Du richtest dich entschlossen auf. So gerne du Mittelerde erkunden willst, du bist dir auch relativ sicher, dass du nicht den gleichen Schutz genießt wie die Hauptcharaktere von Tolkiens Welt. Nein, viel wahrscheinlicher bist du für das Schicksal deines Abenteuers mehr so ein Hintergrund-Charakter, der stirbt, um zu verdeutlichen, wie knapp die Helden der Gefahr entronnen sind.
Du schluckst bei dem düsteren Gedanken. Hoffentlich wird es für dich nicht derartig katastrophal laufen. Du würdest dein größtes Abenteuer sehr gerne lebendig überstehen.
Hinter dir hörst du lauteren Hufschlag, als Ponys zu dir aufschließen. Du drehst dich im Sattel rasch herum, während du bereits nach einer Ausrede suchst, überzeugt, dass Thorin kommt, um dich weiter anzutreiben.
Du bist überrascht, als du zwei andere Zwerge erkennst. Der erste hat einen hellen, enganliegend geflochtenen Bart und dunkelrote Kleidung, der zweite, mit noch braunem Haar, verbirgt sich unter einer wie ein lockeres Kopftuch gewickelten Kapuze aus grobem Stoff.
„Dori“, stellt sich der Weißhaarige freundlicherweise noch einmal vor und grinst dich an. „Hast du was dagegen, wenn Ori und ich dich ein Stück begleiten, Späher?“
Du erwiderst das Lächeln erleichtert. „Gerne.“
Die beiden Zwerge lenken ihre Ponys neben deines. Ori reitet mit gesenktem Kopf, um jeden Blickkontakt zu vermeiden, doch ab und zu huscht sein Blick hinauf, wenn er einen Vogelruf oder ein Rascheln im Geäst hört. Dann zieht er mit einem Mal ein Pergament und ein Stück Zeichenkohle hervor und macht ein paar rasche Notizen.
„Also, Hobbits“, lenkt Dori deine Aufmerksamkeit ab. „Ich muss sagen, bevor wir Herrn Beutlin trafen, haben wir noch nie von ihnen gehört. Sind sie alle so …?“ Er gestikuliert wage nach hinten. Dann weitet er die Augen und macht eine besänftigende, schiebende Geste mit beiden Händen. „Ich möchte keinesfalls etwas schlechtes über Herrn Beutlin sagen. Er ist ein feiner Kerl. Eine wunderbare Einstellung zur Menge und Anzahl von Mahlzeiten. Ich verstehe nur nicht, wieso Herr Gandalf ihn für unsere Expedition ausgesucht hat. Er ist kein Kämpfer.“
„Das ist er wirklich nicht.“ Du musst unwillkürlich grinsen. „Noch nicht jedenfalls. Er wird … Ich denke, er wird seinen Mut noch finden.“ Du weißt natürlich, wie sich der kleine Hobbit entwickeln wird, aber dieses Wissen solltest du vielleicht nicht allzu leichtherzig teilen. „Und eines kann ich verraten: Die anderen Hobbits sind noch deutlich schlimmer. Sie kennen nur ihre gemütlichen Höhlen, in denen sie alle Annehmlichkeiten besitzen, und sie reisen selten weiter als bis zum nächsten Dorf. Sie wissen nichts von der Welt und ihren Kriegen. In dieser Hinsicht sind sie wie …“
„Wie Kinder.“ Doris Blick huscht kurz zu seinem jüngeren Bruder. „Nun, in unserer Welt müssen selbst die Kinder Waffen tragen.“
Ori hat seine Schreibutensilien inzwischen wieder verstaut. Schüchtern spielt er mit den Zügeln seines Pferdes, bis er den Mut aufbringt, selbst das Wort zu ergreifen. „Erebor war doch auch einmal wie das Auenland. Ein friedlicher Ort, wo alle glücklich waren. Und Smaug hat es uns genommen!“ Unter der Kapuze leuchten seine Augen förmlich auf, als seine Stimme an Kraft und Pathos gewinnt. „Und dafür kämpfen wir!“
Dori schüttelt den Kopf. „Wir waren niemals wie die Hobbits“, schnauzt er den Jüngeren an. „Zwerge waren schon immer kriegerisch. Und gierig! Deswegen ist Erebor unsere Heimat, und nicht das Auenland.“ Er wirft einen Blick zurück, und seine Stimme wird ebenso plötzlich sanft, wie sie zuvor lauter wurde. „Deswegen bin ich ja so unsicher, ob Herr Bilbo uns wirklich begleiten sollte.“
„Ihr fürchtet, dass er euch zu ähnlich wird“, stellst du fest.
„Oder dass er uns auf der Reise verloren geht.“
Was eventuell auf das Gleiche hinauskäme. Du würdest Dori gerne beruhigen. Bilbo wird nicht nur dem Drachengold, sondern auch dem Einen Ring widerstehen.
Doch dann stellt sich dir eine einfache Frage: Deine Anwesenheit verändert die Geschichte. Kannst du dir also vollkommen sicher sein, dass alles so ablaufen wird wie in den Büchern und Filmen?
„Kommt!“, ruft Dori dir und Ori zu, während er gleichzeitig sein Pony antreibt. „Suchen wir uns mal einen Rastplatz!“
Du folgst den Zwergen durch die urwüchsigen Wälder. Der Weg steigt an und beginnt, sich allmählich ins Gebirge zu schlängeln. Nervös betrachtest du die abfallende Klippe zu deiner rechten, während links eine Bergwand immer höher hinaufwächst. Der Weg ist schmal.
„Hier finden wir wohl nichts“, murmelt Dori. „Wir sollten umkehren, bevor der Rest der Gesellschaft auf diesem unwirtlichen Pfad feststeckt.“
„Nein, lasst uns noch ein Stück reiten.“ Du unterdrückst ein Grinsen. „Wenn wir Thorin vor dem Bergweg halten lassen, verlieren wir einen halben Tag.“
„Dem Hobbit wird die Pause sicherlich gefallen“, gibt Dori zu bedenken. „Er reitet wie meine Urgroßmutter.“
„Nur ein kleines Stück. Es ist noch nicht zu weit, als dass wir nicht rechtzeitig zu ihnen zurückkehren können.“
Dori nickt widerstrebend und ihr reitet weiter, als sich der Weg vor euch plötzlich verbreitert. Unter einem Felsüberhang liegt ein größerer, grasüberwucherter Platz mit einzelnen Bäumen. An der Felswand könnte man vor dem Regen geschützt schlafen und für die Ponys ist ebenfalls genug Platz. Nicht, dass es dich überraschen würde. Du hast die Gegend aus dem Film wiedererkannt. Das hier ist der Ort der ersten Rast, die Thorins Gemeinschaft macht.
„Das ist ein perfekter Platz.“ Dori sieht dich an, als würde er etwas vermuten, doch du gibst dich ebenso erstaunt wie die Zwerge.
„Sagt Ihr Thorin Bescheid?“, fragst du. „Dann bereite ich so lange das Lager vor.“
„Wie wollt Ihr das denn alleine schaffen?“ Dori schüttelt den Kopf. „Mit Euren dünnen Ärmchen könnt Ihr doch kein Feuerholz für alle von uns schlagen.“ Der Zwerg grinst dich an, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen. „Reitet selbst zurück und berichtet Thorin, immerhin habt Ihr das Lager entdeckt.“
Mit einem resignierten Nicken akzeptierst du ihre Entscheidung.
Am frühen Abend bezieht die Gesellschaft ihren Lagerplatz und Thorin sieht dich ein klein bisschen weniger finster an. Dori und Ori haben Feuerholz geschlagen und es in einem geschützten Steinring aufgeschichtet.
„Feuerholz haben wir“, stellt Balin fest. „Aber wir brauchen auch Essen, wenn wir nicht wieder Trockenfleisch essen wollen.“ Murrend stimmen die Zwerge zu, dass haltbares Trockenfleisch nun wirklich das letzte ist.
„Jemand sollte sich auch um die Ponys kümmern“, wirft Ori scheu ein. „Sie sind ganz nassgeschwitzt.“
„Und wer kocht?“, donnert Gloin.
„Ich will nicht immer kochen!“, jammert Bombur.
Thorin rollt die Augen, als die Zwerge zu meckern beginnen. „Ihr teilt euch die Aufgaben. Na los!“
Du entscheidest dich …
- … zu jagen. Teil 70:
[https://belletristica.com/de/chapters/203276/edit]
- … zu kochen. Teil 74:
[https://belletristica.com/de/chapters/203280/edit]
- … die Pferde zu versorgen. Teil 72: