Widerstrebend entscheidest du dich, Merry sich selbst zu überlassen. Du weißt, dass er höchst wahrscheinlich die schwarzen Reiter sehen wird. Vielleicht muss das sogar geschehen, damit er Frodo, Sam und Pippin warnen kann. Immerhin gibt es hier weder Gandalf noch Streicher, die diese Aufgabe übernehmen können, und du könntest deine Vorsicht nicht angemessen begründen.
Nicht zuletzt wäre es vermutlich auch unklug, wenn du jetzt auch noch in die Wildnis davonstürmst. Mit etwas Pech verpasst du Merry knapp und dann muss jemand kommen, um dich zu suchen … Nein. Du würdest zwar gerne helfen, aber momentan ist es besser, wenn ihr zusammenbleibt.
Ihr zieht euch auf euer Zimmer zurück. Es ist ein niedriges Vierbettzimmer mit einem großen Fenster an einem Ende, so schlicht, wie du es aus dem Film kennst. Die Betten stehen mit dem Kopfende zur vertäfelten Wand. Allerdings gibt es einen kleinen Vorraum mit einem eigenen Kamin, Sesseln – und einem fünften Bett in deiner Größe. Butterblume muss es hergeschafft haben.
Es gibt trotzdem nur vier Sessel. Obwohl Merry fehlt, setzt du dich kurzerhand auf den weichen Teppich. Hier bist du auch viel näher am Kamin. Da deine Kleidung immer noch nass vom Regen ist, tut das gut.
Die Nacht schreitet voran, doch keiner macht Anstalten, ins Bett zu gehen. Nur Sam hat schon mal einen hübschen, hellen Schlafanzug angezogen und droht, im Sessel einzuschlafen.
Frodo starrt in die Flammen des Kamins und hat die Hand um sein Hemd verkrampft, vor der Brust, dort, wo der Ring hängt. Er scheint es gar nicht mitzubekommen, aber selbst Pippin wirft ihm besorgte Blicke zu.
Du hast den Hobbits ein wenig von Streicher erzählt, bist dabei aber sehr vage geblieben. Du hast erwähnt, dass er ein Freund von Gandalf wäre, der euch vielleicht weiterhelfen könnte, wenn der Zauberer nicht auftaucht. Das entspricht zwar nicht mehr der ursprünglichen Geschichte, aber du konntest deine Sorgen nicht mehr verbergen, weil Aragorn nicht auftaucht. Du kennst die Geschichten Tolkiens so gut – und jetzt ist alles aus den Fugen. Hoffentlich wird das nicht noch schlimmer, denn vor dir liegt noch viel Geschichte.
Es geht auf Mitternacht zu – die große Standuhr in der Ecke zeigt es dir an – als Schritte auf dem Gang vor dem Zimmer erklingen. Ihr haltet den Atem an. Die Schritte knarzen auf den Dielen.
Wer kann so spät noch unterwegs sein? Die Schritte halten vor der Zimmertür. Du tastest nach deiner Waffe, als der Unbekannte klopft. „Pippin? Sam?“
Erleichtert springt ihr auf. Es ist Merry.
Als Pippin den anderen Hobbit hereinführt, hast du sofort ein schlechtes Gewissen, dass du ihn nicht gesucht hast. Merry ist weiß wie die Bettlaken. Er zittert.
„Was ist denn passiert?“, fragt Pippin ihn besorgt, während er Merry zum Kamin dirigiert.
„Ich weiß es nicht … so ein Gefühl …“, murmelt Merry. Du siehst Schweißperlen auf seiner Stirn, dennoch rückt der Hobbit dicht ans Feuer, wo du ihm Platz machst. In seinem Blick liegt ein entsetzter Ausdruck. „Ich war auf der Straße, als ich eine Stimme hörte“, berichtet er. „So eine kalte, zischelnde Stimme.“
Du sagst kein Wort, doch du weißt, was Merry getroffen hat: Der schwarze Atem. Eine Aura der Furcht, die die schwarzen Reiter ausströmen.
Sie sind also hier, in Bree.
Du stehst auf und schüttelst deine Beine aus. „Merry, willst du einen Tee? Ich gucke, ob ich einen finde.“
Merry nickt dankbar. Du verlässt das Zimmer, um so leise wie möglich über die knarzenden Bodendielen zu schleichen.
Hier draußen ist es dunkel. Kein Kamin und keine Kerzen vertreiben das düstere Blau der Nacht, das in den Gängen nebelt. Du fröstelst. Liegt es nur daran, dass du gerade ein wohlig beheiztes Zimmer verlassen hast? Draußen hörst du es noch immer regnen. Als du in den Schankraum trittst, findest du noch einige Betrunkene vor. Sie beobachten dich, während du an die Bar trittst. Auch Butterblume ist noch wach.
„Könnte ich einen Kessel Tee haben?“, bittest du ihn.
Er lächelt erfreut. „Aber natürlich, kommt sofort. Ist sonst alles zu eurer Zufriedenheit? Können die Herrschaften nicht schlafen?“
„Die Herrschaften hatten nur viel zu besprechen“, antwortest du mit einem Lächeln. Von Merrys Verschwinden muss er ja nichts wissen.
Du wartest am Tresen, während Butterblume dir den Tee heiß macht. Dein Nacken kribbelt. Du hast dich schon länger nicht mehr so unwohl gefühlt. Bei jedem lauten Geräusch zuckst du zusammen, ohne es verhindern zu können.
Du rechnest damit, dass die schwarzen Reiter jederzeit auftauchen. Aber werden sie das überhaupt machen? Es gab keinen Vorfall mit Pippin, der Frodo gezwungen hätte, den Ring aufzuziehen. Folglich können die schwarzen Reiter gar nicht wissen, dass ihr hier seid.
Du nimmst den Teekessel entgegen, dankst Butterblume und kehrst zum Zimmer zurück. Auf den dunklen Gängen wird deine Sorge wieder größer. Wenn du es nur einschätzen könntest! Werden die schwarzen Reiter in dieser Nacht kommen oder nicht? Du weißt nicht, was du tun sollst. Zur Sicherheit in ein anderes Zimmer umzuziehen, wäre vermutlich die einfachste Wahl, aber dazu wirst du die Hobbits niemand überreden können. Als du in das Zimmer trittst, wächst deine Überzeugung, denn Sam ist inzwischen ins Bett gegangen.
Merrys Gesicht nimmt langsam eine gewöhnliche Farbe an, als er den Tee trinkt. Die Aufregung legt sich.
Du trinkst selbst eine Tasse und bist dir sicher, dass du langsam zu einer Entscheidung kommen musst. Willst du die Hobbits zu Wachsamkeit aufrufen oder ihnen diese ruhige Nacht lassen und alleine aufpassen?
- Die Hobbits warnen. Teil 131:
[https://belletristica.com/de/chapters/241736/edit]
- Alleine wachen. Teil 125: