James Potter
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Es kam, wie es kommen musste: Kaum war Sirius wieder sein altes Selbst, lachend und dämliche Witze reißend und Pläne schmiedend, landeten er und Peter beim Nachsitzen. Ein Streich gegen Schniefelus („Mein Willkommen-Im-Neuen-Jahr-Geschenk, quasi“, hatte Sirius mit einem Zwinkern gesagt.) hatte den Slytherin zwar mit einem Gesicht voll Bubotubler-Eiter zurückgelassen, aber den beiden Gryffindors auch sofort zwei Wochen Nachsitzen eingeräumt. Peter musste die Zaubertrankzutaten nach Alphabet sortieren, während Sirius jeden Abend mit Professor McGonagall sitzen und Sätze schreiben musste, während sie Hausaufgaben kontrollierte. Remus hatte nach dem Ende der Ferien wieder an Farbe dazugewonnen, war zwar immer noch schmächtig und blass, aber sah um Längen gesünder als sonst aus. Als James ihn darauf ansprach, meinte der andere Junge nur, dass er sich wohl in den Ferien gut erholt hätte, auch wenn sein Lächeln nicht ganz seine Augen erreicht hatte.
Der abendliche Gemeinschaftsraum war für James ohne Sirius sterbenslangweilig. Selbst er konnte nur begrenzt Montanas ewiges Gerede über Quidditch-Taktiken ertragen (die ersten Tage war es unterhaltsam gewesen, mit einem Gleichgesinnten zu reden, aber irgendwann wiederholte sich alles nur), weswegen James die schwerwiegende Entscheidung traf, sich mit Remus gemeinsam zu den Mädchen zu setzen.
Lily warf ihm einen einzigen Blick zu, dann sammelte sie ihre Sachen zusammen und verschwand mit einer gemurmelten Entschuldung in den Schlafsaal.
Ihr wehender Umhang war kaum hinter der Ecke verschwunden, da hatte Mary sich vorgelehnt und geflüstert: „Sie hatte ein schreckliches Weihnachten. Hat sich mit ihrer Schwester gestritten und seitdem ist sie richtig schlecht drauf. Sie hat bereits an die zwanzig Packungen mit Schokofröschen leergefuttert und weint fast jeden Abend.“
„Deswegen wollen wir ihr eine Überraschung bereiten“, fügte Marlene ebenso leise hinzu, als hätte sie Angst, Lily könnte jeden Moment um die Ecke springen. „Ihr Geburtstag steht am Ende des Monats an und Mary und ich haben vor, ihr eine Party zu schmeißen, damit sie ihre doofe Schwester vergisst. Wollt ihr helfen?“
„Na klar“, erwiderte James sofort. „Was können wir tun?“
„Wir brauchen Süßkram“, sagte Mary. „Tonnen, würde ich meinen. In letzter Zeit isst sie nur noch Sachen, in denen unglaublich viel Zucker ist. Sie will auch nicht hören, dass das ungesund sei…“
„Was wir am meisten brauchen“, meinte Marlene in bestimmendem Ton, „ist Musik. Wir können keine Party ohne Musik veranstalten, es sei denn ihr wollt alle, dass Pettigrew singt.“
Remus grinste. „Lieber nicht. Es reicht, wenn wir ihn unter der Dusche hören müssen.“
„Ja, der gute Pete steht ziemlich auf Celestina Warbeck“, fügte James an, was Marlene kichern ließ.
„Wir brauchen aber Muggel-Musik“, sagte Mary nachdenklich. „Lily kennt doch gar keine Zauberer-Musik.“
„Wie sollen wir das denn machen?“, fragte James und kratzte sich am Kinn. „Muggeltechnik funktioniert hier doch nicht.“
„Überlass das mir“, erwiderte Remus, womit er nicht nur James überraschte. „Was ist?“, fragte er auf die verdutzten Blicke. „Ich breche keine Regeln damit, ich… verbiege sie nur etwas.“
James legte seinem Freund einen Arm um die Schultern. „Sie werden so schnell erwachsen“, schniefte er gefälscht. „Vor Monaten hat der gute Lupin nicht eine Regel nur schief angeguckt und guckt ihn euch jetzt an!“
„Aww, James, fängst du gleich an zu weinen?“, neckte Marlene ihn grinsend.
„Wahrscheinlich“, erwiderte er nickend. „Mein kleiner Regelbrecher.“
Remus wand sich aus seinem Arm und schnaubte: „Verrückter“, auch wenn er sein eigenes Lächeln nicht verbergen konnte.
„Also dann wäre das mit der Musik ja geklärt“, sagte Mary. „Ich kümmere mich um den Süßkram. Ich schreib meiner Oma, dass ich hier halb verhungere, dann schickt sie bestimmt genug, damit ich die ganze Schule versorgen kann.“
„Und ich kann die Hauselfen in der Küche fragen, ob sie noch was zusteuern können. Getränke und so, du weißt schon“, erklärte James sich bereit.
„Du weißt, wie man in die Küche kommt?“, fragte Marlene beeindruckt.
„Ein echter Magier verrät niemals seine Tricks“, grinste der Potter-Junge und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Was ist mit Geschenken? Wollt ihr Evans nicht noch was schenken?“
Marlene nickte. „Ich besorge ihr ein neues Federkielset. Sie hat gestern ihre dritte diese Wochen zerbrochen, weil sie zu fest aufgedrückt hat.“
„Wahrscheinlich stellt sie sich das Gesicht ihrer blöden Schwester vor“, grummelte Mary. „Von mir bekommt sie einen magischen Kompaktspiegel. Den hab ich in der Hexenwoche bestellt, der soll dir anzeigen, wie du mit verschiedenem Make-Up aussehen würdest. Ich hab mir direkt auch einen gekauft.“
Remus verdrehte die Augen und murmelte etwas, das nur James hören konnte und das sich verdächtig nach: „Mädchen“, anhörte.
„Ich lass mir auch was einfallen“, sagte James, der seine Brille abgenommen und an seinem Shirt sauber machte, auch wenn er dadurch seine Umgebung nur noch recht verschwommen wahrnahm. Wenigstens konnte er Mary und Marlene noch sehen, auch wenn er ihre Gesichter nicht erkennen konnte. „Irgendwas Praktisches. Vielleicht ein Buch.“
„Gute Idee“, sagte Mary. Sie war drauf und dran aufzustehen und mit ihren erledigten Hausaufgeben in den Schlafsaal zu verschwinden, als sie noch einmal innehielt. „Und kein Wort zu Lily, kapiert? Es soll nicht umsonst eine Überraschungsparty werden, Jungs, ich will nicht, dass sie es vorher schon weiß.“
„Ich sag überhaupt nichts“, erwiderte der Potter-Junge, der seine Brille mittlerweile wieder aufgesetzt hatte und damit Marys ernsten Gesichtsausdruck erkannte. „Merlinehrenwort.“
„Ich hoffe für dich, dass das auch was bedeutet, Potter, ansonsten lerne ich den Ohrenschmalzfluch auswendig und hexe ihn dir auf den Hals.“
***
„Weiß nicht, warum du dir so einen Kopf machst“, meinte Sirius träge. Er lag auf seinem Bett im Schlafsaal, den Füße gegen die Wand gestellt und den Kopf vom Bett hängen, damit er James ansehen konnte, der auf dem Boden saß und einen Katalog durchblätterte. 1001 nützliche Hexenwerkzeuge stand in sehr schnörkliger Schrift auf der Buchfront. „Du kannst Evans doch nicht mal leiden.“
„Das stimmt überhaupt nicht“, erwiderte James, der eine weitere Seite umblätterte. „Ich kann sie schon gut leiden, sie ist nur – manchmal echt nervig. Sag ihr nicht, dass ich das gesagt habe.“
„Würde mir im Traum nicht einfallen“, grinste Sirius. „Kauf ihr doch einfach ein doofes Buch und gut ist.“
„Das ist zu langweilig“, sagte James. „Mary hat mir erzählt, wie schlimm Evans sich mit ihrer Schwester gestritten hat und ich weiß auch nicht, aber irgendwie will ich, dass sie dann was Besonderes bekommt. Ich würde das gleiche für dich tun, okay?“
Sirius schnaubte. „Da fühl ich mich aber geehrt, dass du mich auf die gleiche Stufe wie Evans stellst. Ihr zwei habt kaum eine Unterhaltung hinter euch, die nicht in irgendwelchen Streitereien geendet ist.“
Auch wenn James gern dagegen argumentieren würde, musste er zugeben, dass es stimmte – er und Lily stritten sich ziemlich oft. Meist war es nicht mal, dass er sich unbedingt mit ihr anlegen wollte, sondern dass es einfach so passierte. Der letzte große Streit war vor den Weihnachtsferien gewesen; es war zwei Wochen nach dem Halloween-Fiasko gewesen und James war gerade von seinem Nachsitzen in den Gemeinschaftsraum zurückgekehrt, als Lily ihm entgegengekommen war, einen Stapel Bibliotheksbücher in den Armen. James wollte lediglich nett sein und hatte ihr angeboten, ihr die Bücher abzunehmen, da war Lily an die Decke gegangen. Hatte ihn Dinge genannt, die er immer noch nicht verstand und ihn angeschrien, dass er aufhören sollte, so zu tun, als würde er sich um andere Sorgen, wenn er doch ganz klar nicht einmal genügend Verstand im Kopf hätte, um an sein eigenes Haus zu denken. Sie war davongestürmt, bevor er überhaupt hätte fragen konnte, was die Hälfte von all dem bedeuten sollte.
James fand, dass Lily ihn ziemlich unfair behandelte. Meist hatte er doch gar keine bösen Absichten, wenn er mit ihr reden wollte und es war ganz schön nachtragend von ihr, ihm immer noch wegen dieses einen Mal böse zu sein, als er ihr Plappertrank in den morgendlichen Kürbissaft geschüttet hatte. Oder als er die Mäuseschwänze im Zaubertrankunterricht verzaubert hatte, damit sie auf sie zugekrochen kamen. Oder als er ihr mit einem permanenten Stift eine Karikatur von Schniefelus auf die Wange gemalt hatte, als sie im Gemeinschaftsraum gedöst hatte. Die meiste Zeit war sie sowieso nur sauer auf James, weil er und Schniefelus sich nicht ausstehen konnten und sie Merlin wusste warum immer noch seine Freundin war.
Seufzend fuhr er sich durch die Haare. „Ich werd aus Mädchen eh nicht schlau“, sagte er. „Woher soll ich denn wissen, was Evans gebrauchen kann?“
„Glaube schon mal nicht, dass Evans sich sonderlich über ein selbstrollendes Nudelholz freuen würde“, kommentierte Sirius trocken. „Du machst dir sowieso viel zu viele Gedanken darum. Am Ende wird sie dich eh wieder nur einen arroganten Trottel nennen und ihr werdet ein paar Tage lang nicht miteinander reden.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das ist sie nicht wert, Kumpel.“
„Du hast ja keine Ahnung“, erwiderte James mürrisch. „Als ob du jemals mit einem Mädchen geredet hättest, dass dich gemocht hätte.“
Sirius setzte ein schiefes Grinsen auf und zuckte anzüglich mit den Augenbrauen. „Die meisten Mädchen schätzen es auch, wenn ich andere Dinge mit ihnen tue.“
„Ach, halt die Klappe, Black.“ James warf ein Kissen nach ihm.
„Halt du doch die Klappe, Potter“, erwiderte sein Freund und warf das Kissen zurück.
Der magische Bestellkatalog lag ein paar Minuten später vergessen unter James‘ Bett, als eine völlig eskalierte Kissenschlacht zwischen den beiden Jungs entstanden war. James und Sirius lachten und rauften und verfolgten sich lauthals brüllend mit den Kissen, die sich gegenseitig an den Kopf schlugen und hörten auch nicht auf, als Peter und Remus den Schlafsaal betraten.
„Ich wusste, wir hätten sie anleinen sollen“, sagte Peter.
„Die hätten sie durchgekaut“, erwiderte Remus träge lächelnd.
„Kommt schon, Männer, schließt euch dem Krieg an!“, bellte Sirius, der auf seinem Bett mit einer Siegerpose stand und das Kissen wie ein Schwert angehoben hatte. Nur eine Sekunden später fiel er hintenüber, als James sich gegen ihn geworfen hatte und gemeinsam krachten sie auf Sirius‘ Matratze auf, die unter dem plötzlichen Gewicht von den zwei heranwachsenden Jungs ächzte.
Peter und Remus tauschten einen Blick, zuckten mit den Schultern, griffen sich die nächstliegenden Kissen und schlugen laut brüllend auf James und Sirius‘ Körper ein, die wie ein Knäuel aus Armen und Beinen auf dem Bett lagen.
„Verräter“, rief James entsetzt. „Die Schweine haben sich zusammengetan!“
„Waffenstillstand, Potter“, entgegnete Sirius laut mit einem Arm über seinem Gesicht. „Wir zeigen den beiden schon, was es heißt, sich mit uns anzulegen!“
Ein Geschenk für Lily fand James an dem Abend nicht. Auch am nächsten nicht und an dem darauffolgenden auch nicht. Da der dreißigste Januar immer näher rückte, wurde er zunehmend nervöser, dass er nichts mehr finden würde. Er hatte sogar Mary gefragt, ob er sich ihre Ausgabe von der Hexenwoche ausleihen dürfte, aber das hatte auch nichts geholfen, außer dass Sirius ihn dafür geneckt hatte, dass er bestimmt nur das Quiz Wie bekomme ich den süßen Zauberer nur dazu, mit mir auszugehen? machen wollte.
Selbst Remus hatte er angebettelt, ihm zu helfen, doch der andere Junge hatte sich geweigert. „Wenn du keine eigene Idee für ein Geschenk hast, dann kann ich dir nicht helfen, James. Du musst schon allein herausfinden, was Lily gerne mag.“
Ein paar Mal war er kurz davor gewesen, Schniefelus zu fragen, aber konnte sich daran hindern. Er hatte genug Würde und Stolz übrig, dass er niemals solch drastische Maßnahmen eingehen würde, selbst wenn das bedeuten sollte, dass er geschenklos zu Lilys Überraschungsparty kommen musste. Weder Peter noch Sirius waren eine große Hilfe, deswegen wandte er sich an die einzig andere Person, von der er hoffte, dass sie ihm helfen konnte.
„Hi, Madam Pince.“ James lehnte sich lässig gegen den Tresen in der Bibliothek, hinter dem Irma Pince, die Bibliothekarin saß und einen Stempel mit ihren dürren Fingern umklammerte. Sie betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen, die hinter ihrer dünnen Brille wie zwei enorme Käfer aussahen. „Ich dachte, ich schau mal vorbei“, meinte er. „Lerne Sie ein bisschen kennen, Sie wissen schon.“
„Was wollen Sie, Potter?“, fragte die Bibliothekarin mit gefährlich leiser Stimme – wobei Madam Pince immer leise redete. In einer Bibliothek zu leben hatte wohl so seine Nebeneffekte.
„Warum denn sie förmlich? Nennen Sie mich ruhig James“, erwiderte er mit einer angedeuteten Verbeugung. „Mr. Potter ist mein Vater.“
Madam Pince sagte nichts sondern hob lediglich ihre schmalen, dunklen Augenbrauen an, die beinahe in den dunklen Fransen ihrer Haare untergingen.
„Eigentlich bin ich hier“, sagte James schnell, der sein Glück und Madam Pinces Geduld nicht herausfordern wollte, „um nach Ihrer Hilfe zu fragen. Wissen Sie, eine meiner Mitschülerinnen hat bald Geburtstag, Lily Evans, vielleicht erinnern Sie sich und ich wollte fragen, was Evans – ich meine Lily – sich denn so für Bücher ausleiht. Inspiration, verstehen Sie?“
Die Bibliothekarin untersuchte James‘ Gesicht mit einem sehr intensiven, geierartigen Blick – sie stierte ihn hinter ihren Brillengläsern hervor an und hatte die Augen so sehr verengt, dass sie kaum noch Schlitze waren. Madam Pince atmete laut und langsam, während sie nach Anzeichen von Schuld in James suchte. Der Junge überlegte, ob er einen bettelnden Blick aufsetzen sollte, entschied sich aber doch dagegen – noch musste er nicht so niedrig sinken.
Anstatt ihm eine Antwort zu geben, fing Madam Pince nach ein paar sehr langen Minuten an, in einem dicken Buch auf ihrem Tresen zu blättern. Es hatte ungefähr die Größe von Hagrids Fuß und wog sicherlich eine Tonne. Die Seiten raschelten, während die Frau darin blätterte.
James wagte es kaum zu atmen, aus Angst, dass er Madam Pinces heilige Ruhe unterbrechen würde.
„Miss Lily Evans, ja?“, fragte sie plötzlich und blickte auf.
„Genau die. Klein, rothaarig. Ziemlich vorlaut, wenn ich das so anmerken darf.“
„Ein fleißiges Mädchen“, erwiderte Pince mit ihrer Schleifsteinstimme. „Sie lernt hier fast jeden Abend. Leiht sich ständig Schulbücher aus höheren Klassenstufen aus und bringt sie zwei Tage später durchgelesen zurück. Sie ist ein sehr cleveres Ding.“
„Absolut“, nickte James. „Gibt kaum jemanden, der engagiertet ist als Evans.“
Madam Pince schürzte die Lippen, dann sagte sie so langsam wie möglich, als würde es ihr innere Schmerzen bereiten: „Miss Evans liest sehr viel über Zaubertränke und die Kunst des Brauens. Sie hat sich Ein Einblick in die Brauarten bereits viermal ausgeliehen.“
„Vielen Dank, Madam Pince“, sagte James breit grinsend. „Sie wissen ja gar nicht, wie sehr mir das geholfen hat!“
Mit einem zweifelnden Blick schlug Madam Pince ihr massives Buch zu, wodurch eine Staubwolke in die Luft stob. „Sollte ich hören, dass sie Unfug mit dieser Information anstellen, Mr. Potter, dann erteile ich Ihnen lebenslanges Bibliotheksverbot.“
„Und niemand würde das mehr bedauern als ich, Irma“, grinste James und stieß sich vom Tresen ab. „Sie sind ein Engel!“ Mit schnellen Schritten verließ James die Bibliothek, bevor Madam Pince ihn dafür rügen könnte.
Endlich mit einem Plan und einer Idee bewaffnet, eilte James so schnell wie möglich zurück in den Gemeinschaftsraum, wo er sich ein Stück Pergament, eine Feder und Tinte borgte und dann einen hastig gekritzelten Brief an seine Mutter schrieb. Keiner beachtete James, während er mit dem eilig beschriebenen Stück Pergament wieder aus dem Gemeinschaftsraum verschwand („Wozu hast du mich dann überhaupt gestört?“, fragte die Fette Dame entrüstet.) und die Korridore entlangeilte.
In der Eulerei roch es nach Vogeldreck, kaltem Stein und feuchtem Getreide. Es war ein schmaler Turm, der sich dutzende Meter in die Höhe drehte, mit gut hundert kleinen Öffnungen, durch die die Eulen ein und ausfliegen konnten, wann immer sie wünschten. Etliche Holzbalken waren über den gesamten Turm gespannt, auf dem es sich seine vielen Bewohner gemütlich machen konnten und ein niemals endender Trinkbrunnen stand direkt in der Mitte auf dem Boden, leise plätschernd, als bereits ein paar der Eulen dort etwas Wasser hinunterwürgten.
James musste nicht lange nach seiner eigenen Eule Ausschau halten – ein rotbraun gefiederter Vogel mit intelligenten, dunklen Augen saß ein paar Meter über seinem Kopf in einer schmalen Nische und döste vor sich hin. Aridia war ein schönes Tier, wenn euch sehr faul. Sie verbrachte ihre Tage am liebsten damit, mit dem Kopf unter dem Flügel zu schlafen, ein paar Körner zu futtern und dann weiterzuschlafen, bis die Nacht hereinbrach. Während alle anderen Eulen unterwegs waren und jagten, Päckchen und Briefe auslieferten oder die Gegend erkundeten, suchte Aridia sich lediglich einen bequemen Ast im Verbotenen Wald und döste dort weiter. An guten Tagen fing sie sich selbst ein Abendessen.
„Aridia“, sagte James und schnalzte mit der Zunge. „Hey, Kleine, ich hab einen Brief für dich!“ James‘ Eule ignorierte ihn wesentlich länger, als der Junge es für annehmbar gehalten hatte. Glücklicherweise war er allein, sodass niemand seine kläglichen Versuche sehen musste, die Eule dazu zu überzeugen, zu ihm herunterzukommen, damit er ihr den Brief an den Fuß binden konnte. Etliche Minuten und ein hoch und heiliges Versprechen, dass er ihr einen ganzen Karton an Eulenkeksen vorbeibringen würde, wenn sie wiederkam, später, hatte James Aridia zu einer der kleinen Öffnungen in der Wand getragen. Er streichelte vorsichtig ihr sanftes Gefieder, sie kniff zärtlich in seinen Finger und ließ sich dann von James in die Luft werfen, ein paar Meter fallen und schlug dann lautlos die Flügel auf, damit sie dem Horizont entgegenfliegen konnte.
Die nächsten Tage wartete James auf die Rückkehr seiner Eule und das damit ankommende Geschenk für Evans. Er hatte seine Mutter gebeten, es für ihn in der Winkelgasse zu besorgen und hoffte, dass sie keine Fragen stellen würde, sobald sie sich am Anfang der Sommerferien sehen würden – er hatte keine große Lust darauf, seiner Mutter erklären zu müssen, dass Lily Evans nicht seine Freundin war, vielen herzlichen Dank auch. Sie war eine Mitschülerin und hatte Geburtstag, James fand es angebracht, dass er ihr eine Kleinigkeit besorgte, zumal sie auch noch so eine schlechte Weihnachtszeit hatte.
Drei Tage vor Lilys Geburtstag hatte Remus endlich geschafft, woran er die ganze Zeit gearbeitet hatte. „Endlich“, sagte er und wischte sich über die Stirn. „Ich dachte schon, das würde nie funktionieren.“ Ein alter Muggel-Plattenspieler (James und Sirius hatten sich skeptisch von Remus und Mary erklären lassen, was das für Gerätschaften waren) stand auf Remus‘ Bett und obwohl er durch die ganze Magie in der Luft nicht funktionieren sollte, spielte er einwandfrei eine schwarze, kreisrunde Platte ab, wodurch Musik in ihrem Schlafsaal ertönte.
„Wahnsinn“, meinte Peter erstaunt. „Was sind das für Leute?“
„Die Beatles“, erwiderte Remus. „Mum hat mir ein paar ihrer Platten mitgegeben. Hier, das ist mein Lieblingslied.“ Remus drehte ein wenig an dem Gerät herum (James hielt weiterhin einen Sicherheitsabstand ein – diese Nadel sah scharf aus und er hatte schon von wesentlich unschuldig aussehenden Gerätschaften gehört, die spitze Dinge nach einem schleuderten) und schließlich ertönten ein paar neue Melodien.
„Here comes the sun“, las Sirius von der Plattenverpackung vor. „Ein bisschen kitschig, oder, Lupin?“
Remus‘ blasse Wangen wurden dunkler und er riss Sirius die Packung aus der Hand. „Man nennt es Geschmack, Black, schlag es nach.“