Sirius Black
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Es gab großen Tumult im Schlafsaal der Gryffindorerstklässler. Nachdem Remus Lupin am Sonntagabend nicht mehr zurückgekehrt war, hatte Sirius sich mit der angewiesenen Schokoladentafel auf den Weg zum Krankenflügel gemacht. Er hatte die Tafel so fest mit den Fingern umschlossen, dass er die Schokolade unter der Hitze seiner Haut hatte schmelzen spüren, aber in dem Moment war es ihm relativ egal gewesen. Remus hatte ihm den Auftrag gegeben, ihm die Süßigkeit vorbeizubringen, damit er sich besser fühlen würde und Sirius nahm seine Mission sehr ernst, auch wenn James ihn dafür ausgelacht hatte.
„Was, spielst du jetzt Laufburschen für Lupin?“, hatte der Erbe des Potter-Namens gefragt.
„Klappe, Potter. Ich tue einem Freund einen Gefallen, ich weiß, davon verstehst du nicht viel.“ Peter, Mary und Monty hatten daraufhin laut gelacht und Sirius war aus dem Portraitloch geklettert. Als er allerdings im Krankenflügel angekommen war, hatte Madam Pomfrey ihn direkt wieder weggeschickt.
„Mr. Lupin schläft“, hatte die Heilerin mit gedämpfter Stimme verkündet. Ihre Augen waren auf die Tafel Schokolade gefallen, die Sirius in den Fingern hatte. „Aber er wird sich sicher über ihren Besuch freuen, Mr. Black, ich werde es ihn wissen lassen.“
Sirius hatte protestiert. Er wollte dableiben, bis Remus wieder aufwachte und ihm dann die Süßigkeit persönlich präsentieren, aber Madam Pomfrey wollte nichts davon hören. Sie hatte ständig davon geredet, dass der Krankenflügel kein Aufenthaltsraum für streunende Schüler war, die nicht in den Unterricht wollten und ihn dann mit ausschweifenden Handbewegungen fortgeschickt.
Der Montag war vergangen und es hatte keine Nachricht von Remus gegeben. Nach dem Mittagessen und nach dem Abendessen war Sirius beides Mal noch einmal in den Krankenflügel gegangen und war schon drauf und dran gewesen, sich an Madam Pomfreys Vorhängen vorbeizuschleichen, doch er war kaum in Reichweite gewesen, den Stoff auch nur anzuatmen, da war die Heilerin schon aus ihrem Büro gerannt. „Mr. Black“, hatte sie aufgebracht gerufen. „Man sollte meinen, Sie wären ein Klettfluch, so schwierig ist es, sie loszuwerden! Ich versichere Ihnen, Mr. Lupin ist am Leben und guter Gesundheit, aber er benötigt Ruhe. Der Junge hat ein Dutzend verschiedene Aufpäppeltränke intus und wahre mir Merlin, ich werden Ihnen ebenfalls die gesamte Dosis einflößen, wenn das bedeutet, dass Sie dann endlich Ruhe geben.“ Als hätte die Heilerin gespürt, dass ihr aufbrausender Tonfall Sirius verschreckt haben könnte, hatte sie angefügt: „Sie dürfen Mr. Lupin morgen nach Ihrem Unterricht besuchen kommen, Mr. Black. Dann wird er wach und in einer Verfassung sein, auch mit Ihnen zu reden. Und jetzt ab mit Ihnen oder ich setze Professor McGonagall davon in Kenntnis.“
Eher widerwillig hatte Sirius den Krankenflügel verlassen und war mit den Händen tief in den Hosentaschen vergraben wieder in seinen Gemeinschaftsraum gestiegen. Mies drauf, wie er war, hatte er unterwegs eine Gruppe an Ravenclawschülerinnen verhext, die ihm zu laut gelacht hatten. Ihr aufgeregtes Quaken hatte ihn bis zum Portrait der Fetten Dame verfolgt.
Dienstagabend war Remus schließlich blass, müde und mit tiefen, schwarzen Schatten unter seinen Augen im Schlafsaal aufgetaucht, gerade als Sirius eine Rettungsaktion mit James und Peter planen wollte.
„Remus – äh – Jedediah Lupin!“, rief Sirius aufgebracht, woraufhin der blasse Neuankömmling zusammenzuckte.
„Was?“, murmelte dieser mit krächzender Stimme.
„Ich kenn deinen Zweitnamen nicht“, gab Sirius zu, „aber das tut nichts zur Sache. Wo bei Merlins Unterwäsche warst du!?“
„Im Krankenflügel“, erwiderte Remus und ließ sich auf sein Bett fallen. Er wühlte in seinem Koffer und zog eine weitere Tafel mit bester Schokolade aus dem Honigtopf hervor. Seine Haut war noch immer wahnsinnig blass und seine Augen wirkten trübe, als hätte er nicht die letzten drei Nächte durchgeschlafen. Als Remus sich mit der Schokolade auf sein Bett legte und das erste Stück in seinen Mund schob, rutschte der Stoff seines Pullovers etwas hoch und gab den Blick auf blasse, zarte Kinderhaut frei, die von roten Striemen und silbrigen Narben durchzogen war.
„Wir dachten schon, Pomfrey will dich nicht mehr rausrücken“, sagte James gähnend, der die übermäßige Sorge Sirius‘ nicht ganz nachvollziehen konnte. „Dich muss es ja ordentlich erwischt haben, wenn du drei Tage außer Gefecht bist.“
„Hm?“ Remus schluckte den schwerfälligen Bissen herunter. „Oh ja, klar. Ja, ich war einfach krank. Starke Grippe, du weißt schon.“
James nickte, als wäre damit alles erledigt, aber Sirius war nicht so einfach zu beruhigen. Der junge Black rutschte auf dem Boden bis er an Remus‘ Bett saß und sagte: „Madam Pomfrey wollte nicht, dass ich dich sehe. Sie hätte mich beinahe ausgeknockt, als ich einen Blick auf dich werfen wollte.“
„D-Du – hat sie das?“ Es gab keinen wirklichen Zweifel daran, dass Remus noch mehr Farbe im Gesicht verloren hatte. Seine Augen huschten durch den Schlafsaal, ehe sie mit einer panischen Suche auf Sirius landeten. „Warum?“
„Warum was?“
„Warum wolltest du mich unbedingt sehen?“
„Hä?“ Sirius kratzte sich am Kinn, die Augenbrauen zusammengezogen. „Weil ich mir Sorgen gemacht hab, Lupin. Du sahst echt scheiße aus.“
„Komplimente sind echt nicht deine Stärke“, brummte Peter vom Fußboden aus, aber Sirius ignorierte ihn.
„Lass es gut sein, Black“, mischte sich auch James wieder ein. „Remus war krank, aber jetzt ist er doch wieder da. Lass uns das ordentlich feiern und planen, wie wir Schniefelus heimlich erwischen können.“ James‘ Augen glänzten voller Schalk hinter seiner Brille. „Ich hab noch ein paar Dungbomben über, die könnten wir –“
„Kannst du auch mal nicht alle zwei Minuten von Schniefelus reden?“, warf Sirius scharf ein. „Man glaubt langsam, du wärst in ihn verknallt, so oft wie du von ihm redest.“ Die Härte in seiner Stimme ließ James die Augenbrauen heben. „Ach, tu nicht so, Potter“, fügte er gereizt hinzu.
„Du musst dir keine Sorgen machen“, kam Remus‘ langsame, leise Antwort. Er lenkte Sirius‘ Aufmerksamkeit wieder auf sich. Schokolade klebte an seinem Mundwinkel, aber er sah deutlich besser aus als zuvor. „Mir geht es gut, Sirius. Ich bin nur manchmal eben ein bisschen kränklich, da kann man nicht viel machen.“
„Oh, meiner Schwester geht es auch so“, warf Peter aufgeregt klingend ein, als wäre er froh, etwas zur allgemeinen Stimmung beitragen zu können. „Sie wird auch ständig krank und nicht mal die Heiltränke helfen dann. Ein Muggelheiler hat gesagt, ihr Ammorsystem wäre schwach.“
„Immunsystem“, verbesserte Remus lachend.
„Oder das. Jedenfalls steckt sie sich auch ganz schnell bei allen an und liegt dann ein paar Tage flach, aber nach genügend Schlaf und Mums Hühnersuppe geht es wieder.“
„Siehst du, Black?“, fragte James laut. „Remus wird nicht sofort sterben, weil ihm mal ein bisschen schlecht ist. Kannst du es jetzt gut sein lassen?“
Sirius biss sich heftig auf die Zunge. Er warf einen Blick auf Remus‘ Gesicht, der zwar noch immer müde und erschöpft aussah, aber mittlerweile nicht mehr so schlimm wie am Sonntag. James und Peter starrten ihn abwartend an, aber Remus blickte ihm direkt in die Augen, sein Blick offensichtlich herausfordernd aber auch unsicher, was der junge Black als nächstes sagen oder tun würde. Schließlich seufzte Sirius und stützte seinen Ellbogen auf Remus‘ Bett ab, damit er seinen Kopf mit der Hand abstützen konnte. „Okay, gut, ich bin ja überzeugt“, sagte er in den Raum. Wortlos versuchte er den Jungen vor sich zu fragen, ob denn auch wirklich, wirklich alles in bester Ordnung sei, aber er bekam als Antwort nur ein müdes Lächeln.
„Perfekt!“, rief James aufgeregt aus. „Zurück zu diesen Dungbomben und wie man sie dem ollen Schniefelus am besten unterjubeln kann, ja?“