Sirius Black
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Der Gryffindorgemeinschaftsraum war ein Überfluss an Eindrücken. Sirius wurde von all den roten Sesseln, goldenen Ornamenten, weichen Teppichen, knisternden Feuern und der farbenfrohen Tapete erschlagen, kaum hatte er einen Fuß in den Raum gesetzt. Es war alles, was der Grimmauldplatz Nummer 12 nicht war. Warm, gemütlich, einladend – es fühlte sich nach Zuhause an. Obwohl der Vertrauensschüler Frank Longbottom ihnen gerade alles Grundlegende über ihr Haus erklärte, hörte Sirius nicht zu. Es juckte ihn in den Fingern, sich in einen der roten Sessel am Feuer zu wälzen oder an den kreisrunden Tischen eine Partie Schach zu spielen. Selbst auf eine der Fensterbänke würde er sich gerne setzen und auf die Hogwartsländereien schauen, mit den Gedanken ganz woanders hängen und in einer sicheren, warmen Umgebung verwahren. Der Gemeinschaftsraum fühlte sich wie der sichere Raum an, an dem ihn seine Familie nicht erreichen konnte, den Sirius seit Jahren suchte. Und jetzt hatte er ihn endlich gefunden.
Ein Ellbogen wurde ihm sanft in die Rippen gestoßen und Sirius sah auf, um James Potters Blick zu treffen. „Alles okay, Kumpel?“
Sirius lächelte. „Alles okay, Kumpel“, erwiderte er. James Potter Kumpel zu nennen, stand gegen alles, was seine Familie ihm versucht hatte, die letzten elf Jahre beizubringen und genau deswegen fühlte es sich so gut an, genau das zu tun. Indem er James Potter nicht nur freundlich begegnete, sondern auch daran setzte, den anderen Jungen als Freund zu gewinnen, widerersetzte er sich seinen strikten, fanatischen Eltern nur noch mehr. James mochte auch ein Reinblut sein, aber die Potter-Familie krönte sich nicht mit ihrer Reinheit, wie die Blacks es taten. Blutsverräter nannte man die Potters, eine Beleidigung für all jene, die sich zu sehr mit Muggeln, Muggelstämmigen und Squibs anfreundeten. Es dauerte wahrscheinlich nicht mehr lange, dann würde man Sirius Black auch einen Blutsverräter nennen.
„Dann los“, sagte James grinsend und schob sich die Brille zurecht. „Ich bin hundemüde.“ Er zog Sirius am Ärmel seines Umhangs eine Treppe hinauf und führte ihn in den Jungenschlafsaal der Erstklässler, den Sirius wohl auf sich allein gestellt nicht so schnell gefunden hatte. Dem Vertrauensschüler nicht zuzuhören war nicht seine beste Idee gewesen, aber mit den Konsequenzen konnte er auch später klar kommen.
Der Schlafsaal war ein weiterer Kontrast, den Sirius in Bezug auf sein Kindheitsheim feststellte. Fünf Himmelbetten, alle ausgestattet mit samtenen, roten Bettbezügen, weiten Vorhängen, die man für Privatsphäre zuziehen konnte und eigenen Holzschränken an jedem Bettende, nahmen den Großteil des Raumes ein. Zwischen jedem Bett prangte ein hohes, rundes Fenster mit Blick auf den Waldrand und neben der Tür, durch die James und er gerade getreten waren, befand sich noch eine schmalere, unscheinbarere Tür, die, nach näherer Inspektion, zu einem Badezimmer führte, dass sich die fünf Jungs wohl teilten. Löwenembleme waren auf den Bettlaken und den Holzschränken angebracht, als wäre die rote Bettwäsche nicht genug gewesen, um jedem zu symbolisieren, dass dies tatsächlich die Gryffindorschlafsäle waren. Neben einem Bett allerdings standen Koffer, die mit einem Schlangensymbol und den silbernen Lettern S.O.B. verziert waren.
„Schrecklicher Dekorationsgeschmack“, kommentierte James, als er Sirius‘ Koffer ebenfalls bemerkte. „Du solltest denjenigen feuern, der dafür verantwortlich war.“
„Dann müsste ich meine Mum feuern und glaub mir, wenn ich das könnte, hätte ich es schon längst getan“, erwiderte Sirius und ließ sich auf der weichen, federnden Matratze seines Bettes nieder. Selbst das Bett fühlte sich ganz anders an, wie das in seinem Schlafzimmer im Grimmauldplatz, als wäre der Geist Gryffindors in den Laken eingebettet und würde ihn mit Mut und Sicherheit füllen.
James lachte bellend auf und fing dann an, in seinem Koffer nach seinem Pyjama zu wühlen, wobei er Quidditch-Trikots, T-Shirts und Wollpullover auf den Boden warf. Endlich das gefunden, was er gesucht hatte, machte er keinen großen Hehl daraus, dass er sehr wohl in der Lage war, sich vor fremden Jungs umzuziehen. Er entledigte sich seines Umhangs und der Hose, bis er nur in der Boxershorts dastand, zog sich aber schnell einen seidenen Pyjama über.
„Seide“, sagte Sirius feixend. „Wie der vornehme Reinblutsohn.“
„Sei du bloß ruhig, Black“, erwiderte James und blickte an sich herunter. „Als ob deine Pyjamas nicht aus einem überteuerten Stoff gemacht sind.“
„Touché.“
Nach und nach kamen auf die anderen Mitschüler in den Schlafsaal. Der Junge aus dem Zug, Remus Lupin, trat vollends umgezogen und, wie es aussah, frisch geduscht, aus dem angrenzenden Badezimmer, bevor er wortlos an James und Sirius vorbei zu seinem Bett ging. Er warf einen hektischen Blick aus dem Fenster, bevor er die Vorhänge zuzog.
„Hey“, sagte ein vierter Junge, der vom Gemeinschaftsraum kam. Er war groß und ziemlich breitschultrig für sein Alter, mit kurzgeschorenen dunkelbraunen Fransen und einem kantigen Gesicht. „Ich bin Monty“, stellte er sich vor. „Montana Fortescue.“
James und Sirius stellten sich ebenfalls vor, aber Remus blieb ruhig auf seinem Bett sitzen, die Hände in seinem Schoß knetend.
„Ist das ein Tornados-Trikot?“, fragte Monty und deutete auf eines der Kleidungsstücke, die um James‘ Bett verteilt lagen.
Während er und James sich über Quidditch, ihre Lieblingsteams und die Vorsätze, dass sie auf jeden Fall der Schulmannschaft beitreten würden, unterhielten, schlenderte Sirius zu Remus herüber.
„Heimweh?“, fragte er den anderen Jungen.
„Was?“ Remus schreckte auf, als hätte er Sirius gar nicht kommen hören. Seine Augen huschten beinahe panisch von Sirius zum Fenster und wieder zurück. „Nein – ich – ich meine, vielleicht. Ich weiß nicht. Ich war noch nie von Zuhause weg.“
„Echt noch nie?“, erwiderte Sirius und ließ sich ohne Einladung neben Remus auf dem Bett nieder. Er lehnte sich zurück und stützte sich mit den Armen ab. „Ich hab bisher nur einmal bei meinem Onkel Alphard übernachtet“, erzählte er. „Mit sieben, glaub ich. Er hat mir gezeigt, wie man mit einer Muggelknarre schießt und ich durfte Tonscheiben zerschießen.“ Sirius grinste bei dieser Erinnerung. „Ah, guter Mann, dieser Alphard. Meine Mutter war stinksauer, als ich ihr das erzählt habe. Hat gesagt, Alphard solle mich nicht mit diesem Muggelabschaum verderben und ich sollte mich ab sofort von ihm fernhalten.“
Remus, der an Sirius‘ Lippen gehangen hatte, fragte leise: „Und hast du?“
„Natürlich nicht“, erwiderte er. „Im nächsten Sommer hab ich mich weggeschlichen und bin mit Alphard ausgeritten und das hat meine Mutter wieder etwas beruhigt. Solange er mir keinen Kram von den Muggeln zeigt, kann ich ihn besuchen gehen, auch wenn sie immer noch nicht der größte Fan von ihm ist. Hab ihn aber seit bestimmt drei Jahren nicht mehr gesehen. Meine Mutter findet, er hat sich zu sehr von den Muggeln einlullen lassen.“ Er zuckte mit den Schultern und blickte Remus dann herausfordernd an.
„Meine Eltern lassen mich nicht woanders schlafen“, sagte Remus nach ein paar Momenten leise. „Sie glauben, ich sei – ich meine, sie wollen mich nur beschützen.“ Er räusperte sich. „Deswegen hab ich auch noch nie woanders geschlafen.“
„Na, dann wird es ja Zeit!“, sagte Sirius grinsend. „Deine erste Pyjama-Party!“
Remus lachte. „Schätze schon. Danke“, fügte er an.
Schulterzuckend richtete Sirius sich wieder auf. „Keine Ursache, Remus“, meinte er. „Wir müssen die nächsten sieben Jahre aufeinander hocken, da wäre es ja schade, wenn wir uns nicht verstehen.“ Er grinste den anderen Jungen noch mal an. „Morgen Abend zeige ich dir, wie man eine Kissenschlacht gewinnt und dann stürzen wir uns gemeinsam auf James.“
„Abgemacht.“
Sirius ging zum Nachbarbett, neben welchem auch sein Koffer stand und, wie James zuvor, wühlte in seinem Gepäck nach dem Pyjama. Gerade als er ihn herausgezerrt hatte, öffnete sich die Tür ein weiteres Mal und der letzte Junge in ihrem Schlafsaal trat ein, ein rundlicher Junge mit blonden Haaren und ziemlich hellen, blauen Augen.
„Hallo“, sagte er mit leicht quietschender Stimme, bevor er aufgeregt zum letzten Bett eilte. „Ich bin Peter.“
Erneut stellten sich alle Jungs namentlich vor und als sich schließlich alle mit dem Badezimmer abgewechselt hatten, gingen sie, ohne sich noch groß zu unterhalten, zu Bett. Das einzige Licht im Schlafsaal war der Mondschein, der durch die Fenster fiel. James fing Sirius‘ Blick in der Dunkelheit auf und grinste ihn an. „Auf die nächsten sieben Jahre“, flüsterte er in die Nacht.
Sirius lachte. „Auf die nächsten sieben Jahre, Kumpel.“