Mary Macdonald
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Mary hatte ein wahnsinniges Problem. Das war untertrieben. Mary hatte das größte Problem, dass es je gegeben hatte und sie hatte das Gefühl, dass es sie vom Inneren her auffraß. Um ihre Lage zusammenzufassen, konnte sie ganz einfach sagen, dass sie die größte Verräterin auf diesem Planeten war, noch schlimmer als zu enge Lederstiefel im Sommer oder Brutus, der Cäsar in den Rücken stach. Für ihren Verrat war es nicht einmal Strafe genug, dass man ihr in den Rücken stechen würde, fand Mary, als sie sich etwas zu fest an ein Glas mit Butterbier klammert und versuchte ihren Blick nicht durch den Raum schweifen zu lassen, denn sie wusste mit einhundertprozentiger Wahrscheinlichkeit, dass er an James Potter haften bleiben würde.
Sie war die schlimmste Freundin, die es gab. Sie wusste besser als alle anderen, was Lily für James empfand (ob es nun negativ oder positiv war, sei mal vergessen), deswegen war es das höchste aller Verratsbotschaften, die sie haben könnte, wenn ihr Herz bei seinem Anblick ein wenig schneller schlug. Und sie wusste nicht einmal warum! Klar, er war über den Sommer gewachsen und hatte, so wie es aussah, die gesamten Wochen nur Quidditch gespielt, seine unordentlichen Haaren waren ein wenig länger, sodass sie seine Ohren bedeckten und wie ein Tornado auf seinem Kopf hausten und wenn er lächelte, dann konnte sie den Hinweis an ein verräterisches Grübchen an seinem Mundwinkel erkennen, aber das war noch lange kein Grund dafür, dass ihr dummes Herz schneller schlagen musste. Das war außerdem noch lange kein Grund dafür, dass sie ihre beste Freundin verraten und sich in ihren Erzfeind (oder Seelenverwandten, wenn es nach ihr und Marlene ging) vergucken konnte. Das war nicht nur moralisch verwerflich, sonderlich auch noch menschlich.
Wenn es eine Option wäre, dann würde Mary sich in den Schwarzen See werfen, damit dieser ihre Gefühle wegwaschen würde, denn sie sah nicht ein, dass sie Gefühle für jemanden entwickelte, wenn dieser Jemand offensichtlich nicht für sie gemacht war.
„Du tanzt ja gar nicht“, ertönte eine zögerliche Stimme neben ihr und als Mary den Kopf drehte, erkannte sie Peter, der sie abwartend ansah.
„Oh, ja, ich – das ist nicht so mein Lied“, log sie.
Peter verzog das Gesicht zur Grimasse. „Dann muss es die letzten zwei Stunden schon nicht dein Lied gewesen sein.“
„Beobachtest du mich etwa, Pettigrew?“, fragte Mary, bevor sie sich so drehte, dass sie Peter ins Gesicht sehe konnte.
Dieser wurde rot. „N-Nein! Ganz und gar nicht, ich meine, ich hab es nur so nebenbei gesehen. Also, jedes Mal, wenn ich rüber geguckt habe. Nicht, dass das oft gewesen wäre! Ein paar Mal! Also – eigentlich gar nicht. Warum sollte ich auch rüber gucken?“
Mary lachte und legte den Kopf ein wenig schief. Über den Sommer hinweg war Peter wahrscheinlich der einzige, der sich von seinen Freunden nicht sonderlich verändert hatte. Er sah noch immer so aus, wie sie ihn am Ende des letzten Schuljahres in Gedanken hatte. Vielleicht ein wenig größer. Ein kleines bisschen, zumindest. Aber sonst sah er noch immer so aus wie vorher, mit den leicht geröteten Wangen und dem runden Gesicht und den kurzen, fransigen Haaren, die absolut keiner Ordnung zu folgen schienen. Beinahe hatte Mary Mitleid mit ihm. „Mach dir nicht ins Hemd, Peter“, sagte sie. „Mir ist einfach nicht wirklich nach Tanzen.“
„Das wird James aber gar nicht gefallen“, erwiderte er.
„Wieso das?“, fragte sie, ignorierend, wie ihre Handinnenflächen ein wenig schwitzig wurden. Sie verstärkte den Griff um ihr Glas, damit es ihr nicht aus den Fingern rutschen würde.
Peter zuckte mit den Schultern. „Er hat sich so auf die Party gefreut, ich glaube, er wäre enttäuscht, wenn nicht jeder Spaß haben würde. Sogar Lily hat getanzt, obwohl ich weiß, dass sie ihn erst vor Kurzem wieder bedroht hat.“
Mary verdrehte die Augen. „Aber auch nur, weil er sich wie ein Idiot benommen hat.“
„Das bezweifle ich gar nicht.“
„Ich würde ja gerne tanzen“, gab Mary schließlich zu, „aber nicht allein. Und schon gar nicht zu diesem Lied“, fügte sie an, in der Hoffnung, Peter würde den Hinweis verstehen.
Offensichtlich hatte sie ihn massiv unterschätzt. Ein Grinsen erschien auf seinen Lippen, er stellte sein Getränk auf einem Tisch an der Seite ab und hielt Mary die Hand hin. „Würdest du mir dann die Ehre erweisen? Ich wette, ich kann Lily dazu überreden, das Lied zu ändern.“
Es wäre unhöflich, wenn sie nicht annehmen würde, das wusste sie. Außerdem wollte Mary wirklich gerne tanzen. Sie liebte es zu tanzen und sie hatte gedacht, diese Party würde die perfekte Ausrede dafür sein, um den gesamten Abend lang durchzutanzen. Stattdessen musste sie einen Blick auf James Potters dämliches Gesicht werfen und ihre gesamte Lebenssituation in Frage stellen. Es wäre nicht fair Peter gegenüber, wenn sie nur deswegen mit ihm tanzen würde, weil sie jemand anderen vergessen wollte, aber es wäre ebenfalls unfair Peter gegenüber, wenn sie deswegen gar nicht erst mit ihm tanzen würde. Sie seufzte leise, stellte ihr Glas ebenfalls beiseite und sagte: „Mit Vergnügen.“
Es schien, kaum waren sie auf der Tanzfläche angekommen (die eigentlich nur die Fläche war, an der vorher die Sessel am Feuer gestanden hatten), dass sie Peter von all seinen Freunden am meisten unterschätzt hatte. Mit einem lockeren Wink seines Stabs in Richtung des Plattenspielers änderte er den Song, bevor er Marys Hand nahm. Gerade als der neue Song zu spielen begann (ebenfalls von Fleetwood Mac), zog er zaghaft an ihrer Hand, um sie in Bewegung zu versetzen. Mit überraschender Präzision begann Peter sie über die Fläche zu führen, wobei es fast so wirkte, als müsste er sich daran hindern, sie nicht in einen langsamen Walzer zu versetzen.
„Das sind ja ganz neue Seiten, die ich an dir entdecke, Peter“, kommentierte sie ein wenig schockiert, während Peter sie herumdrehte.
Er lächelte schelmisch. „Ich hab letzten Sommer Tanzstunden bei meiner Tante in Albanien genommen. Meine Mutter hat mich gezwungen“, fügte er auf Marys fragenden Blick hinzu. „Das war nicht meine Idee, aber ich schätze, jetzt kann ich ihr dankbar sein.“
„Ich sollte deiner Mutter auch dankbar sein“, antwortete sie. „Wenn ich ehrlich bin, hab ich gedacht, du wärst der Erste, der jemandem auf die Füße treten würde.“
Peter lachte, wobei ein wenig Rosa in seine Wangen kroch. „Bevor ich die Grundlagen draufhatte, hab ich das auch. Meine Tante hat immer wieder einen Federkissenzauber auf ihre Füße gewirkt, damit ich ihr nicht die Zehen breche.“
Mary ließ sich von Peter in einer waghalsigen Drehung zum Höhepunkt des Lieds im Kreis wirbeln. Der Raum flog förmlich an ihr vorbei, als würde sie eine Dia-Show nur so durchklicken. Sie war froh, dass er sie fest an der Hand hielt, denn wenn er jetzt loslassen würde, dann würde Mary wahrscheinlich haushoch in die Menge krachen. Als er sie wieder anhalten ließ, gab es vereinzelt sogar ein paar anerkennende Pfiffe und sie konnte James und Sirius hören, die lauthals grölten. Sie verdrehte die Augen. Vielleicht hatte es wirklich nur das gebraucht, damit sie diese idiotischen Gefühle vergessen würde. „Ich bin wirklich beeindruckt“, sagte sie ein wenig atemlos. „Wenn du weiter so machst, dann kannst du den Jungs hier vielleicht mal ein paar Tanzstunden geben. Ich hab gesehen, was Monty versucht hat. Das war weder sicher noch anmutig.“
Erneut grinste er. „Glaub mir, wenn ich könnte, dann würde ich sie alle zwingen, sich zumindest die Grundlagen anzusehen, aber die Jungs behaupten immer, sie würden es besser können. Du hast ja wahrscheinlich auch gesehen, was passiert ist, als James mit Marlene getanzt hat.“
Hitze flog in ihre Wangen, als hätte sich ein Lauffeuer in ihrem Inneren ausgebreitet. Mary täuschte ein Husten vor. „Das muss ich verpasst haben.“
„Er wollte sie hochheben“, erklärte Peter. „Aber James hat überschätzt, dass Marlene nicht nur so viel wie ein Quaffel wiegt, als hätte er sie fast vornüber fallen lassen. Deswegen hat Lily ihn mit dem Kitzelfluch belegt. Ich hätte gedacht, das hättest du mitbekommen.“
„Vielleicht war ich da auf Klo“, log sie, denn sie konnte ihm schlecht sagen, dass sie den gesamten Abend hin ignoriert hatte, was James getan hatte, weil sie nicht in seine Richtung sehen wollte.
„Wenn es nicht so ausgesehen hätte, als würde James Marlene fast das Genick brechen, dann wäre es sogar irgendwie lustig gewesen“, sagte Peter. „Ich meine, niemandem ist was passiert – außer James´ Ego, natürlich, aber darüber können wir alle hinweg sehen.“
Widerwillen musste Mary lachen. „Manchmal kannst du wirklich fies sein, Peter.“
„James kann das ab. Er hat genug Ego, um den Schwarzen See zu füllen.“
Kopfschüttelnd blieb sie stehen, als der Song endlich endete. „Danke für den Tanz“, sagte sie. „Und Danke, dass du meine Zehen heile gelassen hast.“
Peter deutete eine Verbeugung an. „Jederzeit wieder. Jetzt muss ich aber nach Remus sehen. Er hat bereits drei Mal angedroht, dass er sich ins Bett verziehen wird und das können wir nicht zulassen. Rumtreiber-Ehrensache.“
Sie sah zu, wie Peter zurück zu seinen Freunden ging und schüttelte den Kopf. Sie würde wahrscheinlich nie verstehen, wieso die Jungs sich die Rumtreiber nannten – sicherlich eine Idee von James. Er war der Typ, der sowas vorschlagen würde.
Mary biss sich auf die Zunge, ehe sie ebenfalls zurück ging. Lily unterhielt sich mit Marlene in einer Ecke, aber Mary hatte gerade wenig Lust, sich mit ihren Freundinnen zu unterhalten – nicht, dass sie nicht mögen würde, aber sie hatte das Gefühl, dass sie bereits Hochverrat betrieb, wenn sie Lily in die Augen sah. Sie konnte nicht mit Lily lachen und gleichzeitig schwitzige Hände bekommen, weil ein Junge in der Nähe war. Das stimmte einfach nicht mit ihrem Kodex überein. Es war moralisch falsch. Lily war wichtiger als jeder Junge. Sie würde ihre Freundschaft mit Lily nicht dafür riskieren oder gar ruinieren, nur weil sie einen Jungen auf einmal gut fand. Sicherlich waren das sowieso nur ihre Hormone, die verrücktspielten. Ihre Mutter hatte sie bereits gewarnt, dass sie langsam in die Pubertät kommen würde.
Perioden, Stimmungsschwankungen, Pickel. Mary konnte gut darauf verzichten. Sie hatte gehofft, ihre Magie würde die Pubertät einfach unterdrücken, aber dem schien nicht so zu sein. Kaum war es eine Woche vor Schulbeginn gewesen, war ihre Haut in Mitessern ausgebrochen, als hätte sie alle persönlich eingeladen. Sie war mehr als froh, dass Hexen einige bessere Cremes dagegen hatten. Sie hatte sogar ein paar Zauber gesehen, die dagegen helfen sollten. Vielleicht würde sie ein wenig damit experimentieren, wenn sie Zeit hatte. Immerhin war sie nicht die einzige, die daran litt, aber trotzdem – Mary konnte es nicht ertragen. Sie fand, Pubertät sollte verboten gehören.
Allein schon, weil ihr plötzlich warm wurde, nur weil ein Junge, den sie seit fast drei Jahren kannte, einen Wachstumsspurt hinter sich hatte. Nicht in hundert Jahren würde sie annehmen, dass das der Fall war. Schon gar nicht für James Potter. Wenn sie sich schon wie ein dummer Teenager verknallen musste, dann wenigstens in einen Jungen, für den es sich lohnen würde.
Nicht, dass es einen davon geben würde.