Sirius Black
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Zwei Wochen später fanden sich Sirius und seine Kumpanen erneut in einem stockfinsteren Gang wider. Sie hatten versucht, sich an Alice´ Warnung zu halten und nicht in der Nacht durchs Schloss zu laufen, aber der Ruf der Freiheit war einfach zu mächtig gewesen, als dass sie es hätten ignorieren können. Selbst Remus, der nach einer weiteren Werwolfsverwandlung noch immer ein wenig blass um die Nase war, hatte es nicht abwarten können, bis sie wieder ein paar Regeln brechen würden. Wahrscheinlich würde Madam Pomfrey ihn mit einem Klebezauber ans Bett fesseln, wenn sie wüsste, dass er sich nicht an ihre verschriebene Bettruhe hielt.
Diese Nacht hatten sie wesentlich mehr Glück: Keine Vertrauensschüler liefen ihnen über den Weg und mussten mit falschen Türen abgelenkt werden und auch von Narzissa und Alice war keine Spur. Das Schloss war ruhig, der Mond war kaum zu sehen und eine geheimnisvolle Atmosphäre lag über den stillen Gängen, in denen lediglich vier Zweitklässler ihr Unwesen trieben.
Sie befanden sich an derselben Stelle, an der sie letztes Mal in Narzissa gelaufen waren, als Remus plötzlich innehielt. „Wartet“, sagte er leise.
„Was ist? Vertrauensschüler?“ James hatte sofort seinen Stab gezückt und ihn willkürlich in eine Richtung gehalten, als würde er erwarten, jeden Moment von einem Bataillon von Schülern attackiert zu werden.
Sirius verdrehte die Augen.
„Nein, ich – bin nicht sicher“, erwiderte Remus langsam. „Ich höre etwas, aber keine Schritte.“
„Stimmen?“, fragte Peter.
„Nein, eher ein – ein Zischen, glaube ich.“
„Zischen?“, meinte Sirius. „Bist du sicher, dass Pete nicht wieder einen fahren lassen hat?“
„Hab ich überhaupt nicht!“, entgegnete Peter, dessen Gesicht puterrot angelaufen war.
Sirius lachte, bevor er sich selbst stoppte, um sie nicht zu verraten. „War nur ein Witz, Pete, beruhige dich.“
Peter murmelte etwas Unverständliches.
„Ich weiß ja nicht, Remus“, sagte James, ehe er seinen Stab wieder sinken ließ. „Ich höre nichts.“
„Wer hat hier das Wolfsgehör?“
„Okay, schon gut, tut mir leid. Aber – bist du sicher? Hörst du es immer noch?“
Remus kniff die Augen zusammen und lauschte. Seine Stirn lag in tiefen Falten, die ihn wesentlich älter als zwölf aussehen ließen. „Nein“, murmelte er schließlich. „Vielleicht hab ich es mir wirklich eingebildet.“
Vorsichtig klopfte Sirius ihm auf die Schulter. „Sicher, dass du nicht immer noch müde bist?“
„Sicher“, erwiderte Remus brummend und schüttelte seine Hand ab. „Mir geht’s bestens, danke.“
James fing Sirius´ zweifelnden Blick auf, aber sagte nichts. Sie waren es mittlerweile alle gewohnt, dass Remus manchmal Dinge sagte, die er nicht so meinte, wenn die Verwandlung an ihm nagte, ob davor oder danach war dabei egal.
„Lasst uns weitergehen“, murmelte Peter, der das Ende des Ganges im Visier hatte. „Es ist mir nicht so geheuer, wenn wir zu lange an einer Stelle bleiben.“
„Guter Vorschlag“, sagte James, verstaute seinen Stab wieder in der Tasche und ging dann weiter, Peter auf den Fersen.
Sirius folgte ihm, blieb dann stehen und drehte sich um, als Remus keine Anzeichen machte, ihnen zu folgen. „Remus?“
„Mir geht’s wirklich gut“, erwiderte der andere Junge. „Ich – ich bilde mir nichts ein.“
„Das wissen wir“, sagte Sirius mit sanfter Stimme, ehe er einen Schritt auf ihn zuging. „Okay? Wir wissen das doch, Rem.“
Remus verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Rem?“
„Auch nicht gut?“, fragte Sirius grinsend. „Komm schon, Remu hat dir nicht gefallen und Rem auch nicht? Noch mehr Buchstaben kann ich nicht wegnehmen, Re.“
„Du kannst auch einfach meinen Namen nutzen, Sirius. Siehst du? Ganz einfach. Sirius. Nicht Siri.“
„Gegen Sir hätte ich aber nichts einzuwenden“, meinte er mit einer hochgezogenen Augenbraue, die Remus dazu veranlasste, mit den Augen zu rollen.
„Keine Spitznamen“, sagte er. „Und jetzt weiter, bevor James uns zurücklässt.“
„Ich finde schon noch einen Namen für dich, Rem.“
„Aus“, erwiderte Remus mit scharfer Stimme, in der aber das versteckte Grinsen deutlich zu hören war.
„Ich bin doch kein Hund.“
„Aber vielleicht muss ich dich wie einen trainieren, wenn du nicht hören willst.“
„Wow okay, ich wusste nicht, dass es dir so wichtig ist. Rem. Gut, keinen Spitznamen mehr. Bis mir ein besserer einfällt, natürlich.“
„Du bist wirklich unverbesserlich, Sirius.“
„Das höre ich oft.“
„Ja, von mir“, brummte Remus lachend.
Die beiden schlossen zu ihren anderen Freunden auf, die an der Treppe in den dritten Stock auf sie gewartet hatten. James fragte nicht, warum sie so lange gebraucht hatten, was Sirius ihm sehr hoch anrechnete, Peter allerdings warf fragenden Blicke zwischen ihnen hin und her, auf die er keine Antwort erhielt. Sirius zuckte mit den Schultern; Remus schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Na schön, habt eben Geheimnisse vor uns“, murrte er.
„Oh Pete“, erwiderte Sirius.
„Lass gut sein“, meinte James grinsend. „Wir haben ein Schloss zu erkunden!“
James´ Enthusiasmus konnte man nicht bremsen, egal, wie sehr man es auch versuchen würde. Sobald sich der Junge ein Ziel gesetzt hatte, würde er unerträglich darauf hinarbeiten, ob es für andere – meistens Sirius – nervenraubend war oder nicht. Es erinnerte ihn an den Anfang des Jahres zurück, als James nicht einmal schlafen wollte, um für die Auswahlspiele zu trainieren oder als er stundenlang Bücher für ihren Halloweenstreich gewälzt hatte. Manchmal war sich Sirius nicht sicher, ob nicht doch zwei Versionen von James existierten, die sich einfach nur abwechselten, andernfalls konnte er sich manchmal nicht erklären, wie eine Person sich so sehr auf eine Sache konzentrieren konnte ohne durchzudrehen.
Im dritten Stock passierten sie eine weit offen stehende Klassenzimmertür, aus der geisterhaftes Wehklagen zu hören war (ein Blick hinein hatte Sirius offenbart, dass die Graue Dame wehmütig aus dem Fenster gestarrt und geseufzt hatte, bevor er sich schnellstmöglich zurückgezogen hatte, um nicht entdeckt zu werden), ehe sie an einer ganzen Reihe an schlafenden Portraits vorbeischlichen, damit sie keinen der Insassen aus Versehen wecken würden. Die Fette Dame verriet zwar niemanden, der nachts durch ihr Portrait schlich, aber Sirius hatte beobachtet, wie der Hausmeister Filch manchmal die gemalten Figuren in den Bildern befragte, ob sie in der Nacht davor jemanden gesehen hatten. Keine Ehre hatten diese Leute, dachte er, als sie am Bild eines schnarchenden Zauberers vorbeihuschten, dessen Hut über seine Augen gerutscht war.
Das einzige Mal, dass es knapp wurde, erwischt zu werden, war, als sie in den Gang einbiegen wollte, der zur Großen Treppe führte und beinahe Peeves in die Arme gelaufen wären, der durch die Wände huschte, Wandteppiche zusammenknotete und Helme von Rüstungen falsch herum setzte, während er gehässig gackerte.
„Mist“, murmelte James über Peeves Lachen hinweg. „Was jetzt? Remus?“
„Was? Was guckst du mich an?“, fragte der Angesprochene.
„Du hast auch den Vertrauensschüler ausgetrickst, da sollte so ein oller Poltergeist doch kein Problem für dich sein, oder?“
Remus schnaubte. „Gegen Geister wirken die meisten Zauber nicht“, sagte er leise. „Was du wissen würdest, wenn du bei Flitwick aufgepasst hättest.“
„Wann hat er das bitte erwähnt?“
„In der letzten Stunde, aber du warst zu beschäftigt, Pergamentschnipsel in Lilys Haare zu werfen“, meinte Remus anklagend.
„Oh. Ja, kann sein“, meinte James grinsend. „Ich wollte nur testen, wann sie es merkt und ehe ich mich versah, hatte ich fast das ganze Pergament aufgebraucht.“
„Wie auch immer, ich hab keine Ahnung, was man für einen - “
Sirius unterbrach Remus mit einer erhobenen Hand. „Du denkst viel zu kompliziert“, sagte er. „Peeves ist einfältig, da brauchst du keinen Zauber für. Hier, pass auf.“ Sirius legte seine Hände vor den Mund, sodass sie einen Trichter bildeten, dann ließ er seine Stimme tiefer und kratziger klingen, als sie es normalerweise war, auch wenn dadurch sein Rachen kitzelte und sagte dann: „Peeves, was treibst du hier?“
Der Effekt blieb nicht aus. Als hätte man den Poltergeist am Hosenbund gezogen, schrie er kleinlich, mit hoher Stimme auf. „Mi-Mi-Mister Blutiger Baron, Sir!“
„Du störst meine Geschäfte, Peeves“, brummte Sirius, sodass seine Stimme laut zu vernehmen war. „Verschwinde und lass dich heute Nacht nicht mehr in der Nähe blicken!“
Peeves schrie erneut auf. „Selbstverständlich, Mister Blutiger Baron, Sir, es tut mir so unendlich leid! Ich werde sofort das Weite suchen und euch nicht mehr behelligen, Sir, Mister Blutiger Baron, Sir. Tut mir so leid!“ Mit einem Geräusch, als hätte man die Luft aus einem Ballon gelassen, sauste Peeves durch die Luft, bevor er in einer Wand verschwand und nichts, als Stille und umgedrehte Helme zurückließ.
„Cool“, hauchte Peter. „Seit wann kannst du das bitte?“
„Seit eben gerade“, gab Sirius schulterzuckend zu.
James hob eine Augenbraue. „Einfach aber wirksam. Nicht schlecht.“
„Was ist?“, fragte Sirius an Remus gewandt, der ihn mit zusammengezogenen Brauen betrachtete. „Hat dir meine Imitation nicht gefallen?“
„Oh, doch, sehr beeindruckend, nur … wenn ich ehrlich bin, dann hätte ich dir sowas nicht zugetraut“, erwiderte Remus, ehe er entschuldigend lächelte. „Du scheinst mir manchmal eher der Typ zu sein, der alles mit Magie lösen will.“
Sirius zuckte mit den Schultern. „Ich hab gelernt, dass es auch magielose Lösungen geben kann. Hab ich mir von Evans und Macdonald abgeguckt.“
„Das solltest du ihnen lieber nicht sagen, sonst unterstellen sie dir noch, dass du dir als Reinblüter die Kultur der Muggel aneignest.“
„Soweit würde ich auch nicht gehen“, meinte Sirius. „Ich bleibe lieber bei meiner Magie, anstatt anfangen zu müssen, irgendwelche Autos zu nutzen oder so. Wobei … Motorräder sind schon cool.“ Remus, James und Peter starrten ihn an, als hätte er gerade schreckliche Neuigkeiten verkündet. Sirius runzelte die Stirn. „Was ist?“
„Woher weißt du bitte, was ein Motorrad ist?“, fragte Remus im gleichen Moment, wie James fragte: „Was bitte ist ein Motorrad?“
„Oh“, er lachte schallend auf, bevor er sich schnell eine Hand auf den Mund drückte. Mit leiserer Stimme fuhr er fort: „Mary hat mir ein Magazin gezeigt, das sie von zuhause mitgebracht hat und da war ein Kerl mit einem Motorrad zu sehen, den sie gut fand. Sie hat mir dann erklärt, was das ist.“
„Und was ist das bitte?“, fragte James erneut, mehr als verwirrt klingend.
„Ein Fahrzeug“, erklärte Remus. „Wie ein Besen, irgendwie, nur mit Rädern und es kann nicht fliegen.“
James zog die Augenbrauen zusammen. „Warum würde man sowas haben wollen?“
„Weil Muggel nicht einfach so fliegen können, James“, meinte Remus geduldig klingend, wobei er kaum merklich die Augen verdrehte. „Was mich zurück bringt: Wozu brauchst du ein Motorrad?“
Sirius zuckte mit den Schultern. „Sie sehen cool aus, oder?“
Remus sagte nichts, sondern schüttelte lediglich den Kopf. „Wir sollten dann mal weiter, nicht wahr? Bevor noch ein Poltergeist auftaucht und Sirius seine Stimmkünste zeigen muss.“
„Gibs zu, es hat dir gefallen, Lupin“, grinste Sirius ihn an, was Remus kaum mehr als ein Schnauben entlockte, auch wenn Sirius sich sicher war, dass der andere Junge sein Lächeln verborgen hatte.
Bevor sie jedoch die Große Treppe nach unten nehmen konnten, hielt Remus ein weiteres Mal inne, den Blick nach hinten geworfen, als hätte er erneut etwas gehört. „Habt ihr –“
„Wahrscheinlich nicht“, meinte James. „Was war denn?“
„Ich weiß nicht recht“, erwiderte Remus langsam. „Es klang ähnlich wie ein Heulen.“
„Ein Heulen? Hat sich irgendein Erstklässler verlaufen?“, fragte Peter.
„Nicht so eins“, sagte Remus rasch. „Eher wie – wie Wind.“
Sirius lauschte angestrengt, aber konnte beim besten Willen nichts hören, was annährend mit dem übereinstimmte, was Remus gemeint hatte zu hören. Er legte die Stirn in Falten und sagte leise: „Weißt du, von wo es kam?“
„Hm.“ Der andere Junge schloss die Augen und reckte das Kinn ein wenig die Höhe, auch wenn Sirius sich nicht sicher war, wie das beim Hören helfen würde. Remus blieb für ein paar Augenblicke still, dann drehte er sich von der Treppe weg. Mit vorsichtigen, blinden Schritten folgte er dem ausgestorbenen Gang, blieb ab und zu stehen und lauschte in die Stille, bevor er weiterlief.
Sirius und die anderen blieben dicht hinter ihn, bereit, Remus abzuhalten, falls er in eine Mauer oder Rüstung laufen wollte. Mit jedem Schritt hielt er die Luft an, um keine Geräusche zu verursachen, die Remus bei der Suche ablenken würden, er versuchte seine Schuhe so sanft wie möglich auf den Stein treffen zu lassen, wie er nur konnte, auch wenn er selbst die Schritte nicht hörte. Sirius glaubte Remus, wenn er sagte, dass er etwas hörte, dass sie anderen nicht hören konnten.
Für ein paar lange Momente folgten sie dem steinernen Gang zurück, bis Remus schließlich stehen blieb und die Augen öffnete. „Hier ist es am lautesten.“ Er drehte den Kopf, bis er ins Antlitz einer einäugigen Hexenstatue blickte, die sich so sehr krümmte, dass sich ihr Gesicht fast auf Remus´ Augenhöhe befand. Er zog die Brauen zusammen.
„Hier?“, fragte Peter zweifelnd klingend. „Bist du – ich meine, bist du sicher? Es sieht nämlich nicht danach aus, als wäre hier etwas außer einer hässlichen Alten.“
James schnalzte kopfschüttelnd mit der Zunge. „Peter, Peter, Peter. Wie kannst du nur so blind sein? Genau das wollen die doch, dass du siehst.“
„Wer sind die?“, erwiderte Peter, aber James überging ihn.
„Wenn ich es genau betrachte, dann wäre das wirklich das perfekte Versteck für etwas, nicht wahr? Das hässliche Gesicht soll davon ablenken, dass mehr dahinter steckt, als auf den ersten Blick sichtbar ist und wahrscheinlich wurde darauf gewettet, dass keiner die Statue genauer untersuchen will, weil sie eben nicht sehr hübsch ist.“ James ging mit langsamen Schritten auf die bucklige Hexe zu. „Ziemlich genial.“
„Du wirst jetzt sehr dämlich aussehen, wenn da nichts ist, Potter“, meinte Sirius grinsend.
„Remus hat es doch gehört, oder nicht? Hier ist was und ich bin mir sicher, dass es stimmt, wenn Remus es gehört hat.“
Trotz der lichtschwachen Verhältnisse konnte Sirius erkennen, wie Remus etwas dunkler im Gesicht wurde. „Das war doch – ich meine, vielleicht hab ich es mir auch wieder nur eingebildet.“
„Unsinn“, sagte James. „Du bildest dir nichts ein. Du bist ein Rumtreiber“, fügte er an, als wäre das auch nur ansatzweise ein Indiz dafür, dass man sich nichts einbilden konnte. James Potters Logik durfte man meistens nicht zu sehr hinterfragen. „Also. Was sollen wir machen?“
„Vielleicht Revelio?“, überlegte Peter laut. „Flitwick hat gesagt, damit kann man Verborgenes sichtbar machen.“
„Gute Idee“, erwiderte James strahlend, auch wenn sein Lächeln einen Augenblick später in sich zusammenfiel. „Äh, weiß einer von euch, wie man den zaubert?“
„Nö“, erwiderte Sirius, zog aber dennoch seinen Zauberstab. „So schwer kann der aber nicht sein, oder? Revelio!“ Mit der Spitze seines Stabes deutete er auf die Buckelhexe, vollführte ein wagemutige Bewegung, in der Hoffnung, einen großen Bereich damit einzuspinnen und wartete, dass etwas passierte.
Ein paar goldgelbe Funken fielen von seinem Stab zu Boden.
„Beeindruckend“, sagte Peter trocken.