Sirius Black
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Das gar noble und ehrwürdige Haus der Blacks stank nach Dung. Normalerweise roch es nicht so, das war klar, wehte doch immer ein leichter Zederngeruch durch die dunklen Hallen, für den die Hauselfen verantwortlich waren. Obwohl ein gutes Dutzend abgetrennter Hauselfenköpfe die Flurwände zierten und düstere, flüsternde Portraits eine unheimliche Atmosphäre in die Gänge zauberten, so konnte man nicht umhin, als das Black-Haus als ein wahres Ebenbild des magischen Adels zu betiteln. Hohe, schmuckbesetzte Fenster und silber-verzierte Tapeten an den Wänden, Türen aus dem bestem Mahagoni- und Schwarzeichenholz, gefräst und geschnitzt, als wären sie direkt aus einem Königshaus entnommen worden, teure, weiche, blutrote Teppichböden, die jeden noch so lauten Schritt dämpften und feinstes, poliertes Parkett, das wiederum jede noch so kleine Berührung in dutzenden Wellen durchs Haus hallen ließ; Grimmauldplatz Nummer 12 war ein Ort voller Magie, voll mit antiker Geschichte und einem Familienstammbaum, der sich in hunderte Zweige teilte.
Der Verursacher des unangenehm brennenden Dunggeruchs, ein schwarzhaariger Junge mit sturmgrauen Augen und einem viel zu losen Mundwerk, versteckte sich unter einer teuren, massiven Holzkommode im ersten Stock, während die aufgebrachte Stimme seiner Mutter wie eine Furie durchs Haus peitschte.
„Sirius Orion Black!“, schrie die alte Hexe, aber klang dabei etwas gedämpft, als würde sie durch einen dicken Schal sprechen. „Wenn ich dich in die Finger bekomme!“
Für sein Alter war Sirius sehr talentiert. Gerade erst mit einem Zauberstab ausgestattet, hatte er sich bereits beigebracht, wie er einen Klebe- und Tarnzauber auf seine Dungbomben anwenden musste, damit seine Eltern diese nicht sofort entfernen könnten. Es hatte einige Fehlschläge gegeben, bevor der Junge den Kopfblasenzauber hinbekommen hatte, aber jetzt konnte er sich unter der Kommode verstecken und Frischluft atmen, während das ganze Haus um ihn herum mit dunstigem Gas gefüllt wurde.
„Sirius!“, rief nun auch die Stimme seines Vaters durchs Haus. Er musste irgendwo im Untergeschoss sein, dachte der Junge keifend, wo direkt drei der stinkenden Geschenke versteckt unter dem Schreibtisch lagen.
Sirius wusste, dass er dafür heftig bestraft werden würde. Das letzte Mal hatte sein Vater ihm angedroht, einen Unverzeihlichen Fluch anzuwenden, sollte er noch einmal danebentreten und obwohl ihn die Vorstellung manchmal um den Schlaf raubte, so konnte Sirius doch nicht anders, als Unfug anzustellen. Es war meist seiner Langeweile geschuldet, dass er die Bestrafungen in Kauf nahm. Das Haus der Blacks mochte vor antiker Magie und Geschichte nur so überquellen, allerdings war es auch der reinste Stimmungstöter eines jeden Kindes. In den düsteren Hallen konnte man nicht herumrennen und es gab keinen Garten mit mannshohen Hecken, in dem Sirius hätte Besen fliegen können. Die einzige Unterhaltung, die Sirius außer der Bibliothek hatte (in der er allein nicht mehr durfte, nachdem er alle wichtigen Dokumente seines Vaters durcheinander gebracht hatte), war sein jüngerer Bruder, Regulus. Aber wo Sirius ein großer Rebell war und nur zu gerne die aufgebrachten Gesichter seiner Eltern aus dem Schatten seines Verstecks beobachtete, war Regulus das komplette Gegenteil. Reg hatte noch nie eine einzige Regel gebrochen. Er benahm sich immer wie der perfekte Vorzeigesohn, ein feiner Prinz, den Walburga und Orion Black den anderen Verwandten immer wieder präsentierten und mit stolzer Stimme von all seinen Fähigkeiten berichteten, während sie Sirius ein weiteres Mal befohlen hatten, sich aus Ärger herauszuhalten.
Ärger war – zumindest wenn es nach ihm gehen würde – sein zweiter Vorname. Egal, was Sirius tat, es endete in Chaos und seiner schreienden Mutter. Mittlerweile war der Junge an einem Punkt angelangt, an dem es ihm nicht einmal mehr leidtat, dass er für die frühzeitig ergrauten Haare seiner Eltern verantwortlich war. Es war immerhin ihre Schuld, dass er ein schreckliches Leben führen musste. Wenn er nicht gerade einen weiteren Streich ausheckte, musste er stundenlang im Salon verbringen und den Flügel spielen oder auf seiner Violine üben, bis seine Finger bluteten. Es gab keine Pause für Erben. Pausen, so sagte Walburga immer, wenn Sirius sie anflehte, seien etwas für Muggel. Und wenn es etwas gab, dass Walburga und Orion Black mehr hassten als die Streiche ihren rebellischen Sohnes, dann waren es Muggel.
Grimmauldplatz war einst ein Hochgebiet der Magie gewesen. In jedem Haus hatte es eine andere Zaubererfamilie gegeben, eine mächtiger und älter als die andere, mit den Blacks an der Spitze, aber mit der Zeit hatten sich diese Familien immer weiter auseinander gelebt und die reinen Prinzipien ihres Blutes vergessen. Sie hatten sich mit Halbblütlern und Muggeln eingelassen und das reine Blut der Familie verunreinigt, sodass man sie aus dem Viertel gejagt hatte. Es musste Ironie des Schicksals gewesen sein, als Familie Black die letzte Zaubererfamilie im Grimmauldplatz gewesen war, und die Häuser ringsum von den Muggeln Londons besetzt wurden. Das war noch vor Orion und Walburgas Zeit gewesen, lange bevor ein Sirius Black die dunklen Hallen in Aufruhr versetzte hatte. Dutzende, uralte Zaubersprüche wurden damals über das Haus gelegt und heute war es den Augen der Unwürdigen verborgen; nur jemand, der wusste, wo sich Grimmauldplatz Nummer 12 befand, würde es auch sehen und betreten können. Für alle anderen fehlte es in der Häuserreihe.
Passend, fand Sirius immer wieder, fühlte er sich doch auch vor der ganzen Welt versteckt gehalten. Selbst der Besuch in die Winkelgasse, etwas, dass für ihn wie ein kleines Wunder gewesen war, war nur mit dem Schatten seiner Mutter im Nacken möglich gewesen, die wie ein aggressiver Wachhund nie von seiner Seite gewichen war. Er hatte noch immer roten Flecken an der Schulter, dort wo die spitzen Nägel von Walburga seine Haut durchbohrt hatten. In der Winkelgasse hatte Sirius das erste Mal andere Kinder in seinem Alter gesehen, von denen er nicht den Namen, Blutstatus und Familienverwandtschaft auswendig kennen musste. Zwar waren sie auch seiner Cousine Narzissa und ihrem schrecklich snobbigen Freund Lucius Malfoy über den Weg gelaufen, aber es musste ein wahrhaft glücklicher Tag für Sirius gewesen sein, denn keiner der beiden hatte weder ihn noch seiner Mutter entdeckt. Narzissa und Lucius waren mit Adleraugen auf die Umgebung in die schmutzige Nokturngasse abgebogen. Trotz der Affinität seiner Familie mit schwarzer Magie, hatte Sirius die Nokturngasse noch nie besuchen dürfen. Vielleicht war es der klägliche Versuch, ihre Söhne vor den ruchlosen Machenschaften in den dunklen Straßen zu schützen, aber Walburga Black hatte sowohl Sirius als auch Regulus ausdrücklich verboten, jemals einen Fuß dorthin zu setzen und sollten sie sich widersetzen, so würde sie schwerwiegende Konsequenzen einleiten müssen. Das Verbot, die Hogwarts-Schule zu besuchen, war noch das geringste aller Übel und so hatte Sirius sich widerwillig an die Regel seiner Mutter gehalten, obwohl es ihn in seinen rebellischen Fingern jucke, der düsteren Gasse einen Besuch abzustatten. Irgendwann, so hatte Sirius der Gasse versprochen, würde er sie betreten können.
Ein weiteres Mal hallte der laute Schrei seiner Mutter durchs Haus, ein wahnwitziges Echo ihrer noch wahnsinnigeren Stimme. „Sirius Orion Black, komm sofort heraus, ansonsten sind die Konsequenzen unverzeihlich!“, keifte Walburga.
Obwohl er wusste, dass seine Mutter nicht zu Scherzen aufgelegt war, konnte Sirius nicht anders, als lauthals zu lachen – ein großer Fehler, wie er Sekunden später bemerkte. Zwei schlurfende, schmutzige Füße kamen vor der Kommode zu stehen, unter der Sirius hockte und einen Augenblick später ätzte die Stimme eines Hauselfen durch das Zimmer – der schlimmste von allen, wenn man nach Sirius‘ Meinung fragen würde. „Kreacher hat den jungen Master Sirius gehört“, sagte Kreacher mit langen Vokalen und nasaler Stimme. Der Hauself hatte sich noch immer nicht gänzlich von dem Kältezauber erholt, den Walburga ihm aufgedrückt hatte, als Kreacher das Essen ein paar Minuten zu spät serviert hatte. Sirius konnte Kreacher laut schniefen hören, als der Hauself den Schnodder in seiner Nase hochzog. „Master Sirius kann sein Versteck jetzt verlassen.“
„Verschwinde, Kreacher“, zischte Sirius so leise er konnte. „Du verrätst mich noch.“
„Kreacher ist untröstlich“, erwiderte der Hauself und Sirius konnte anhand der Schattenspiele auf dem Boden nur ahnen, dass er sich verbeugt hatte. „Die Mistress hat es Kreacher befohlen, den jungen Master Sirius zu suchen und wenn Kreacher ihr nicht sagt, wo der junge Master sich versteckt hält, dann wird Kreacher bestraft werden. Kreacher tut es sehr leid.“ Ein Knall und im nächsten Moment war Kreacher verschwunden.
Sirius fluchte lautstark, ein Muggelschimpfwort, dass er aufgeschnappt hatte, als er die Nachbarskinder beim Spielen aus seinem Fenster heraus beobachtet hatte. Seine Mutter würde ihm den Mund auswaschen, würde sie ihn so reden hören. Der Junge krabbelte unter seinem Versteck hervor und seine Augen huschten im Zimmer hin und her, um einen Fluchtweg oder ein neues Versteck zu finden, doch noch bevor er eine Seite des Raumes untersucht hatte, wurde die Tür mit einem lauten Knall aufgestoßen.
Walburga sah aus, als wäre ihr eine Fledermaus ins Gesicht geflogen – ihre Haare waren zerzaust worden, als sie sich offensichtlich das dunkle Tuch vom Kopf gerissen hatte, dass sie wie eine Maske vor den Mund hielt und ihre Augen versprühten Zorn. „Da bist du ja“, zischte sie angriffslustig und ging einen großen Schritt auf Sirius zu, Kreacher direkt hinter ihr, die langen Ohren ängstlich angelegt und die tennisballgroßen Augen zugekniffen. Walburga griff nach vorn und ihre spitzen Fingernägel bohrten sich erneut tief in Sirius‘ Haut.
Trotz der Schmerzen verzog er keine Miene. „Was ist denn, Mutter?“, fragte er mit Engelsunschuld in der Stimme. „Ist es denn schon Zeit für den Tee?“
Ein Schnauben wie bei einem tonnenschwerem Ackergaul entkam Walburga. Ihre Nasenlöcher blähten sich wie die Nüstern eines Drachen auf und Sirius glaubte fast, sie würde jeden Moment Feuer spucken. Als sie ihren Mund öffnete, entkamen ihr allerdings keine Flammen, sondern peitschende, giftige Wörter. „Dir wird das Lachen noch vergehen, Sirius“, zischte sie leise, ihre kleinen schwarzen Augen auf ihren Sohn gerichtet. „Du kannst versuchen, uns so viele Streiche zu spielen, wie du willst, aber es wird der Tag kommen, an dem du erkennen wirst, dass es unter deiner Würde ist, deine Zeit so zu verschwenden. Stattdessen wirst du mit Freuden an den Traditionen und Werten unserer ehrwürdigen Familie teilhaben.“
„Ist das zufällig auch der Tag, an dem dein Bildhauer wieder im Land ist, um dein Gesicht neu zu meißeln?“, fragte Sirius mit hochgezogenen Augenbrauen, noch bevor er sich hätte daran hindern können. Er zählte die Sekunden zum Ausbruch.
Walburga lief erst purpurn an, bevor sie kreischte: „In dein Zimmer, sofort! Und lass dich den Rest der Woche nicht mehr bei uns blicken!“ Sie fuhr herum und riss dabei rote Striemen über Sirius‘ Oberarm. Zu Kreacher sagte sie: „Bring ihm kein Essen, Kreacher“, dann marschierte sie mit lauten Hacken aus dem Zimmer und warf die Tür mit einer solchen Wucht hinter sich ins Schloss, dass etwas Staub von den Stuckrändern rieselte.
„Ja, doch, Miss, ihr Wunsch ist mein Befehl“, murmelte Kreacher mit geschlossenen Augen, verbeugte sich in niemandes Richtung und verschwand einen Augenblick später mit einem weiteren Knall.
Sirius atmete tief aus und schloss die Augen. Es war eine Sache, sich einen Spaß zu erlauben und Dungbomben im ganzen Haus losgehen zu lassen, aber es war eine gänzlich andere, seiner Mutter eine Beleidigung ins Gesicht zu werfen. Er wusste, dass er zu weit gegangen war und mit ein paar Tagen auf seinem Zimmer wäre das nicht vergessen. Sein Vater und der Gürtel würden ihn heute noch besuchen, das stand fest. „Dreckiger Drachenmist“, murmelte der Junge, bevor er das Zimmer ebenso verließ, den Flur entlang ging und sein eigenes Zimmer betrat. Er ließ die Tür zufallen und warf sich aufs Bett, das unter seinem Gewicht ächzte.
Sirius zählte sehnsüchtig die Tage, bis er Grimmauldplatz Nummer 12 endlich verlassen durfte.