Selbst im dichten Blätterwerk bist du nicht vor dem Regen geschützt, der längst alles von den Kronen bis zu den Wurzeln durchtränkt hat. Wütend stampfst du durch das Unterholz, auf der Suche nach einem halbwegs trockenen Plätzchen, doch schließlich gibst du auf. Du bist so weit von der Straße weg, dass du ihre schwachen Lichter kaum noch sehen kannst, und einen guten Unterschlupf wirst du vermutlich nicht finden. Also lässt du dich, wo du bist, auf den schlammigen Boden sinken.
Mit dem Rücken lehnst du dich an einen Stamm, über dessen Rinde Wasser läuft. Du fröstelst. Ob das daran liegt, dass dein Volk eher heiße, trockene Gebiete gewohnt ist? Vermutlich ist es aber wirklich kalt und jeder würde hier draußen frieren.
Du verbringst etwas Zeit damit, dich einzurichten, indem du versuchst, deinen Umhang als Zelt über dich zu spannen. Der Stoff hält den Regen allerdings nicht ab, die Tropfen, die dich darunter treffen, sind zwar seltener, dafür größer.
Die Nacht kriecht immer weiter. Du versuchst, ein wenig zu schlafen, aber das ist bei dem Regen kaum möglich. Frierend verfluchst du dien vergangenes Ich für die unglückliche Charakterwahl. Was dir jetzt alles in Bree entgeht! Das erste Treffen mit Streicher und der Angriff der Nazgûl sind dir dabei nicht so wichtig wie gutes Essen, ein warmer Kamin und ein weiches Bett. Ja, das Ende der Nacht wird nicht so angenehm, aber du würdest es gerade liebend gerne mit den Neun aufnehmen, wenn du dafür an einem heißen Kamin sitzen dürftest.
Entsprechend überrascht bist du, als du mit einem Mal Stimmen in der Nähe hörst.
Du erstarrst. Es sind mehrere Männerstimmen, alle viel tiefer als die Stimmen der Hobbits. Und so, wie sie durch das Unterholz trampeln, auch definitiv nicht vom Kleinen Volk.
„Diese Kerle warten sicher nicht. Unheimliche Leute … Selbst ihre Pferde wirken böse. Und sie sind so finster …“
„Ich kenn den Wald hier“, brummt einer. „Wir sind gleich einmal rum. Kennst du jetzt einen Eingang oder nicht?“
„Das Loch muss hier irgendwo sein“, antwortet ein zweiter.
„Bis wir das gefunden haben, ist der Waldläufer wieder wach.“
Du sitzt regungslos unter deinem Mantel, als du mehrere Gestalten in der Nacht erkennst. Es ist eine Gruppe von vielleicht zehn Männern. Einer hackt mit einem Schwert oder eine Machete den Weg frei. Dabei kämen sie problemlos durch, ohne Pflanzen zu schaden; also bedeutet das wohl, dass die Männer zu den Bösen zählen. Weiter hinten siehst du zwei, die einen bewusstlosen Mann zwischen sich tragen.
Einer der Männer schleppt das Gepäck des Waldläufers, Pfeil und Bogen und ein Schwert, Dolche, Taschen. Während ihre Kleidung abgenutzt und bäuerlich ist, trägt der Bewusstlose heruntergekommene Lumpen. Das dunkle Haar fällt ihm ins Gesicht, doch du erkennst ihn trotzdem.
Aragorn!
Wie haben es diese Leute geschafft, Streicher zu fangen? Und vor allem, was machen sie da? Das gehört eindeutig nicht ins Buch!
„Da“, ruft der vorderste Mann jetzt erleichtert. „Los, rein da! Lutz schlägt uns noch die Köpfe ein.“
Noch immer regungslos – und glücklicherweise unbemerkt – siehst du zu, wie die Männer Aragorn durch eine Lücke der Stadtmauer nach Bree tragen. Deine Gedanken rasen.
Warum verhält sich die Welt nicht so, wie du es aus dem Buch kennst? Wie geht es jetzt weiter – kann sich Aragorn befreien oder wird er Hilfe brauchen? Und vor allem: Wenn Aragorn hier und gefangen ist, wer rettet dann die Hobbits vor den Nazgûl?
Selbst nachdem die Männer längst weg sind, kannst du dich immer noch nicht rühren. Die ganze Welt steht auf der Kippe! Wenn kein Aragorn die Hobbits wagt, können die schwarzen Reiter sie überraschen und den Ring an sich nehmen. Und dann …
Du schrickst zusammen, als du plötzlich ein Rascheln neben dir hörst. Panisch tastest du nach deiner Waffe und suchst nach dem Angreifer.
„Ich bin es! Bitte erschlag mich nicht.“
Du atmest auf. „Merry!“
„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Gandalf war nicht im Gasthaus. Wir waren nicht ganz sicher, was wir jetzt tun sollen. Alles redet von dir, weil der Torwächter es überall rumerzählt. Und dann waren draußen noch … so Gestalten.“
„Gestalten?“, wiederholst du. Dass du das Stadtgespräch Nummer eins bist, gefällt dir gar nicht, aber das mit den Gestalten klingt noch ernster.
„Schwarze Reiter … glaube ich.“ Tatsächlich zittert Merry. „Sie waren auf der Straße, haben mit jemandem geredet. Was eigentlich nicht sein kann, denn wer hält es schon in der Nähe von denen aus?“
Es kann allerdings sehr wohl sein. Lutz ist mit ihnen verbündet. Vielleicht hatte Merry Glück und konnte eine Absprache zwischen ihnen beobachten …
„Aber ich habe dir ein bisschen Essen mitgebracht. Du bist ja nicht leicht zu finden – ist es wirklich in Ordnung, dass du hier draußen wartest? Vielleicht können wir mit Herrn Butterblume reden.“
Du nimmst das noch lauwarme Essen entgegen, aber dein Herz ist nicht bei der Sache. „Merry, wir haben ein Problem. Es gibt da diesen Kerl in Bree, Lutz Farning. Ich glaube, er arbeitet für Sauron.“
Merry sieht dich verwirrt an. „Dann halten wir uns von dem fern.“
„Aber sie haben Ara… haben einen Waldläufer gefangen genommen. Wir müssen ihm helfen.“
„Wieso?“ Der Hobbit ist noch verwirrter. „Wir sind vier Hobbits, was sollen wir schon ausrichten? Und was geht uns dieser Waldläufer an?“ Kopfschüttelnd sieht Merry dich an. „Vielleicht tut dir der Regen doch nicht gut.“
Das hast du ganz vergessen. Wie sollst du den Hobbits erklären, wie wichtig Streicher ist? Was sollst du überhaupt tun? Und was davon ist am wichtigsten? Vielleicht solltet ihr einfach fliehen, solange ihr noch könnt.
- Du überredest Merry, den Rest nach draußen zu bringen, damit alle in Sicherheit sind. Teil 140:
[https://belletristica.com/de/chapters/241749/edit]
- Du versuchst erst einmal, mehr über Lutz und dessen Pläne zu erfahren. Teil 133: