Arwen sieht dich zum ersten Mal wirklich an. Außer Frodo und Aragorn hat sie euch bisher ignoriert.
„Kannst du denn reiten?“
Du nickst, auch wenn das nur die halbe Wahrheit ist. Doch du hast in letzter Zeit einiges dazugelernt. Am Zügel führst du dein Pferd nach vorne, dann schwingst du dich in Wolkes Sattel.
„Bleib dicht hinter mir“, weist dich die Elbe an und gibt ihrem Pferd die Spuren, das das Erdreich aufgewirbelt wird. Wolke Zwielicht folgt ihr sofort. Dir bleibt nicht einmal Zeit für einen Abschied von der kleinen Gruppe.
Zunächst klammerst du dich nur an den Sattel und überlässt Wolke die Führung. Doch dann siehst du dunkle Schatten zu den Seiten: Die Nazgûl haben euch entdeckt. Oder vielleicht wussten sie die ganze Zeit, wo ihr wart – Frodos Verletzung muss sie zu ihm führen. Jetzt kommen die schwarzen Reiter von allen Seiten näher.
Arwen schlägt eine scharfe Kurve. Du musst die Zügel aufnehmen und ihr folgen, nur knapp kann dein kleineres Pony den schwarzen Pferden entgehen. Ein Nazgûl kreischt. Du hast längst den Überblick darüber verloren, wie viele es sind und wo sie sich überall im Wald befinden. Du hörst den rauschenden Wind in den Ohren, den trommelnden Hufschlag und seltener Arwens Rufe, die ihr Pferd anfeuern.
Mitten auf dem Weg liegt plötzlich ein Baumstamm, den Wolke Zwielicht nicht wird überspringen können. Arwen sieht sich nach dir um. „Wir müssen dort drüben …“
Du nickst. Sie reitet einen größeren Bogen, mit Wolke Zwielicht kannst du jedoch abkürzen. Während das Elbenpferd über den Stamm setzt, ziehst du das Pony zur Seite. Ihr galoppiert in den Wald. Hinter dir kreischen die schwarzen Reiter. Obwohl es mitten am Tag ist, wirkt das Licht grau und kränklich, sogar die Luft schmeckt nach Bösartigkeit. Tief in den Sattel geduckt lenkst du Wolke durch den Wald, während dein Atem im Rhythmus der Galoppsprünge geht, schnell und keuchend. Wolke schnaubt.
Ein Schatten nähert sich von der Seite. Du zieht am Zügel und Wolke scheut, sodass die schartige Klinge, die plötzlich aus dem Wald saust, dich verfehlt. Dein Pferd muss sich auf die Hinterbeine stellen, um die scharfe kurve zu schaffen, zu dem du es zwingst. Das Pferd des Nazgûl braust quer über den Weg. Einen Moment starrst du in die leere Kapuze und hast das Gefühl, den brennenden Blick deines Gegners bis ins Mark zu spüren. Dann ist dein Gegner vorbei. Während er noch zu bremsen versucht, lenkst du Wolke an der Hinterhand des schwarzen Pferdes vorbei und treibst sie zu noch schnellerem Tempo.
Fähigkeit verbessert: Reiten
Jetzt lichtet sich der Wald und du kommst auf offenes Land mit kurzem, gelbem Gras. Wolkes Hufe trommeln auf die Erde. Von der Seite kommt Arwen näher. Das größere Elbenpferd mit zwei Reitern ist trotzdem ebenso schnell wie deine Wolke.
Du erschauerst, als du die Verfolger siehst. In einer Pfeilformation kommen die Nazgûl aus dem Wald, und sie scheinen wie eine Sturmwolke heranzubrausen, wie Dunkelheit, die den letzten Rest der Sonne vom Himmel jagen will. Obwohl ihr wie der Wind reitet, holen sie langsam auf, Stück für Stück.
Ihr beugt euch über die Hälse der Pferde. Arwen hat einen blutigen Schnitt auf der Wange. Die schwarzen Reiter ziehen die Flanken enger und drohen, euch einzukesseln. Auf Arwens anderer Seite streckt einer von ihnen die Hand nach Frodo aus.
„Noro lim, Asfaloth!“
Eure Pferde geben noch einmal alles. Endlich fällt das Gelände vor euch ab, dann siehst du dir graue Schlucht, die die Grenze zu Bruchtal markiert. Eure Pferde eilen den kiesigen Hang hinunter, dann preschen sie spritzend ins Wasser. Wolke Zwielicht strebt direkt zum anderen Ufer, doch Arwen bleibt in der Mitte des Flusses stehen und hebt die Klinge gegen die Nazgûl, die am Rand des Wasser angehalten haben.
„Gib uns den Halbling, Elbenweib!“ Die zischende Stimme des Ringgeists scheint von überall her zu kommen. Deine Glieder zittern nach dem langen Ritt, du kannst dich kaum noch im Sattel halten, und beim Geräusch der Stimme überspült dich Übelkeit wie ein eisiger Bach im Frühling.
„Wenn ihr ihn wollt, kommt und holt ihn euch!“
Du hast keine Ahnung, wie Arwen noch die Stimme erheben kann, geschweige denn, die schwarzen Reiter herausfordern. Während diese ins Wasser vordringen, hörst du nur Fetzen des Spruchs, den Arwen murmelt.
Das Wasser am Ufer kräuselt sich. Du ruckst an den Zügeln, bis Wolke ein paar Schritte zurück macht.
Mit ohrenbetäubendem Donnern kommt die Flut um die Biegung. Die Erde erzittert von der Wucht der Wassermassen. In der schäumenden Gischt siehst du Pferde, die ausschlagen und die Köpfe hochwerfen.
Arwen schafft es noch ans Ufer, doch die schwarzen Reiter werden in der Mitte des Flusses von der Flut überrascht. Ungläubig siehst du zu, wie eure Feinde davongespült werden – und machst dir eine mentale Notiz, dir niemals einen Elben zum Feind zu machen.
„Frodo! Frodo!“ Arwen schreit auf, als der Hobbit zusammenklappt. Sie steigt aus dem Sattel und fängt ihn auf, um ihn auf den Fluss zu betten.
„Was ist mit ihm?“ Ungeschickt steigst du ebenfalls ab.
Arwen rüttelt an der Schulter des Hobbits. „Gib nicht auf … nicht jetzt!“ Dann drückt sie ihn an sich und murmelt weitere elbische Worte.
Beklommen stehst du daneben und kämpfst gegen die Tränen. Nach diesem höllischen Ritt darf das alles nicht umsonst gewesen sein!
„Ich muss ihn zu meinem Vater bringen!“, sagt die Elbe schließlich und springt auf. Frodo ist bewusstlos – jedenfalls hoffst du, dass er noch lebt.
„Ich finde den Weg“, murmelst du. Deine Wolke lässt den Kopf tief hängen, während Arwen auf dem Elbenpferd losgaloppiert. Doch du musst einfach nur der Richtung folgen, die sie einschlägt. Es kann nicht mehr weit sein.
Also beschließt du, Wolke Zwielicht ihre Pause zu gönnen und zu Fuß zu gehen. Du lockerst nur den Sattelgurt des Pferdes und lässt es dann frei. Sie wird früher oder später das Futter in Bruchtal wittern, doch jetzt braucht sie erst einmal Ruhe.
Zerschlagen und leicht humpelnd beginnst du den letzten Abschnitt der Reise.
Betritt Bruchtal. Teil 209: