Walburga Black
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Der klägliche Schrei eines Hauselfen hallte durch die Hallen, verebbte jedoch so schnell, wie er gekommen war. Die Anwesenden blickten kaum von ihren Unterhaltungen auf, ließen dabei nicht einmal durchdringen, dass die die Misshandlung des magischen Wesens mitbekommen hatten. Ein weiterer Schrei ertönte, gefolgt vom unmissverständlichen Klirren von Glas auf Stein.
„Wer hätte gedacht, dass solch unfähige Kreaturen im Malfoy Manor arbeiten“, sagte Bellatrix, die genüsslich an einem Glas mit Feenwein nippte und dabei dunklen Lippenstift an den Glasrand schmierte. „Bei dir würde es solches Benehmen nicht geben, nicht wahr, Tante? Du würdest kurzen Prozess mit denen machen, so wie mit Kreachers Mutter.“ Bellatrix fuhr mit einem ihrer langen Nägel an ihrem Hals entlang und machte ein würgendes Geräusch, bevor sie ihre Tante Walburga angrinste.
Walburga schnaubte ungehalten. Sie hatte sich für den Abend in ihre besten Roben geworfen, samtig schwarz mit eingestickten schwarzen Rosen darauf, mit einem hochgestellten Kragen, der ihren Hals länger wirken ließ und einem enggeschnürten Korsett, bei dem sie sich sicher war, einige obszöne Gedanken ausgelöst zu haben. Kreacher hatte ihre Haare in einen aufwendigen Turm frisiert, sowie feines Make-Up aufgetragen, sodass Walburga fast geglaubt hatte, in einen falschen Spiegel geschaut zu haben. Obwohl sie nun schon weit über fünfzig war, hatte Kreacher es geschafft, dass sie sich wie eine frisch vermählte Zwanzigjährige fühlte.
„Kreachers Mutter war alt, nicht unfähig, Bella“, erwiderte sie, die Finger fest um ein unangerührtes Glas mit Feuerwhisky geschlungen. „Ich töte meine Hauselfen nicht, nur weil mir danach ist.“
Bella grinste, wobei sie eine ganze Reihe an weißen Zähnen zeigte, von denen einige mit ihrem dunklen Lippenstift versehen waren. Wenn Walburga eine bessere Tante wäre, dann würde sie ihre Nichte darauf hinweisen. „Ah, aber zumindest hast du deine Hauselfen besser im Griff, nicht so wie Abraxas. Kreacher würde nie auch nur einen Tropfen vergießen.“
„Ein Hauself spiegelt in vielen Fällen seinen Meister wider“, entgegnete Walburga, wobei sie nicht umhin konnte, als ihrer Nichte in diesem Punkt zumindest Recht zu geben. „Ich gehe schwer davon aus, dass Abraxas so beschäftigt ist, dass er sich nicht persönlich um seine Bediensteten kümmern kann.“
Während Belle nickte, fielen ihre schweren, dicken Locken über ihre Schulter, die sie mit einem nebensächlichen Wischen ihrer Hand wieder auf ihren Rücken beförderte. „Da ist wohl was dran. Es ist wohl kein besonders einfacher Job, wenn man versucht, das Ministerium von innen heraus in die Hände zu bekommen.“
Walburga lächelte. „Er ist ja bald nicht mehr allein, wenn ich den Quellen trauen darf. Rabastan und Rodolphus haben sich Stellen im Zaubergamot gesichert, nicht wahr?“
Wenn Bellatrix irgendwelche Gefühle für ihren Verlobten hatte, dann wusste sie, wie man diese verbarg. „Richtig, richtig, wobei natürlich keiner von denen allein reingekommen wäre. Das haben wir Cervantes zu verdanken. Und natürlich Onkel Orion“, fügte sie mit einem blitzenden Lächeln an. „Eine Schande, dass er heute nicht dabei sein konnte.“
„Mein Ehemann ist ebenfalls schwer beschäftigt“, antwortete Walburga, wobei sie es nicht verhindern konnte, dass es wie einstudiert klang. „Er sendet uns allen seine besten Grüße und hofft, wir können einen ertragreichen Abend genießen, während er in seiner Arbeit vergeht. Ich bin sicher, Kreacher leistet ihm gute Gesellschaft.“
Die andere Frau machte keinerlei Anzeichen, dass sie ihrer Tante Glauben schenkte. „Was genau macht er denn überhaupt?“, fragte sie beiläufig klingend, wobei sie das hungrige Glänzen aus den beschatteten Augen nicht verbannen konnte. „Ich bin mir nicht sicher, dass mir bisher jemand sagen konnte, worin genau Orions Job besteht.“
Walburga betrachtete ihre Nichte mit einem kühlen Blick, ihre Fingern schlangen sich fester um das Glas. Sie reckte das Kinn, wobei die teure, edelsteinbesetzte Kette an ihrem Hals klimperte und die Lichtstrahlen des Kronleuchters auffing. „Mein Mann“, sagte sie, die Stimme ruhig und eisig, „ist ein wichtiges Mitglied in den Reihen der Heiligen Achtundzwanzig, Bellatrix, das solltest du wissen. Er ist für viele Dinge verantwortlich, letztendlich auch für die Instandhaltung unserer aller Familien. Oder hast du bereits vergessen, dass er derjenige war, der Rodolphus und dich für die Ehe auserkoren hat, genauso, wie er es mit deiner Schwester getan hat.“ Die Worte klebten wie gefrorenes Blut in ihrem Rachen. Seit die zweite Tochter ihres Bruders aus dem Stammbaum entfernt wurde, hatte keiner der Anwesenden auch nur ein Wort über die verbannte Hexe verloren. Nicht einmal der Name wurde gesprochen, geschweige denn geflüstert oder gedacht. Sofern es Walburga nunmehr interessierte, hatte ihr Bruder nur zwei Kinder, Bellatrix und Narzissa, die ihren Eltern in gutem Beispiel folgten. „Lucius und Narzissa werden Haus Malfoy und Haus Black gute Dienste erweisen, Bellatrix.“
Der hungrige Ausdruck verschwand aus ihren Augen. Stattdessen sah die dunkelhaarige Hexe für einen Moment so aus, als hätte man sie mit einem schweren Fluch belegt. „Selbstverständlich werden sie das“, entgegnete Bella gefährlich leise klingend. „Ich bin mir sicher, dass meine Schwester nur das Beste für die Familie im Sinn hat.“
Selbst wenn Walburga eine Antwort parat gehabt hätte, wäre sie nicht mehr dazu gekommen, diese auch auszusprechen, denn in diesem Moment öffneten sich die prächtigen Türen von Malfoy Manors Speisesaal. Eine Reihe an Hauselfen in sauberen Hemden und Krawatten standen hinter den Türen, bereit, den Gästen die Gläser neu aufzufüllen oder sie zu ihren Plätzen zu geleiten. In der Mitte der Hauselfen stand die hochgewachsene, weißblonde Gestalt von Abraxas Malfoy. Mit den dunklen, intelligenten Augen betrachtete er seine Gäste für einen Moment.
„Ich muss mich für die Verzögerung entschuldigen“, sagte er, seine Stimme weich wie Samt. „Ich hoffe, der kleine Zwischenfall hat euch allen nicht den Appetit verdorben. Kommt, setzt euch, meine lieben Freunde.“
Bellatrix schnaubte leise, sagte aber nichts, sondern folgte ihrer Tante in den Speisesaal der Malfoys. Ein Tisch, der Walburga an die Haustische von Hogwarts erinnerte, nahm den Großteils des Raumes ein, der so extravagant geschmückt war, dass man beinahe glauben konnte, in einen der alten Paläste getreten zu sein. Gold zierte die Wände und die vielen Kronleuchter, während Statuen aus Marmor und Elfenbein zwischen den hohen, glatten Säulen standen. Portraits von verstorbenen Familienmitgliedern und Bouquets mit gepflegten Blumen nahmen die freien Plätze an den Wänden ein, während zwischendurch das durchscheinende Glas von polierten Fenstern in den geräumigen Garten der Malfoys zeigte. Weitere Statuen zierten den Rasen und hier und da blitzten die bläulich-schimmernden Federn eines Pfaus auf.
Es war Walburga ein Rätsel, was Abraxas so an diesen Vögeln fand, dass er sie frei auf seinem Anwesen leben ließ, aber sie hatte auch nie den Drang verspürt, nachzufragen.
Sie ließ sich von einem Hauself an ihren Platz geleiten, nahe des Kopfes des Tisches, nur zwei Sitze entfernt von Abraxas, der vor seinem verzierten Stuhl stand und darauf wartete, dass alle Platz genommen hatten. Direkt neben Walburga nahm ihr Bruder Cygnus Platz, ihnen gegenüber saßen Druella und Bellatrix, daneben Lucius, Abraxas´ Sohn und Narzissas Ehemann, sowie Rodolphus und Rabastan Lestrange. Den gesamten Tisch entlang entdeckte Walburga bekannte Gesichter von Mitgliedern der Achtundzwanzig, darunter Cervantes Mulciber, der auf Cygnus und Druellas Weihnachtsfeier vor einem Jahr bloßgestellt wurde, sowie Daralis Fawley und Perelope Avery, die Walburga schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge waren.
Als der letzte Nachzügler eingetroffen und sich gesetzt hatte, wurde jedem Anwesenden der freibleibende Platz an Abraxas´ Seite bewusst. Es war, als würde ein Puzzleteil fehlen. Walburga blickte den Tisch hinauf und hinab, wurde aber nicht schlau daraus, für wen dieser Platz denn reserviert sein könnte. Anmerken ließ sie sich davon nichts. Mit kühler, berechnender Miene saß sie auf ihrem Stuhl, den Rücken fest durchgedrückt, sodass sie die samtene Lehne nicht berührte, die Finger sorgfältig vor ihrem goldenen Teller gefaltet, ein Glas mit brennendem Feuerwhisky neben ihrer Hand. Alles war an seinem Platz, alles war so, wie es bei einem Treffen der Achtundzwanzig sein sollte und dennoch – ein Stuhl blieb leer.
Abraxas breitete die Arme aus. „Ich bin überaus gerührt, dass ihr es alle zu diesem kleinen Zusammentreffen geschafft hat“, sagte er mit samtiger Stimme. „Wie viele von euch bereits wissen, gehen derzeit ein paar Unruhen in unserer magischen Welt vor. Das Ministerium, allen voran Ministerin Jenkins und ihre vertraute Aurorenzentrale, haben dunkle Magie im Visier.“ Abraxas zeigte allen ein schmales Lächeln. „Dunkle Magie, Helle Magie. Humbug, wenn ihr mich fragt. Magie ist nicht gut oder böse, Magie ist nicht ein Zweck zum Mittel. Magie ist ein Teil von uns, meine Freunde, ein Teil, seit wir geboren wurden. Es ist unser Geburtsrecht, Magie zu wirken und einen Zauberstab zu halten und doch“, er ließ eine dramatische Pause, bevor er Luft holte und leiser fortfuhr, „und doch, lassen wir zu, dass wir in den Schatten leben, verdeckt unter den magielosen Menschen. Viele, mich eingeschlossen, sehen darin keine Fairness.“
Ein Raunen ging durch die Menge, als ein Großteil der Anwesenden murmelnd zustimmte. Walburga hielt sich zurück. Sie musste sich nicht der Meute anschließen, um dem Anführer zu gefallen, sie musste keine Sympathiepunkte bei Abraxas sammeln.
„Reines Blut“, fuhr Abraxas fort, als sich die Anwesenden beruhigt hat, „ist das einzige, dass heutzutage noch einen Standpunkt in der Welt hat. Meine Freunde, wir sind eine aussterbende Rasse. Wir sind Menschen, Zauberer und Hexen mit dem reinsten Blut, dass es unter unsersgleichen gibt und wir sind eine Minderheit geworden. Halb-Blüter“, spuckte er. „Schlammblüter. Unser magisches Geschenk wird mit Füßen getreten, in dem es mit den magielosen Muggeln geteilt wird und die daraus resultierenden Abkömmlinge sind der Grund, wieso wir mit einem reinen Blut Gesegneten immer mehr in den Untergrund getrieben werden. Seit Jahrhunderten wird alles dafür getan, dass der Name Malfoy mit reinem Blut verbunden ist und dasselbe gilt für die Blacks“, mit einem langsamen Nicken deutete er auf Walburga und ihren Bruder, „die Lestranges, Avery, Fawley. Wir sammeln uns in unseren Gruppen zusammen, um unser Geschenk des reinen Blutes zu schützen und damit nicht nur unser Blut sauber zu halten, sondern auch unsere Magie. Denn nur die Menschen mit reinem Blut können jene tiefen Abgründe und Geheimnisse der Magie erkunden, die den anderen verwehrt bleiben. Nur wir können dafür sorgen, dass sich das magische Blut nicht zu sehr mit dem Schlamm vermischt und irgendwann nicht mehr von ihm unterschieden werden kann.“
Abraxas ließ eine Pause, in der er seine Gäste betrachtete, die sich miteinander unterhielten, flüsterten, das Gesagte weitergaben und unterstützten. Mit gefalteten Händen ließ er seinen dunklen Blick durch den Raum schweifen. „Deswegen ist es mir nun auch eine große Freude“, sagte er, wodurch er die ausgebrochenen Gespräche mit einer eisigen Dissonanz in der Stimme unterbrach, „euch einen Mann von solch reinem Blut vorzustellen, dass selbst einige von uns daneben erblassen. Bitte, ich möchte dass ihr alle Lord Voldemort begrüßt, Nachfahre von Salazar Slytherin und Ehrengast auf Malfoy Manor.“
Kollektiv wurde der Atem im Raum angehalten, als sich die weiten Türen in der Halle ein weiteres Mal öffneten. Im Rahmen stand ein Mann. Kein Mann, verbesserte Walburga sich in Gedanken, die den Kopf ein wenig recken musste, um ihn gut zu erkennen. Ein Anführer.
Lord Voldemort betrat mit langsamen Schritten den Speisesaal. Seine Füße, die in glänzenden Schuhen steckten, schienen lautlos über den Boden zu gleiten, während der Saum seines Umhangs über den teuren Marmor schliff. Dunkles Haar und gräulich-blasse Haut, dazu beinahe schwarze Augen und ein gutaussehendes, markantes Gesicht waren das Erste, was auffiel, wenn man Voldemort betrachtete, erst danach wurde man sich der Ausstrahlung bewusst, die er hatte. Als würde die Erde zwischen dem Himmel zerbersten und was aus den Rissen gekrochen war, war Voldemort. Zwischen seinen langen Fingern drehte er einen aus schwarzem Holz geschnitzten Zauberstab hin und her, während alte, vergessene Magie aus jeder seiner Poren zu sickern schien. Mit einem Mal war die Luft im Raum dick und matt, das Atmen wurde schwieriger.
Dunkel waren seine Augen, aber es war nichts im Vergleich zu der Magie, die von ihm ausging. Schwarz, nur so konnte Walburga sie beschreiben. Das war schwarze Magie, die dunkelste, schwärzeste Magie, die sie je gespürt hatte. Voldemort schritt am Tisch entlang, bis er schließlich neben Abraxas stehen blieb.
Neben Voldemort wirkte Abraxas nicht mehr wie der geborene Anführer.
Neben Voldemort wirkte Abraxas plötzlich klein und unbedeutend. Wie eine Kakerlake unter dem teuren Absatz, den Voldemort trug. Es schien, als könnte der Neuankömmling sie alle zerquetschen und müsste dafür keinen Finger krümmen.
Trotz ihrer Affinität mit Magie, dunkel wie auch hell, alt wie auch vergessen, musste Walburga schlucken.