Obwohl du ein großer Fremdling bist, legen die beiden Hobbits ihre Scheu dir gegenüber schnell ab. Du bist dir nicht sicher, ob das ihrem sorglosen Wesen geschuldet ist oder der Tatsache, dass du deutlich mehr Pilze schleppen kannst als beide zusammen.
Unter Merrys kundiger Führung findet ihr mehr als genug Speisepilze: Pfifferlinge und Champignons, sogar ein paar Trüffel und noch mehr Pilzsorten, die du nicht kennst. Die Hälfte der Namen könntest du nicht einmal aussprechen und du bist dir nicht sicher, ob ein Pilz wie der Wiesengelbröhrling in deiner Welt überhaupt existiert.
Die beiden Körbe, die Merry und Pippin dabeihatten, sind rasch gefüllt, doch da du das Gewicht von beiden kaum spürst, knüpft Pippin aus seinem Umhang kurzerhand einen provisorischen Sack, den ihr weiter füllt. Die schmerzenden Füße scheint der Hobbit übrigens über dem Sammelerfolg vergessen zu haben …
„Wie ist die Menschenwelt denn so?“, fragt Merry dich, als ihr am Mittag eine Pause macht. Der Mantelsack ist bereits zur Hälfe gefüllt und Merry hat die Vorräte angebrochen, die er in einer Tasche über der Schulter getragen hat. Jetzt sitzt ihr auf einem kleinen Stück Wildwiese an einem gemächlichen Bachlauf – vermutlich der gleiche Bach, neben dem du auch genächtigt hast – und verspeist Brot, Wurst und Käse, frisches Obst und Weintrauben, gefüllte Pasteten und verwässertes Bier. Und natürlich ein paar der gesammelten Pilze! Merry und Pippin haben ebenfalls ihre Pfeifen herausgeholt und du genießt den würzigen Duft, der daraus aufsteigt. Für einen Moment wünscht du dir selbst eine Pfeife und etwas Langkornblatt. Die Sonne scheint, der Bach, in den ihr eure Füße haltet, kühlt euch angenehm, die Vögel zwitschern im Wald ringsum. Es ist ein perfekter Ort.
„Die Menschenwelt ist vor allem hektischer und düsterer“, sagst du den Hobbits. „Eigentlich dreht sich alles nur darum, die Arbeit zu erledigen und niemandem auf die Füße zu treten. Ich bin ehrlich gesagt sehr froh, dass ich mich verlaufen habe.“
Das ist noch untertrieben. Du wünschst dir aus tiefstem Herzen, hier bleiben zu können. Im Auenland fühlst du dich, als würde die Zeit stillstehen. Alles ist friedlich, ursprünglich und geradezu magisch, von den sanft rauschenden Blättern der Bäume bis zu den Fischen, die sich furchtlos euren Zehen nähern. Das Essen ist köstlich, besonders die Pasteten mit einer Füllung aus Maronen, Birnen und Honig.
„Klingt wirklich nicht schön“, meint Pippin nachdenklich. „Habt ihr denn keine Freizeit?“
„Schon“, gestehst du. „Aber die ist entweder am Nachmittag und Abend nach der Arbeit, wenn man schon müde ist, oder an ein, zwei Tagen in der Woche, und die braucht man oft, um sich auf die nächsten Arbeitstage vorzubereiten.“ Du winkst ab. „Lasst uns das vergessen.“
Die beiden jungen Hobbits sind nur zu gern bereit, das Thema zu wechseln, und streiten sich bald lachend, wer die größeren Rauchringe formen kann. Nach dem Essen vertrödelt ihr fast eine Stunde am Bach und döst vor euch hin, bis Merry dich und Pippin zum Weitersammeln antreibt. Als schließlich auch Merrys Mantel voller Pilze ist, schlagt ihr den Rückweg ein. Merry und Pippin plappern fröhlich, aber du fällst etwas zurück, als erneut die Lichter von Hobbingen in Sicht kommen.
Diesmal ist das kleine Dorf festlich erleuchtet und schon von weitem siehst du das riesige Zelt und den aufwendig geschmückten Festplatz. Du siehst Fässer mit Bier, Kochzelte und riesige Tische, die unter der Last von Speisen ächzen. Lichterketten schmücken den Festbaum, an einer Stelle gibt es mehrere Bänke, auf denen winzige Hobbitkinder sitzen und einer Geschichte lauschen.
Dir stockt der Atem, als du den Erzähler erkennst, selbst aus der Entfernung und wo du eigentlich nur den Hinterkopf siehst.
Bilbo!
An einer anderen Stelle tanzen knisternde, bunte Funken um eine hochgewachsene Gestalt mit langem Mantel und spitzem Hut. Gandalf gibt offenbar eine Kostprobe des späteren Feuerwerks.
Du reckst den Hals auf der Suche nach Frodo und Sam, aber Merry und Pippin lenken dich ab. Sie haben das Treiben auf dem Festplatz ebenfalls bemerkt.
„Wir kommen zu spät!“, ruft Pippin und rennt los. Merry winkt dir. „Komm, wir müssen die Pilze abgeben!“
Während du dich vom Anblick des Auenlands losreißt und den Hobbits folgst, hörst du Merry lachend fragen: „Wollen wir eine von Gandalfs Raketen stehlen und hochgehen lassen?“
„Ja!“, antwortet Pippin begeistert.
So fing also alles an … du musst grinsen, während du den jungen Hobbits durch die geschlängelten Kieswege des Auenlands folgst, hin auf den Festplatz. Am Eingang wirft man dir kurz irritierte Blicke zu, drückt dir dann aber ein Geschenk in die Hände, wie sie auch alle anderen erhalten. Vermutlich hält man dich für einen von Bilbos seltsamen Fremdlingsfreunden.
Merry nimmt dir den zum Sack geknüpften Mantel, Pippin die beiden Pilzkörbe ab. Im nächsten Moment sind die beiden im Trubel untergetaucht und du steht allein und etwas hilflos auf dem Fest … mitten unter Hobbits!
Sieh dich auf der Feier um. Teil 30: