Lily Evans
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Professor Slughorn nahm kaum Notiz davon, dass Lily und Severus fast die erste Hälfte der Stunde verpasst hatten, als sie das Klassenzimmer schließlich betraten. Er huschte sie lediglich zu ihren Tischen, wo sie sich, unter den zweifelhaften Blicken von Potter und Black, niederließen und ihre Utensilien auspackten. Lily legte das Kästchen mit dem neuen Messer vor sich, schob es mit einem Finger gerade und schenkte Severus ein Lächeln, bevor sie sich nach vorne wandte.
„Wie ich angefangen hatte zu erklären“, sagte Professor Slughorn mit glänzenden Augen und zitterndem Schnurrbart, „zählt der heutige Trank zu den wichtigsten, die man in seiner Ausbildung lernen sollte. Nur eine falsche Zutat, Merlin, nur die falsche Reihenfolge von Zutaten reicht schon aus, damit die Effekte drastisch verändert werden. Nun, die Anleitung steht in Ihren Büchern auf Seite 113. Verlieren wir nicht noch mehr Zeit und fangen an, vielleicht werden einige von Ihnen noch vor dem Klingeln fertig.“ Slughorn lächelte, bevor er sich niederließ.
Es dauerte ein paar Momente, bis der letzte in der Klasse mitbekommen hatte, dass Slughorn nicht mehr redete und in der Zeit, in der auch der letzte sein Buch auf der richtige Seite angefangen hatte, war Severus bereits dazu übergegangen, die Zutaten, die er bereits parat hatte, in die richtige Reihenfolge zu legen.
Lily hingegen war eine der wenigen, die direkt aufstanden und zum Zutatenschrank auf der anderen Seite des Klassenzimmers lief, um direkt alles auf ihrem Tisch zu versammeln. Leider hatte nicht nur sie diese Idee.
„Evans“, sagte Potter mit einem schiefen Grinsen, bevor er sich mit einer Hand durch die Haare fuhr. „Ich konnte nicht anders, als mitzubekommen, dass du dich verspätet hast. Du und Snape“, fügte er an.
„Wie aufmerksam von dir“, gab sie zurück.
„Weißt du, wenn er irgendwas getan hat, um dich aufzuhalten, dann kannst du – “
„Musst du mit mir reden?“, unterbrach Lily ihn mit kühler Stimme. „Ich versuche nur meine Zutaten zusammen zu sammeln und eigentlich solltest du das Gleiche tun.“
James sah sie einen Moment überrascht an, dann kehrte ein neckisches Grinsen auf sein Gesicht zurück. „Ich habe mich lediglich gewundert, wieso du an deinem Geburtstag dein Lieblingsfach versäumen würdest“, sagte er. „Das ist alles.“
Lily hob eine Augenbraue. „Wer hat dir gesagt, dass ich Geburtstag habe?“ Sie versuchte den Augenkontakt zu vermeiden, aber James machte es ihr nicht einfach.
Er lehnte an der Wand neben dem Schrank, die Arme lose vor der Brust verschränkt, drei der obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet. Es war nicht zu übersehen, dass er versucht lässig wirken wollte. „Wer sagt, dass es mir jemand gesagt hat?“, stellte er die Gegenfrage.
„Du bist nicht der Typ, der sich an Geburtstage erinnert“, sagte sie, bevor sie die letzte ihrer Zutaten griff, sie sich unter den Arm klemmte und sich umdrehte.
„Autsch“, gab er zurück. „Und dabei dachte ich, dass ich letztes Jahr einen guten Eindruck auf dich gemacht habe.“
Lily schnaubte. „Wohl kaum.“ Sie fing an zurück zu ihrem Tisch zu laufen.
„Dann muss ich mich also wieder ins Zeug legen, huh? Jedenfalls, alles Gute, Evans. Hoffe, deine Schwester hat dieses Mal an dich gedacht.“
Als Lily sich überrascht zurück zum Zutatenschrank drehte, hatte James sich bereits mit dem Rücken zu ihr in dessen Eingang gestellt und fuhr mit einer Hand die vielen Phiolen ab, die in einer Reihe standen. Sie presste die Lippen zusammen und zwang sich, sich zurück zu ihrem Tisch zu begeben. Es sollte sie nicht überraschen, dass Potter sich daran erinnert hatte, dass ihre Schwester ihr letztes Jahr keine Geburtstagsgrüße überreicht hatte, immerhin war er es gewesen, der sie aufgemuntert hatte, aber trotzdem verpasste es Lily einen bitteren Geschmack im Mund, zu wissen, dass er sich nach dem ganzen Jahr und den zahlreichen Streitereien, die die beiden hatten, immernoch an das exakte Datum erinnerte, an dem es passiert war.
Sie schüttelte vehement den Kopf. Sicherlich hatte er einen ihrer Freunde gefragt, weil er sich nicht von allein erinnern konnte. Vielleicht hatte Remus es ihm gesagt, dachte sie, bevor sie sich neben Severus niederließ, der bereits seinen Kessel zum Kochen gebracht hatte. Sie ließ ihre gesammelten Zutaten auf den Tisch fallen, zog ihr Buch etwas näher und holte dann ihr neues Messer aus der Verpackung.
Beim Mittagessen verabschiedete Lily sich von Severus, versprach ihm aber gleichzeitig, dass sie zum Abend zusammen essen würden. Er ging zwar mit gesenkten Schultern, aber gehobenen Mundwinkeln zum Slytherintisch, wo er direkt von Avery in die Mitte der Slytherinschüler gezogen wurde, die Lily oftmals gehässige Kommentare hinterherwarfen, wenn sie ihnen allein begegnete. Sie versuchte nicht daran zu denken, was sie über sie sagten, während Severus sich seinen Teller befüllte.
Als sie sich neben Marlene setzte, fragte diese: „James will wissen, ob wir wieder eine Party feiern.“
Lily legte die Stirn in Falten. „Eine Party?“
„Für deinen Geburtstag, duh“, sagte Mary. „Immerhin haben wir auch letztes Jahr gefeiert.“
„Ich glaube, dieses Jahr verzichten wir“, entgegnete Lily langsam, den Blick demonstrativ nicht ans andere Ende des Tisches gerichtet, an dem sie Potter und seine Bande vermutete. „Ich hab zu viele Hausaufgaben über, als dass ich mit gutem Gewissen eine Party feiern könnte.“ Sie lud sich ein paar dampfende Kartoffeln auf ihren Teller, dann fügte sie an: „Außerdem ist dreizehn keine wirklich feierbare Zahl, oder?“
„Da ist was dran“, entgegnete Marlene. „Dreizehn ist immerhin die Unglückszahl.“
„Oh bitte“, sagte Mary, „das ist doch nur Aberglaube.“
Marlene schnaubte. „Nein, wirklich. Es gibt dutzende Beweise, dass die Dreizehn Unglück bringt und auch bei vielen magischen Dingen vermieden werden sollte. Wusstest du, dass man manche Tränke nicht beenden sollte, wenn es der dreizehnte Tag eines Monats ist, weil die Wirkung sonst vergiftet wird? Außerdem gibt es einige Verwünschungen, die an Effekt verlieren, wenn sie am Dreizehnten genutzt werden.“
„Ich glaub dir kein Wort“, erwiderte Mary unbeeindruckt.
„Du gehst auf eine magische Zauberschule und hast gelernt, wie man einen Igel in ein Nähkissen verwandelt, aber dass die Dreizehn tatsächlich Unglück bringt, ist dir dann nicht glaubhaft genug?“, fragte Marlene.
Lily lachte. „Da ist was dran.“
„Ach komm schon“, meinte Mary, wedelte mit ihrer Gabel in Marlenes Richtung und sagte: „Du musst selber zugeben, dass es absolut an den Haaren herbeigezogen klingt. Ich meine, Zaubertränke verlieren an Wirkung und Verwünschungen gehen schief? Dann müsste Lily ja jetzt ein ganzes Jahr lang lieber keine Tränke mehr brauen, immerhin ist sie selbst die unglückliche Dreizehn.“ Mary schüttelte den Kopf. „Nein, Danke. Ich glaube ja vieles, aber das nicht.“
Marlene zuckte mit den Schultern. „Ich werde dich daran erinnern, dass du das gesagt hast, wenn dir der nächste Zaubertrank misslingt.“
„Wenn das tatsächlich der Fall wäre“, meinte Mary, steckte sich ein Stück Brot in den Mund und redete weiter, während sie kaute, „dann hätten wir an jedem dreizehnten der vergangenen Jahres keinen Unterricht haben sollen, oder nicht? Ich meine, wie stehen denn die Chancen, dass diese Dinge an einer ganzen magischen Schule nicht passieren?“
„Keine Ahnung“, gab Marlene zurück, „ich kann dir nur erzählen, was mir mein Bruder erzählt hat.“
„Dein Bruder?“, fragte Lily. „Und du bist nie auf die Idee gekommen, dass er dich nur veräppelt hat?“
Marlene öffnete den Mund, höchstwahrscheinlich, um zu protestieren oder eine schnippische Antwort zu geben, aber kein Laut entkam ihr. Sie schloss den Mund wieder, zog die Brauen zusammen, lehnte sich zurück. „Warte, das würde tatsächlich einiges erklären“, erwiderte sie langsam. „Oh, dieser kleine – “
Mary lachte lauthals auf. „Sag mir nicht, du bist die ganze Zeit auf so eine alberne Lüge hereingefallen!“
Eine sanfte Röte kroch in Marlenes Wangen, bevor sie die Arme verschränkte. „Ich – ich habe es natürlich hinterfragt“, sagte sie schnell. „Aber ich meine, ich war erst sieben, als er mir davon erzählt hat, natürlich hab ich ihm geglaubt. Das wird er noch bereuen“, fügte sie murmelnd hinzu. „Ich werde herausfinden, wie man Flüche per Post verschickt und werde ihm einen Popelfluch per Eule zukommen lassen.“
Lily schüttelte grinsend den Kopf. „Trotzdem will ich keine Party.“
„Ach komm schon, Lily“, maulte Mary. „Sei kein Spielverderber!“
„Bin ich das Geburtstagskind oder du?“
„Du, aber –“
„Ah, kein Aber. Ich hab Geburtstag.“
„Unfair“, grummelte Mary.
„Wir können zu deinem Geburtstag eine Party feiern“, schlug Lily vor.
Mary setzte einen entsetzten Gesichtsausdruck auf. „Der ist erst im Oktober!“
„Dann bleibt dir ja genug Zeit, um die beste Party zu planen, die Gryffindor je gefeiert hat, oder?“, erwiderte Lily grinsend.
„Du bist eine richtig gemeine Freundin, weißt du das? Absolut böse. Ich weiß nicht, wie ich mit dir befreundet sein kann. Ich glaube, ich muss McGonagall bitten, mich in einen anderen Schlafsaal zu stecken.“
Lily stach eine Kartoffel mit ihrer Gabel auf. „Oh, wie werde ich nur darüber hinwegkommen“, sagte sie mit monotoner Stimme. „Ich werde wohl auf ewig traurig sein.“
Mary schnaubte. „Besser ist das. Du weißt gar nicht, was du mit mir verpasst, Evans. Ich bin eine einzigartige Partygesellschaft und außerdem urkomisch.“
„Nicht zu vergessen unordentlich“, fügte Marlene hinzu, woraufhin Mary sie mit einer zusammengeknüllten Serviette abwarf. „Hey!“
„Wer lässt denn ihre Umhänge immer liegen, wenn sie abends ins Bett geht?“
Marlene streckte ihr die Zunge raus.
„Wie erwachsen“, sagte Mary.
Lily lachte. „Vielleicht sollte ich mir lieber einen anderen Schlafsaal suchen.“
„Nichts da“, meinte Marlene. „Du kannst mich nicht mit ihr allein lassen.“ Eine weitere Serviette flog über den Tisch, der Marlene dieses Mal reflexartig auswich. „Siehst du? Gemeingefährlich.“