Remus Lupin
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In den folgenden Tagen gab es an Hogwarts nur ein einziges Gesprächsthema – das erste Quidditch-Match der Saison, Gryffindor gegen Slytherin. Zu sagen, James wäre aufgeregt, war noch untertrieben. Obwohl er nach außen hin die Ruhe selbst war und oftmals mit den anderen Spielern seines Teams zu sehen war, wo er lachte, Witze riss und Lobpreisungen mit offenen Armen annahm, kannten seine Mitbewohner die Wahrheit. James war ein nervöses Wrack – jeden Morgen wachte er mit dunklen Ringen auf und sah aus, als hätte er mal wieder nur wenige Stunden geschlafen, er war energiegeladen und hibbelig, konnte nicht still sitzen und ging abends gerne ein paar hundert Runden durch den Schlafsaal, sodass er Sirius beinahe zur Weißglut gebracht hätte.
„Komm schon, James“, sagte Sirius mit zerknirschten Zähnen am Donnerstagabend – einen Tag vor Sirius‘ Geburtstag und zwei Tage vor dem Quidditch-Match. „Du hast so viel trainiert, das wird schon. Du bist ein klasse Jäger und dein Team verlässt sich auf dich.“
„Das ist ja das Problem“, meinte James fahrig. Er fuhr sich nervös durch die Haare. „Was ist denn, wenn ich es vermassele? Ich – keine Ahnung, wenn ich den Quaffel ständig fallen lasse oder keine Tore schieße? Dann schmeißt Patrick mich aus dem Team, weil er erkennt, dass ich einfach nur ein Hochstapler bin und –“
„Jetzt halt mal die Luft an“, sagte Sirius, während er James eine Hand auf den Mund presste. „Du hast uns doch erzählt, Patrick hätte gesagt, du würdest besser fliegen als so manche Leute in seinem Team. Jetzt kratz dir mal dein bisschen Gryffindor-Mut zusammen, James. Dann kannst du den Leuten zeigen, dass es die richtige Entscheidung war, dich zum Jäger zu machen.“ James murmelte etwas unverständliches hinter Sirius‘ Hand, aber dieser nahm sie nicht weg. „Genau das wollte ich hören. Und jetzt beweg deinen Hintern ins Bett, sonst klebe ich dich mit dem Dauerklebefluch an deiner Matratze fest. Ja?“
James nickte.
„Gut.“ Sirius nahm die Hand von James‘ Mund und wischte sich den Sabber an seiner Hose ab.
Die Rumtreiber gingen zu Bett und dimmten das Licht. „Danke“, konnte man James‘ Stimme zwischen der Dunkelheit hören.
„Ja, Danke“, sagte auch Monty mit einem unterdrückten Schnauben. „Der geht mir schon die ganze Zeit auf die Nerven.“
„Nicht nur dir“, murrte Remus, wenn er auch mehr Empathie für seinen nervösen Freund empfand.
Der nächste Tag brach kalt, klar und mit einem lauten, einstimmigen, „Happy Birthday!“, an. Obwohl Schlaf in Remus‘ Augenwinkeln klebte und er sich am liebsten zurück in seine Kissen drücken würde, war er seinen Freunden gefolgt, hatte sich vor Sirius‘ Himmelbett platziert und auf James‘ Zeichen hin lautstark die Glückwünsche für den jungen Black gerufen.
„Ihr Ärsche“, brummte Sirius schlaftrunken, setzte sich aber grinsend auf. „Danke, Leute.“
„Dreizehn“, sagte James beeindruckt. „Wie fühlt sich das an?“
„Sehr erwachsen“, erwiderte Sirius. „Ich kann die Weisheit bereits jetzt schon spüren. Jetzt bin ich euch allen sowieso überlegen.“
„Na immerhin ist es ihm nicht zu Kopf gestiegen“, sagte Peter trocken und Monty schnaubte.
„Willst du dein Geschenk?“, fragte James, der so aufgeregt klang, als wäre es sein eigener Geburtstag.
Sirius streckte seine Hände aus. „Natürlich!“
James zog ein schlampig verpacktes Päckchen unter seinem Bett hervor und warf es in Sirius‘ Griff. Der Black-Erbe riss eifrig am Papier, bis er schließlich einen rot-goldenen Schal hervorzog. Nebenbei fielen noch ein paar Schokofrösche heraus. „Ich dachte mir, du könntest ein wenig Haus-Stolz vertragen“, sagte James lächelnd. „Außerdem beißt es sich ganz großartig mit deinen ganzen grünen und schwarzen Sachen von deiner Familie.“
Sirius grinste breit und wickelte sich den Schal lose um den Hals. „Danke, Kumpel. Meine Mum wird ihn hassen.“
Peter hatte Sirius ein breit gefächertes Set aus dem Scherzartikelladen Zonkos gekauft, mit gut zwei Dutzenden Dungbomben, ein paar nasenbeißenden Tassen, Scherzzauberstäben und der neusten Erfindung, ein explodierender Federkiel, der unschuldige Opfer mit Tinte bespritzen würde. Von Monty gab es ein paar Süßigkeiten aus dem Honigtopf und schließlich drehte sich Sirius zu Remus.
„Es ist nicht viel“, sagte Remus mit roten Wangen, der sich sehr wohl bewusst war, dass sein Geschenk das billigste von allen war. „Aber vielleicht gefällt es dir trotzdem…“
„Natürlich wird es das“, meinte Sirius von seinem Kissenthron aus. „Alles, was mir meine Freunde schenken könnten, wird mir gefallen. Mach dir keinen Kopf, Lupin. Zeig schon, was bekomm ich?“
Remus holte ein säuberlich eingepacktes Päckchen aus seiner Kommode. Schlichtes, braunes Papier und eine Schleife aus weißem Band – seine Mutter hatte eben ein Händchen dafür, selbst das kleinste, unbedeutendste Geschenk schön einzupacken. Er war nur froh, dass es rechtzeitig angekommen war. Mit nervösen Fingern überreichte er Sirius sein Geburtstagsgeschenk und beobachtete, wie der Junge vorsichtig das Papier auseinandernahm. Zum Vorschein kam ein kleines, ausgelesenes Buch. Auf dem Umschlag waren zwei junge Leute zu sehen und in dicken, roten Lettern stand Love Story darunter.
„Ein Buch?“
„Ein Muggel-Buch“, korrigierte Remus hastig. „Ich dachte mir, dass du sicherlich noch nie eins gelesen hast und – naja, das ist eins meiner liebsten. Also wollte ich –“, er brach mit heißen Wangen ab. „Du musst es nicht lesen, wenn du nicht willst!“
„Danke“, sagte Sirius laut. Er lächelte schmal. „Ich werd’s auf jeden Fall lesen, sei es nur um meine Mutter in den Wahnsinn zu treiben. Danke, Remus.“
„Kein Problem“, murmelte der junge Werwolf. Er wusste nicht, was genau er sich dabei gedacht hatte, Sirius einen Liebesroman zu schenken. Es war das Lieblingsbuch seiner Mutter, sie hatte es ihm vorgelesen, da war er gerade gebissen worden. Sie wusste nicht, wie sie ihrem Sohn sonst hätte helfen können und eine Liebesgeschichte schien ihr die beste Antwort zu sein, auch wenn sie in Tragödie endete. Das eigentliche Ende hatte Hope Lupin beim Vorlesen immer ausgelassen. Wenn ihr Sohn schon seine eigene Tragödie leben musste, dann wollte sie wenigstens sicherstellen, dass der Rest der Welt glückliche Enden hatte. Sicherlich hätte sie das Spiel lange genug aufrecht erhalten können, wenn Remus nicht angefangen hätte, die Bücher seiner Eltern selbst zu lesen, als er acht Jahre alt war. Die Wahrheit war zwar hart gewesen, aber wenigstens hatte sie Remus auf die Echtheit der Welt besser vorbereitet.
„Jetzt komm ich mir mit meinem Geschenk ziemlich albern vor“, sagte James. „Aber was erwarte ich auch von unserem regelkonformen Bücherwurm, huh?“ Er grinste und schlug Remus auf den Rücken.
„Verzieh dich, Potter“, lachte Remus, wischte seine Hand weg und schüttelte den Kopf. „Mir ist einfach nichts besseres eingefallen“, gab er zu. „Sirius kann sich doch sowieso alles leisten.“
Sirius nickte langsam. „Black-Erbe zu sein hat eben doch Vorteile.“
Die Gruppe Zweitklässler machte sich bereit fürs Frühstück, wo Sirius von weiteren Glückwünschen begrüßt wurde. Schüler, mit denen er noch nie geredet hatten, wollten ihm die Hand schütteln und einige ältere Slytherins kamen mit säuerlichen Mienen herüber, um ihm mit höflicher Stimme einen angenehmen Geburtstag zu wünschen.
„Arschkriecher“, murrte Sirius und stach etwas zu fest in sein Rührei. „Die schleimen sich bei mir ein, weil sie denken, ich würde ein gutes Wort bei meinen Eltern einlegen.“ Er schnaubte lauthals.
Remus fiel auf, dass Sirius‘ Bruder Regulus es ausgiebig vermied, in ihre Richtung zu schauen. Seit das Schuljahr begonnen hatte, hatten die Black-Brüder keine richtige Konversation geführt, zumindest keine von der Remus wusste. Wenn sie sich in den Gängen begegneten, dann nickten sie, um die Existenz des anderen anzuerkennen, aber das war alles, was an Freundlichkeit zwischen den beiden existierte. Remus verstand nicht viel von Geschwister-Beziehungen und wusste, dass James da nicht besser war, aber er vermutete sehr stark, dass Sirius und Regulus sich sonst nicht so verhielten.
Als die Posteulen in die Große Halle flatterten, landete eine elegant aussehende, nachtschwarze Eule vor Sirius, legte ihm einen dicken Briefumschlag auf den Teller und flog dann wieder davon, bevor sie kurzdarauf von einer etwas zerzausten grauen Eule abgelöst wurde, die erst dann wieder davonflog, als Sirius ihr den Brief abgenommen und ihr etwas Brotkruste gefüttert hatte. „Die sind sicher nicht von Mum und Dad“, murmelte er skeptisch und betrachtete die beiden Briefe.
„Mach schon auf“, sagte James aufmunternd. „Oder hast du Angst, dass sie explodieren?“
„Wenn du Teil meiner Familie wärst, dann wüsstest du, dass man bei unbekannten Briefen nie vorsichtig genug sein konnte. Tante Druella hat dutzende explodierende und mit Giften ausgestattete Briefe bekommen, als sie in die Familie geheiratet hat.“ Augenverdrehend hob Sirius den ersten Brief mit spitzen Fingern an.
„Ihr Reinblüter seid alle verrückt“, sagte Peter. „Es ist ein Wunder, dass überhaupt noch genug von euch leben.“
„Glaub mir, Pete, es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir uns gegenseitig ausrotten. Die alten Reinblüter lieben ihre Machtspielchen.“ Sirius schlitzte den Umschlag vorsichtig auf und hielt ihn eine Armlänge von sich, aber nichts geschah. „Wenigstens kein Gift“, murmelte er, bevor er dickes, teuer aussehender Briefpapier aus dem Umschlag zog. Sein Gesicht hellte sich sofort auf und ein dickes Grinsen erschien auf seinen Lippen. „Es ist von Onkel Alphard!“
„Onkel wer?“, fragte Peter verwirrt klingend.
„Onkel Alphard“, erklärte James mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Er hat einen Muggel geheiratet und wurde dafür vom Familienstammbaum der Blacks gestrichen.“
Sirius starrte ihn mit offenem Mund an. „Woher weißt du das?“, fragte er und schluckte sichtbar.
James warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. „Sorry, Kumpel“, meinte er zerknirscht. „Ich hab’s in Zaubertränke von ein paar Slytherins aufgeschnappt. Sie haben sich praktisch das Maul darüber zerrissen.“
„Oh“, sagte Sirius. „Naja, es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich alle auf den neusten Skandal stürzen.“ Er lächelte schmal und Remus fand, es sah ein wenig zu traurig für ihn aus.
„Was schreibt dein Onkel?“, fragte Remus sanft und leise. „Wünscht er dir nur einen schönen Geburtstag?“
Sirius blickte kurz zu Remus, dann wieder zum Brief in seiner Hand. Der Black-Erbe überflog die Zeilen, dann sagte er überrascht klingend: „Er lädt mich zu sich sein. Zu sich und seinem – seinem Mann.“ Sirius kräuselte die scharfen Augenbrauen und eine kaum zu erkennende Falte schlich sich auf seine Stirn. „Das ist seltsam.“
„Seltsam?“, erwiderte Remus. „Wieso das?“
„Ich kenne meinen Onkel kaum“, erklärte Sirius über das stimmungsvolle Geschnatter in der Halle. Besteckscharren und Gläserklirren füllte die Luft, aber Sirius‘ Stimme war klar zu hören. „Als Reg und ich noch Kinder waren, durften wir ihn immer ein paar Mal besuchen, aber seit er zu sehr an den Muggeln interessiert geworden war, hatte sie es uns verboten. Ich glaube, ich habe ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen und er hat nicht unbedingt versucht, in Kontakt mit uns zu treten. Deswegen…“
„Deswegen?“
„Deswegen wundert es mich, dass er mich jetzt zu sich einlädt“, meinte Sirius nachdenklich. „Warum gerade jetzt?“
Remus zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber ich finde es nett von ihm“, sagte er langsam, unsicher, ob er damit nicht auf einen falschen Punkt treffen würde. „Vielleicht will er die Möglichkeit nutzen, dass er kein Black mehr ist, um sich wieder mit seinem Neffen anzufreunden.“
Sirius warf Remus einen nachdenklichen Blick zu, einen Zahn auf der Lippe und eine Falte auf der Stirn. „Vielleicht.“ Er blickte zum Slytherintisch, aber es hielt nur den Bruchteil einer Sekunde an, dann hatte er wieder zurückgeschaut. „Wie auch immer. Ist ja nicht so, als könnte ich einfach zu meiner lieben Maman sagen, dass ich den enterbten Onkel besuchen gehe.“
„Du musst es ihr ja nicht sagen, Kumpel“, sagte James.
„Und herausfordern, dass sie es rausfindet und mich dann –“ Sirius schauderte. „Nein, lieber nicht.“
„Es ist ja immer noch deine Entscheidung“, sagte Remus mit sanfter Stimme. Eine Familie wie die Blacks hätte sich Remus in seinen kühnsten Träumen nicht ausdenken können. Alles an ihnen schrie nach Ärger. Blutreinheit und Erhaltung der Magie – die Blacks waren Stoff für die düstersten Geschichten, mit denen man kleinen Kindern das Fürchten lehren könnte, aber sie waren keine kleinen Kinder mehr. Und die Blacks waren keine Figuren aus dunklen Märchen. Sie waren echt und ihre Effekte waren nur allzu deutlich zu erkennen, wenn Remus sich Sirius ansah. Ein steinschweres Gewicht zog an seinem Herzen.
Sirius steckte den Brief grob zurück in seinen Umschlag. „Richtig. Und solange ich nicht über mich selbst bestimmen darf, werde ich Onkel Alphard nicht besuchen können.“ Achselzuckend warf er den Brief in seine Tasche, bevor er den zweiten griff, der noch unbeachtet auf seinem Rührei lag.
„Noch mehr enterbte Verwandtschaft?“, fragte James schief grinsend und fuhr sich durch die Haare. Ein unordentlicher Wirbel stand an seinem Hinterkopf ab, sodass er aussah, als wäre er gerade aus dem Bett gestiegen. Auf dem linken Glas seiner Brille war ein Fingerabdruck zu sehen.
„Liest du meine Post, Potter?“, erwiderte Sirius mit hochgezogener Augenbraue. „Es ist von Andy.“
James rutschte mit dem Ellenbogen vom Tisch. „Deiner Cousine, die letztes Weihnachten die Biege gemacht hat? Oh, wow und ich wollte nur einen Witz machen.“
„Ist eigentlich irgendeiner in deiner Familie normal, Sirius?“, fragte Peter seufzend, der seinen Teller voll Rührei und Speck endlich geleert hatte. Etwas Eigelb klebte an seinem Kinn.
„Ich sag Bescheid, wenn ich jemanden gefunden habe“, grinste Sirius, wobei die perfekt weißen Zähne aufblitzten. Erbe einer alten Reinblutfamilie zu sein, hieß wohl auch, dass alles an einem perfekt war, dachte Remus bitter, während er seinen schiefen Eckzahn mit der Zunge fühlte. „Sie schickt mir liebe Grüße“, sagte Sirius, nachdem er auch den zweiten Brief überflogen hat. „Sie sagt, Ted hätte ihren Antrag angenommen und sie haben sich ein Haus gekauft!“
„Oh, wie aufregend!“, sagte Peter.
„Das ist echt klasse“, meinte auch James.
„Sie sagt, ich soll die Ohren steif halten und durchhalten. Irgendwie will sie, dass wir uns wiedersehen können.“ Sirius lächelte, als er den zweiten Brief zusammenfaltete. „Ich glaube, ich habe das einzig normale Mitglied meiner Familie schon gefunden.“