Du erstarrst, als Bilbos Stimme hinter dir ertönt. Die Zwerge murmeln irritiert und halten ihre Ponys an. Dein eigenes Pferd hält automatisch mit.
„Ich habe mein Taschentuch vergessen!“
So hart die Zwerge manchmal auch sind, diesmal ist ihre genervte Reaktion auf Bilbo durchaus angebracht. Es dauert zum Glück nicht lange, bis Gandalfs ruhige Stimme die Wogen glättet. Ansonsten wäre Bilbos größtes Abenteuer wohl deutlich rascher zu Ende gewesen – du bist dir nicht sicher, ob die Zwerge ihn nicht einfach zurückgeschickt hätten.
Ihr setzt euch wieder in Bewegung und Thorin fängt deinen Blick auf. „Du bist also mit diesem Halbling befreundet?“
„Ich, ähh …“ Du schluckst. Jetzt bist du nicht nur mit Bilbo ins Kreuzfeuer geraten, sondern auch in eine ziemlich unangenehme Situation. Was sollst du Thorin denn jetzt erzählen? Bei den vielen Zeitsprüngen weißt du selbst nicht so recht, mit wem du befreundet bist. Ob es die Geschichte zerstört, wenn du aus Versehen lügst? „Ich kenne ihn ganz gut, das stimmt.“
Thorin blickt an dir vorbei zum Hobbit und schüttelt den Kopf. „Na, hoffentlich bist du zu mehr zu gebrauchen als Meister Beutlin. Kannst du kämpfen?“
Kurz bist du versucht, ihm auch etwas von einer Rosskastanie zu erzählen. Einfach, um zu sehen, ob er dir dann an die Gurgel springt. Doch du zückst du die Waffe, die du aus Sams Haus mitgenommen hast. „Ich habe das hier.“
Thorin hebt die Augenbrauen überrascht und nickt. „Wenigstens etwas. Wir brauchen noch einen Späher. Reite voraus und erkunde unseren Weg.“
„Ich kenne mich hier aber nicht aus!“, sagst du rasch.
Das scheint Thorin weniger zu überraschen als deine Bewaffnung. Er schnaubt. „Du musst dich nicht auskennen. Bleib einfach in Sichtweite.“
Du nickst, nicht gewillt, ihm weiter zu widersprechen. Nach einem letzten Blick zurück zu Gandalf und Bilbo treibst du dein Pferd mit einem Schnalzen an und lässt die Gruppe hinter dir. Schon nach wenigen Schritten in dem herbstlich wirkenden Wald läuft dir ein Schauer über den Rücken. Unter den niedrigen Bäumen lauern zwielichtige Schatten. Du weißt, dass dich hier irgendwann Trolle erwarten. Und du erinnerst dich auch, dass zu dieser Zeit der Geschichte immer mehr Orks in diesem Landstrich umtriebig waren. Da möchtest du eigentlich ungern den Schutz der Gruppe verlassen, doch offenbar wollte Thorin dich loswerden.
Hoffentlich nur momentan und nicht für immer!
Nervös beugst du dich über den Hals deines Grauen und spähst unter dem Blätterdach in die Ferne. Keine Feinde zu sehen.
Der Weg zwischen den Bäumen ist gut zu erkennen. Du könntest in Sichtweite bleiben, wie Thorin gesagt hat, also im Grunde nur das Mindestmaß an Späherarbeit machen. Doch dein Nacken kribbelt bereits vom grimmigen Blick des Zwergenanführers. Wenn du ein Stück vorausreitest und einen guten Lagerplatz oder so findest, kannst du dir vielleicht den Respekt der Zwerge verdienen. Immerhin seid ihr noch im Auenland – da kann nicht viel passieren.
Du streichst durch die kurze Mähne deines Pferdes. Das Tier braucht auch noch einen Namen … am liebsten hättest du einen elbischen Namen, doch du kennst keine Vokabeln außer vielleicht ‚Mellon‘. Also brauchst du etwas anderes!
„Wolke Zwielicht“, murmelst du, als du aus irgendeinem Grund an Pippins Lied denken musst. Das hellgrau gesprenkelte Fell des Tieres erinnert wahrhaftig an eine düstere Regenwolke. Der Name erscheint dir passend. „Wollen wir es wagen, Zwielicht?“
Dein Pferd schnaubt, spielt mit den Ohren und versucht, ein Blatt von einem Strauch am Wegesrand zu fressen. Was auch immer diese Antwort bedeuten soll.
- Vorausreiten. Teil 67:
[https://belletristica.com/de/chapters/191543/edit]
- Bei den Zwergen bleiben. Teil 63: