Sirius Black
_____________________
Sirius wusste, dass seine Eltern nicht sonderlich viel von ihm hielten und dass es wahrscheinlich einige Zeit dauern könnte, bis sein Vater seinen Brief tatsächlich beantworten würde, aber dass der alte Mann sich über einen Monat lang nehmen würde, hätte er nicht gedacht. Vielleicht zeigte es, dass wenigstens ein geringer Teil seiner Erziehung Früchte getragen hatte, aber er würde es sich niemals erlauben, einen Brief so lange unbeantwortet zu lassen. Naja, wenn man mal von letztem Sommer absah, in dem seine Mutter all seine Briefe konfisziert hatte, bevor er sie überhaupt lesen konnte. Da hatte er nicht sonderlich viele Chancen gehabt, überhaupt jemandem zu antworten.
Ein schmucker Vogel, vollkommen schwarz mit einem silbernen Ring um die Augen, brachte Sirius die Antwort seines Vaters. Es war allein der Eule abzusehen, dass es ein Brief von Zuhause war, noch dazu musste die Eule natürlich erst zum Mittagessen eintreffen, statt wie alle anderen zum Frühstück, sodass es auch der letzte mitbekommen würde. Sirius hatte kaum das Siegel seiner Familie erkannt, als er sich den Brief vom Bein der Eule gerissen und in seine Umhangstasche gestopft hatte. In der Hoffnung, seine Freunde hätten genau diesen Moment nicht mitbekommen, widmete er sich den Resten seines Mittagessens.
„Willst du den Brief nicht lesen?“, fragte Peter vorsichtig nach einigen Augenblicken.
Sirius, einen Löffel voll mit Eintopf auf dem Weg zu seinem Mund, hielt in der Bewegung inne. „Welchen Brief?“
„Tu nicht so“, entgegnete James. „Wir haben alle gesehen, dass deine Familie dir geschrieben hat.“
„Ich weiß nicht, was ihr meint“, versuchte er sich herauszureden.
„Sirius“, fing Remus langsam an. Der Junge musste nichts weiteres sagen, um Sirius zum Seufzen zu bewegen.
„Okay, schön, ich hab einen Brief von meinen Eltern bekommen. Große Sache. Wollt ihr Dumbledore auch noch Bescheid sagen, oder kann ich aufessen?“ Er wusste, er verhielt sich seinen Freunden gegenüber ein wenig unfair, aber er wollte weder seine noch Remus´ Hoffnung zu sehr aufleben lassen, wenn er ihnen davon erzählte, weswegen seine Eltern ihm schrieben. Zumal er sich ziemlich sicher war, dass Remus es ihnen sowieso nur versuchen würde auszureden.
James zog kaum merklich die Brauen zusammen, ehe er langsam sagte: „Steckst du schon wieder in Schwierigkeiten?“ Wenn Sirius nicht wüsste, dass das Unsinn war, dann würde er denken, er hätte sich eingebildet, dass James kurz zum Slytherintisch geblickt hatte.
„Nicht mehr als sonst“, antwortete er. „Es geht bestimmt nur um die dämlichen Pläne meiner Eltern für den Sommer.“
„Was haben sie denn vor?“, fragte Peter.
„Wahrscheinlich Gehirnwäsche“, erwiderte Sirius achselzuckend. Er schlang die Finger um seinen Krug mit Kürbissaft, in der Hoffnung, dass sie dann aufhören würde, verräterisch zu zittern. Aufgeregtheit schien in seinen Adern zu pulsieren und ließ sein Herz schneller schlagen. Nicht oft – eigentlich nie, wenn er genau war – bat er seine Eltern um etwas, deswegen hatte er die unsinnige Hoffnung, dass sie dieses Mal nachgeben würden. Sein Vater würde seine Bitte erfüllen und Sirius könnte endlich lernen, wie er ein Animagus werden konnte. Es war eigentlich ein narrensicherer Plan, wenn er ehrlich war. Was sollte denn schon großartig dabei schief gehen, wenn er seinen Vater um einen einfachen Gefallen bat?
„Das sollen sie erstmal versuchen“, meinte Remus. „In deinen Dickschädel bekommt man eh nichts rein.“
Sirius grinste und James lachte.
„Ihr wisst, dass ich Recht habe“, fügte Remus müde lächelnd hinzu.
„Wenn es schon Gehirnwäsche ist, dann hoffe ich, sie reden dir ein, deine eigenen Socken aufzuheben“, murmelte Peter, ehe er seinen Nachtisch verschlang. „Damit wäre allen geholfen.“
„Vielleicht schenken sie mir aber auch einen persönlichen Hauselfen“, sagte er ohne nachzudenken. „Kreacher hat was gegen mich und liebt meinen Bruder wesentlich mehr, als er sollte.“ Erst, als es ein paar Augenblicke zu lange zu still war, blickte er neben sich. „Was ist?“
Peter schüttelte kurz den Kopf. „Nichts. Ich – Lass das lieber nicht Lily hören.“
„Was hat Evans damit zu tun?“, fragte James, der, wie so oft, hellhörig wurde, sobald Lily erwähnt wurde. Ein wenig lächerlich war es ja.
„Ich hab mich letztens mit ihr darüber unterhalten, wie viele Hauselfen in den Küchen leben und da hat sie gefragt, wie es denn für die anderen Elfen so ist“, murrte Peter seinem Löffel entgegen. „Sie war nicht gerade begeistert davon, als sie erfahren hat, dass manche Zaubererfamilien Hauselfen besitzen und sie nicht so … fachgerecht behandeln, wie man es sollte.“
Sirius zog die Augenbrauen zusammen. „Das würde sie nicht mehr sagen, wenn sie Kreacher kennen würde. Der wurde so oft von meiner Mutter für irgendwelche Kleinigkeiten bestraft und trotzdem kommt er immer wieder angekrochen, um sie daran zu erinnern, was für ein elendiger Wurm er doch ist.“
„Sirius.“ James´ Stimme war ungewöhnlich ruhig geworden. „Rede so nicht über Hauselfen. Sie verdienen genauso viel Respekt wie du und ich.“
„Bitte, deine Eltern haben auch einen Hauselfen, du weißt, was ich –“
James unterbrach ihn mit einer sonderbaren Kühle in den Worten. „Nein, ich weiß nicht, was du meinst, Sirius. Du schaffst es sehr gut, dich über die schlechte Behandlung deiner Eltern zu beschweren und – ja, es ist echt scheiße. Glaubst du nicht, wir wissen das?“ Das warme Braun aus seinen Augen war fast gänzlich verschwunden. Stattdessen blickte James ihn an, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen. „Du weißt, wie es ist, wenn man von den Menschen schrecklich behandelt wird, die einen eigentlich beschützen sollten und trotzdem glaubst du, es ist in Ordnung, wenn du deinen Hauselfen so behandelst? Wenn du ihn einen elenden Wurm nennst?“
Sirius konnte seinen eigenen Herzschlag hören, so leise war es um sie herum geworden, was eigentlich keinen Sinn ergab, denn sie befanden sich mitten in der Großen Halle, umgeben von alle ihren Klassenkameraden und Lehrern. Es war laut und voll und trotzdem fühlte sich Sirius so, als würden plötzlich alle Lichter nur noch auf ihn zeigen. Er schluckte, aber seine Kehle blieb ausgetrocknet. „Ich –“
„Ich will keine Entschuldigungen hören“, fügte James an. „Ich will nur, dass du verstehst, dass du nicht jemand anderen weniger fühlen lassen kannst, nur weil deine Eltern so gut darin sind. Wir verstehen, wie es dir geht – hey. Guck mich an.“ James´ Hand schnellte hervor und legte sich überraschend sanft auf Sirius´ Oberarm. „Guck mich an“, wiederholte er leiser. „Vielleicht gibt es ja einen Grund dafür, warum Kreacher nicht viel von dir hält, hm?“
Ein fester, eisiger Klotz blockierte seine Atemwege. Sirius presste die Lippen zusammen, war unfähig, etwas zu sagen oder zu tun. Er konnte nur nicken und hoffen, dass James ihn nicht hasste.
James allerdings nickte ebenfalls, bevor er seinen Arm noch einmal drückte und dann die Kühle aus seinem Gesicht fallen ließ. Ein lockeres Lächeln grub sich in seinen Mund und er sagte: „Jetzt los, esst schneller, Kräuterkunde geht in zehn Minuten los.“
Es war unglaublich, wie schnell sich James´ Gemüt ändern konnte, aber Sirius beschwerte sich nicht. Er krallte seine Finger ein letztes Mal in das feste, unnachgiebige Material seines Krugs, dann leerte er den Rest des Kürbissaftes. „Richtig.“
Auf dem Weg zum Kräuterkundeunterricht brannte sich der ungelesene Brief ein Loch in Sirius´ Umhang, aber er dachte kaum daran. Vielmehr echoten James´ Worte in seinem Kopf umher, schienen ihn auszufüllen und zu übermannen. Er wusste, James hatte Recht – selbstverständlich hatte er das. James hatte immer Recht. James fiel es einfacher, zu leben und niemanden dabei zu verletzen, als es Sirius tat. Manchmal hatte Sirius das Gefühl, dass jeder seiner Schritte jemandem in die Hacken riss. Dass er mit jedem Schritt jemanden näher an die Klippe trieb.
Manchmal war dieser jemand auch er selbst.
Eine sanfte Berührung ließ ihn zusammenschrecken und Remus´ Finger verließen seinen Arm so schnell wie sie gekommen waren. „Hey, alles gut?“
Nickend antwortete er mit ein wenig gepresster Stimme: „Klar, Lupin. Was soll schon sein?“
Remus´ Gesichtsausdruck kam der sanften Berührung um nichts nach. Die harten, silbrigen Narben verschwanden fast in seiner Haut, während er Sirius ansah. Sonnenlicht ließ seine Haare wie eine Mischung aus Gold und Bronze schimmern. Es war ein grandioser Anblick, fand er. „Du weißt, James meint es nur gut.“
„Und er hat Recht“, fügte Sirius an. „Ich war ein Arsch.“
Das Lächeln auf Remus´ Lippen wackelte für den Bruchteil einer Sekunde. „Manchmal“, gab er schließlich zu. „Aber die meiste Zeit über bist du ziemlich gut.“
Sirius versuchte es zu unterdrücken, aber konnte nicht anders, als belustigt zu schnauben. „Nicht immer.“ Er presste die Lippen zusammen, legte den Kopf ein wenig schief. Es tat weh. „Nicht immer fällt es mir einfach.“
Einen Augenblick lang war auch Remus ruhig, dann: „Du machst das gut, Sirius. Angesichts deiner Familie machst du es sehr gut. Wirklich.“
Die Gewächshäuser schienen heute ein wenig heller zu leuchten.