Sirius Black
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Bis zum Abendessen verließ Sirius sein Zimmer nicht. Er verbrachte die Zeit, in dem er an die Wand starrte und in Gedanken über Regulus schimpfte. Er wusste nicht, womit er es verdient hatte, dass sein kleiner Bruder sich nach all seinen Jahren der Opferung gegen ihn wendete, aber es war ihm auch egal. Wenn Regulus allein mit ihren Eltern klarkommen wollte, wenn er gerne den Erben spielen und um die Anerkennung von Walburga hecheln wollte, dann würde er ihm nicht im Weg stehen. Sollte er doch versuchen, allein mit ihnen auszukommen.
Sirius hatte seinen eigenen Plan, wie er diesen Sommer überstehen würde. Der letzte hatte ihm gezeigt, dass auch er dazu fähig war, seine Eltern zu manipulieren, sei es, weil er Hilfe von James hatte, aber es hatte gereicht, um zu erkennen, dass seine Mutter nicht die alleinige Herrscherin war, für die er sie so lange gehalten hatte. Sie konnte manipuliert und verwirrt werden, ausgetrickst und in die Ecke gestellt. Sirius war sich sicher, dass er es dieses Mal auch schaffen würde, seinen Sommer erholsamer zu gestalten. Besonders nach den widerlichen Weihnachtsferien, konnte er es kaum erwarten, seiner Mutter einen Schritt voraus zu sein.
Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich mit einem leisen Knarren. „Der Master wünscht den jungen Master zu sehen“, ertönte Kreachers Stimme.
Sirius blickte auf und erkannte den Hauselfen in seinem Türrahmen stehen, die Nase so weit vorübergebeugt, dass er fast den Boden berührte. Ihm fielen James´ Worte wieder ein, mit der ihn unsanft wachgerüttelt hatte. Obwohl ihm nichts fremder lag, als nett zu einem kleinen schleimigen Stiefellecker wie Kreacher zu sein, sagte er: „Danke, Kreacher.“
Offenbar war das auch überraschend für den Hauselfen. Kreacher konnte nicht zeigen, wie irritiert er von netten Worten aus Sirius´ Mund war, aber Sirius sah es ihm trotzdem an. Der Hauself starrte ihn einen Moment zu lange an, dann wandte er sich wortlos um und verschwand mit einem leisen Knall.
„Na also, Sirius“, murmelte er zu sich selbst. „Das war doch gar nicht so schwierig.“
Er schwang die Beine vom Bett und erhob sich, streckte die Arme über den Kopf und ging mit langsamen Schritten aus seinem Zimmer. Kreacher musste nicht sagen, wo sein Vater ihn erwartete. Sirius folgte dem dunklen Teppich, der sich wie ein schwarzer Faden über das teuer Holz zu seinem Ziel schlängelte. Das Portrait von Salazar Slytherin am Ende des Ganges schlief. Mit jedem Atemzug wirbelte sein gemalter Bart auf.
Vor der Tür zum Büro seines Vaters blieb er einen Augenblick stehen, dann hob er die Hand und klopfte an.
„Herein“, ertönte es und die Tür öffnete sich von allein. Orion saß an seinem lächerlich großen Schreibtisch, eine gutes Dutzend Bücher und ein weiteres halbes Dutzend Pergamentrollen vor ihm ausgebreitet. Die dunklen Vorhänge vor dem großen Fenster waren so weit zugezogen, dass kaum Sonnenlicht in den Raum schien. Stattdessen erhellte der Kronleuchter an der Decke den Raum so sehr, dass selbst die Spinnenweben in den hohen Ecken zu sehen waren. „Setz dich, Sirius.“ Sein Vater blickte nicht auf, als er mit ihm sprach, sondern hielt den Blick auf ein vor sich ausgerolltem Pergament.
Sirius gehorchte und ließ sich auf dem Holzstuhl vor dem Tisch nieder. Es war bei Weitem nicht so bequem wie der thronartige Sessel, auf welchem sein Vater saß, aber Sirius würde sich sicherlich nicht beschweren. Er wollte etwas und er gab sein Bestes, um es sich nicht zu ruinieren. Bevor er nicht Zugriff auf das Buch hatte, würde er nicht aufhören, so zu tun, als hätte er es sich endlich anders überlegt. Er konnte den perfekten Erben spielen. Er konnte der Sohn sein, den seine Eltern sich immer vorgestellt hatten.
Sein Vater sprach eine ganze Weile nicht. Er war auf die Dokumente fokussiert, die vor ihm lagen, fuhr mit dem Finger die schmal geschriebenen Wörter entlang und hatte die Brauen zusammengezogen. Es war unmöglich zu erkennen, was er dort las, aber Sirius war sich ziemlich sicher, dass es etwas war, das ihn nicht interessierte. Sicherlich war es irgendwas aus dem Ministerium oder wieder ein neuer Gesetzesvorschlag, den er dem Zaubergamot machen wollte. Mit den Gesetzen, die sein Vater entwickelte, wollte Sirius definitiv nichts zu tun haben.
Endlich seufzte Orion kaum hörbar, bevor er den Kopf hob, den Rücken an die Lehne seines Sessels drückte und die Hände vor sich ablegte. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er Sirius für einen Augenblick, ehe er sagte: „Verwandlung also. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du zuvor schon Interesse daran gezeigt hättest.“
Soetwas hatte Sirius bereits erwartet und hatte sich gründlich auf eine Befragung durch seinen Vater vorbereitet. „Es ist ein interessantes Themengebiet. Flüche haben einen Nutzen, Zauber sind nur begrenzt einsetzbar, Verwandlungen allerdings haben ein breites Arsenal an Einsatzgebieten.“
Orion hob leicht das Kinn an, eine Geste, die er und seine Frau nur zu gerne nutzten. „Du bist dir auch sicher, dass du dieser Magie bereits gewachsen bist?“
„Ich bin ein Black, oder nicht?“, stellte Sirius die Gegenfrage. „Es gibt nichts, dem ich nicht gewachsen bin.“
Beinahe meinte er ein stolzes Lächeln auf den Lippen seines Vaters zu sehen, doch war sich sicher, dass er sich das nur eingebildet hatte. Wenn es eines gab, das sein Vater nicht tat, dann war es lächeln. Noch dazu war er nie stolz auf seine Söhne, egal was sie taten. „Das mag die richtige Einstellung sein“, sagte er langsam, „aber hast du es auch trotzdem in dir? Verwandlungen sind überaus komplex. Ich maße mir nicht an, komplett zu verstehen, wie sie funktionieren, aber selbst talentierte Zauber, die weitaus begabter als du sind, haben ihre Schwierigkeiten damit. Ich spreche nicht von billiger Schul-Verwandlung“, fügte er an, als Sirius bereits den Mund geöffnet hatte, „sondern von der komplexen Magie, die hinter all dem steckt.“
„Mit dem richtigen Lehrer werde ich dazu in der Lage sein, diese komplexe Magie zu verstehen“, erwiderte Sirius wahrheitsgemäß. Das musste er. Er musste es verstehen und er musste es meistern, denn nur so konnten er und seine Freunde Remus helfen. Nur so konnte er verhindern, dass Remus der einzige war, der sich zum Vollmond verwandelte. „Außerdem ist darin doch der Spaß, nicht wahr?“
„Der Spaß?“, entgegnete Orion langsam.
Sirius konnte sein Lächeln nicht verhindern. „Genau. Die komplexen Hintergründe der Magie verstehen, die Fäden auseinanderziehen, die alles zusammenhalten und neubinden, verstehen, wieso etwas geschieht … das ist doch der Spaß an der ganzen Sache. Natürlich könnte ich jede Verwandlung so lange üben, bis ich sie kann und dann nicht darüber nachdenken, aber es ist doch viel spannender, herauszufinden, was genau dabei passiert.“ Er musste wieder an Remus denken, an die Verwandlung, die er jeden Monat durchmachen musste. Hatte man schon verstanden, was dabei passierte, wenn der Mond seine Wirkung zeigte? Hatten die Zauberer verstanden, was mit dem Körper eines Zauberer geschah, sobald der Wolf ausbrach? Sirius war sich nicht sicher, ob es Antworten auf seine Fragen gab – zur Not würde er sie selbst finden. Er konnte nicht zusehen, wie sein Freund litt und nichts dabei tun. Es würde nicht ausreichen, nur zum Animagus zu werden.
Sirius würde alles lernen, was die Verwandlung zu bieten hatte, um Remus endlich helfen zu können.
Orion legte die Finger enger zusammen. „Eine interessante Sichtweise, Sirius. Ich muss sagen, ich bin überrascht, dass du es scheinbar doch so ernst meinst.“
„Was, hast du gedacht, ich würde mir nur einen Scherz erlauben?“
„In der Tat, das habe ich. Und ich finde, du kannst mich dafür nicht unbedingt verurteilen. Du hast eine Tendenz dazu, den Leuten Märchen zu erzählen, auch mir und deiner Mutter. Wir waren uns nicht sicher, ob wir wirklich so weit gehen sollten, dir bereits einen neuen Tutor zu suchen, aber dich jetzt so reden zu hören, lässt mich wissen, dass wir zumindest die richtige Entscheidung getroffen habe.“ Orion neigte den Kopf. „Lass es uns das nicht bereuen, Sirius.“
„Ich verspreche es, Vater. Dieses Mal meine ich es wirklich ernst.“ Sirius musste nicht einmal verhindern, dass er die Finger kreuzte, dass er seine Lüge gut tarnte, dass er ernsthaft wirkte oder ähnliches. Es war ihm wichtig genug, dass sein Vater wusste, dass er dieses Mal nicht mit dem Gedanken spielte, es hinzuschmeißen. So sehr er die Werte dieser Familie auch verachtete, solange er die Chance hatte, das gute Geld auszunutzen, um sich selbst und anderen zu helfen, würde er so tun, als wäre er ein Teil der Blacks. Er konnte so tun, als würde er dazugehören und als würde er genau wie Regulus unbedingt ein perfekter Erbe sein wollen. Sirius hatte lange genug geschauspielert – ein paar Wochen mehr würden ihn nicht umbringen.
„Das ist gut zu hören, Sirius. Du …“ Orion zögerte für einen Moment. Er nickte, als müsste er sich selbst Mut zusprechen, dann sagte er: „Ich hatte meine Zweifel mit dir, muss ich zugeben. Aber es scheint, als hättest du dich endlich für den richtigen Weg entschieden, genauso, wie es mein Sohn tun sollte. In diesem Moment bin ich stolz darauf, dein Vater zu sein.“
Die Worte sollten nicht so stechen, wie sie es taten. Es war fast so, als wären all die Stunden der dunklen Magie, all die Drohungen von Unverzeihlichen Flüchen, all die Tage und Nächte, die Sirius in seinem Zimmer nach Sicherheit gesucht hatte, vergebens. Es war, als hätte Sirius endlich das gefunden, war er immer gesucht hatte. Anerkennung. Zuversicht, dass er einen Platz in diesem Leben hatte. Dass seine Familie trotz allem ein Teil von ihm war. Er wollte kein Black sein, aber Sirius hatte niemanden, wenn er keiner war. Er hatte kein Blut, das ihn band. Kein Fleisch, das ihn fesselte.
Es war, als hätte Orion ihm ein schwarzes Messer tief in die Rippen gerammt.
Sirius´ Augenwinkel verrieten ihn als erstes, als sie anfingen zu brennen. Mit viel zu viel Willenskraft brachte er sich dazu, aufrecht zu sitzen und den Gefühlen nicht nachzugeben, die wie ein Wirbel aus Verwirrung und Dankbarkeit in ihm Chaos anrichteten. Er wusste nicht recht, was er denken sollte, aber er wollte nicht – er konnte nicht schwach werden. Er konnte nicht so kurz vor dem Ziel zweifeln. Genau das hatte man ihm doch beigebracht, mit all den Strafen und Drohungen und Narben. Das hatte man ihm beigebracht.
Niemals Schwäche zeigen, niemals an sich selbst zweifelnd. Sirius war vielleicht ein Black durch und durch, aber das hieß nicht, dass er auch wie jeder andere Black sein musste. Die Gedanken an Remus, an James und Peter, an Onkel Alphard, der ihn trotz der Gefahr zu sich geladen hatte, an Andromeda, die dieser Familie entkommen war, an Narzissa, die im Geheimen vielleicht doch eine weiße Weste trug … sie halfen ihm, damit er nicht sein Ziel aus den Augen verlor.
„Danke, Vater“, sagte er.
Ich wünschte, du hättest es vor ein paar Jahren gesagt, dachte er, während er sich schmerzhaft auf die Zunge biss. Sirius schmeckte Blut.
Das Blut der Blacks floss weiter in ihm, auch wenn er längst seinen Austritt plante.