Peter Pettigrew
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Als Phyllis Pettigrew in der zweiten Klasse gewesen war, hatte sie sich einen Namen als begabte Zauberkünstlerin und gekonnte Trankbrauerin gemacht. Ihre Fähigkeiten hatten die von älteren Schülern überragt und sie war eine der jüngsten Hogwarts-Schülerinnen gewesen, die von Slughorn in seinen fast schon prestige-trächtigen Slug-Klub geladen wurde. Mit herausragenden Fähigkeiten und einer allseits beliebten Persönlichkeit, war Phyllis an der gesamten Schule bekannt. Sie hatte dem Namen Pettigrew zu Glanz und Ansehen verholfen.
Bisher hatte Peter sich nur dafür einen Namen gemacht, recht gut in Zaubererschach zu sein und zu der Bande zu gehören, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, jedem an der Schule mindestens einen Streich zu spielen. Die Fußstapfen seiner Schwester hatte er damit nicht gefüllt und die hohen Erwartungen seiner Mutter sowieso nicht übertroffen.
Freilich, noch glaubte Atlanta Pettigrew daran, dass ihr Sohn ebenfalls Vertrauensschüler werden könnte, wenn er seinen langsamen Start überwunden hatte. Peter hatte es nicht in sich, seiner Mutter zu erzählen, dass er keine Absicht hegte, Vertrauensschüler zu werden, deswegen gab er ihr meist nur leere Versprechen und vage Antworten.
„Vielleicht solltest du Phyllis einfach fragen, ob sie dir ein wenig Nachhilfe gibt“, sagte Atlanta geschäftig, während sie mit dem Zauberstab eine ganze Ladung an Gemüse dirigierte, damit es sich selbst schälen und schneiden würde. „Dann würdest du bestimmt schnellstens an der Spitze deiner Klasse stehen.“
„Das bezweifle ich“, murrte Peter. „Nicht, solange James, Sirius, Remus und Lily in meinem Jahr sind.“
„Das ist nicht die richtige Einstellung, Häschen“, tadelte seine Mutter ihn. „Wenn du dich überhaupt nicht anstrengst, weil du glaubst, andere nicht übertrumpfen zu können, dann wirst du auch nie vorankommen.“
Peter verschränkte die Arme. „Ich hab doch schon gute Noten. Vor den Ferien hat McGonagall mich sogar gelobt.“
„Natürlich hast du das“, meinte Atlanta nebensächlich klingend. „Ich sage ja nur, dass du noch bessere Noten haben kannst, wenn du dich ins Zeug legst. Du willst doch sicher irgendwann einen guten Job haben, oder etwa nicht?“ Als Peter daraufhin nichts erwiderte, fügte sie an: „Phyllis hat für den Sommer bereits Zusagen für zwei unterschiedliche Stellen bekommen.“
„Das ist toll“, brachte Peter zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Mit einem Schlenker ihres Zauberstabs delegierte sich das geschnittene Gemüse von selbst in einen massigen Kochtopf. Wasserdampf strömte im nächsten Moment in die Höhe, während sich Kräuter und Gewürze in der Luft aneinanderreihten, um etwas von ihrem Inhalt in den Topf zu geben. Mit ihrem Stab dirigierte Atlanta Geschirr und Besteck aus den Schränken, das sich fein säuberlich um Peter herum auf dem Tisch verteilte. Eine Vase flog aus dem angrenzenden Wohnzimmer auf die Mitte des Tisches und aus wurde mit durch das offene Fenster hereinfliegenden Blumen verziert, die aus dem Garten kamen.
Peter staunte immer wieder über die alltägliche Magie, die seine Mutter so nebenbei einsetzte. Präzision und Finesse hatten ihm noch nie gelegen und jedes Mal wenn er versucht hatte, etwas auf einen genau gewählten Ort fliegen zu lassen, war es entweder mehrere Meter daneben gelandet oder mit solch einer Wucht aufgekommen, dass es zerbrochen war.
„Hol deine Schwester, ja? Das Essen ist gleich soweit.“ Atlanta hatte mit dem Rücken zu Peter gesprochen, als sie in den Ofen geschaut hatte, drehte sich aber um, als ihr Sohn sich nicht wegbewegte. Sie lächelte, als sie seinen Blick bemerkte. „Viel Üben und dann kannst du sowas auch. Phillys beherrscht solche Magie im Schlaf.“
Peter unterdrückte ein genervtes Schnauben und erhob sich. Er wollte nicht hören, dass er üben und lernen und noch mehr üben sollte, um so gut wie seine Schwester zu sein. Er wollte für das gelobt werden, was er bereits konnte und nicht ständig damit verglichen werden, was andere in seinem Alter konnten. Seine Mutter meinte es zwar nicht böse - zumindest ging er davon aus, dass sie es nicht böse meinte - aber es gab ihm kein sonderlich gutes Gefühl. Seine Schwester war ein begabtes Wunderkind, seine Mutter beherrschte präzisionsgenaue Beschwörungen, ohne sich anstrengen zu müssen und selbst von seinem Vater, der vor sieben Jahren das Weite gesucht hatte, hörte er immer wieder, wie toll dessen Magie gewesen war. Und Peter? Bei ihm hieß es nur, dass er sich anstrengen sollte, um so gut wie andere zu sein. Vergleiche hatten sein Leben bereits geprägt, da hatte Peter seine eigene Magie noch gar nicht spüren können, da war selbst Hogwarts wie eine Märchengeschichte gewesen, die man ihm zum Einschlafen erzählt hatte.
Hogwarts - Peter dachte mit einem zufriedenen Lächeln an seine Freunde, an James, Sirius und Remus und auch Mary und Benjy. Seine Freunde hatten sich nie etwas daraus gemacht, sich miteinander zu vergleichen, selbst wenn sie wussten, dass sie besser als andere waren. James und Sirius, die talentiertesten Zauberer in ihrer Klasse, konnten sich ohne Anstrengung bereits mit wesentlich älteren Schülern messen, sie wurden in so gut wie jeder Unterrichtsstunde gelobpriesen, auch wenn sie die Hälfte der Zeit Grimassen geschnitten und Unsinn angestellt hatten, aber nicht ein einziges Mal hatten sie auf Peter herabgesehen. Sie wussten genauso gut wie Peter selbst, dass er nicht so talentiert wie sie war, dass er die meisten Klassen nur mit ihrer Hilfe bestand, aber das war etwas, das Peter so sehr an seinen Freunden schätzte: Sie waren trotzdem mit ihm befreundet, obwohl sie besser in allem waren. Es kümmerte sie einfach nicht.
Phyllis saß in ihrem Zimmer im ersten Stock, gleich drei Bücher über Mittelalterliche Hexenverbrennungen aufgeschlagen. Sie hatte die Feder zwischen den Zähnen und Tinte auf den Händen. Mehrere vollgeschriebene Bögen Pergament bedeckten ihren Schreibtisch. Durch die Lücke der Vorhänge strahle rot-goldenes Abendlicht. Sie blickte fahrig auf, als Peter die Tür hinter sich zufallen und sich auf einen Sitzsack fallen ließ.
„Mum sagt, Essen ist gleich fertig.“
Phyllis lächelte schwach. „Danke aber ich muss das hier beenden. Ich ess später.“
„Oh bitte, komm mit runter“, sagte Peter. „Ich will nicht schon wieder allein mit Mum essen müssen.“
Seine Schwester hob eine Augenbraue und ließ die Feder langsam sinken. „Was soll das denn bedeuten?“
Peter mied ihren Blick. „Du weißt schon. Ich will einfach, dass wir alle zusammen essen, als Familie. Du lässt so viele Mahlzeiten ausfallen, obwohl wir Ferien haben.“
„Die Arbeit hört leider nicht auf, nur weil ich nicht in der Schule bin, Petie. Meine UTZ stehen bevor.“
„Die wirst du doch eh mit Ohnegleichen bestehen“, murrte Peter, während er an einem Faden an seinem Pullover zupfte. „So als perfekte Schulsprecherin und so weiter.“
„Ah“, sagte Phyllis leise. „Das.“ Sie seufzte kaum hörbar und drehte sich auf ihrem Stuhl, bis sie Peter ins Gesicht blicken konnte. „Ich bin nicht Schulsprecherin geworden, weil ich Dumbledores Lieblingsschülerin bin, okay? Ich habe sechs Jahre lang hart dafür gearbeitet und jedes Wochenende in der Bibliothek verbracht, selbst wenn Quidditch-Spiele anstanden oder schönes Wetter herrschte. Ich habe mir diese Position und auch meine Ohnegleichen verdient.“
„Ich wünschte nur, du hättest es nicht so übertrieben“, murrte Peter. „Mum erwartet von mir, dass ich auch so wie du werde.“
„Ist doch egal“, erwidert Phyllis, als wäre es das wirklich. „Weißt du, ich wünschte, mir hätte damals jemand gesagt, dass ich nicht nur Bestnoten schreiben oder auf Mum hören muss, aber ich schätze, der Hippogreif ist abgeflogen. Die letzten Monate bekomme ich noch hin, aber du solltest es dir nicht so zu Herzen nehmen, was sie sagt. Du weißt, sie will nur das Beste für uns.“
Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte Peter in die ernsten, hellen Augen seiner Schwester. „Was soll das denn?“, fragte er zweifelnd.
„Was das soll?“ Phyllis lächelte schmal und stützte das Kinn auf einer Hand auf. „Du sollst nicht den gleichen Fehler wie ich begehen und auf Mum hören. Weißt du, wie oft ich meine Freunde in den gesamten Ferien besucht habe?“ Bevor Peter die Möglichkeit hatte, führte sie fort: „Einmal, im dritten Jahr, als du dir das Bein gebrochen hast, weil du vom Besen gefallen bist. Mum wollte nicht, dass ich allein zuhause bleibe, also bin ich ein paar Tage bei Abigail untergekommen. Das waren die einzigen Tage, an die ich mich erinnern kann, an denen ich nicht irgendwas gelernt oder wiederholt habe.“
Peter legte die Stirn in Falten. „Jetzt willst du mir sagen, ich soll nicht auf Mum hören?“
„Ich will gar nichts“, erwiderte seine Schwester geduldig. „Du sollst selbst für dich entscheiden, ob du Lernen willst, um gute Noten zu schreiben oder ob du Lernen willst, weil es dir Spaß macht. Mum hat mir diese Entscheidung damals abgenommen, weil sie unbedingt will, dass ich gute Prüfungen schreibe, um einen guten Job zu bekommen, es hat sie, um ehrlich zu sein, recht wenig interessiert was ich wollte. Vielleicht bin ich ja eine gute Quidditch-Spielerin, wer weiß?“, schloss Phyllis lächelnd. „Ich schätze, das werde ich während meiner Hogwarts-Zeit nicht mehr rausfinden, aber du schon.“
„Oh nein, ich bin schrecklich in Quidditch. James ist das Naturtalent.“
Phyllis lachte ein leises, verhaltenes Lachen und hielt sich eine Hand vor den Mund. „Das war auch nicht wörtlich gemeint. Ich weiß, dass wir Pettigrews nicht auf Besen gehören. Dafür haben wir nicht die Balance. Dein gebrochenes Bein beweist das.“
Peter grinste verlegen.
„Wobei ich glaube, dass Dad ein passabler Flieger war“, überlegte Phyllis laut, bevor sie den Kopf schüttelte. „Na, egal. Kann ich jetzt weitermachen?“
Wenn es eines gab, dass Peter zur Weißglut brachte, dann war es seine Schwester, die nicht von ihrer Arbeit aufsehen wollte. Es waren Weihnachtsferien, verflucht noch einmal, und Peter würde nicht zusehen, wie sie die letzten freien Tage in ihrem Zimmer hockte und an irgendwelchen Aufsätzen arbeitete. Trotz des Verbots von minderjähriger Magie, zückte Peter seiner Zauberstab. Solange er in Gegenwart von erwachsenen Hexen war, konnte er ein wenig Magie wirken. „Wingardium Leviosa“, sagte er und im nächsten Moment begann Phyllis' angefangener Aufsatz in die Luft zu schweben. Bevor Phyllis nach ihren Pergamenten greifen konnte, sprang Peter auf, schnappte sich die Papiere und lief zur Tür.
„Nein“, sagte er mit spitzem Lächeln. „Du kommst runter mit zum Essen und verbringst Zeit mit uns!“
„Peter, gib mir meinen Aufsatz wieder!“ Phyllis erhob sich und zog ihren eigenen Zauberstab hervor. „Ich hex dir die Ärmel zusammen, wenn du nicht hörst“, fügte sie drohend an.
„Komm schon.“ Peter versteckte die Hände und den Aufsatz seiner Schwester hinter dem Rücken. „Wenigstens zum Essen kannst du mitkommen. Danach lass ich dich in Ruhe, versprochen.“ Er kreuzte die Finger hinterm Rücken, wie James es immer machte, wenn er Professor McGonagall versprach, im Unterricht keinen Mist anzustellen.
Phyllis betrachtete ihren jüngeren Bruder einen Moment lang, sichtlich mit sich ringend, dann seufzte sie ergeben. „Schön“, entgegnete sie ungeduldig. „Aber nach dem Essen gehe ich sofort wieder hoch, ich muss das wirklich fertigstellen.“
Ein gewinnendes Grinsen erschien auf Peters Lippen, er entkreuzte seine Finger und ließ dann Phyllis' Aufsatz wieder auf ihren Schreibtisch fliegen.
„Du bist echt unmöglich, Petie. Früher hast du sowas nicht gemacht.“
„Da wusste ich auch nicht, wie viel Spaß es macht.“
„Deine Gryffindor-Freunde sind ein ganz schlechter Einfluss auf dich“, erwiderte sie und rieb sich die Nasenbrücke.
„Im Gegenteil“, sagte Peter grinsend, bevor er sich umdrehte und die Treppe anfing herunterzulaufen. „Sie haben einen großartigen Einfluss.“ Er fühlte einen Fluss an Stolz durch sich fließen, als er an seine Freunde dachte, die er bald wieder sehen würde. Er konnte es kaum erwarten, wieder mit Sirius, James und Remus im Gemeinschaftsraum zu faulenzen und Bertie Botts Bohnen zu essen. In Hogwarts hatte immerhin niemand unmögliche Ansprüche an ihn.
***
Lieber Peter,
wie ist dein Weihnachten? Meins ist grottig. Die Heimaufseherin hat eine hässliche Grippe und ist richtig mies drauf. Sie hätte fast unser Weihnachtsessen abgesagt, weil ihr ein paar der jüngeren Kinder zu laut gewesen waren. Zum Glück haben Maribel und Lin, zwei der etwas älteren Mädchen hier, ihr eine starke Kanne mit Tee gekocht und geschworen, dass sie dafür sorgen würden, dass es ruhig blieb, wenn sie das Essen nicht absagt.
Das Essen war dann auch ganz gut, für die Heim-Verhältnisse zumindest. Es gab Braten und Truthahn und Tonnen an weichen Kartoffeln. Ich hatte den ganzen Abend Bauchschmerzen, weil ich zu viel gegessen hab, aber an das Hogwarts-Essen kam es nicht heran. Ich glaub, nächstes Jahr bleib ich über die Feiertage in der Schule, dann können wir vielleicht gemeinsam das Schloss erkunden, wenn du willst. Weiß nicht, wieso ich über die Feiertage überhaupt ins Heim gegangen bin, hier gibt es eh nichts für mich. Stan wurde vor ein paar Wochen von so einer Etepetete-Schnösel-Familie adoptiert und ohne ihn halte ich es nicht lange aus, nur mit Vic zu reden. Obwohl ich es ihm mehrmals erklärt habe, glaubt er noch immer, ich wäre im Jugendknast. Seit dem Sommer hat sich da nichts geändert. Immerhin hatte er einen ganzen Batzen an neuem Süßkram zusammengeklaut, von dem er mir die Hälfte geschenkt hat. Wenigstens dafür isser gut, he?
Mann, ich wette, du und deine Familie habt ein richtig cooles, magisches Weihnachten und ich stecke hier mit 'nem Dutzend anderer Kinder fest, die nicht mal wissen, dass ich ein Zauberer bin. Ich wünschte, dieses blöde Verbot würde nicht existieren, dann könnte ich denen beweisen, dass ich nicht ins Heim sondern nach Hogwarts gehöre.
Ha, sorry, Peter, ich wollte dich nicht mit meinen Problemen nerven. Wir sehen uns bald in der Schule, ja?
Grüße vom Heim,
Benjy.