James Potter
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Sirius kehrte mit geknickter Miene in den Schlafsaal zurück, warf sich auf sein Bett und seufzte lauthals.
„Kein Glück mit Remus?“, fragte James, die Füße von seinem eigenen Bett baumelnd, ein angefangener Aufsatz für Zauberkunst halb unter seinem Kissen vergraben, während er deutlich wichtigere Sachen tat – die Handschuhe, die zu seiner Quidditchausrüstung gehörten, von Schmutz befreien.
„Poppy wollte mich nicht bei ihm bleiben lassen“, murrte Sirius. „Dabei ging es ihm schrecklich und ich wette, ich hätte es bestimmt besser gemacht.“
„Weil du offensichtlich mehr Ahnung von Heilerzeug hast“, kommentierte Peter trocken von seinem Bett aus. Im Gegensatz zu James versuchte er noch immer, ein paar Zeilen für Flitwick hinzuschmieren, Tinte an seinen Fingern und ein zerbrochener Federkiel zu seinen Füßen. „James, kann ich –“
„Irgendwas müssen wir doch tun können!“, überging Sirius ihn lautstark.
James verdrehte die Augen, bevor er den Blick hob. „Und was stellst du dir darunter vor? In den Krankenflügel einbrechen und uns als Deko verkleiden, damit Pomfrey uns nicht rauswirft?“
„Ich meine, ich hatte eher an eine gebrochene Nase gedacht, damit sie uns nicht wegschicken kann, aber meinst du, das bekommen wir hin?“ Sirius hatte den Kopf halb angehoben, hoffnungsvolles Glänzen in seinen Augen.
James warf sein Kissen nach ihm. „Natürlich nicht, du Idiot“, meinte er, als das fedrige Geschoss nur Millimeter von Sirius´ Gesicht in die Wand krachte. „So ätzend es auch ist und glaub mir“, fügte er an, als Sirius erneut den Mund öffnete, „ich weiß, wie ätzend es ist, wir können nichts tun, wenn Pomfrey sagt, es gibt nichts, was wir tun können.“
Sirius drückte sich James´ Kissen ins Gesicht. „Komm schon“, maulte er gedämpft klingend. „Wozu sind wir denn die Rumtreiber?“
„Wir müssen das mit dem Animagus-Kram einfach schneller hinbekommen“, sagte Peter, wofür er einen gereizten Blick von Sirius´ Seite aus erntete. „Was? Ich dachte, das wäre unser Plan gewesen?“
„Ist es auch“, meinte James. „Aber falls du es schon vergessen hast, haben wir noch immer keinen Ansatz dafür gefunden.“ Er blickte mit hochgezogenen Augenbrauen zu Sirius und hielt den Blickkontakt, bis dieser genervt stöhnte und den Kopf wieder fallen ließ. „Ich hab auch keine Ahnung, wo wir noch suchen sollen. Die Bibliothek hat gar nichts und als ich meinen Dad gefragt hab, hat er nur gesagt, dass das nichts ist, womit ich mich beschäftigen sollte, sofern ich nicht älter bin.“
„So lange können wir nicht warten“, murrte Sirius.
„Wer sagt was von warten?“ Peter kratzte sich mit dem Ende seiner Feder am Kinn, wobei er einen dunkelblauen Tintenfleck auf seiner Haut hinterließ. „Du bist in die Verbotene Abteilung eingebrochen, also kannst du doch ein Buch von deinem Vater klauen, oder nicht?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich sehe jetzt den Unterschied darin nicht.“
Sirius hob schlagartig den Kopf. „Warte mal, er hat Recht“, sagte er und starrte James an. „Wieso bist du nicht in die Bibliothek deines Vaters eingebrochen und hast uns ein Buch mitgenommen? Es ist fast so, als würde dir der kleine Remus gar nicht am Herzen liegen.“ Eine seiner Augenbrauen war in seinen dunklen Locken verschwunden.
James´ Wangen wurden heiß und er drehte den Kopf, damit er Sirius´ stechenden, anklagenden Blick meiden konnte. „Ich kann doch meinen Dad nicht beklauen“, murmelte er, in der Hoffnung, dass die anderen Rumtreiber es nicht hören würden, wobei er nicht mit Sirius´ Hundegehör gerechnet hatte.
„Wie bitte?“, fragte er entsetzt, setzte sich auf. „Natürlich kannst du das, wenn es um Remus´ Wohl geht! Du verkaufst seine Sachen ja nicht auf dem Schwarzmarkt oder so, du bringst es ihm wieder. Irgendwann“, fügte er hinzu.
„Hast du denn deinen Vater schon gefragt?“, schoss James zurück.
Sirius lachte humorlos. „Oh, das wäre eine schöne Unterhaltung. Hey, Dad, ich weiß, du bist grad dabei, mich zu verfluchen, aber kannst du mir vielleicht ein Buch ausleihen, damit ich ein illegaler Animagus werden kann?“ Trotz des dunklen Inhalts zuckte ein Grinsen auf Sirius´ Lippen.
Ein Kloß setzte sich in James´ Kehle an. „Tut mir leid, ich wollte nicht –“
„Piss dir nicht gleich ein, Potter“, erwiderte Sirius nonchalant klingend, auch wenn seine wegwerfende Handbewegung ein wenig zittrig wirkte. Er drückte seine Finger in James´ Kissen. „Ich würde liebend gern in die Bibliothek meines Vaters einbrechen, aber da liegen einhundert Flüche drauf. Wenn ich nur die Tür berühre, fallen mir wahrscheinlich die Finger ab oder was auch immer er sich für kranke Sicherheitsvorkehrungen ausgedacht hat. Ich vermute mal, dein Dad macht sowas nicht.“
„Nein“, gab James langsam zu. „Ich …“, er seufzte, als er Peters hoffnungsvollen Blick bemerkte. „Na schön. Ich lass mir über die Sommerferien was einfallen. Wenn ich erwischt werde, werde ich allerdings dir die Schuld in die Schuhe schieben.“
„Das ist okay“, sagte Sirius grinsend. „Deine Eltern haben mich sowieso lieber als dich.“
„Haben sie nicht!“
„Haben sie!“
„Nicht!“
„Wohl!“
„Habt ihr es bald?“, unterbrach Peter die beiden augenrollend.
Sirius seufzte laut und theatralisch. „Wenn du es denn willst, Pete.“
„Kannst du deinem Vater nicht schreiben, ob er dir ein Buch zuschickt? Lüg einfach und sag, es sei aus Interesse.“ Peter zuckte mit einer Schulter. „Einen Versuch wäre es doch wert, oder?“
„Dann würde er doch direkt wissen, was wir vorhaben“, erwiderte James. „Also lieber nicht.“
„Wenn du meinst.“
Sirius warf den Kopf wieder zurück. „Es ist langweilig, wenn Remus nicht hier ist“, sagte er, was James eine Augenbraue anheben ließ. „Remus hätte bestimmt eine Idee, was wir tun können.“
„Du kannst mir mit dem Zauberkunstaufsatz helfen, wenn dir so langweilig ist“, meinte Peter trocken.
„Ha. Nicht dein bester Witz, aber nicht schlecht, Pete. Mach weiter so.“
Peter verdrehte erneut die Augen.
„Falls jemand noch ernstgemeinte Vorschläge hat, bin ich immer offen dafür, ansonsten“, Sirius ließ den Rest ungesagt, wartete ein paar Sekunden, dann presste er die Lippen zusammen. „Ihr seid beides Langweiler.“
„Wir könnten Zauberschnippschnapp spielen“, schlug James vor, der sowieso nicht wirklich Lust hatte, Hausaufgaben zu machen. „Oder die Mädchen ärgern. Ich glaub, Evans und die anderen sind noch im Gemeinschaftsraum.“
„Evans, ja?“
„Was?“, erwiderte James, das leichte Flimmern in seinen Wangen ignorierend.
„Oh, gar nichts“, sagte Sirius. „Wirklich absolut gar nichts.“
James schnalzte mit der Zunge, entschied sich aber, nicht zu antworten. Es gab genug Dinge, die er sagen könnte und er war sich sicher, dass alles darin enden würde, dass er und Sirius sich raufen würden. Was auch immer seine Freunde dachten, es war falsch. Er hatte sicher keine komischen Gefühle für Lily Evans. Wenn er nämlich ganz ehrlich war, dann konnte er sie nicht einmal leiden. Sie war besserwisserisch, herrisch und teilweise ziemlich gemein zu ihm, selbst wenn er nichts getan hatte. Zugegeben, manchmal wollte er sie provozieren, weil ihre Reaktionen witzig waren, aber das hieß natürlich nicht, dass er es verdient hatte, von ihr angefahren zu werden, nur weil er im selben Raum mit ihr war.
Den Kitzelfluch, den er ihr mitten im Zaubertränkeklassenzimmer auf den Hals gehetzt hatte, konnte sie ihm sowieso nicht nachweisen.
Auch am nächsten Tag durfte Remus den Krankenflügel nicht verlassen und Besuch war ihm ebenfalls nicht gestattet, was besonders Sirius aufregte. James musste ihn davon abhalten, die Türen aufzuhexen und ihn vom Krankenflügel wegzerren, während Madam Pomfrey mit einem undeutlichen Blick zugeschaut hatte. Einerseits hatte die Heilerin verständnisvoll gewirkt, als sie Sirius mehrmals gesagt hatte, dass Remus einfach zu schwach war, um lange wach zu bleiben, andererseits hatte sie gedroht, ihn in eine Bettpfanne verwandeln zu lassen, wenn er weiterhin so einen Radau veranstalten würde.
Dass sie Remus nicht sehen durften, half nicht, damit Sirius´ Laune sich verbesserte. Dadurch, dass es Samstag war, konnte James nicht darauf hoffen, dass der Unterricht sie ablenken würde, sondern musste es selbst in die Hand nehmen, Sirius in Schach zu halten, damit er sich nicht von der Treppe warf, um Zutritt zum Krankenflügel zu bekommen. Er würde es seinem besten Freund definitiv zutrauen, sich irgendwelche Verletzungen anzutun, nur damit er sichergehen konnte, dass Remus noch da war.
„Woher wissen wir denn, dass sie ihn nicht nach St. Mungos gefloht haben, während wir geschlafen haben?“, hatte er mit trotziger Stimme gefragt. „Wenn sie uns doch wenigstens fünf Minuten in den Raum lassen würden …“
„So sehr wir auch davon gerührt davon sind, dass du dich so um Remus´ Gesundheit sorgst“, fing Peter an, die Ungeduld nicht ganz aus seiner Stimme verbannt, „ist es doch ziemlich nervig, dass du jedes Mal ausrastest, wenn du mal zwei Tage von ihm getrennt bist.“ Als Sirius ihm einen empörten Blick zuwarf, schnaubte er kurz. „Was? Du weißt, dass ich Recht habe.“
James zog an Sirius´ Arm, damit er nicht in eine Gruppe von Slytherin-Drittklässlern lief, die ihnen entgegengekommen waren. Als sie außer Hörweite waren, sagte er: „Wir könnten uns immer ein wenig die Zeit vertreiben, bis Remus wieder fit ist und wir dann die großen Geschütze ausfahren.“
„Was ist aus daraus geworden, dass wir nur zu vier die Rumtreiber sind und es sonst keinen Sinn ergibt, Streiche zu spielen?“, fragte Peter mit hochgezogener Augenbraue.
„Regeln können ein wenig gebogen werden, ohne sie zu brechen. Remus würde es bestimmt gutheißen“, antwortete er.
„Wie auch immer.“
„Wenn du nicht mitmachen willst, dann können wir es auch zu einer Zwei-Mann-Mission machen“, sagte James, einen Arm um Sirius´ Schulter geworfen, beide Junge am Grinsen. Es brannte in seinen Mundwinkeln und seine Finger verlangten nach der Ablenkung durch Unfug. Das ganze Schloss stand ihnen offen und wartete nur darauf, dass sie etwas anstellten, dass vielleicht gegen die Regeln verstieß, aber jede Menge Unterhaltung brachte.
„Wir könnten die Zeit auch nutzen“, sagte Peter langsam, „um unsere Arbeit mit der Karte voranzubringen, oder? Heute ist kein Quidditchtraining, also haben wir den ganzen Tag Zeit, ja?“
„Oh, hey, keine schlechte Idee. Und wenn wir nebenbei ein paar Slytherins sehen, dann …“ Sirius machte eine wagemutige Zauberstabbewegung in der Luft, wodurch ein paar Funken durch die Luft stoben.
James grinste. „Perfekt.“ Er boxte Peter mit der anderen Hand gegen die Schulter. „Dann los. Lasst uns Kartographieren!“
„Woher er das Wort jetzt wieder kennt“, murmelte Sirius halblaut, was James geflissentlich ignorierte.
Sie würden Remus Unmengen an Fortschritten präsentieren, während er sich den Schmerz wegschlief. James würde schon dafür sorgen, dass Remus die Vollmondnächte bald nicht mehr allein verbringen würde, darauf gab er sich selbst ein Ehrenwort.
Remus würde nicht mehr allein sein.
Und ein Potter brach niemals ein Versprechen.