Peter Pettigrew
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Wenn Peter in Astronomie richtig aufgepasst und seine Mondtabelle korrekt gedeutet hatte, dann stand ihnen in wenigen Tagen nicht nur ein Vollmond sondern auch eine Mondfinsternis bevor. In den wenigen Büchern, in denen Werwölfe thematisiert waren, gab es kaum ein Wort über die Effekte des Mondes an sich, geschweige denn etwas über eine Mondfinsternis. Peter war nicht ganz so unsensibel, als dass er Remus direkt danach fragen würde, zumal dieser die letzten Tage wieder die Symptome der bevorstehenden Verwandlung gezeigt hatte, die sie bisher beobachten konnten. Unruhe, Hunger, Schmerzen am ganzen Körper, eine besonders kurze Aufmerksamkeitsspanne und ein Wachstum an Aggressionen waren die üblichen Dinge, mit denen Peter und die anderen gelernt hatten, umzugehen. Wahrscheinlich wüsste Remus selbst nicht, was eine Mondfinsternis mit ihm anstellen würde.
Normalerweise würde man Remus zu dieser Zeit in der Bibliothek anfinden, aber ein hässlicher Kopfschmerz hatte ihn bereits den ganzen Tag gepeinigt, sodass er sich nach dem Unterricht in den Schlafsaal zurückgezogen und seine Freunde rausgeschmissen hatte. Stattdessen hatte Peter sich mit Marlene und Benjy in der ruhigen Halle zurückgezogen, fernab von seinen anderen Freunden (James und Sirius waren auf und wollten nicht in den Gemeinschaftsraum zurückkehren, ehe sie nicht einen Geheimgang gefunden hatten) und studierte ein Buch über magische Kartographie.
Marlene beäugte ihn und seine Buchwahl bereits seit einiger Zeit, aber jetzt war es ihr zu viel geworden. Sie legte ihren Federkiel beiseite und fragte mit gesenkter Stimme: "Was haben du und die anderen Jungs schon wieder vor?"
"Wer sagt, dass wir etwas vorhaben?", erwiderte er. Immerhin war es dieses Mal wahr.
"Oh bitte", sagte Marlene, wodurch Benjy ebenfalls von seinem Aufsatz aufblickte. "Ihr habt immer irgendwas vor und nie fragt ihr mich, ob ich mitmachen will. Weißt du, was das ist? Sexismus ist das."
Peter schnaubte. "Bist du nicht ein wenig zu jung für sowas?"
Marlene betrachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. "Sexismus kennt kein Alter. Und jetzt lenk nicht ab. Was habt ihr vor und kann ich mitmachen?"
"Du könntest, wenn wir etwas vorhätten" antwortete Peter achselzuckend. "Im Moment sind wir allerdings aus dem Schlafsaal verbannt, weil Remus Kopfschmerzen hat."
"Und ich vermute mal, niemand von euch hilft ihm, wenn ihr in seiner Nähe seid, he?", überlegte Benjy grinsend. Einer seiner Schneidezähne war größer als der andere. "Kann Pomfrey ihm keinen Trank geben? Dazu sollte sie als magische Heilertante doch fähig sein, oder?"
"Remus kann die nicht ab", log Peter, der sich zu gut daran erinnern konnte, wie Remus kläglich erzählt hatte, dass selbst Madam Pomfreys besten Heiltränke keine Wirkung gegen die Beschwerden eines Werwolfs ausrichten konnten. Er konnte nichts anderes tun, außer die Schmerzen ertragen und versuchen alles wegzuschlafen. "Er sagt, davon wird ihm nur übel."
Benjy zog eine Grimasse. "Armer Typ. Da is' man schon magisch und hat trotzdem die Arschkarte gezogen."
Wenn du wüsstest, dachte Peter düster.
"Wir sollten ihm aus der Küche ein Stück Schokotorte holen", sagte Marlene. "Dann geht's ihm bestimmt gleich besser."
"Seit wann hilft Torte gegen Kopfschmerzen?", fragte Benjy mit angezogenen Brauen.
"Tut sie nicht", erwiderte Marlene. "Aber lieber Kopfschmerzen mit Torte als ohne, oder?" Sie grinste.
"Überzeugendes Argument", sagte Peter und schlug sein Buch zu. "Aber wie kommt man in die Küchen?"
Daraufhin warf sie ihm einen überraschten Blick zu. "Ich dachte ihr wüsstet das? James hat doch mehr als einmal die Küchen geleert."
Peter grummelte. "Schon, aber er will nicht verraten, woher er es weiß und wie man es macht. Ich wette er hat einfach nur jemanden danach gefragt und tut jetzt so, als hätte er es allein rausgefunden."
"Ich weiß, wie man in die Küchen kommt", sagte Benjy. "Ich hab ein paar Sechstklässler dabei beobachtet, wie sie letztes Jahr Essen und Getränke für irgendeine Party organisiert haben."
Marlene blickte stutzig drein, während Peter für einen Augenblick vergaß, dass sie sich in der Bibliothek befanden. "Dein Ernst?", fragte er lauthals begeistert, wofür er direkt einen mahnenden Blick Marlenes und ein zischendes "Shhhh!" von Madam Pince erhielt. Kleinlich sank er seinem Stuhl zusammen, die Wangen in Feuer getaucht. "Ich meine", sagte er leiser, "dein Ernst?"
Benjy zuckte mit den Schultern. "Klar. Es ist auch nicht sonderlich kompliziert, ich kann dir zeigen, wie es geht."
"Oh, dann will ich das aber auch sehen!" Marlene schob ihr längst vergessenes Buch zur Seite und blickte Benjy mit glänzenden Augen an. "Das würde bedeuten, ich hätte Zugriff auf einen nie enden wollenden Vorrat an Butterbier und Schokofröschen."
"Du sollst die Küchen nicht gleich leerräumen."
"Wieso? Die können doch sicher neues Essen herzaubern oder so."
"Das ist unmöglich", erwiderte Benjy. "Gamps Gesetz der elementaren Transfiguration verbietet das Erschaffen von Nahrung aus dem Nichts. Wenn du es trotzdem versuchst, passieren schreckliche Dinge mit dir."
Schnaubend verschränkte sie die Arme. "Wie langweilig. Wozu lerne ich denn Magie, wenn ich damit keine Süßigkeiten beschwören kann?"
Benjy lächelte schwach. "Du kannst immer noch anderes heraufbeschwören, nur eben kein Essen oder beispielsweise Geld." Bei seinen letzten Worten schlich sich ein pinker Schleier auf seine Wangen. "Jedenfalls verbietet es Gamps Gesetz, dass man mit Magie materiell wichtige Dinge oder Gegenstände aus dem Nichts beschwört."
"Aber ich kann doch Wasser beschwören, oder nicht?", fragte Marlene.
"Kannst du. Wasser zählt aber nicht zu Gamps Gesetzen und ich bin mir sicher gelesen zu haben, dass Wasser nur deshalb beschwörbar ist, weil es so gut wie keinen Nährwert hat."
"Und was ist mit Tieren?" Peter zog die Stirn in Falten. "Flitwick hat uns doch einen Zauber beigebracht, mit dem man Vögel herausbeschwört."
"Du meinst Avifors, oder?" Benjy wartete, bis Peter genickt hatte, dann fügte er an: "Mit Magie heraufbeschworene Lebeweisen verfügen meist nur über kurze Lebensdauer und verschwinden wieder ins Nichts, wenn sie sterben oder die Magie ausläuft. Also nein, du könntest keine Vögel heraufbeschwören und dann daraus Essen herstellen."
"Verdammt. Ravenclaws müssen aber auch jeden Spaß verderben", murrte Marlene, grinste aber einen Augenblick später. "Aber gut, dann zeig uns bitte die Küche und ich beschaffe mir zumindest genügend Schokofrösche, um den Monat zu überstehen."
"Das heißt, für den Rest der Schule wird nichts übrig bleiben", erwiderte Peter.
Marlene streckte ihm die Zunge raus.
"Ich zeig es euch nur, wenn ihr euch benehmt", sagte Benjy, aber das Zucken seiner Mundwinkel verriet ihn.
"Na dann los!" Marlene stopfte Aufsatz, Buch und Federkiel in ihre Tasche, bevor Peter überhaupt realisiert hatte, was los war. "Worauf warten wir noch?"
"Du erinnerst dich hoffentlich daran", sagte Peter einige Minuten später, als er mit Marlene und Benjy die Treppe in die Kerker hinunterstieg, "dass das eigentlich für Remus ist."
"Klar, sicher. Remus kann auch ein paar Schokofrösche haben, wenn er will."
"Ich dachte, du wolltest ihm Torte bringen?"
"Aber nur, wenn die gut schmeckt. Heißt, ich muss leider erstmal alles probieren und auf die Genüsslichkeit testen. Ich würde Remus niemals eine Torte vor die Nase stellen, die nicht meinen professionellen Test bestanden hat." Marlene nickte bedächtig und Peter verdrehte die Augen.
"Hier is´ es", sagte Benjy. Er war vor einem großen Bild einer Obstschale stehengeblieben, welches sich gut in die Reihe anderer Portraits reihte, die die Wand zierten. Es stach nicht sonderlich hervor, Benjy allerdings hob den Arm und zog damit ein paar sachte Kreise über eine sattgrüne Birne.
Peter und Marlene tauschten einen verwirrten Blich.
Die Birne kräuselte sich unter Benjys Berührung und ein verhaltenes Kichern hallte durch den Gang, bevor das Gemälde sich nach oben schob und einen Durchgang in der Wand freilegte. Dahinter lagen unmissverständlich die Hogwarts-Küchen, wie das Klappern von Kochutensilien, die piepsigen Stimmen der dutzenden Hauselfen und der kräftige Geruch nach allem möglichen zu Essen zu erkennen gab.
"Wow", sagte Marlene, die Benjy als erste in den Raum gefolgt war. Dutzende Herde und Öfen reihten sich aneinander, aber der Großteil der Küche wurde von exakten Replika der Haustische und des Lehrertischs eingenommen, die im Moment nur mit goldenem Gedeck beladen waren. Ein massiver, fünfzehn Fuß hoher Kessel stand fast in der Mitte des Raums und mehrere Hauselfen mussten die hölzerne Kelle festhalten, damit sie genügend Kraft aufbrachten, um den Inhalt umrühren zu können. "Hier will ich bleiben."
"Ich dachte, du wolltest dem Quidditch-Team beitreten?", fragte Peter grinsend, auch wenn er selbst mehr als versucht war, sich hier irgendwo einzunisten.
"Ach Mist", erwiderte sie. "Stimmt, ich muss Potter ja zeigen, dass er nicht der einzige mit Talent ist."
"Ich kanns kaum erwarten."