Wieso solltest du dir diese Gelegenheit entgehen lassen? Das ist deine Chance, Gandalf höchstpersönlich zu treffen!
Du bleibst gut sichtbar mitten auf der Straße stehen und klopfst nur notdürftig deine Kleidung ab, die voller Erde ist. Es dauert nicht lange, bis zuerst ein braunes Zugpferd und dann ein wackeliger Holzkarren um die Biegung kommen.
Der Karren besitzt nur zwei große Räder und ist oben offen. Auf dem Kutschbock sitzt ein Mann in grauen Gewändern, mit einem langen, grauen Bart und einem großen, spitzen Hut. Er singt immer noch und das Pferd zieht den Karren ein ganzes Stück weiter, ehe der Zauberer an den Zügeln zieht und das Tier kurz vor dir zum Stehen bringt. Du hörst ihn leise grummeln, als er sich vorbeugt, um einen besseren Blick auf dich zu werfen.
„Nun … wer bist du?“
„Ich … ich komme aus Bree. Hab mich verlaufen“, stammelst du, weil dir einfach keine bessere Ausrede einfallen will.
Der Zauberer mustert dich von oben bis unten. „Und da lungerst du hier an der Grenze zum Auenland herum?“
Du zuckst etwas hilflos mit den Schultern. Obwohl du ihn aus den Filmen kennst, schüchtert Gandalf dich ein. Der Zauberer mustert dich streng und dir schießt immer wieder durch den Kopf, wie alt und mächtig er in Wahrheit ist.
Dann lehnt sich Gandalf plötzlich zurück und … schmunzelt?
„Du scheinst jedenfalls kein Spion zu sein“, sagt der Zauberer. „Ich bezweifle, dass die Hobbits sich sehr über dein Auftauchen freuen werde, aber im Auenland kann man dir wenigstens den richtigen Weg sagen. Und in ein paar Tagen ziehe ich selbst weiter nach Bree und könnte dich dort absetzen – die Straße ist ja nun doch etwas gefährlicher geworden in den letzten Jahren.“
Gandalf rückt auf dem Kutschbock etwas zur Seite und macht eine einladende Geste. Du kannst kaum fassen, dass du wenig später neben dem berühmten Zauberer Platz nimmst.
Er ruckt an den Zügeln und das Zugpferd setzt sich wieder in Bewegung. Der Karren ruckelt gemütlich hinterher.
„Wohin wolltest du denn wandern?“, fragt Gandalf und sieht dich wachsam an.
„Ich hatte kein bestimmtes Ziel.“ Du erwiderst den Blick des Zauberers furchtlos, den eine so große Lüge ist dein Bericht nicht einmal. „Ich wollte gerne sehen, was sich hinter der nächsten Biegung befindet. Ein paar neue Wege erkunden, einmal nicht das tun, was alle von mir erwarten.“ Du lachst nervös. „Ich hätte trotzdem wenigstens eine Karte mitnehmen sollen!“
„In der Tat.“ Der Zauberer lehnt sich zurück. Irgendwie sieht es so aus, als würde er aus deinem Bericht seine eigenen Schlüsse ziehen. Täuschst du dich, oder kommt er zu einem Ergebnis, das ihm gefällt? Funkelt da etwa Interesse in seinen Augen?
„Und was wollt Ihr im Auenland?“, fragst du Gandalf.
Der Zauberer kommentiert deinen höflichen Ton mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Du hast wohl schon von mir gehört?“
Du nickst, obwohl das etwas untertrieben ist. Aber näher kommst du der Wahrheit nicht, ohne vermutlich Gandalfs komplettes Weltbild auf den Kopf zu stellen.
„Ich besuche einen alten Freund“, erzählt Gandalf dir bereitwillig. „Bilbo Beutlin. Heute ist sein einhunderelfzigster Geburtstag.“
„Einhundertelf!“, wiederholst du erstaunt. Obwohl dich weniger die Zahl überrascht, als die Bestätigung, dass du dich am Anfang des ‚Herrn der Ringe‘ befindest. Heute Abend ist die Feier, dann bricht Bilbo zu den Elben auf und überlässt Frodo den Einen Ring …
„In der Tat, ein stattliches Alter.“ Gandalf klingt nachdenklich und versinkt offenbar in seinen Gedanken. Du verkneifst dir einen Kommentar in der Art von „Ja, als ob er seit Jahren heimlich einen magischen Ring verwahrt, der ihn nicht altern lässt“ und siehst nach vorne. Denn nun lichtet sich der Wald und erneut liegen die Behausungen der Hobbits vor dir im Sonnenschein.
Lies weiter bei Teil 29.